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ID1122005300

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    Plenarprotokoll 11i220 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 220. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 17379 A Absetzung des Punktes 2 von der Tagesordnung 17379B Stellungnahmen zur geschäftsordnungsrechtlichen Situation Bohl CDU/CSU 17379 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17380 B Baum FDP 17381 A Häfner GRÜNE 17381 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit Dr. Graf Lambsdorff FDP 17382 D Brück SPD 17384 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 17384 D Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 17388A Stratmann-Mertens GRÜNE 17392 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 17393 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF 17394 A Dr. Ehrenberg SPD 17395 A Huonker SPD 17396 A Frau Matthäus-Maier SPD 17399 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 17400 C Rühe CDU/CSU 17404 B Klose SPD 17406 D Breuer CDU/CSU 17408 A Rühe CDU/CSU 17410 A Seiters, Bundesminister BK 17410 D Stratmann-Mertens GRÜNE 17411 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 17413 A Stobbe SPD 17414 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 17417 A Schreiner SPD 17418 B Dr. Penner SPD 17419 B Frau Matthäus-Maier SPD 17420 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17421 A Gattermann FDP 17423 A Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 17423 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17425 A Dr. Sperling SPD 17425 B Frau Unruh fraktionslos 17426 D Wüppesahl fraktionslos 17428A Mischnick FDP 17430 B Namentliche Abstimmungen 17431 B, C Ergebnisse 17431C, 17433 B Nächste Sitzung 17434 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17435* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rossmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) 17435* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17379 220. Sitzung Bonn, den 9. August 1990 Beginn: 10.07 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Frau Folz-Steinacker FDP 09. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Grünbeck FDP 09.08.90 Dr. Göhner CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Lenzer CDU/CSU 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 09. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 09.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 09. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 09. 08. 90 Zink CDU/CSU 09.08.90 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rosmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) (alle CDU/CSU) zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) (Zusatztagesordnungspunkt 1) Unser Abstimmungsverhalten zu Drucksache 11/7657 verbinden wir mit der nachdrücklichen Aufforderung Anlagen zum Stenographischen Bericht an die Bundesregierung, in einer Zusatzvereinbarung die Wahlberechtigung aller deutschen Staatsangehörigen, wo immer sie leben, zu ermöglichen, und stützen uns dabei auf folgende Gründe: 1. Der jetzige § 12 des Bundeswahlgesetzes entspricht nicht in allen Teilen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen einer ersten gesamtdeutschen Wahl. Diese ist von einmaliger, überragender Bedeutung, da sie als einen „wichtigen Schritt zur Herstellung der Deutschen Einheit die Wahl des Deutschen Bundestages durch das ganze Deutsche Volk" regeln soll (so zweiter Präambelsatz des Vertrages). Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist das Deutsche Volk im Sinne des Grundgesetzes, von dem nach Art. 20 GG „alle Staatsgewalt ausgeht" , die Summe aller deutschen Staatsangehörigen. Dies hat eben erst (in Sachen Kommunalwahlrecht für Ausländer) vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Prof. Papier namens der Bundesregierung vorgetragen. Allen, die deutsche Staatsangehörige sind, muß, soweit sie es wünschen, die Beteiligung an der Wahl möglich sein. Dies verlangt das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG. 2. Die Wahlberechtigung ist in der Bundesrepublik Deutschland und in den westlichen Demokratien nicht an den Wohnsitz im Wahlgebiet gebunden. Nach § 12 des Bundeswahlgesetzes sind u. a. alle deutschen Staatsangehörigen in den 21 Mitgliedstaaten des Europarates, einschließlich aller deutschen Staatsangehörigen im EG-Gebiet und deutschen Staatsangehörigen in anderen Staaten, sofern sie nicht mehr als 10 Jahre dort ihren ordentlichen Wohnsitz haben, in der Regel wahlberechtigt. Vom Prinzip der „Seßhaftigkeit" wurde bei der Wahlberechtigung seit langem zugunsten des Demokratieprinzips abgegangen. Größere Gruppen deutscher Staatsangehöriger vom Wahlvorgang auszuschließen wäre nicht systemgerecht. Nicht wahlberechtigt sind jetzt deutsche Staatsangehörige, die