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ID1121202000

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    Plenarprotokoll 11/212 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 212. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 Inhalt: Begrüßung des Bundespräsidenten . . . 16665 A Begrüßung der Präsidentin der Volkskammer der DDR, Frau Dr. Bergmann-Pohl, sowie der Mitglieder des Ausschusses Deutsche Einheit der Volkskammer der DDR . 16665 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Köhler (Wolfsburg) 16665 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 11/7171) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/7150) c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (Zweites ERP-Nachtragsplangesetz 1990) (Drucksache 11/7185) Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 16666 A Frau Matthäus-Maier SPD 16678 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 16681 B Dr. Dregger CDU/CSU 16683 B Hoss GRÜNE 16686 D Mischnick FDP 16689 C Momper, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 16694 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 16695 C Dr. Waigel CDU/CSU 16696 D Roth SPD 16697 B Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 16699 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 16700D Rühe CDU/CSU 16702 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16704 C Frau Unruh fraktionslos 16707 C Schäfer (Offenburg) SPD 16708 A Frau Vennegerts GRÜNE 16710 C Wüppesahl fraktionslos 16712 A Tagesordnungspunkt 2: Überweisung im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin (Ost) (DDR-Investitionsgesetz) (Drucksache 11/7207) 16714 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 Tagesordnungspunkt 3: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/7072, 11/7176, 11/7211) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/6790, 11/7176) 16714 C Nächste Sitzung 16715 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16716 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 16665 212. Sitzung Bonn, den 23. Mai 1990 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Adler SPD 23. 05. 90 Dr. Ahrens SPD 23. 05. 90 Amling SPD 23. 05. 90 Austermann CDU/CSU 23. 05. 90 Bohlsen CDU/CSU 23. 05. 90 Brandt SPD 23. 05. 90 Brauer GRÜNE 23. 05. 90 Brück SPD 23. 05. 90 Clemens CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Conrad SPD 23. 05. 90 Daubertshäuser SPD 23. 05. 90 Daweke CDU/CSU 23. 05.90 Dr. Dollinger CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Emmerlich SPD 23. 05. 90 Engelsberger CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Fell CDU/CSU 23. 05. 90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. von Geldern CDU/CSU 23. 05. 90 Genscher FDP 23. 05. 90 Glos CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Götz CDU/CSU 23. 05. 90 Graf SPD 23. 05. 90 Großmann SPD 23. 05. 90 Grünbeck FDP 23. 05. 90 Haar SPD 23. 05. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 23. 05. 90 Haungs CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 23. 05. 90 Hinrichs CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 23. 05. 90 Graf Huyn CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Jenninger CDU/CSU 23. 05. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 23. 05. 90 Jung (Limburg) CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Kelly GRÜNE 23. 05. 90 Koschnick SPD 23. 05. 90 Kreuzeder GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Kronenberg CDU/CSU 23. 05. 90 Kühbacher SPD 23. 05. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 23. 05. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lennartz SPD 23. 05. 90 Lowack CDU/CSU 23. 05. 90 Lüder FDP 23. 05. 90 Meneses Vogl GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 23. 05. 90 Meyer SPD 23. 05. 90 Möllemann FDP 23. 05. 90 Niegel CDU/CSU 23. 05. 90 Oesinghaus SPD 23. 05. 90 Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Osswald SPD 23. 05. 90 Petersen CDU/CSU 23. 05. 90 Pfeifer CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 23. 05. 90 Poß SPD 23. 05. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 23. 05. 90 Rauen CDU/CSU 23. 05. 90 Richter FDP 23. 05. 90 Rossmanith CDU/CSU 23. 05. 90 Schäfer (Mainz) FDP 23. 05. 90 Frau Schilling GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Schöfberger SPD 23. 05. 90 Frau Schoppe GRÜNE 23. 05. 90 Frhr. von Schorlemer CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Schulte (Hameln) SPD 23. 05. 90 Schwarz CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Seiler-Albring FDP 23. 05. 90 Dr. Solms FDP 23. 05. 90 Frau Dr. SPD 23. 05. 90 Sonntag-Wolgast Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Stercken CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Struck SPD 23. 05. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Trenz GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Uelhoff CDU/CSU 23. 05. 90 Urbaniak SPD 23. 05. 90 Verheugen SPD 23. 05. 90 Wetzel GRÜNE 23. 05. 90 Frau Wollny GRÜNE 23. 05. 90 Würtz SPD 23. 05. 90 Dr. Wulff CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 23. 05. 90
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus noch beiden Teilen Deutschlands! Der Tag für diese Debatte ist bewußt gewählt worden: der Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes. In der Präambel dieses Grundgesetzes steht, daß wir aufgefordert sind, die Einheit zu vollenden. Dazu stehen wir. Wir haben nie den Gedanken gehabt, die Präambel zu streichen, und wir handeln jetzt nach dem, was uns die Präambel des Grundgesetzes aufgegeben hat. Das ist unsere Aufgabe und nichts anderes.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Jetzt wird davon gesprochen, es werde an der Verfassung vorbei gehandelt. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Im Gegenteil! Wir verhandeln im Sinne der Verfassung und nach der Verfassung, wenn wir heute mit diesem Staatsvertrag den entscheidenden Schritt zur Einheit gehen werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Dies alles wird nur dadurch möglich, daß am 1. Juli die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in Kraft tritt. Für uns war das immer ein Dreiklang. Die Sozialunion mußte man nicht nachschieben; das war für uns selbstverständlich.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das war die Gemeinschaft!)

