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    Plenarprotokoll 11i220 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 220. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 17379 A Absetzung des Punktes 2 von der Tagesordnung 17379B Stellungnahmen zur geschäftsordnungsrechtlichen Situation Bohl CDU/CSU 17379 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17380 B Baum FDP 17381 A Häfner GRÜNE 17381 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit Dr. Graf Lambsdorff FDP 17382 D Brück SPD 17384 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 17384 D Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 17388A Stratmann-Mertens GRÜNE 17392 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 17393 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF 17394 A Dr. Ehrenberg SPD 17395 A Huonker SPD 17396 A Frau Matthäus-Maier SPD 17399 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 17400 C Rühe CDU/CSU 17404 B Klose SPD 17406 D Breuer CDU/CSU 17408 A Rühe CDU/CSU 17410 A Seiters, Bundesminister BK 17410 D Stratmann-Mertens GRÜNE 17411 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 17413 A Stobbe SPD 17414 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 17417 A Schreiner SPD 17418 B Dr. Penner SPD 17419 B Frau Matthäus-Maier SPD 17420 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17421 A Gattermann FDP 17423 A Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 17423 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17425 A Dr. Sperling SPD 17425 B Frau Unruh fraktionslos 17426 D Wüppesahl fraktionslos 17428A Mischnick FDP 17430 B Namentliche Abstimmungen 17431 B, C Ergebnisse 17431C, 17433 B Nächste Sitzung 17434 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17435* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rossmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) 17435* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17379 220. Sitzung Bonn, den 9. August 1990 Beginn: 10.07 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Frau Folz-Steinacker FDP 09. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Grünbeck FDP 09.08.90 Dr. Göhner CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Lenzer CDU/CSU 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 09. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 09.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 09. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 09. 08. 90 Zink CDU/CSU 09.08.90 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rosmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) (alle CDU/CSU) zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) (Zusatztagesordnungspunkt 1) Unser Abstimmungsverhalten zu Drucksache 11/7657 verbinden wir mit der nachdrücklichen Aufforderung Anlagen zum Stenographischen Bericht an die Bundesregierung, in einer Zusatzvereinbarung die Wahlberechtigung aller deutschen Staatsangehörigen, wo immer sie leben, zu ermöglichen, und stützen uns dabei auf folgende Gründe: 1. Der jetzige § 12 des Bundeswahlgesetzes entspricht nicht in allen Teilen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen einer ersten gesamtdeutschen Wahl. Diese ist von einmaliger, überragender Bedeutung, da sie als einen „wichtigen Schritt zur Herstellung der Deutschen Einheit die Wahl des Deutschen Bundestages durch das ganze Deutsche Volk" regeln soll (so zweiter Präambelsatz des Vertrages). Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist das Deutsche Volk im Sinne des Grundgesetzes, von dem nach Art. 20 GG „alle Staatsgewalt ausgeht" , die Summe aller deutschen Staatsangehörigen. Dies hat eben erst (in Sachen Kommunalwahlrecht für Ausländer) vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Prof. Papier namens der Bundesregierung vorgetragen. Allen, die deutsche Staatsangehörige sind, muß, soweit sie es wünschen, die Beteiligung an der Wahl möglich sein. Dies verlangt das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG. 2. Die Wahlberechtigung ist in der Bundesrepublik Deutschland und in den westlichen Demokratien nicht an den Wohnsitz im Wahlgebiet gebunden. Nach § 12 des Bundeswahlgesetzes sind u. a. alle deutschen Staatsangehörigen in den 21 Mitgliedstaaten des Europarates, einschließlich aller deutschen Staatsangehörigen im EG-Gebiet und deutschen Staatsangehörigen in anderen Staaten, sofern sie nicht mehr als 10 Jahre dort ihren ordentlichen Wohnsitz haben, in der Regel wahlberechtigt. Vom Prinzip der „Seßhaftigkeit" wurde bei der Wahlberechtigung seit langem