Rede von
Charlotte
Garbe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Nach dem Willen der Koalitionsparteien soll vom Deutschen Bundestag offiziell bekundet werden: Es besteht kein politischer Handlungsbedarf, um die Umwelt- und Gesundheitsgefahren durch PVC und die Chlorchemie insgesamt zu verringern und zu beenden.
Verehrte Kollegen und Kolleginnen von den Koalitionsparteien, ein solches Unbedenklichkeitszertifikat kann nur ausstellen, wer unkundig ist und bleiben will und seinen Pakt mit der wirtschaftlich mächtigen Chemie längst geschlossen hat. Auf die Befähigung zum eigenen Urteil wird ganz offenbar verzichtet. Die Chemie sagt ja, wo es langgehen soll. Man habe sich lange genug mit PVC befaßt, und im übrigen gebe es ja genügend Literatur zu PVC: Das waren die Argumente im Umweltausschuß. Wir hielten diese ausführliche Auseinandersetzung mit PVC für notwendig, da die Beratungen zeigten, daß Sie weder die wahrlich umfangreiche Literatur noch die Ausführungen der Sachverständigen in der Anhörung zum Chemikaliengesetz zur Kenntnis genommen hatten.
Das Sündenregister von PVC ist lang, und Sie sollten es nicht länger leugnen. Ich nenne nur vier Beispiele von vielen:
Erstens. Bei der Herstellung gehen Gesundheits- und Umweltgefahren von nachweislich krebserzeugendem Vinylchlorid aus.
Zweitens. PVC ist die wichtigste Quelle für den möglicherweise krebserzeugenden Weichmacher DEHP, der — obwohl die Industrie ihn hartnäckig als gut abbaubar bezeichnet — 30 Jahre nach Beginn der industriellen PVC-Produktion weltweit so verbreitet wie DDT ist.
Drittens. Jeder PVC-Brand führt zur Bildung hochgiftiger Dioxine.
Viertens. Die Produktion von PVC ist eine der tragenden Säulen der Chlorchemie. Ihr haben wir die alarmierende Dioxinbelastung unserer Umwelt zuzuschreiben. Muttermilch enthält zum Teil so viele Dioxine, daß sie nicht mehr gehandelt werden dürfte.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, Sie haben sich — wie die Beschlußempfehlung zu unserem Antrag zeigt — der Auseinandersetzung um PVC entzogen. Sie haben nicht ein einziges Argument gefunden, um das PVC-Sündenregister zu entkräften und um zu belegen, daß kein Handlungsbedarf besteht.
Können Sie mir z. B. erklären, warum es ausreichen soll, PVC im Verpackungsbereich zu kennzeichnen, wie es Umweltminister Töpfer anstrebt, nicht aber in den restlichen zirka 85 % seiner Anwendungen? Können Sie mir weiter erklären, wie Sie durch mühevollen Aufbau eines Recycling-Systems speziell für PVC die Dioxinrisiken von PVC und Chlorchemie beenden wollen? Mit diesem Bemühen wird Zeit und Geld verschwendet, ohne daß etwas gegen die Ursachen der hohen Dioxineinträge zu erreichen wäre.
Mittlerweile wurde quasi offiziell die Notwendigkeit zum Handeln bestätigt: Umweltbundesamt und Bundesgesundheitsamt appellieren an die Industrie, umweltverträgliche Produkte und Produktionsverfahren als Alternative zur Chlorchemie einzusetzen. Der Einsatz von PVC wird ausdrücklich als vermeidbare Quelle für Dioxineinträge in die Umwelt angeführt.
Die KFA Jülich führte im Auftrag des BMFT eine Studie zu PVC durch. Den Inhalt der abschließenden Empfehlung werde ich Ihnen nachher noch mitteilen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, eine Studie, die im Auftrag der GRÜNEN 1987 durchgeführt wurde, hat gezeigt: Eine Substitution von PVC ist in kürzester Zeit umsetzbar. Nur in 5 % seiner Anwendungen ist PVC nach heutigem Kenntnisstand nicht umweltentlastend ersetzbar. Die Substitution von PVC ist allein eine Frage des politischen Willens.
Die Schweiz, Österreich und Dänemark haben die Substitution von PVC zum Ziel ihrer Umwelt- und Chemiepolitik gemacht; in Italien und Spanien regt sich zunehmender Widerstand gegen PVC. Mehr als 40 Kommunen verzichten bereits mit guten Erfahrungen auf PVC, und immer mehr Firmen verzichten unter ausdrücklichem Hinweis auf die Umweltrisiken auf PVC.
Meine Damen und Herren, der Ausstieg aus der Produktion und Verwendung von PVC muß und wird kommen. Es ist die Aufgabe der Umweltpolitik, die Weichen für einen Ausstieg aus der Chlorchemie zu stellen. Ein wichtiger Teilschritt ist der Verzicht auf PVC, der übrigens auch im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt steht. Der Ausstieg aus der Chlorchemie ist auch im Hinblick auf den Klimaschutz und den Treibhauseffekt überlebenswichtig.