    — Das war für uns selbstverständlich. Vorhin wurde so getan, als hätten wir sie hineinschieben müssen.

    ( Dr. Vogel [SPD]: „Ergänzend" hat es geheißen, die Gemeinschaft ergänzend!)

    Dies trifft nicht zu. Für uns war es immer ein Dreiklang, weil wir wissen, daß diese Voraussetzung für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR gemeinsam wesentlich ist.
    Mit Recht wurde eben darauf hingewiesen, daß die Entscheidungen über die Art des Zusammenschlusses nach Art. 23 in der DDR fallen und daß eine Länderneugliederung kommen muß. Dies haben wir nie bestritten. Im Gegenteil, wir haben immer gesagt: Schafft bald die Länder, damit wir bald nach Art. 23 zu einer Einheit werden können. — Die Entscheidung darüber fällt in der DDR, aber mich hat noch niemand gescholten, wenn ich sagte: Wir wünschen, wie ihr es wünscht, daß dies bald geschieht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich habe heute mit einer gewissen Befriedigung festgestellt, daß die Meldungen, die ich gestern in Dresden las und hörte, offensichtlich so nicht zutreffen. Da hatte ich die Sorge, als würde die SPD eine Einheitsverhinderungspartei werden. Dies hätte diese Partei, die um Deutschland so viele Verdienste hat, nicht verdient. Heute spüre ich, daß offensichtlich die Kräfte, die merken, daß man in der Gefahr ist, in eine Sackgasse hineinzugeraten, doch noch vorhanden



    Mischnick
    sind. Entsinnen Sie sich daran, wie Sie in der Vergangenheit anderen geraten haben, nicht in eine Sackgasse zu geraten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Tag ist natürlich ein Tag, an dem Emotion und nüchterner Verstand in Einklang gebracht werden müssen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, erinnern wir uns doch an den Abend des 9. November 1989 in diesem Haus, als wir die Nachricht von der Öffnung der Mauer bekamen und gemeinsam unsere Nationalhymne anstimmten. Von dem Gemeinsamen, was wir damals hatten, möchte ich nichts verloren gehen lassen, um Deutschlands willen, meine Freunde!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich habe oft den Eindruck, daß das, was uns bewegte, inzwischen durch Kleinkariertheit und Krämertum verlorengeht. Jetzt geht es um ganz Deutschland und nicht um Rechnereien bis zur letzten Stelle hinter dem Komma.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Viele von uns haben das Ende des Hitler-Regimes, die Teilung Deutschlands, den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und den Mauerbau miterlebt. Wir stehen nun hier vor einem entscheidenden Schritt. Wie kann man da zögern, diesen Schritt zu gehen, damit der nächste so schnell als möglich kommen kann? Wer dies tut, versündigt sich an dem deutschen Volk, für das wir tätig sein wollen und für das wir gewählt sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das mag für manchen von Ihnen zu emotional sein.

    ( Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das Pathos ist zu emotional!)

    — Nein, meine liebe Kollegin, das ist nicht Pathos, sondern die Erinnerung eines Menschen, der die Entwicklung von 1945/46 miterlebt hat und der jetzt froh ist, mitgestalten zu können. Das ist doch ein Unterschied.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das haben viele leider nicht verstanden. Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt etwas emotionaler geworden bin. Wer dies aber selbst miterlebt hat, der wird es verstehen, und die Menschen, die dies miterlebt haben, werden es auch verstehen.
    Ich habe in einer Zeitung gelesen, dies sei „eine Zeit der Wunder". Dem kann ich überhaupt nicht zustimmen. Wunder entstehen auf unerklärliche Weise. Das, was wir jetzt erleben, ist kein Wunder, sondern durch den harten Kampf der Menschen errungen worden, von den Menschen in Polen, in Ungarn, der CSFR und der DDR. Die Menschen haben dies möglich gemacht, nicht Wunder sind hier geschehen. Um dieser Menschen willen müssen wir Entscheidungen treffen, die in die Zukunft weisen und ihnen die Chance geben, so zu leben, wie es für uns selbstverständlich ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist auch eine Wahrheit, die nicht vergessen werden
    sollte, daß die Wege dorthin unterschiedlich sind und
    daß die friedliche Revolution in der deutschen Ge-
    schichte nicht ohne die Entspannungspolitik möglich gewesen wäre, die wir über Jahrzehnte hin betrieben haben. Ich denke nicht ohne innere Bewegung an die Anfänge dieser Politik zurück. Tragisch ist, daß viele den Erfolg ihres mutigen Beginns nicht mehr erleben durften. Ich sage es: Ich denke in dieser Stunde an Herbert Wehner und daran, was dieser Mann für die Einheit Deutschlands getan hat, was leider viele schon wieder vergessen haben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

    Wir Liberalen haben seit Anbeginn dies alles mitgestaltet. Wir Liberalen waren es, die diese Politik vor dem Scheitern bewahrt haben, als sich unsere politischen Weggefährten ins Reich politischer Illusionen flüchteten. Zu einer erfolgreichen Entspannungspolitik gehört nicht nur die große Vision eines demokratischen Europas, die wichtig war und zweifelsohne auch heute wichtig ist. Ohne die Einbettung in Europa wäre all das nicht möglich, was wir uns jetzt vorgenommen haben. Es gehörte und gehört zu einer erfolgreichen Entspannungs- und Abrüstungspolitik Realität, Augenmaß, Geduld und Durchstehvermögen.
    Gestatten Sie mir jetzt, etwas zu zitieren, bei dem ich erst am Schluß sage, von wem es stammt. Es ist ein bißchen länger, aber ich glaube, wir sollten uns das zu Herzen nehmen:
    Obwohl die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung des heute zerrissenen Deutschlands allgemein ist, besteht in vielen Kreisen unseres Volkes die Sorge, daß mit dem Zusammenschluß und den dann erforderlich werdenden großen wirtschaftlichen Anstrengungen eine unerträgliche Senkung des Lebensstandards verbunden sein würde und viele wirtschaftliche Existenzen, vor allem auch von Gewerbetreibenden, notleidend werden könnten. Es ist in jedem Fall deutlich zu erkennen, daß es dem Laien an Vorstellungsvermögen gebricht, die sich aus dem Zusammenschluß ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen rational abzuleiten, und so bleibt der Spekulation, um nicht zu sagen der dumpfen Furcht, Tür und Tor geöffnet. Ich möchte gleich vorausschicken, daß auch ich den Versuch für abwegig halten würde, die in solchem Fall sich vollziehende Entwicklung exakt vorher bestimmen und rechnerisch erfassen zu wollen. Ein solches planwirtschaftliches Unterfangen wäre sogar in höchstem Maße gefährlich, weil es in der verwaltungsmäßigen Handhabung des Zusammenschlusses die organische Entwicklung nur zu hemmen und die natürlichen Kräfte zu unterbinden geeignet wäre. Gleichwohl kann nicht geleugnet werden, daß die Vorstellung von einem so gearteten, vorgefaßten „Wiedereingliederungsplan" die Geister in weitem Umfang beherrscht. Ihnen allen ist eigen, daß sie in der Volkswirtschaft eine „Organisation" erblicken. Insbesondere geht ihnen jedes Gefühl, jede Einsicht auf die in einem freien Markt zum Ausgleich und Gleichgewicht hindrängenden Kräfte und die damit entfesselte Dynamik völlig ab. Statt dessen glaubt man wie-