zugunsten des Demokratieprinzips abgegangen. Größere Gruppen deutscher Staatsangehöriger vom Wahlvorgang auszuschließen wäre nicht systemgerecht. Nicht wahlberechtigt sind jetzt deutsche Staatsangehörige, die über 10 Jahre im Ausland leben, insbesondere aber auch - bei gesamtdeutschen Wahlen besonders gravierend - alle deutschen Staatsangehörigen, „die vor Inkrafttreten der (Ost-) Verträge die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen" (BVerfG E 40,171). Das gilt nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht auch für deren Nachkommen. Allen deutschen Staatsangehörigen, auch jenen, die bei Beginn der Vertreibungsmaßnahmen die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und die sich darauf berufen, sowie ihre Nachkommen, - auch wenn ihnen später die polnische Staatsangehörigkeit oktroyiert wurde - „steht diese Staatsangehörigkeit weiter zu" (BVerfG E 40,171). Denn es kann u. a. auch den Ostverträgen nicht die Wirkung beigemessen werden, „daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen und der Souveränität, also sowohl der territorialen wie der personalen Hoheitsgewalt der Sowjetunion und Polens endgültig unterstellt worden seien" (BVerfG E 40,171). 17436* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Das Bundesverfassungsgericht begründet dies auch mit völkerrechtlichen Hinweisen, u. a. mit den von polnischer Seite entgegengenommenen Erklärungen des Bundesaußenministers Scheel im November 1970, mit der über den Notenwechsel mit den Verbündeten vor Vertragsunterschrift unterrichteten Warschauer Regierung, mit dem für die Vertragsmächte erkennbaren Willen der Bundesrepublik, „nicht über den territorialen Status Deutschlands zu verfügen", mit dem Wortlaut von Art. IV des Warschauer Gewaltverzichtsvertrages (BVerfGE 40,171-174). „Nach alledem haben die Vertragspartner die Bundesrepublik Deutschland nicht für befugt halten können, Verfügungen zu treffen, die eine friedensvertragliche Regelung vorwegnehmen". Politische Absichtserklärungen, die weitergehen, können die Vertragsentscheidungen eines gesamtdeutschen Souveräns nicht präjudizieren und die Rechtslage der besonders bedrängten Deutschen nicht verändern. Unser Grundgesetz und seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht haben bis zu einer rechtmäßigen Entscheidung des gesamtdeutschen Souveräns mit rechtlicher Verbindlichkeit für das Handeln der deutschen Verfassungsorgane festgeschrieben, daß „Deutschland" rechtlich als Staat und Völkerrechtssubjekt vorerst in den Grenzen von 1937 fortbesteht. 3. Das Wahlrecht gehört zu den wichtigsten Rechten eines Staatsangehörigen. Die Ausgrenzung gerade der bedrängten deutschen Staatsangehörigen durch Ausschluß von der Ausübung des Wahlrechts bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen würde einen besonders gravierenden Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG, gegen die von Verfassungs wegen auch für diese Deutschen bestehende Schutzpflicht bedeuten und nicht systemgerecht sein. „Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) untersagt den unberechtigten Ausschluß von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl (BVerfG E 36,141). Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen ... Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen" (BVerfG E 28,229; 36,141). Anders als bei früheren Wahlen müssen diese deutschen Staatsangehörigen bei Wahlen „zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands" und zu deren Vorbereitung wahlberechtigt sein, da das gesamte Deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Man darf die Deutschen in diesen vorerst noch nicht „aus Deutschland entlassenen Teilen" jenseits von Oder und Neiße nicht anders behandeln als die im Gebiet der DDR lebenden Deutschen oder gar als Deutsche z. B. in der Türkei oder in Argentinien. Ob eine spätere Verfassungsänderung den Deutschlandbegriff „aushebeln" könnte, wird anhand von Art. 25 GG und Art. 79 Abs. 3 GG zu prüfen sein; sie kann aber keinesfalls Grund- und Menschenrechte deutscher Staatsangehöriger beseitigen oder ungeschützt sein lassen. Jedenfalls sind jetzt die Deutschen aus allen Teilen Deutschlands am Wahlvorgang zu beteiligen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn in der Debatte der Volkskammer gestern eines deutlich geworden ist — und zwar weniger wegen des nicht verabschiedeten Wahlrechts, sondern mehr wegen der Diskussion am späten Nachmittag und frühen Abend —, dann das eine: Die deutsche Einheit duldet wahrlich keinen Aufschub mehr; es ist höchste Zeit!

