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ID1122011400

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    Plenarprotokoll 11i220 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 220. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 17379 A Absetzung des Punktes 2 von der Tagesordnung 17379B Stellungnahmen zur geschäftsordnungsrechtlichen Situation Bohl CDU/CSU 17379 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17380 B Baum FDP 17381 A Häfner GRÜNE 17381 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit Dr. Graf Lambsdorff FDP 17382 D Brück SPD 17384 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 17384 D Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 17388A Stratmann-Mertens GRÜNE 17392 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 17393 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF 17394 A Dr. Ehrenberg SPD 17395 A Huonker SPD 17396 A Frau Matthäus-Maier SPD 17399 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 17400 C Rühe CDU/CSU 17404 B Klose SPD 17406 D Breuer CDU/CSU 17408 A Rühe CDU/CSU 17410 A Seiters, Bundesminister BK 17410 D Stratmann-Mertens GRÜNE 17411 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 17413 A Stobbe SPD 17414 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 17417 A Schreiner SPD 17418 B Dr. Penner SPD 17419 B Frau Matthäus-Maier SPD 17420 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17421 A Gattermann FDP 17423 A Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 17423 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17425 A Dr. Sperling SPD 17425 B Frau Unruh fraktionslos 17426 D Wüppesahl fraktionslos 17428A Mischnick FDP 17430 B Namentliche Abstimmungen 17431 B, C Ergebnisse 17431C, 17433 B Nächste Sitzung 17434 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17435* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rossmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) 17435* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17379 220. Sitzung Bonn, den 9. August 1990 Beginn: 10.07 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Frau Folz-Steinacker FDP 09. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Grünbeck FDP 09.08.90 Dr. Göhner CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Lenzer CDU/CSU 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 09. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 09.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 09. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 09. 08. 90 Zink CDU/CSU 09.08.90 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rosmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) (alle CDU/CSU) zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) (Zusatztagesordnungspunkt 1) Unser Abstimmungsverhalten zu Drucksache 11/7657 verbinden wir mit der nachdrücklichen Aufforderung Anlagen zum Stenographischen Bericht an die Bundesregierung, in einer Zusatzvereinbarung die Wahlberechtigung aller deutschen Staatsangehörigen, wo immer sie leben, zu ermöglichen, und stützen uns dabei auf folgende Gründe: 1. Der jetzige § 12 des Bundeswahlgesetzes entspricht nicht in allen Teilen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen einer ersten gesamtdeutschen Wahl. Diese ist von einmaliger, überragender Bedeutung, da sie als einen „wichtigen Schritt zur Herstellung der Deutschen Einheit die Wahl des Deutschen Bundestages durch das ganze Deutsche Volk" regeln soll (so zweiter Präambelsatz des Vertrages). Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist das Deutsche Volk im Sinne des Grundgesetzes, von dem nach Art. 20 GG „alle Staatsgewalt ausgeht" , die Summe aller deutschen Staatsangehörigen. Dies hat eben erst (in Sachen Kommunalwahlrecht für Ausländer) vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Prof. Papier namens der Bundesregierung vorgetragen. Allen, die deutsche Staatsangehörige sind, muß, soweit sie es wünschen, die Beteiligung an der Wahl möglich sein. Dies verlangt das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG. 2. Die Wahlberechtigung ist in der Bundesrepublik Deutschland und in den westlichen Demokratien nicht an den Wohnsitz im Wahlgebiet gebunden. Nach § 12 des Bundeswahlgesetzes sind u. a. alle deutschen Staatsangehörigen in den 21 Mitgliedstaaten des Europarates, einschließlich aller deutschen Staatsangehörigen im EG-Gebiet und deutschen Staatsangehörigen in anderen Staaten, sofern sie nicht mehr als 10 Jahre dort ihren ordentlichen Wohnsitz haben, in der Regel wahlberechtigt. Vom Prinzip der „Seßhaftigkeit" wurde bei der Wahlberechtigung seit langem zugunsten des Demokratieprinzips