    Mischnick
    der einmal so viel wie möglich „organisieren" zu müssen, obwohl gerade damit Verzerrungen und Diskrepanzen nicht beseitigt, sondern womöglich noch vermehrt und verschärft werden würden.
    Das ist ein Auszug aus dem Bulletin vom 12. September 1953, eine Rede von Ludwig Erhard.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, er hat damals genau das, was auch heute noch für uns gültig ist, vorausgesagt. Er hat damals vorausgesagt, was heute viele versuchen, nämlich über die Kosten der Einheit den Gedanken der Einheit zu verlieren, über Schwierigkeiten, die es bei der Umsetzung gibt, das Ziel aus dem Auge zu verlieren, ein bißchen noch organisieren zu wollen, den Abschied von der sozialistischen Planwirtschaft hinauszuzögern, weil es einem schwerfällt, das politische Gebetbuch, das man bisher hatte, völlig beiseite zu legen. Genau das sind die Punkte, um die es jetzt geht.
    Mit diesem Staatsvertrag werden nicht alle Probleme gelöst — das wissen wir —, aber damit wird eine Grundlage geschaffen, um so bald wie möglich nach Art. 23 den Beitritt vollziehen, das gesamtdeutsche Parlament wählen und damit all das umsetzen zu können, was im Interesse von uns allen notwendig ist.
    Wer immer von den Kosten redet, den höre ich selten sagen, daß wir heute pro Jahr um die 40 bis 50 Milliarden DM Teilungskosten haben, die wegfallen werden. Wenn man schon Riesenzahlen ins Gelände setzt, sollte man den Mut haben, dagegenzusetzen, was durch die Überwindung der Teilung nicht mehr von uns gezahlt werden muß, damit es für die Menschen draußen realistisch wird.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Dynamik unseres Wirtschaftswachstums, die solide Haushaltspolitik, das Festhalten daran, daß Steuersenkungen letztlich zu mehr Steuereinnahmen führen und daß nicht Steuererhöhungen eine Lösung der anstehenden Fragen bedeuten, das sind die Voraussetzungen, mit denen wir heute optimistisch — natürlich mit dem notwendigen Realismus — in diese Entscheidung hineingehen können.
    Nun habe ich aus den verschiedenen Diskussionsbeiträgen nicht nur heute hier, sondern auch aus dem, was wir in dem Ausschuß Deutsche Einheit gehört haben, so manches Widersprüchliche erfahren. Es gibt doch keinen Zweifel daran, daß wir alle hier wissen, daß die Frage des Umweltschutzes, die Umweltunion, wie es genannt worden ist, ein ganz entscheidender Punkt für das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten ist. Wenn dann aber gesagt wird „Verursacherprinzip sofort im Staatsvertrag festhalten, sofort einführen", aber unmittelbar danach gefordert wird, es müsse etwas geschehen, damit Betriebe, die nicht überleben können, gestützt werden, dann ist das ein Widerspruch in sich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Diesen Widerspruch müssen Sie selbst auflösen.