über 10 Jahre im Ausland leben, insbesondere aber auch - bei gesamtdeutschen Wahlen besonders gravierend - alle deutschen Staatsangehörigen, „die vor Inkrafttreten der (Ost-) Verträge die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen" (BVerfG E 40,171). Das gilt nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht auch für deren Nachkommen. Allen deutschen Staatsangehörigen, auch jenen, die bei Beginn der Vertreibungsmaßnahmen die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und die sich darauf berufen, sowie ihre Nachkommen, - auch wenn ihnen später die polnische Staatsangehörigkeit oktroyiert wurde - „steht diese Staatsangehörigkeit weiter zu" (BVerfG E 40,171). Denn es kann u. a. auch den Ostverträgen nicht die Wirkung beigemessen werden, „daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen und der Souveränität, also sowohl der territorialen wie der personalen Hoheitsgewalt der Sowjetunion und Polens endgültig unterstellt worden seien" (BVerfG E 40,171). 17436* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Das Bundesverfassungsgericht begründet dies auch mit völkerrechtlichen Hinweisen, u. a. mit den von polnischer Seite entgegengenommenen Erklärungen des Bundesaußenministers Scheel im November 1970, mit der über den Notenwechsel mit den Verbündeten vor Vertragsunterschrift unterrichteten Warschauer Regierung, mit dem für die Vertragsmächte erkennbaren Willen der Bundesrepublik, „nicht über den territorialen Status Deutschlands zu verfügen", mit dem Wortlaut von Art. IV des Warschauer Gewaltverzichtsvertrages (BVerfGE 40,171-174). „Nach alledem haben die Vertragspartner die Bundesrepublik Deutschland nicht für befugt halten können, Verfügungen zu treffen, die eine friedensvertragliche Regelung vorwegnehmen". Politische Absichtserklärungen, die weitergehen, können die Vertragsentscheidungen eines gesamtdeutschen Souveräns nicht präjudizieren und die Rechtslage der besonders bedrängten Deutschen nicht verändern. Unser Grundgesetz und seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht haben bis zu einer rechtmäßigen Entscheidung des gesamtdeutschen Souveräns mit rechtlicher Verbindlichkeit für das Handeln der deutschen Verfassungsorgane festgeschrieben, daß „Deutschland" rechtlich als Staat und Völkerrechtssubjekt vorerst in den Grenzen von 1937 fortbesteht. 3. Das Wahlrecht gehört zu den wichtigsten Rechten eines Staatsangehörigen. Die Ausgrenzung gerade der bedrängten deutschen Staatsangehörigen durch Ausschluß von der Ausübung des Wahlrechts bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen würde einen besonders gravierenden Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG, gegen die von Verfassungs wegen auch für diese Deutschen bestehende Schutzpflicht bedeuten und nicht systemgerecht sein. „Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) untersagt den unberechtigten Ausschluß von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl (BVerfG E 36,141). Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen ... Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen" (BVerfG E 28,229; 36,141). Anders als bei früheren Wahlen müssen diese deutschen Staatsangehörigen bei Wahlen „zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands" und zu deren Vorbereitung wahlberechtigt sein, da das gesamte Deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Man darf die Deutschen in diesen vorerst noch nicht „aus Deutschland entlassenen Teilen" jenseits von Oder und Neiße nicht anders behandeln als die im Gebiet der DDR lebenden Deutschen oder gar als Deutsche z. B. in der Türkei oder in Argentinien. Ob eine spätere Verfassungsänderung den Deutschlandbegriff „aushebeln" könnte, wird anhand von Art. 25 GG und Art. 79 Abs. 3 GG zu prüfen sein; sie kann aber keinesfalls Grund- und Menschenrechte deutscher Staatsangehöriger beseitigen oder ungeschützt sein lassen. Jedenfalls sind jetzt die Deutschen aus allen Teilen Deutschlands am Wahlvorgang zu beteiligen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist die erste Sitzung des Deutschen Bundestages nach dem historischen Verhandlungserfolg von Moskau und Kaukasus. Für mich ist es deswegen selbstverständlich, ein Wort des Dankes an den Bundeskanzler, den Außenminister, die ganze Regierung für diesen großartigen Erfolg für alle Deutschen an den Anfang zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir als Bundestag müssen uns im übrigen auch selbstkritisch fragen, ob wir nicht manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Ich kann mir kaum ein anderes Parlament auf der ganzen Welt vorstellen, in dem eine Regierung ein solches Verhandlungsergebnis vorlegt, das ein Jahrhundertergebnis ist, und in dem man darüber kein Wort verliert, sondern sich sogleich anderen, scheinbar wichtigeren Fragen zuwendet.