abgegangen. Größere Gruppen deutscher Staatsangehöriger vom Wahlvorgang auszuschließen wäre nicht systemgerecht. Nicht wahlberechtigt sind jetzt deutsche Staatsangehörige, die über 10 Jahre im Ausland leben, insbesondere aber auch - bei gesamtdeutschen Wahlen besonders gravierend - alle deutschen Staatsangehörigen, „die vor Inkrafttreten der (Ost-) Verträge die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen" (BVerfG E 40,171). Das gilt nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht auch für deren Nachkommen. Allen deutschen Staatsangehörigen, auch jenen, die bei Beginn der Vertreibungsmaßnahmen die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und die sich darauf berufen, sowie ihre Nachkommen, - auch wenn ihnen später die polnische Staatsangehörigkeit oktroyiert wurde - „steht diese Staatsangehörigkeit weiter zu" (BVerfG E 40,171). Denn es kann u. a. auch den Ostverträgen nicht die Wirkung beigemessen werden, „daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen und der Souveränität, also sowohl der territorialen wie der personalen Hoheitsgewalt der Sowjetunion und Polens endgültig unterstellt worden seien" (BVerfG E 40,171). 17436* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Das Bundesverfassungsgericht begründet dies auch mit völkerrechtlichen Hinweisen, u. a. mit den von polnischer Seite entgegengenommenen Erklärungen des Bundesaußenministers Scheel im November 1970, mit der über den Notenwechsel mit den Verbündeten vor Vertragsunterschrift unterrichteten Warschauer Regierung, mit dem für die Vertragsmächte erkennbaren Willen der Bundesrepublik, „nicht über den territorialen Status Deutschlands zu verfügen", mit dem Wortlaut von Art. IV des Warschauer Gewaltverzichtsvertrages (BVerfGE 40,171-174). „Nach alledem haben die Vertragspartner die Bundesrepublik Deutschland nicht für befugt halten können, Verfügungen zu treffen, die eine friedensvertragliche Regelung vorwegnehmen". Politische Absichtserklärungen, die weitergehen, können die Vertragsentscheidungen eines gesamtdeutschen Souveräns nicht präjudizieren und die Rechtslage der besonders bedrängten Deutschen nicht verändern. Unser Grundgesetz und seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht haben bis zu einer rechtmäßigen Entscheidung des gesamtdeutschen Souveräns mit rechtlicher Verbindlichkeit für das Handeln der deutschen Verfassungsorgane festgeschrieben, daß „Deutschland" rechtlich als Staat und Völkerrechtssubjekt vorerst in den Grenzen von 1937 fortbesteht. 3. Das Wahlrecht gehört zu den wichtigsten Rechten eines Staatsangehörigen. Die Ausgrenzung gerade der bedrängten deutschen Staatsangehörigen durch Ausschluß von der Ausübung des Wahlrechts bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen würde einen besonders gravierenden Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG, gegen die von Verfassungs wegen auch für diese Deutschen bestehende Schutzpflicht bedeuten und nicht systemgerecht sein. „Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) untersagt den unberechtigten Ausschluß von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl (BVerfG E 36,141). Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen ... Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen" (BVerfG E 28,229; 36,141). Anders als bei früheren Wahlen müssen diese deutschen Staatsangehörigen bei Wahlen „zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands" und zu deren Vorbereitung wahlberechtigt sein, da das gesamte Deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Man darf die Deutschen in diesen vorerst noch nicht „aus Deutschland entlassenen Teilen" jenseits von Oder und Neiße nicht anders behandeln als die im Gebiet der DDR lebenden Deutschen oder gar als Deutsche z. B. in der Türkei oder in Argentinien. Ob eine spätere Verfassungsänderung den Deutschlandbegriff „aushebeln" könnte, wird anhand von Art. 25 GG und Art. 79 Abs. 3 GG zu prüfen sein; sie kann aber keinesfalls Grund- und Menschenrechte deutscher Staatsangehöriger beseitigen oder ungeschützt sein lassen. Jedenfalls sind jetzt die Deutschen aus allen Teilen Deutschlands am Wahlvorgang zu beteiligen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gertrud Unruh


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GRÜNE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Der Herr Innenminister hat das zum guten Schluß alles sehr pathetisch sagen können. Das hört sich auch alles sehr gut an. Die großen Verdienste des Herrn Bundeskanzlers werden natürlich überhaupt nicht geschmälert. Wer sollte das denn eigentlich tun? Nur, warum hat er dann heute nicht das Wort ergriffen?