    Kein Mensch will doch bewußt umweltschädigende Betriebe aufrechterhalten. Umgekehrt: Jedermann
    weiß, daß es bestimmte Übergangsphasen geben wird, geben muß, um die Anpassung an unseren Standard zu erreichen. Mir ist es dann viel lieber, wenn so etwas geschieht, wie es mir von meinem Freunde Beckmann erzählt worden ist: daß aus einem stillgelegten Kraftwerk in Nordrhein-Westfalen für Transportkosten von 300 000 DM — so sagte er es — eine Filteranlage nach Zwickau gebracht, dort eingebaut worden ist und 11 000 t Ausstoß um 90 % senkt. Das ist praktische Umweltpolitik und nicht theoretisierendes Reden. Es geht uns darum, praktisches Handeln Schritt für Schritt umzusetzen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Sehr gut!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist heute wieder eine Philippika gehalten worden, es gehe damm, nun endlich sicherzustellen, daß die unrechtmäßig erworbenen Vermögen der Blockparteien unter die Lupe genommen und entsprechend behandelt werden. Im Ausschuß Deutsche Einheit bestand völlige Übereinstimmung darüber.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aber geschehen ist nichts!)

    Warum wird dann hier der Eindruck erweckt, als wären die einen etwas mehr dafür und die anderen weniger?

    (Dr. Vogel [SPD]: Warum steht es nicht im Vertrag? Schreiben Sie es hinein! Protokollerklärung!)

    Was mich allerdings immer wieder wundert, obwohl ich das mehrfach angesprochen habe: Es fehlt immer der Zusatz, der für mich genauso wichtig ist: „und der gesellschaftlichen Organisationen".

    (Dr. Vogel [SPD]: Ja!)

    Dies betrifft nicht nur die Parteien, sondern auch die gesellschaftlichen Organisationen. Ich füge hinzu: Wir waren uns einig, daß wir dies nicht im Detail feststellen, denn das kann nur die DDR. Haben Sie sowenig Vertrauen zu den gewählten Frauen und Männern der Volkskammer und der Regierung, daß sie dieses Problem nicht lösen? Wir haben das Vertrauen, daß sie genauso wie wir hier Ungerechtigkeiten, die entstehen können, auf keinen Fall wollen. Und darin wollen wir sie unterstützen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Herr Diestel vielleicht, der macht das!)

    Wenn Sie dieses Vertrauen nicht haben, dann müßten Sie um so schneller mit uns darin übereinstimmen, ein gesamtdeutsches Parlament zu wählen, damit es dann gemeinsam getan werden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aber eines von beiden kann nur richtig sein. Es sollte also nicht immer wieder aufgewärmt werden.
    Meine Damen und Herren, natürlich kann ich mir auch vorstellen, daß in den Begleitgesetzen und bei der Umsetzung von Punkten das eine oder andere so oder so verbessert und weiterentwickelt werden kann. Entscheidend ist: Der Staatsvertrag muß am 1. Juli in



    Mischnick
    Kraft treten. Wenn er nicht am 1. Juli in Kraft tritt, ist das eine Täuschung der Menschen in der DDR.

    (Dr. Vogel [SPD]: Ja, das liegt an euch!)

    Sie warten darauf. Wer dies verhindert, wer dies hinauszögert, sät neues Mißtrauen, schafft die Basis für die Kräfte, die heute in der DDR wieder unterwegs sind und versuchen, die Gesamtentwicklung zurückzudrehen.
    Manche sagen: Wenn der Vertrag in Kraft tritt, dann gibt es Verwerfungen. Richtig! Natürlich gibt es Probleme. Darüber muß man mit den Menschen offen sprechen. Ich habe in Riesa den Stahlwerkern, mit denen ich diskutiert habe, klipp und klar gesagt: Massenstahlproduktion wird auf Dauer nicht mehr das Geschäft sein können, das es vielleicht einmal war. Man muß sich spezialisieren. Wir wollen nicht, daß ihr den Unsinn macht, den wir hier gemacht haben, nämlich über Jahre Milliarden in Arbed-Saarstahl hineinzustecken, statt diese Milliarden zu nutzen, um doppelt so viele neue Arbeitsplätze zu schaffen, wie es sie dort überhaupt gibt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Und sie haben es verstanden.

