Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Bohl, im Kommentar von Ritzel-Bücker zu § 88 der Geschäftsordnung heißt es wörtlich:
Entschließungen verfolgen den Zweck, zu politischen Fragen jedweder Art die Auffassung des Deutschen Bundestages zum Ausdruck zu bringen oder — meistens — die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten aufzufordern. Den
Entschließungen kommt allerdings keine rechtliche, allenfalls eine politische Relevanz zu.
§ 88 hat ausdrücklich Akklamationscharakter und soll dringlich die Regierung auffordern, bindet sie aber nicht. Das ist dringend geboten in dem unwürdigen Possenspiel mit Interessen von Frauen.
Es geht ja jetzt schon seit Monaten so, daß die Mauer in frauenrechtlicher Hinsicht offensichtlich auf Jahre weiter bestehen soll und daß hier ungleiches Recht für Frauen gelten soll. Herr Lambsdorff, ich erinnere Sie an das, was Sie gerade eben in Ihrer Rede gesagt haben. Sie haben davon gesprochen, daß die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gelten muß. Ich frage Sie: Gilt das nur für die Wirtschaftsbarone oder auch für die Frauen in diesem Land?
Wir mußten leider zur Kenntnis nehmen, daß die FDP als Partei insgesamt für eine sehr liberale Regelung ist
— ja, das ist zur Geschäftsordnung; ich beziehe mich auf den Sinn und Zweck des § 88, daß sie dann aber kurzfristig umgefallen ist, weil offensichtlich die Parteitagsbeschlüsse und die Fraueninteressen einem Mann geopfert werden. Die FDP ist eine Ein-MannPartei geworden. Das alles ist erst kürzlich passiert.
Diesem unwürdigen Hickhack sind die Frauen in der DDR und in der Bundesrepublik Tag für Tag ausgesetzt. Hier geht es um Friktionen in der Koalition, habe ich der Zeitung entnommen. Ich frage Sie: Was soll hier Vorrang haben: Koalitionsfriktionen oder die Interessen der Frauen? Hier ist es geboten, ein eindeutiges Wort im Interesse der Frauen zu sprechen.
Nun, Herr Bohl, reden Sie sich auf die Interpretation des § 88 GO heraus. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich gut an die Zeit, als ich noch Geschäftsführerin der GRÜNEN war. Sie haben das damals gefingert, nachdem Ihnen auch ein Anliegen der GRÜNEN nicht paßte. Damals haben Sie eine Interpretation eingefügt. Allerdings interpretieren Sie diese Interpretation, die unserer Meinung nach eine unzulässige Verengung von Sinn und Zweck des § 88 ist, jetzt noch einmal im Sinne einer erneuten Verengung.
Selbstverständlich haben wir hier eine verbundene Debatte, bei der ein Gegenstand der Tagesordnung im Sinne von § 75 Abs. 1 a GO ein Gesetzentwurf ist. Wir haben eine verbundene Debatte, bei der es um eine Regierungserklärung zur Beitrittserklärung der DDR in Verbindung mit der zweiten und dritten Lesung zum Wahlrechtsgesetz geht.
Es handelt sich selbstverständlich um eine selbständige Vorlage. Wenn Sie eine verbundene Debatte
17464 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990
Frau Nickels
machen, dann ist der Tagesordnungspunkt so, daß er eine selbständige Vorlage enthält.
Ich kündige Ihnen an: Wenn Sie über eine Interpretation der Interpretation weiter Minderheitenrechte und den Sinn und Zweck des § 88 GO aushöhlen wollen, werden wir zumindest eine Sondersitzung des GO-Ausschusses beantragen und uns rechtliche Schritte vorbehalten.
Das Allerwiderwärtigste ist, daß Sie Ihr unwürdiges Schauspiel diesmal auf dem Rücken von Frauen in Not austragen. Sie sollten sich ein Stück schämen.