    (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Warum sollte er denn?)

    — Verzeihen Sie bitte: Er ist doch nun einmal der große Mann

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17427
    Frau Unruh
    — rechnen Sie mir bitte den Beifall nicht an —,

    (Heiterkeit bei allen Fraktionen)

    der sagt: Ohne mich wäre das nicht erreicht worden. Aber dann doch bitte auch ein Wort des Mutes an die Bürger in der DDR, die selbstverständlich des Mutes bedürfen.
    Wenn der Herr Innenminister jetzt sagt, die sind es gewöhnt, alles immer nur einstimmig, jetzt genügt das, da fehlten ja nur neun Stimmen, muß ich dem entgegenhalten: Dieser Wahlvertrag benötigt an und für sich eine Vierfünftelmehrheit.

    (Bohl [CDU/CSU]: Fünfviertelmehrheit!)

    Wie wollen wir denn, wenn wir uns selbst ernst nehmen, einen gesamtdeutschen Haushalt zusammenkriegen, für den es sehr wohl einer enormen Milliardenverschuldung bedarf?
    Herr Graf Lambsdorff hat vorhin in seiner Rede auch die Rentner erwähnt. Es tut mir als Interessenvertretung der Grauen Panther natürlich sehr weh, Herr Lambsdorff, daß Sie in der Bundesrepublik Deutschland nach Ihrem liberalen Verständnis nicht vehement dafür eingetreten sind, daß es hier zumindest eine Mindestrente gibt, damit nicht Millionen alter Frauen über 60 nur 800 DM im Monat zur Verfügung haben.

    (Günther [CDU/CSU]: 8 Millionen!)

    — 8 Millionen alter Damen über 60 haben nur so wenig Rente zur Verfügung. Ich kann mich immer nur wundern, wie hier geredet wird, wie man pastoral etwas verkündet, wie Sie, Graf Lambsdorff, auch noch Kraft Ihrer besonderen Männlichkeit meinen,

    (Oh-Ruhe bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Wie haben Sie das festgestellt, Frau Unruh?)

    Sie könnten damit eine Wählerstimme in der DDR, was Renten angeht, für sich als FDP gewinnen. Das glauben Sie doch wohl selbst nicht.
    Hier hat sich auch der Herr Wirtschaftsboß — ebenfalls FDP — geäußert. FDP heißt ja Partei des Eigentums. Warum denn nicht? Eigentum verpflichtet, meine Herren und Damen. Nur, da hört es bei Ihnen dann auf. Es hätte mich sehr interessiert, heute vom Wirtschaftsminister zu hören, wieso die DDR die siebte Weltwirtschaftsmacht hat sein können. Es hätte mich sehr interessiert, wie man so etwas bei soviel „Dummheit" der DDR-Arbeiter, der DDR-Facharbeiter hat erreichen können. Im Gegenteil: Man hat unseren BRD-Arbeitslosen weismachen wollen, wäret ihr so hochqualifiziert wie die DDR-Jungs gewesen, dann gäbe es hier auch nicht die große Arbeitslosigkeit.
    Ich glaube, in diesem Mischmasch Ihrer persönlichen Darstellungen haben im wesentlichen Sie von der CDU/CSU und der FDP die Stimmen bei uns im Volk verloren — das sind doch nun einmal Tatsachen —, weil der Bürger und die Bürgerin doch merken: Was quatschen die für ein dummes Zeug, während ich draußen im alltäglichen Leben mit etwas ganz, ganz anderem zurechtkommen muß?
    Damit Ihnen, verehrter Minister Blüm, einmal die Schnute gestopft wird, sage ich folgendes — ich hätte
    zwar gern nach Ihnen geredet, aber die Minister haben immer Vorrang — : Die Rente in der DDR — zu diesem Thema kriege ich Hunderte von Briefen — sieht nach 45 Berufsjahren jetzt so aus: meine Frau 575 DM und ich als Mann — das hat mir jemand aus der DDR geschrieben — 672 DM.