    Wenn in Oschatz ein junger Mann mit Recht davon sprach, er habe Sorge, daß er in seinem Bereich nicht mehr die entsprechende Beschäftigung hat, wenn ein anderer aufstand und sagte: Ich mit meinen 53 Jahren habe jetzt den Meister gemacht; ich werde mich selbständig machen, und die nächsten zwölf Jahre werde ich nutzen, endlich so zu arbeiten, wie ich will!, und wenn dem alle zustimmen, dann ist dies doch das, was wir brauchen: die Kräfte durch die Entscheidung über den Staatsvertrag freizusetzen, die Kräfte wirken zu lassen, die die Wirtschaft ankurbeln und den Mittelstand schaffen, und damit das Ganze finanzierbar zu machen. Dies ist möglich, wenn wir die Menschen gewähren lassen, ihre Eigeninitiative, ihren Geist und ihre Hände einzusetzen, wenn sie nicht mehr gegängelt werden, wie das bisher gewesen ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, natürlich weiß ich, daß es im Lohnbereich und im Rentenbereich Probleme gibt. Diese werden aber nicht dadurch gelöst, daß wir hier hervorragende Theorien aufstellen, sondern dadurch, daß wir so schnell wie möglich zum praktischen Handeln kommen. Es ist doch hochinteressant, daß in manchen Bereichen, wo Sorge über die Preisentwicklung bestand, entsprechende Veränderungen sichtbar werden, bevor die D-Mark eingeführt worden ist.
    Natürlich habe ich kein Verständnis dafür — das sage ich genauso offen — , wenn z. B. Belegschaftsmitglieder einer Schuhfabrik erklären, der Handel müsse gezwungen werden, 60 % ihrer Produktion abzunehmen — obwohl die Produkte keiner mehr kaufen will — , und sie von gewerkschaftlicher Seite her Unterstützung für solche unsinnigen Parolen bekommen. Das führt nicht weiter. Hier muß man Mut haben: Die Produktion muß so sein, daß sie abnehmbar wird. Dafür die Voraussetzungen zu schaffen ist unsere Aufgabe.
    Wenn hier gesagt wurde, es sei nichts getan worden, um etwa die Umschulung und Fortbildung zu forcieren, muß entgegnet werden: Das trifft so nicht zu. Gut, im staatlichen Bereich muß man die vertraglichen Vereinbarungen abwarten. Aber ich kenne eine ganze Menge Firmen bis hin zu freiberuflich Tätigen, die schon heute die Arbeit übernommen haben
    — zum Teil in der Bundesrepublik, zum Teil drüben in der DDR — , ihre Arbeitnehmer auf neue Berufe vorzubereiten und ihnen die Chance zu geben, sich einzuarbeiten. Hier ist doch eine Entwicklung im Gange. Wollen Sie diese abstoppen, indem plötzlich der Zweifel entsteht, ob der Staatsvertrag am 1. Juli in Kraft tritt?

    (Roth [SPD]: Das stellt ja wohl die Probleme auf den Kopf!)

    — Nein, ich stelle die Probleme gar nicht auf den Kopf.

    (Roth [SPD]: Wir haben gesagt: Vorrang der Arbeitsmarktpolitik!)

    — Lieber Herr Kollege Roth, ich nehme das gern zur Kenntnis. Wenn das zu der Taktik gehört, am Ende zuzustimmen und alles in Kraft zu setzen, dann kann ich das bis zu diesem Zeitpunkt sehr leicht ertragen.
    Nur, vergessen Sie eines nicht: Die Unsicherheit bis zur letzten Entscheidung hilft nicht, den Menschen in der DDR Mut zu machen, sondern hilft den Miesmachern in der DDR und erweckt Mißtrauen, daß wir das nicht wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Roth [SPD]: Wir können heute abend fertig werden! Sie müssen sich bewegen!)

    — Ich bin sehr froh darüber, daß Sie sagen, wir könnten bis heute abend fertig werden; denn das zeigt erstens, daß Sie voll eingesehen haben, daß am Staatsvertrag nichts zu ändern ist, und zweitens, daß Sie wissen, daß bei den Begleitgesetzen die Möglichkeit der Umsetzung besteht.