    (Zuruf von der SPD: Warum hat der Kanzler hier nicht gesprochen?)

    Nein, das ist das eigentliche Ereignis der letzten Wochen. Hiermit ist der Weg für ein freies und souveränes Deutschland freigemacht worden. Dafür sind wir dankbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sind auch den Verbündeten dankbar, ohne die das nicht möglich gewesen wäre. Dankbar sind wir auch — ich finde, man muß sich immer in die Lage des anderen hineinversetzen — Michail Gorbatschow, der großen persönlichen Mut brauchte, um den Weg für dieses Verhandlungsergebnis freizumachen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Manche haben so getan, als ob die Wiederherstellung der staatlichen Einheit ein purer Egoismus der Deutschen wäre. Schauen Sie sich doch einmal die jetzige Weltlage an! Daß die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten kooperieren, um den Frieden und das Recht im Mittleren Osten wiederherzustellen, wäre undenkbar gewesen, wenn nicht auch wir einen Beitrag geleistet hätten, damit sie zusammenarbeiten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Theo Waigel hat schon viel zur Rede von Herrn Lafontaine gesagt. Eines ist mir aufgefallen, Herr Lafontaine. Ich habe im Deutschen Bundestag seit Jahren keine Rede mehr gehört, in der so häufig das Wort „Täuschung" verwendet worden wäre.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Seien Sie vorsichtig! Sie müssen sich einmal fragen, wie das auf die Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik wirkt. Ich muß Ihnen sagen — das zeigen die Ereignisse der letzten Wochen und Monate — : Es gibt in diesem Hause niemanden, zu dem die Menschen in ganz Deutschland mehr Vertrauen hätten als zu Helmut Kohl, unserem Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Das wird sich rasch ändern!)

    Herr Lafontaine, Sie werden mit vielen Attributen in Zusammenhang gebracht: Einfallsreichtum, junge Generation, Wendigkeit usw. Aber im Zusammenhang mit Ihnen ist niemals von Berechenbarkeit, Geradlinigkeit und Vertrauen die Rede. Und diese Eigenschaften werden in dieser Situation gebraucht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im übrigen — ich muß sagen, daß mir das nicht gefallen hat; ich will das in aller Ruhe sagen — haben Sie, so wie Sie den Bundeskanzler und uns angegriffen haben, immer den Eindruck erweckt, als ob Sie selbst von einer besonders hohen moralischen Position aus sprächen. Ich muß Sie daran erinnern, wie Sie schon mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt umgegangen sind,

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Sehr wahr!)

    was dessen Sekundärtugenden angeht. Ich muß Sie auch daran erinnern, daß Sie, bevor wir durch die Währungsunion den Weg dafür freigemacht haben, daß man in der DDR seine Zukunft finden kann, und wir damit die Übersiedlerwelle gestoppt haben, unsere Sorge und unsere Fürsorge für Übersiedler und
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17405
    Rühe
    Aussiedler als Deutschtümelei bezeichnet haben. Das sagt alles über Ihre moralische Position.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich will nicht so viel zitieren wie Sie, Herr Lafontaine.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er hört noch nicht einmal zu!)