    (Bundesminister Genscher: Wie war es vorher?)

    — Sie fragen: Wie war es vorher? Das war nicht gut, Herr Genscher: geistig so hochstehend und so etwas Dummes zu sagen.

    (Lachen bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Inzwischen sind ja die Mieten gestiegen, verehrter Freund Genscher. Die Friseurpreise sind gestiegen. Stellen Sie sich einmal vor, daß Sie beim Friseur 40 % mehr bezahlen.
    Der Freund von der CDU sagte vorhin: Frau Unruh, ich verstehe gar nicht, warum der Joghurt in der DDR 30 Pfennig teurer ist. Das sind eben die Dinge, mit denen die Menschen, im wesentlichen alte Menschen, zu tun haben. Die alten Menschen können ja nicht irgendwo schwarz reinkloppen. Sie kommen nicht mehr zurecht. Unser Minister hat sachlich recht, wenn er behauptet, daß es über 30 % mehr sind. Aber was kann ich damit drüben in der freien oder Sozialen Marktwirtschaft — verzeihen Sie das Wort sozial; ich bin etwas gehandikapt, das Wort in diesem Bundestag zu gebrauchen — anfangen?
    Wissen Sie, daß bei uns 6 Millionen Bankkunden im Schuldturm sitzen, Menschen, die sich verschuldet haben, kleine Unternehmen, die sich verschuldet haben, die auf Grund irgendwelcher Schicksalsschläge
    — und sei es nur, weil um die Ecke herum ein Supermarkt genehmigt wurde — Bankschulden nicht mehr bezahlen können? Und siehe da: Sie sind für ihr Leben vernichtet.
    In der DDR machen Bankbriefe die Runde: Kommt, verschuldet euch, es geht rund. Und wo sind die Gehälter zuerst angepaßt worden? Bei Banken und Versicherungen, natürlich auch — man höre und staune — im öffentlichen Dienst. Ein Berufsbeamtentum wird auch versprochen. Genau die Bonzen, die Sie hier verteufeln, wollen Sie also nach ein, zwei oder drei Jahren in das Schlaraffenland eines Berufsbeamtentums bringen. Da kann etwas nicht stimmen.
    Sie haben aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nichts gelernt. Sie erkennen nicht, in welchem Klassensystem wir hier leben. Frauen, die bei uns 35 Jahre lang gearbeitet haben, bekommen ganze 600 Mark Rente.

    (Widerspruch des Abg. Dr. Bötsch [CDU/ CSU])

    — Sie müssen lernen, wie es draußen aussieht. — Zur gleichen Zeit beträgt die Beamtenmindestpension 1 730 DM.
    Ich nehme es den SPDlern übel, daß sie beim Rentendeal mitgemacht haben. Ich hoffe, die SPD distanziert sich noch davon. Und wenn Herr Lafontaine das große Wunder der SPD werden soll, soll er auch dazu ein klares Wort sagen, statt als erstes, nachdem er
    17428 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
    Frau Unruh
    favorisiert worden war, zu sagen: Nein, nein, mit Mindestrente oder Mindestversorgung, das wird nichts.
    Wir müssen wissen, wie reich wir sind und daß wir nach unserer Verfassung verpflichtet sind, Menschen nicht in Armut, nicht zur Mülltonne zu schicken.
    Ich will diese Regierung ablösen. Ich sage das klipp und klar.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich will eine geänderte SPD. Vielleicht schafft das Herr Lafontaine. Ich wollte immer den alten Vogel, und dabei bleibt es auch.