    (Roth [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)

    Drittens. Wenn Sie dieser Meinung sind, dann bitte ich aber, nicht mehr von Hektik und davon zu reden, daß das alles zu schnell geht, sondern endlich einzusehen, daß das Tempo von den Menschen bestimmt ist, die bald Entscheidungen haben wollen und nicht nur ständig Reden hören wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, warum wollen sie die Entscheidung haben? Weil die Unsicherheit über das eigene Schicksal, die berufliche Unsicherheit, überwunden werden muß. Vergessen Sie bitte eines nicht: Jeder, der davon spricht, daß der Prozeß sich verzögern könnte, sorgt natürlich dafür, daß die Koffer derjenigen gepackt bleiben, die wir als Fachkräfte in der DDR so nötig brauchen. Auch daran sollten wir denken.
    Wenn ich dann höre, daß sogar ein Landsmann von mir, Herr von Bülow, davon spricht, den Zuzug auf fünf Jahre sperren zu wollen, dann kann ich nur sagen: Wenn man auf solche Ideen kommt, dann muß man doch völlig außerhalb der Realität leben. Dies



    Mischnick
    kann doch wohl nicht wahr sein. Wir sind froh, daß die Mauer weg ist. Nur um einer Schlagzeile willen solchen Unsinn in die Welt zu setzen, der natürlich drüben Unruhe stiftet, ist schlimm. Das scheinen manche zu wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es gäbe eine ganze Menge Einzelpunkte, über die man im Zuge der Beratungen sprechen wird und die hier anzusprechen wären. Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie scheinen einen Teil von dem, was Kollege Lambsdorff gesagt hat, überhört zu haben. Er hat nämlich damals, als es um die Frage der Betriebsschulden ging, gesagt, daß man mit Ausgleichsforderungen operieren kann. Er hat das nicht etwa abgelehnt, sondern im Gegenteil als eine Möglichkeit angesehen.
    Richtig ist aber, daß die Bundesbank bei der Gesamtentscheidung aus grundsätzlichen Bedenken zu anderen Überlegungen gekommen ist, weil sie Sorge hatte, daß die D-Mark, wenn man bestimmte Sperren vorsieht, im internationalen Geschäft notleidend werden könne, weil man plötzlich den Eindruck hätte, die D-Mark sei gefährdet. Über den Weg kann man unterschiedlicher Meinung sein. Der heutige Weg ist in Absprache mit der Bundesbank gefunden worden.
    Dies schließt ja nicht aus, daß das, was wir einmal als Nachbesserungsschein betrachtet haben — möglicherweise die Beträge, die nicht umgetauscht werden, also das, was bei einem Umtausch im Verhältnis von 1 : 2 übrigbleibt — , mittelfristig für Investitionen noch zur Verfügung steht. Daß das in der DDR von Kollegen in die Diskussion gebracht worden ist, verstehe ich völlig. Das muß man bei den weiteren Beratungen im Auge behalten. Aber das sind doch alles Dinge, die man heute nicht mit der Forderung auf Veränderung des Staatsvertrags in Verbindung bringen müßte.
    Wir wissen, daß die Anschubfinanzierungen, die notwendig sind, eine ganze Menge Bewegung bringen können. Wir haben dafür gesorgt, daß dies eben nicht zu Lasten der Beitragszahler geht. Es wird manchmal so getan, als würden wir verschweigen, daß die Beitragszahler herangezogen werden müssen oder daß die Steuerzahler herangezogen werden müssen. Der Kollege Dreßler hat mit dem Hinweis, man könnte sogar die Beiträge senken, einen wichtigen Hinweis darauf gegeben, daß die Finanzlage in der Rentenversicherung so günstig ist, daß hier gar nichts passieren kann.
    Daß wir nicht auf diesen Vorschlag eingehen — was uns gar nicht so leichtfällt —, hängt einfach damit zusammen, daß wir die Sicherheit, die wir uns mit der Rentenreform selbst geschaffen haben, nicht plötzlich wieder in Frage stellen, sondern über langfristige Entwicklungen beurteilen wollen.

    (Frau Unruh [fraktionslos]: Aber die Rentenreform ändern wir sowieso! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Der „Graue Panther" braucht eine Beruhigungsspritze!)

    — Liebe Frau Unruh, ich weiß ja, daß Sie immer etwas dazwischenzurufen haben, aber das wird von uns und von anderen nicht so ernst genommen.

