Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Sperling, ich nehme das natürlich zur Kenntnis. Aber: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie jetzt von etwas anderem reden?
Wir haben nämlich gerade von dem Beschluß der Volkskammer gesprochen. Ich meine: Es ist ja gut; wenn man eine Zwischenfrage stellt, hört man wenigstens hinterher zu. Aber noch besser ist es, man hört schon vorher zu, bevor man die Frage stellt.
Wir haben gerade darüber gesprochen, daß die Volkskammer gestern nachmittag mit der von Ihrer Kollegin Däubler-Gmelin angesprochenen Mehrheit einen Beschluß gefaßt hat,
den Deutschen Bundestag oder die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland zu bitten, eine frühere Wahl zu ermöglichen durch eine Änderung des Grundgesetzes. Sie haben heute nacht einen Beschluß zum Wahlvertrag gefaßt. Dort haben sie zwar eine Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Abgeordneten gehabt, eine klare, aber nicht eine Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Volkskammer. Deswegen ist die notwendige Mehrheit nicht zustande gekommen. Deswegen wird die Sitzung am 22. August sein, und wir werden das Vergnügen haben, am 23. noch einmal hier zusammenzukommen, und der Bundesrat wird sich, wie vorgesehen, am 24. damit befassen, und der Wahlvertrag tritt, wie vorgesehen, dann am 24. in Kraft.
Ich möchte gerne noch, Herr Präsident, meine Damen und Herren, einige wenige Sätze sagen, weil Herr Kollege Lafontaine bisher offenbar nicht die Gelegenheit hatte, von dem Chef seiner Staatskanzlei, der an den Verhandlungen teilgenommen hat, sich zum Einigungsvertrag informieren zu lassen, was denn da wirklich besprochen worden ist. Wahrscheinlich hat er dort genauso zugehört, wir er es während der ganzen Debatte tut, nämlich gar nicht.
Deswegen weiß er nichts. Herr Lafontaine, es wäre wirklich nett, wenn Sie, da Sie ein paar Dinge nun wirklich — —
Es wäre wirklich liebenswürdig, wenn Sie ein paar wenige Dinge zur Kenntnis nehmen würden. Das erspart uns einiges.
Wir haben in den Verhandlungen über den Einigungsvertrag — und Ihr Herr Kopp wird es Ihnen be-
17426 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
Bundesminister Dr. Schäuble
stätigen; er hat es vor der Presse auch öffentlich gesagt — bei jedem Schritt der Verhandlungen, vor und nach den Verhandlungen, in den Verhandlungen mit den Ländern völlig einvernehmlich gesprochen. Sowohl nach der ersten wie nach der zweiten Verhandlungsrunde haben sich die Länder — übrigens durch den von Ihnen erwähnten Sprecher der Länder — ausdrücklich für die faire, korrekte, umfassende Beteiligung der Länder an den Verhandlungen bedankt. Sie haben es sogar am Donnerstagabend in Ost-Berlin bei einer Pressekonferenz gesagt. Deswegen ist es einfach nicht wahr. Herr Lafontaine, wenn Sie solche Aussagen machen, dürfen Sie nicht in den Spiegel schauen, wenn Sie der Wahrheit ins Gesicht sehen wollen. Das dürfen Sie dann nicht.
Zweitens. Wir haben in einer Reihe von wesentlichen Fragen Einvernehmen erzielt. Das steht unter dem Vorbehalt. Das ist ein erster Vertragsentwurf. Das ist völlig klar. Wir haben dort, wo wir mit den Ländern noch keine völlig übereinstimmende Position haben, zum Beispiel in der Frage der Umsatzsteuerverteilung, dies ja ausdrücklich so angemerkt. Darüber wird weiter zu sprechen sein. Wir haben aber auch die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden in der DDR weiß Gott nicht vergessen, sondern wir haben sie in den Art. 7 ff. des Vertragsentwurfs ausdrücklich geregelt.
Es gibt eine einzige Frage, die dabei noch offen ist, nämlich die, daß die Bundesländer, und das wird ja hoffentlich heute nachmittag im Gespräch der Finanzminister mit Theo Waigel der Fall sein, einem fairen Schlüssel der Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern bis 1994 zustimmen. Das ist die einzige Frage, die in der Finanzausstattung der Länder in den Verhandlungen noch offen ist. Deswegen können Sie nicht sagen, wir hätten es vergessen. Sondern Sie müßten richtigerweise hier sagen: Wir stimmen dem Vorschlag des Bundes und der Regierung der DDR zu und sind bereit, uns ein klein wenig zu beteiligen. Dann ist auch dieses Problem abschließend gelöst.
Wir werden im Anschluß im Ausschuß Deutsche Einheit umfassend über die bisherigen Verhandlungen berichten, darüber diskutieren und die weiteren Schritte vorbereiten. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am 20. August.
Meine herzliche Bitte ist, daß uns notwendige politische Auseinandersetzungen — und niemand vermag natürlich zu übersehen, daß in diesem Jahr gewählt werden wird und daß Auseinandersetzungen immer auch darauf Bezug nehmen — nicht davon abbringen, uns dennoch ein Minimum der Fähigkeit zur Kooperation in dieser wichtigen historischen Zeit zu bewahren. Wir sind bis zum vergangenen Freitag in einem engen Einvernehmen hinsichtlich der Verhandlungen zum Einigungsvertrag gewesen,
im übrigen auch, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, zum
Wahlvertrag. Bis zum heutigen Vormittag waren wir,
wie sich gezeigt hat, über die Parteigrenzen hinweg auch im Konsens, was das Wahlrecht anbetrifft.
— Nein, ich möchte gerne zum Schluß kommen, weil wir heute auch noch im Ausschuß Deutsche Einheit beraten wollen.
Meine Bitte an alle ist, daß wir in einer Zeit, in der es wirklich Wichtigeres gibt als manche Themen, die heute behandelt worden sind, uns der Bedeutung dieser Zeit und unserer Verantwortung bewußt bleiben.
Ich habe gestern bei der ersten Lesung des Wahlvertrags daran erinnert, was sich in den letzten zwölf Monaten alles verändert hat: Vor zwölf Monaten hat der Kollege Seiters wegen des Zulaufs in die Ständige Vertretung in Ost-Berlin seinen Urlaub unterbrechen müssen. Am 9. November 1989 ist die Mauer geöffnet worden, und wir haben im Deutschen Bundestag spontan das Deutschlandlied gesungen. Am 18. März 1990 waren die ersten freien Wahlen in der DDR. Vor wenigen Wochen haben der Bundeskanzler, der Außen- und Finanzminister in Moskau und im Kaukasus den entscheidenden Durchbruch erzielt, daß der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen nun endgültig der Geschichte angehört.
Niemand in Europa, niemand unter den Vier Mächten hat noch einen Vorbehalt gegen die Deutsche Einheit, gegen die Herstellung der vollen deutschen Souveränität, gegen die Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zur Wertegemeinschaft der freien Demokratien auch in der Zukunft.
In einer solchen Zeit und angesichts der großen Leistungen, die die Deutschen in der DDR in diesen zwölf Monaten erbracht haben, sollten wir natürlich Probleme aufzeigen und darüber sprechen. Aber wir sollten nicht nur Ängste schüren und Krisen herbeireden, sondern auch ein Stück weit Optimismus und Zuversicht vermitteln. Und wir sollten uns unserer Verantwortung bewußt bleiben, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.