    (Heiterkeit bei allen Fraktionen)

    Deshalb werden wir Grauen Panther, die Überpartei Die Grauen, in der DDR wie hier organisiert, versuchen, über 5 To zu kommen. Wir schaffen das auch — das weiß ich — , weil Ihnen die Alten und die verlassenen jungen Leute zeigen werden, daß es in diesem unseren Land eine moralische neue Kraft geben wird.

    (Heiterkeit bei allen Fraktionen)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wüppesahl.

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    Rede von Thomas Wüppesahl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GRÜNE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem mehr autosuggestiven Beitrag versuche ich, noch ein bißchen Außenwirkung zu erzielen.
    Zwei kurze Repliken auf Beiträge im Laufe des Vormittags. Graf Lambsdorff formulierte, daß ihm vor der Umweltentwicklung in der DDR nicht bange sei. Neben vielen anderen Beispielen führte er die Einführung schadstoffarmer Motoren in Automobilen an. Ich denke, diese Darstellung macht sehr deutlich, daß das Umweltproblem auf dieser Seite des Hauses nicht begriffen worden ist. Schadstoffarme Autos fahren auch in der Bundesrepublik — zwar noch nicht in der Anzahl, wie es technisch möglich wäre, aber doch in erheblichem Maße — , und wir stehen vor dem Verkehrskollaps. Wir haben gerade wegen des Autoverkehrs in diesem Sommer ein Ozonproblem wie noch nie zuvor und viele andere Probleme allein im Verkehrsbereich. Ich denke wirklich, daß mit einer solchen Äußerung dokumentiert wird, daß die Dimension der Umweltproblematik in keinster Weise begriffen worden ist.
    Ein zweiter Gesichtspunkt aus den ersten Stunden der Debatte führt zurück auf den Coup am Wolfgangsee. Die Grundgesetzänderung wurde, wie schon mehrfach bemängelt, über die Presse bekanntgegeben. Erst dann erfolgte das Parteiengespräch — „natürlich" — unter Ausschluß der GRÜNEN. Ich denke, jedem wird klar sein, daß hier nicht der ernsthafte Versuch im Raume stand, eine Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung herbeizuführen.
    Ich denke, daß den wenigsten bewußt geworden ist, was tatsächlich bezweckt worden ist — es konnte ja auch erreicht werden — , nämlich daß der schnelle Beitritt der DDR zur Bundesrepublik spätestens zum 14. Oktober dieses Jahres gesichert ist. Dieser Beitrittstermin stand auf Grund der Position, die Herr de Maizière zwischenzeitlich eingenommen hatte, zur
    Disposition und war natürlich nach dem Vorschlag, den Herr de Maizière, selbst als Bauer von unserem Kanzler Kohl vorgeschickt, der Öffentlichkeit unterbreitet hatte, festgeklopft.
    Dieser Vorschlag hatte aber noch einen zweiten Zweck. Es war der Test, ob vielleicht doch der Mißbrauch der Mehrheit in diesem Parlament durchgeht, ob man eine manipulierte Vertrauensfrage durchziehen kann. Dieser Test scheiterte. Das Ergebnis aber, die Festlegung des 14. Oktober diesen Jahres als Beitrittstermin, ist ja auch etwas.
    Insgesamt — das zeigt auch der heutige Debattenablauf — ist diese Diskussion von gestern und heute ein erneutes Beispiel dafür, wie dieses Parlament, wie schon so oft, nicht der Beratung, sondern dem Wahlkampf der etablierten Parteien dient, und dies auf dem Rücken von Millionen von Wählern. Es gab Redebeiträge, im besonderen von Herrn Minister Blüm, die kaum zur Sache gehalten worden waren, sondern nur allgemeines Trara und Motivationssetzungen etc. enthielten.