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Am Abend hat die Volkskammer — und das ist das erste frei gewählte deutsche Parlament im anderen Teil unseres Vaterlandes — folgende Bitte an uns, an den Deutschen Bundestag, gerichtet: Die Verfassungsorgane der Bundesrepublik werden gebeten, die Möglichkeit zu eröffnen, die Wahlen zum gesamtdeutschen Parlament in Verbindung mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 14. Oktober 1990 durchzuführen.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17383
    Dr. Graf Lambsdorff
    Diese Bitte erinnert uns an unseren obersten Verfassungsauftrag, ein freies und geeintes Deutschland in einem friedlichen Europa herzustellen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Warum haben die Liberalen dann nicht zugestimmt?)

    — Die Liberalen haben selbstverständlich zugestimmt, verehrter Herr Kollege Ehmke.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Koalition aus CDU/CSU und FDP will den Wunsch der Volkskammer erfüllen, und deswegen haben wir den Entschließungsantrag in die heutige Sitzung eingebracht. Wir wissen — und ich glaube, auch Sie wissen es, meine Damen und Herrren —, daß die Mehrheit unter den Menschen in der DDR für schnellen Beitritt nach Artikel 23 und für schnelle Wahlen noch viel größer ist als im Parlament der DDR.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Lieber heute als morgen — das ist die Antwort des vielzitierten Mannes auf der Straße, wenn Sie ihn in der DDR treffen und fragen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Menschen wollen wählen, sie wollen bald wählen, sie wollen selbst entscheiden, und sie wollen in der staatlichen Ordnung der deutschen Einheit leben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Vergessen wir bei der Diskussion um Wahlen doch nicht: Es sind dieselben Menschen, die sich an der Volkskammerwahl am 18. März zu 93 % beteiligt haben. Sie wollen wählen. Hören wir auf davon zu reden, sie würden mit Wahlen überfordert. Sie haben 40 Jahre lang nicht wählen dürfen; jetzt wollen sie es!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Am 18. März war die Entscheidung für die schnelle deutsche Einheit und für den ersten Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
    Wollen wir die heutige Bitte wirklich zurückweisen? Gewiß, solange die äußeren Aspekte auf dem Weg zur deutschen Einheit nicht geklärt waren, konnten wir nicht handeln. Aber die Zwei-plus-Vier-Gespräche, der NATO-Gipfel in London, das Treffen im Kaukasus hatten das von Bundesaußenminister Genscher gezogene Fazit: Die äußeren Aspekte sind bis dahin zu klären. Dies ist bestätigt worden von Ihrem, von unserem Kollegen Egon Bahr. Wir dürfen entscheiden, wir können entscheiden; aber wir sagen nein.
    Ich finde es bedrückend, ich finde es traurig: Die Hoffnungen vieler Menschen in beiden Teilen unseres Vaterlandes zerschellen am Nein einer Partei, die unbezweifelbar große politische Verdienste am Weg der Deutschen zur staatlichen Einheit hat.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wir sind doch für den Beitritt! — Unruhe bei der SPD)

    Warum, meine Damen und Herren, so frage ich, verweigert sich die SPD — von den GRÜNEN war nichts anderes zu erwarten — dieser Herausforderung? Haben Sie Ihre eigenen Reden nach dem Fall der Mauer nicht mehr im Ohr?
    Die liberalen Parteien in Ost und West, die ab übermorgen eine liberale Partei in ganz Deutschland sein werden, waren die ersten, die für frühen Beitritt

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Blockflöten!)

    und für frühe gesamtdeutsche Wahlen eingetreten sind. Wir sind damals auch von Ihnen kritisiert worden, auch von der CDU/CSU kritisiert worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Pikkoloflöten!)

    Meine Damen und Herren, jetzt sehen wir das alle anders.
    Wenn Sie von Blockparteien, Pikkoloflöten und Blockflöten sprechen, dann sage ich Ihnen: Wer diese kollektive pauschale Verurteilung der Vergangenheit der DDR hier betreibt,

    (Dr. Ehmke [SPD]: Packen Sie sich einmal an die eigene Nase!)

    versündigt sich an den Menschen der DDR.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Was wollen Sie eigentlich mit zwei Millionen SED-Angehörigen machen? Alle ausgrenzen?