    — Vielleicht hört er mal einen Augenblick zu. — Ich kann ruhig noch etwas warten.
    Ich möchte Helmut Schmidt zitieren. Er hat am 15. September 1989 in der „Zeit" folgendes geschrieben:
    Wer heute solche Menschen
    — die Übersiedler —
    abwehren will, der irrt sich sowohl über unsere Rechtsordnung als auch über seine eigene Moral. Er hat unrecht, wenn er andere der Deutschtümelei zeiht, die jene Solidarität zwischen Angehörigen desselben Volkes fortführen wollen, welche uns seit Kriegsende selbstverständlich gewesen ist.
    Soweit Helmut Schmidt. — Herr Lafontaine, ich fürchte, Sie irren sich schon wieder über Ihre eigene Moral, da Sie alles darauf abstellen, daß Sie sich parteitaktische Vorteile davon versprechen, daß die Situation für die Menschen in der DDR schlechter wird, damit es Ihnen besser geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Um auf Schwierigkeiten im Prozeß der deutschen Einigung hinzuweisen, braucht man keinen Kanzlerkandidaten. Nur auf Schwierigkeiten hinzuweisen und Ängste zu schüren ist kein Zeichen von Führungskraft. Wer ein Führungsamt in der Demokratie anstrebt, muß auch Chancen erkennen. Er muß den Menschen durch eine klare politische Alternative einen Weg zeigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Jetzt lassen Sie mich noch ein ruhiges Wort zu der Chance, die wir haben, einen früheren Beitritt als den am 2. Dezember, aber in Verbindung mit Wahlen, zu erreichen, sagen. Ich frage einmal: Wo wären wir denn, wenn der Bundeskanzler und der Außenminister nicht das Verhandlungsergebnis in Moskau erzielt hätten? Wir könnten doch gar nicht darüber reden, daß wir einen früheren Beitritt herbeiführen können. Wir waren uns doch immer einig, daß das der richtige Weg ist.
    Sie haben in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Beitritt sogar eine Volksabstimmung gefordert.

    (Beifall des Abg. Häfner [GRÜNE))