    Insgesamt zeigt der heutige Debattenablauf den real existierenden Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland in wirklich erschreckendster Weise. Ich benutzte bewußt die Vokabel real existierender Parlamentarismus, weil die Verfehlungen, die Verstöße gegen das Grundgesetz und die eigene Geschäftsordnung, die allein in den letzten zwei Jahren praktiziert worden sind — ich konnte sie dokumentieren — , abenteuerlich und atemberaubend sind.
    Ein Tugendbold nach dem anderen kommt im Auftrage seiner Partei nach vorne und versucht, den Menschen einzureden, daß man gerade zum Wohle der Menschen in diesem Lande rede. Es ist geradezu süffisant. Man kann es wirklich nur als Theater — in diesem Fall ist es ein klassisches Sommertheater — charakterisieren und das, was der Kanzler an Parlamentsverständnis praktiziert, lediglich als ein Bismarcksches Parlamentsverständnis beschreiben. Das Parlament wird geholt, wenn er es gerade braucht. Die zuständigen Gremien in diesem Parlament, also das Präsidium und der Ältestenrat, machen dies auch mit.
    Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß wir diese beiden Tage vom Ergebnis her umsonst aus dem Urlaub geholt worden sind. Beachten Sie auch die Kosten, wobei dies unter Berücksichtigung der Gesamtkosten nebensächlich ist.
    Der eigentliche Zweck aber, dieses Wahlgesetz gestern und heute zu verabschieden, ist fehlgelaufen. Das ist ein Gesichtspunkt, der heute morgen bei der Geschäftsordnungsdebatte zu kurz gekommen ist.
    Daß das parlamentarische Fiasko, das die Regierung gestern nacht und heute mit der festen Programmierung, daß die Volkskammer dieses Wahlgesetz verabschieden werde, erlebt hat, nicht deutlich geworden ist, zeigt wieder einmal, wie die Oppositionsparteien versagen. Daß die SPD dort nicht draufschlägt, verstehe ich; sie trägt dieses Wahlgesetz letztlich mit. Daß dies aber die GRÜNEN das nicht süffisanter darstellen und den Scherbenhaufen, der gestern und heute angerichtet worden ist, rhetorisch entsprechend ausschlachten, kann ich nicht verstehen.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17429
    Wüppesahl
    Die Normalität des Parlamentarismus — wie er heute nacht in der DDR-Volkskammer zu einem Teil zum Leben erwacht ist —, daß eben einmal etwas nicht so läuft, wie es die Regierung gerne hätte, wird auch nicht positiv gewürdigt. Wir jedenfalls sind umsonst aus den Ferien gekommen. Wir haben mit diesen beiden Tagen wiederum ein Beispiel dafür, wie saturiert, wie feist unsere Regierung in ihren Sesseln sitzt.
    Ich möchte noch ein Detail anfügen. Die Entscheidung der DDR-Volkskammer ist heute nacht gefallen, weit bevor der Dienst in Bonn um 7 oder 8 Uhr aufgenommen wurde. Es gab offensichtlich in der Bundeshauptstadt Bonn niemanden als Stallwache, der diese veränderte Entscheidungsgrundlage hätte umsetzen können.
    Dazu möchte ich Ihnen noch folgendes sagen. Ich selbst habe gestern abend um 22.45 Uhr 34 Änderungsanträge zur zweiten Lesung des Wahlgesetzes abgegeben. Mir war es nicht möglich, dies auf offiziellem Wege zu tun. Durch einen Zufall konnte ich die Persönliche Referentin von Frau Süssmuth erreichen.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na also!)