    (Unruhe bei der SPD)

    Was wollen Sie mit den Menschen machen, die wegen der Ausbildung und Erziehung ihrer Kinder in die politischen Parteien der DDR gezwungen worden sind und hineingegangen sind? Alle ausgrenzen?

    (Anhaltende Unruhe)

    Diese Kollektivverurteilung steht Ihnen schlecht zu Gesicht. Wir werden sie nicht mitmachen. Individuelle Schuld muß gesühnt werden; kollektive Verantwortung kann es nicht geben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Wir haben in dieser Diskussion wie die Sozialdemokraten immer wieder gesagt: Gewählt werden kann erst dann, wenn der einheitliche Staat durch Beitritt zustande gekommen ist.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Das ist richtig!)

    Auch bei diesem Punkt besteht jetzt Übereinstimmung. Niemand will mehr eine andere Reihenfolge, auch Ministerpräsident de Maizière nicht mehr.

    (Unruhe bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Ja?)

    Jetzt aber geht es um die Frage, ob Beitritt und Wahl auseinandergezogen werden können.

    (Müller [Pleisweiler] [SPD]: Um sechs Wochen!)

    Rechtlich und verfassungsrechtlich kann man es sicher. Politisch ist es aber nicht wünschenswert. Die gestrige Debatte in der Volkskammer hat noch einmal demjenigen, der ihr zuhören konnte, sehr deutlich gemacht, daß mit dieser Möglichkeit, mit dieser Option unter den gegebenen Umständen nur schwer zu rechnen ist.
    17384 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
    Dr. Graf Lambsdorff
    Herr Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine, Sie bezeichnen diese Diskussion als albernes Theater und als Affentheater.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Soll das, meine Damen und Herren von der SPD, der Ton der Antwort an die DDR sein; soll er es bleiben? Nicht mit uns, nicht mit den Liberalen und nicht mit dieser Koalition!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es geht um die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung. Wir nehmen unsere Verfassung ernst.

    (Lachen und Widerspruch bei der SPD)

    Deshalb ist sich die Koalition einig: Der Weg über Art. 68 kommt nicht in Betracht.

    (Dr. Vogel [SPD]: Warum war der überlegt worden?)

    Aber eine Verfassungsänderung zur einmaligen Abkürzung unserer Legislaturperiode ist möglich und auch nötig.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Verweigert sich der Deutsche Bundestag, dann müssen für wenige Monate Abgeordnete der Volkskammer hierher delegiert werden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Na und?)

    Das sind die typischen Abgeordneten zweiter Klasse, was wir keinem unserer Kollegen zumuten wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Voll stimmberechtigt!)

    — Das ist so ein ähnliches Wahlverfahren wie bei Ihnen beim Parteivorstand vorgesehen; trotzdem ist es aber nicht gut.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Bevölkerung der DDR würde von einer Regierung regiert werden, die sie nicht mitwählen durfte; denn Beitritt bedeutet den Übergang aller Autorität und Souveränität auf die Bundesregierung.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist doch heute schon so!)

    Diese Diskussion ist kein Affentheater. Sie zeigt ein merkwürdiges Verständnis von repräsentativer parlamentarischer Demokratie auf Ihrer Seite.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    Was, meine Damen und Herren von der SPD, würden Sie eigentlich tun, wenn die DDR ihren Beitritt in der Mitte unserer Legislaturperiode erklären würde? Nach Ihrer Logik müßten die Wähler in der DDR dann zwei Jahre warten, bevor sie wählen dürften.

    (Unruhe bei der SPD)

    Es geht nicht um Wahltermine, es geht uns um die Menschen, sagen Sie. Wirklich?

    (Müller [Pleisweiler] [SPD]: Um die Mehrheit geht es Ihnen!)

    Kann die neue Variante einer Sonthofen-Strategie für
    sich in Anspruch nehmen, den Menschen zu dienen?
    Es dient den Menschen nur eines: die Hängepartie auf
    dem Weg zu einem einheitlichen deutschen Staat so schnell wie möglich zu beenden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir sind ein Volk.



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bitte sehr.