    Ich will Ihnen, Herr Lafontaine, ein Zitat von Ihnen selbst doch nicht ersparen. Es stammt aus einem Interview des Westdeutschen Rundfunks vom 6. März dieses Jahres. Auf die Frage nach der Wiedervereinigung Deutschlands haben Sie gesagt:
    Es geht darum, inwieweit die Bevölkerung beteiligt wird bei dieser Frage. Man muß erkennen,
    daß es darum geht, die Bevölkerung zu beteiligen, und in diesem Fall nicht nur die Bevölkerung der DDR, sondern auch die Bevölkerung der Bundesrepublik. Für mich ist das Entscheidende, daß sich dieser Prozeß eben nach einer demokratischen Vorgabe vollzieht und daß nicht jemand, der zufällig im Amt ist und in diesem Fall etwa der Bundeskanzler, der ja für diese Politik, die er jetzt einschlägt, kein Mandat hat.
    Soweit Oskar Lafontaine.
    Also, ich bestreite, daß der Bundeskanzler zufällig im Amt ist. Aber ansonsten haben Sie recht: Wir wollen ein neues Mandat von allen Bürgern in ganz Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesregierung ist dabei, den grundgesetzlichen Auftrag zur Vollendung der Einheit Deutschlands zu erfüllen. Es bedarf nun einer letzten entscheidenden Amtshandlung durch diesen Bundestag, um nach erfolgtem Beitritt der DDR unverzüglich eine handlungsfähige gesamtdeutsche Regierung zu bilden. Ich meine, daß es diesem historischen Augenblick durchaus angemessen wäre, durch eine Zweidrittelmehrheit dafür zu sorgen, daß alle deutschen Demokraten diese erste gesamtdeutsche Regierung bilden können.
    Ich appelliere an Ihren Patriotismus, daß wir diese Chance zu einem frühestmöglichen Beitritt in Verbindung mit Wahlen nutzen. Diese Chance gibt es, und wir sollten sie gemeinsam nutzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Lafontaine, als der Bundeskanzler in Moskau war, haben Sie zeitgleich hier auf einer Pressekonferenz erklärt: Die Bundesrepublik macht unbedachte Außenpolitik. — Ja, er nickt; er bestätigt es. Das hat er auch gesagt.
    Sie haben den Mangel an Einklang und Abstimmung mit den Nachbarn kritisiert. Als Beleg haben Sie den unglückseligen englischen Minister Ridley zitiert, als Beleg dafür, daß die Politik von Kohl und Genscher international nicht abgestimmt ist. Auf welchem Niveau sind Sie eigentlich außenpolitisch gelandet, Herr Lafontaine?!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit der deutschen Einheit wird eine Vision Wirklichkeit. Der Bundeskanzler hat es geschafft, die deutsche Einigung als europäisches Werk anzugehen und sie europäisch einzubetten. Er hat es geschafft, die Zustimmung der Sowjets zu bekommen und gleichzeitig das Vertrauen der Amerikaner zu behalten.
    Er hat es auch geschafft, den Terminkalender, den wir innerdeutsch brauchen, um die Einheit herbeizuführen, mit dem auswärtigen Terminkalender zu koordinieren.
    Herr Lafontaine, an eines muß ich hier doch noch einmal erinnern, damit klar wird, daß das nicht alles von alleine gekommen ist. Sie und andere waren doch bereit, auf frühe sowjetische Verhandlungspositionen einzugehen und abzuschließen. So wollten Sie etwa auf die sowjetische Forderung eingehen, daß wir einen besonderen Status in der NATO nur politisch und
    17406 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
    Ruhe
    nicht militärisch haben müßten, wenn wir in der NATO bleiben sollten.
    Ich will gar nicht von Herrn Meckel von der SPD drüben reden, der die Sowjets dafür kritisiert hat, daß sie auf dieser Basis abgeschlossen haben und daß man die Abrüstung nicht noch weiter vorangetrieben hat.
    Nein, ich muß Ihnen sagen, wir wollen, daß dieser Bundeskanzler und diese Bundesregierung ihre erfolgreiche Politik für die Vereinigung Deutschlands und Europas fortsetzen können. Wir bitten um die Schaffung der Voraussetzungen dafür.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist schon genug darüber gesagt worden, daß die Schwierigkeiten beim Übergang zur Einheit unvermeidlich sind. Ich finde, wir sollten auch nicht darüber streiten, ob es schwer ist, die deutsche Einheit herbeizuführen. Natürlich ist das schwer, sehr schwer sogar. Ich halte das übrigens für schwerer — ich hoffe, ich bin da gerecht — als den Neuanfang in der Bundesrepublik. Die Generation damals konnte nämlich bei Null anfangen. Es ist leichter, ein Haus ganz neu zu bauen, als zwei Häuser zusammenzufügen. — Also, natürlich ist dies schwer.
    Aber wir müssen doch darüber streiten, mit welcher Politik und von wem diese Schwierigkeiten am besten beseitigt werden können.
    Herr Lafontaine, da kann ich Sie nur warnen; denn wenn Sie darauf hoffen, daß sich Ihre Wahlchancen dadurch verbessern, daß es den Menschen in der DDR schlechter geht, dann kann ich Ihnen nur sagen: Eine weit überwiegende Mehrheit unserer Landsleute in Ost und West sagt: Die Union, diese Regierung hat die entscheidende Wirtschaftskompetenz. Also, auch wenn es schwierig wird, gerade wenn es schwierig wird, wird man die Partei wählen, die am besten mit den Schwierigkeiten fertig wird. Das ist doch der Punkt, über den wir gemeinsam reden müssen.
    Ich finde im übrigen, wir sollten in der Debatte das Positive nicht zu kurz kommen lassen. Auch da gilt das Bild von dem Wald und den Bäumen. Sie alle haben doch unsere Landsleute in diesem Sommer erlebt. Vor einem Jahr waren sie noch eingesperrt, heute können sie sich zu Millionen frei bewegen. Auch darüber muß doch im Bundestag gesprochen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In der „Zeit" ist vor wenigen Tagen ein Artikel von Joachim Nawrocki erschienen. Er zitiert einen SPD-Bürgermeister: „Die bedeutenden Veränderungen zum Guten werden von den meisten kaum noch wahrgenommen." Ich finde, auch das gehört in diese Debatte hinein. Es wird dort weiter erklärt: „Der bescheidene Lebensstandard" der DDR, den es gegeben hat, „wurde finanziert durch einen wahnwitzigen Raubbau an Straßen, Schienen, Gebäuden, Fabriken und — vor allem — an der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung." Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Zukunftsängste, öffentliche Armut seien Probleme für die Bürger. „Aber sie kommen keineswegs unerwartet, und sie werden vor allem Übergangserscheinungen bleiben. Ohne die Wende jedoch wäre die DDR-Wirtschaft unheilbar kollabiert und an ihrem eigenen
    Dreck erstickt. Mit jedem Tag wäre der Schaden größer geworden. " — Das sage ich zu Ihnen, da Sie immer erklärt haben, wir hätten zu schnell gemacht. Nein, es zeigt sich jetzt: Man muß noch schneller machen. Wenn wir Ihnen gefolgt wären, dann wären wir im deutschen Einigungsprozeß im Abseits gelandet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich finde, wir sollten mit dieser Debatte unseren Bürgern signalisieren, daß wir alles tun, um auf diesem nicht einfachen Weg die Schwierigkeiten zu lösen. Aber wir sollten ihnen auch signalisieren — das müssen wir übrigens ebenfalls den Deutschen in der Bundesrepublik sagen —, daß wir allen Grund haben, uns auf Deutschland zu freuen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Lieber Oskar Lafontaine, dies als letzte Bemerkung zu Ihrer Rede: Ich habe eben völlig das Gefühl vermißt, daß dort jemand ist, der sich darauf freut, daß Deutschland jetzt wiedervereinigt wird, daß die Menschen zusammenfinden können. Deswegen fürchte ich, daß Sie mit dieser Rede das Urteil der „Zeit" und auch des „Stern" sowie anderer bestätigt haben, die erklärt haben: Was immer man über Sie sagen kann, aber Sie sind der falsche Mann zur falschen Zeit.
    Jetzt geht es darum, die Menschen zusammenzuführen, Deutschland zusammenzuführen. Das kann man nur, wenn man ein Herz für Deutschland hat, Oskar Lafontaine.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klose.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir freuen uns auf Deutschland! " Herr Rühe, diese Plakate sind gegenwärtig auf den Straßen Bonns zu sehen. Ich nehme an, das ist Ihr Werk. Ich gebe zu, mir hat das Plakat ganz gut gefallen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Uns auch! — Beifall bei der CDU/CSU)