    — Ich bitte, Sie, was für Zustände. Jede Polizeidienststelle, jede Bundeswehrdienststelle hat über Nacht einen Beamten vom Dienst.
    Wir haben in diesen zwei Tagen die Situation gehabt, daß ein Gesetz verabschiedet werden soll, das Grundfesten für demokratische Verfahrensabläufe enthält und in der Bundeshauptstadt ist noch nicht einmal jemand in der Lage, eine Entscheidung der Volkskammer, wie sie heute nacht getroffen wurde, parlamentarisch entsprechend umzusetzen, so daß selbst Bundesminister wie Herr Engelhard und andere heute morgen um 9 Uhr völlig überrascht zum Plenum kamen. Das ist in der Tat nur eines von vielen Beispielen dieses real existierenden Parlamentarismus. Ich kann nur davor warnen, ihn dem Gesamtreich in dieser Weise aufzudrücken.
    Der Zeitdruck, unter dem die gesamte Beratung erfolgt, ist ja offensichtlich. Diesem Zeitdruck hat diese Regierung es auch zu verdanken, daß die Entscheidung in der DDR-Volkskammer heute nicht so ausgefallen ist, wie sie es gerne gewünscht hätte. Es hat offensichtlich auch nichts genützt, daß die Bündnispartner der DDR-Parteien von Bonn aus ständig ihre Peitschenhiebe nach drüben schallen ließen. Es ist auch nicht schwer auszumachen, wie die Telefonkabel zur Zeit surren und schnurren, um Druck auf die Parteien in der DDR auszuüben, damit dieses Desaster von heute nacht — vor allen Dingen für die Bonner Regierung — schleunigst ausgemerzt werden kann.
    Die von mir und vielen anderen prophezeiten Auswirkungen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sind eingetreten. Über 200 000 Menschen in der DDR sind mittlerweile arbeitslos geworden. Das ist eine Verdoppelung gegenüber den Zahlen vor Einführung der D-Mark in der DDR. Des Kanzlers Worte vom Wolfgangsee — „Die Menschen in der DDR haben jetzt die Freiheit und die D-Mark" — haben ihre zynische Wirklichkeit gefunden: Über 600 000 Menschen dürfen jetzt in Freiheit kurzarbeiten, wobei
    Kurzarbeit in diesem Fall eindeutig Arbeitslosigkeit darstellt.
    Die CDU/CSU und FDP hasten zur großdeutschen Macht mit der Gewißheit im Rücken: Wenn die Menschen in der DDR erst einmal erkannt haben, was ihnen im ersten Staatsvertrag als Freiheit und D-Mark angedreht wurde, werden sie schwerlich ihre Stimme der Kohl-Regierung geben. Daraus ergibt sich für die Bundesregierung die zwingende Notwendigkeit, so schnell wie möglich zu wählen, ein Kalkül, dessen sich — allerdings mit anderen Vorzeichen — auch die SPD-Wahltaktik bedient. Hier wird ein Parteienstreit auf dem Rücken Tausender geführt, die neben dem Schaden nun auch noch den Spott haben, als stimmgebende Masse verschoben zu werden.
    Das Versagen der Opposition im Deutschen Bundestag scheint nicht durch die Kraft oppositioneller Arbeit, sondern mit dem Vorschlag Bundeskanzler Kohls, der von Herrn de Maizière verkündet wurde, beendet zu sein.
    Die SPD stimmte dem ersten Staatsvertrag zu. Meine Damen und Herren, damit werden Sie sich nicht aus der Verantwortung für den augenblicklichen Zustand in der DDR stehlen können. Diese Zustände in der DDR haben wir im Augenblick u. a. auf Grund Ihrer Zustimmung zum ersten Staatsvertrag zu konstatieren. Da nützt auch nichts die Erklärung, die Sie in der Debate zum ersten Staatsvertrag abgegeben haben nach dem Tenor: Wenn es klappt, sind wir dabei; wenn es schiefgeht, können wir nichts dafür.
    Ehrenworte haben in der CDU ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Erst hieß es, die Vereinigung werde keine Steuererhöhungen nach sich ziehen. Das war, wenn man es seriös betrachtet, nie zu verwirklichen. Im Interview vom Wolfgangsee am vergangenen Sonntag brachte der Kanzler zwischen den Zeilen zum Ausdruck, daß Steuererhöhungen anstehen.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Dummes Zeug! Stimmt ja gar nicht!)

    Darauf sollten sich die Menschen in der Bundesrepublik auch vorbereiten.
    Herr Blüm hat es heute noch deutlicher formuliert. In seiner dankenswert naiven und offenen Art formulierte er, daß, wenn der Dammbruch eintritt, die Dammbauer nicht für die Überflutung verantwortlich gemacht werden könnten.