Rede von
Hans-Ulrich
Klose
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir freuen uns auf Deutschland! " Herr Rühe, diese Plakate sind gegenwärtig auf den Straßen Bonns zu sehen. Ich nehme an, das ist Ihr Werk. Ich gebe zu, mir hat das Plakat ganz gut gefallen.
— So sind wir Hamburger nun einmal untereinander. — Mir hat es ganz gut gefallen, weil ich es in der Tat gut finde, daß man seiner Freude Ausdruck verleiht. Ich hätte etwas anders getextet. Ich hätte nicht gesagt: „Wir freuen uns auf Deutschland!" , sondern: Wir freuen uns mit den oder für die Menschen in Deutschland.
Denn es geht doch, verehrter Kollege Rühe, nicht um die Einheit als solche, um Deutschland als staatsrechtliches Gebilde, sondern es geht um ein neues wohnliches Haus für die Deutschen. Es geht darum, die Einheit so zu gestalten, daß die Menschen Grund haben, sich zu freuen.
An diesem Punkt, lieber Herr Rühe, stellt sich aber immer dringlicher die Frage, ob das, was Sie auf dem Weg zur deutschen Einheit geleistet haben, immer
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17407
Klose
noch Freude auslöst. Wenn ich den Bundeskanzler während einer solchen Debatte betrachte, dann habe ich den Eindruck, er lebt offenbar in diesem Glauben. Bedrückende Tatsache ist aber, daß sich die reale Stimmungslage laufend verschlechtert. Daran trägt diese Bundesregierung, trägt dieser Bundeskanzler ein gerüttelt Maß Schuld.
Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie auf dem Weg zur deutschen Einheit ein zu hohes Tempo eingeschlagen und damit die Menschen überfordert haben. Das war vielleicht nicht anders zu machen.
Aber was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie bei den Menschen hier in der Bundesrepublik den Eindruck erweckt haben und immer noch erwecken, das alles sei ohne Belastungen zu machen, ohne Opfer und jedenfalls ohne Steuererhöhungen. Ganz im Gegenteil, an den Plänen zur Senkung der Unternehmenssteuern halten Sie noch immer fest. Aber die Leute glauben Ihnen das nicht mehr, falls sie es Ihnen jemals geglaubt haben.
Sie erleben doch, wie die Kosten explodieren, wie ständig neue Zahlen genannt, wie Forderungen angemeldet werden. Da sich die Lage in der DDR infolge der schnellen Einführung der D-Mark tagtäglich dramatisch verschlechtert — die DDR-Wirtschaft befindet sich faktisch in der Agonie —, werden weitere dramatische Kosten auf uns zukommen. Die Leute wissen das, sie fühlen das, und sie erwarten, daß jetzt endlich Kassensturz gemacht wird. Nicht wir, sondern der Herr Bundeskanzler hat dieses Wort in die Debatte eingeführt.
Hören Sie doch endlich auf, uns immer vorzuwerfen, wir spekulierten über die Kosten der Einheit. Sie sind in der Lage, diesen Spekulationen ein Ende zu machen, indem Sie endlich Klarheit schaffen, was sie denn kostet
und wie die Finanzmittel zur Deckung dieser Kosten aufzubringen sind. Wenn es dann ohne Steuererhöhungen geht, werden wir uns darüber freuen. Nur Sie sind in der Lage, diese Diskussion zu beenden, sonst niemand.
Die Wahrheit ist aber, daß Sie alle, die Bundesregierung, jedenfalls der Finanzminister — so hoffe ich zumindest — , wissen, daß die deutsche Einheit sehr viel teurer wird, als Sie bisher gesagt haben. Sie wissen es, haben aber nicht den Mut, es vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen zu sagen.
Hinterher, nach den Wahlen, wird die Rechnung präsentiert, und zwar den Menschen. Denn nicht Sie,
Herr Bundeskanzler, zahlen, sondern die Menschen
werden zahlen müssen. Sie tun das schon jetzt durch die enormen Zinsbelastungen.
Meine Damen und Herren, ich bin durchaus überzeugt, daß die Menschen bei uns zur Solidarität bereit sind. Aber sie möchten doch wissen und haben, finde ich, ein Recht darauf, zu wissen, was auf sie zukommt.
Weil diese Klarheit fehlt, fangen Sie an, sich ungehalten nicht über die Bundesregierung oder über die Politik im allgemeinen zu äußern, sondern Sie äußern sich mit einer zunehmenden Häme über die Menschen in der DDR.
— Tun Sie doch nicht so, als kennten Sie es nicht. Sie kennen doch alle die zum Teil schrecklichen DDR-Witze, die mittlerweile nicht mehr nur an deutschen Stammtischen erzählt werden. Entsolidarisierung hat stattgefunden, und sie ist die Folge Ihrer Politik.
Die Menschen in der DDR erleben jetzt den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft. Ich stelle hier ausdrücklich fest: Diese Wirtschaft war und ist marode, weil sie von dem dortigen Regime in den Bankrott hineingesteuert wurde. Das ist die historische Wahrheit. Aber Sie haben zu verantworten, daß sich das Tempo des Zusammenbruchs ohne begleitende Absicherung außerordentlich beschleunigt hat, und zwar so sehr, daß an Sanierung eigentlich nicht mehr zu denken ist.
Daß sich in der DDR bei dieser Entwicklung Angst, existentielle Angst, ausbreitet, wen wundert das eigentlich? Wundert Sie das?
Daß die Menschen dort mit immer neuen Forderungen an uns herantreten, Forderungen, die die Menschen hier dann zu bezahlen hätten, wen wundert das? Wen wundert es, wenn die Menschen hier ebenfalls ängstlich und zornig reagieren?
Meine Damen und Herren, in allem Ernst: Nach meiner Einschätzung ist es unübersehbar, daß sich bei uns ein Klima des Gegeneinander, des Konflikts entwickelt.
Der Ostberliner Essayist Friedrich Diekmann fragt sich besorgt — ich zitiere ihn — :
Bricht über die Deutschen etwas herein, was bei den Staatsvölkern seit Jahrzehnten unbekannt blieb, Klassenkampf unter Brüdern?
Es steht zu befürchten, meine Damen und Herren, daß dies geschieht.
Ich weiß natürlich auch, daß das so, wie die Dinge nun einmal gelaufen sind, jetzt nicht mehr, jedenfalls nicht von heute auf morgen, zu ändern ist. Aber es
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muß gehandelt werden, und zwar schnell. Sonst wird sich in diesem neuen Deutschland nicht Freude ausbreiten, Herr Kollege Rühe, keine neue gemeinsame Identität bilden. Die staatliche Einheit würde einem in sich zerstrittenen, mit harten Bandagen gegeneinander streitenden Volk übergestülpt. Die Einheit wäre brüchig und bliebe es über Jahre.
Ich formuliere es ganz persönlich für mich: Manchmal, wenn ich so unsere Debatten verfolge, beschleicht mich die Sorge, wir Deutschen könnten unsere zweite Chance zur Normalität erneut verspielen.