    — So sind wir Hamburger nun einmal untereinander. — Mir hat es ganz gut gefallen, weil ich es in der Tat gut finde, daß man seiner Freude Ausdruck verleiht. Ich hätte etwas anders getextet. Ich hätte nicht gesagt: „Wir freuen uns auf Deutschland!" , sondern: Wir freuen uns mit den oder für die Menschen in Deutschland.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn es geht doch, verehrter Kollege Rühe, nicht um die Einheit als solche, um Deutschland als staatsrechtliches Gebilde, sondern es geht um ein neues wohnliches Haus für die Deutschen. Es geht darum, die Einheit so zu gestalten, daß die Menschen Grund haben, sich zu freuen.

    (Beifall bei der SPD)

    An diesem Punkt, lieber Herr Rühe, stellt sich aber immer dringlicher die Frage, ob das, was Sie auf dem Weg zur deutschen Einheit geleistet haben, immer
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17407
    Klose
    noch Freude auslöst. Wenn ich den Bundeskanzler während einer solchen Debatte betrachte, dann habe ich den Eindruck, er lebt offenbar in diesem Glauben. Bedrückende Tatsache ist aber, daß sich die reale Stimmungslage laufend verschlechtert. Daran trägt diese Bundesregierung, trägt dieser Bundeskanzler ein gerüttelt Maß Schuld.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie auf dem Weg zur deutschen Einheit ein zu hohes Tempo eingeschlagen und damit die Menschen überfordert haben. Das war vielleicht nicht anders zu machen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Oskar, hören!)

    Aber was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie bei den Menschen hier in der Bundesrepublik den Eindruck erweckt haben und immer noch erwecken, das alles sei ohne Belastungen zu machen, ohne Opfer und jedenfalls ohne Steuererhöhungen. Ganz im Gegenteil, an den Plänen zur Senkung der Unternehmenssteuern halten Sie noch immer fest. Aber die Leute glauben Ihnen das nicht mehr, falls sie es Ihnen jemals geglaubt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie erleben doch, wie die Kosten explodieren, wie ständig neue Zahlen genannt, wie Forderungen angemeldet werden. Da sich die Lage in der DDR infolge der schnellen Einführung der D-Mark tagtäglich dramatisch verschlechtert — die DDR-Wirtschaft befindet sich faktisch in der Agonie —, werden weitere dramatische Kosten auf uns zukommen. Die Leute wissen das, sie fühlen das, und sie erwarten, daß jetzt endlich Kassensturz gemacht wird. Nicht wir, sondern der Herr Bundeskanzler hat dieses Wort in die Debatte eingeführt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Hören Sie doch endlich auf, uns immer vorzuwerfen, wir spekulierten über die Kosten der Einheit. Sie sind in der Lage, diesen Spekulationen ein Ende zu machen, indem Sie endlich Klarheit schaffen, was sie denn kostet

    (Beifall bei der SPD)

    und wie die Finanzmittel zur Deckung dieser Kosten aufzubringen sind. Wenn es dann ohne Steuererhöhungen geht, werden wir uns darüber freuen. Nur Sie sind in der Lage, diese Diskussion zu beenden, sonst niemand.
    Die Wahrheit ist aber, daß Sie alle, die Bundesregierung, jedenfalls der Finanzminister — so hoffe ich zumindest — , wissen, daß die deutsche Einheit sehr viel teurer wird, als Sie bisher gesagt haben. Sie wissen es, haben aber nicht den Mut, es vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen zu sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Hinterher, nach den Wahlen, wird die Rechnung präsentiert, und zwar den Menschen. Denn nicht Sie,
    Herr Bundeskanzler, zahlen, sondern die Menschen
    werden zahlen müssen. Sie tun das schon jetzt durch die enormen Zinsbelastungen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie es billiger?)

    Meine Damen und Herren, ich bin durchaus überzeugt, daß die Menschen bei uns zur Solidarität bereit sind. Aber sie möchten doch wissen und haben, finde ich, ein Recht darauf, zu wissen, was auf sie zukommt.

    (Hornung [CDU/CSU]: Sie machen aber Angst!)

    Weil diese Klarheit fehlt, fangen Sie an, sich ungehalten nicht über die Bundesregierung oder über die Politik im allgemeinen zu äußern, sondern Sie äußern sich mit einer zunehmenden Häme über die Menschen in der DDR.

    (Breuer [CDU/CSU]: Wer?)

    — Tun Sie doch nicht so, als kennten Sie es nicht. Sie kennen doch alle die zum Teil schrecklichen DDR-Witze, die mittlerweile nicht mehr nur an deutschen Stammtischen erzählt werden. Entsolidarisierung hat stattgefunden, und sie ist die Folge Ihrer Politik.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Menschen in der DDR erleben jetzt den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft. Ich stelle hier ausdrücklich fest: Diese Wirtschaft war und ist marode, weil sie von dem dortigen Regime in den Bankrott hineingesteuert wurde. Das ist die historische Wahrheit. Aber Sie haben zu verantworten, daß sich das Tempo des Zusammenbruchs ohne begleitende Absicherung außerordentlich beschleunigt hat, und zwar so sehr, daß an Sanierung eigentlich nicht mehr zu denken ist.

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Jetzt kommen wieder die 15 Milliarden!)

    Daß sich in der DDR bei dieser Entwicklung Angst, existentielle Angst, ausbreitet, wen wundert das eigentlich? Wundert Sie das?
    Daß die Menschen dort mit immer neuen Forderungen an uns herantreten, Forderungen, die die Menschen hier dann zu bezahlen hätten, wen wundert das? Wen wundert es, wenn die Menschen hier ebenfalls ängstlich und zornig reagieren?
    Meine Damen und Herren, in allem Ernst: Nach meiner Einschätzung ist es unübersehbar, daß sich bei uns ein Klima des Gegeneinander, des Konflikts entwickelt.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Dafür sorgt Lafontaine! Das war er! Das ist seine Frucht!)

    Der Ostberliner Essayist Friedrich Diekmann fragt sich besorgt — ich zitiere ihn — :
    Bricht über die Deutschen etwas herein, was bei den Staatsvölkern seit Jahrzehnten unbekannt blieb, Klassenkampf unter Brüdern?
    Es steht zu befürchten, meine Damen und Herren, daß dies geschieht.
    Ich weiß natürlich auch, daß das so, wie die Dinge nun einmal gelaufen sind, jetzt nicht mehr, jedenfalls nicht von heute auf morgen, zu ändern ist. Aber es
    17408 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
    Klose
    muß gehandelt werden, und zwar schnell. Sonst wird sich in diesem neuen Deutschland nicht Freude ausbreiten, Herr Kollege Rühe, keine neue gemeinsame Identität bilden. Die staatliche Einheit würde einem in sich zerstrittenen, mit harten Bandagen gegeneinander streitenden Volk übergestülpt. Die Einheit wäre brüchig und bliebe es über Jahre.
    Ich formuliere es ganz persönlich für mich: Manchmal, wenn ich so unsere Debatten verfolge, beschleicht mich die Sorge, wir Deutschen könnten unsere zweite Chance zur Normalität erneut verspielen.