    (Frau Unruh [fraktionslos]: Das wird sehr ernst genommen! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Mittlere Reife!)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird mit manchem Hinweis, man sei bereit, partielle Hilfe zu leisten, mit manchem Hinweis, Dinge am Leben zu erhalten, die nicht lebensfähig sind, Hoffnung erweckt, die in Wahrheit keine Hoffnung, sondern nur Illusion ist. Wer Hoffnungen erweckt, die in Wahrheit Illusionen sind, der verhindert notwendige Entscheidungen. Wer damit zu helfen glaubt, der schadet nur.
    In diesen Bereich gehört eine Aufgabe, die wir gemeinsam noch zu erfüllen haben und die sehr schwierig ist. Ich spreche das Problem des Eigentums an, des Eigentums in den verschiedensten Formen.
    Wir hätten es gern gesehen, wenn im Vertrag selbst oder im Begleittext diesbezüglich noch mehr Klarheit geschaffen worden wäre. Wir wissen, daß es in der DDR — in der Regierung, in der Volkskammer — noch unterschiedliche Meinungen gibt. Ich habe den Eindruck, hier ist ein Entwicklungsprozeß noch im Gange.
    Aber seien wir uns über eines im klaren: Klare Verhältnisse im Bereich des Eigentums sind weitgehend die Voraussetzung für die Bereitschaft zu investieren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Klare Verhältnisse im Bereich des Eigentums sind Voraussetzung für die Bereitschaft, auf Dauer an die Rechtsstaatlichkeit zu glauben, die für uns im Grundgesetz selbstverständlich ist. Klare Verhältnisse im Bereich des Eigentums sind notwendig, um vieles — vor allem in der DDR, aber auch an Bundesbürgern — begangenes Unrecht aufzuarbeiten. Ich bin mir der Schwierigkeit dieses Prozesses bewußt. Allein mit der Aufzählung der verschiedenen Jahre, in denen solche Prozesse in der DDR stattgefunden haben, würde ich die restliche Redezeit überschreiten, die ich noch habe. Aber es muß der klare Wille sichtbar werden: Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Grundgesetzes bedeutet, daß in der Eigentumsfrage Rückgabe oder Entschädigungen unumstritten sein müssen und daß hier Rechtsstaatlichkeit vor alten ideologischen Vorstellungen über Eigentum Vorrang haben muß.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Man muß endlich mit der Idee Schluß machen, der Staat sei der bessere Eigentümer.
    Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluß nur noch einmal kurz darauf hinweisen, daß die gesamte Entwicklung, die wir jetzt haben und die von den zuständigen Ministern und ihren Mitarbeitern in beiden deutschen Staaten in einer beispiellosen Einsatzbereitschaft geschaffen worden ist — ich möchte auch für meine Fraktion ausdrücklich für diese Arbeit danken — , ein entscheidender Schritt vorwärts ist, daß wir aber in dem Staatsvertrag nicht die Regelung der deutschen Frage sehen, sondern eine Durchgangsphase. Das alles war nur möglich, weil wir in Europa ein geachteter Partner



    Mischnick
    sind, weil wir die Fundamente für die Europäische Gemeinschaft mit gelegt haben, weil wir bereit sind, das „Haus Europa" zu schaffen. Wir haben dafür klare Vorstellungen, und wir haben sie noch genau so, wie sie früher waren. Wir wollen, daß die Integration der DDR in die Bundesrepublik Deutschland die Integration in Europa ist. Für uns ist die Einheit Deutschlands gleichzeitig das Verwirklichen der Einheit Europas, um damit einen Hort der Stabilität, der Kontinuität und der Friedenssicherung mitten in Europa zu schaffen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, weil wir das wollen, weil das unsere Zielsetzung ist, wissen wir, daß wir manche gemeinsamen Anstrengungen noch vollbringen müssen. Wir wollen das eine Europa in Frieden, wir wollen das eine Europa in Freiheit. In diesem Europa wollen wir e i n Deutschland in voller Souveränität. Wir wollen in diesem Europa weiterhin voll mitarbeiten. Weil wir das wollen, wollen wir, daß die Wahl der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik für ein gesamtdeutsches Parlament so schnell wie möglich erfolgt. Wir wollen das, weil wir e i n Volk sind.

    (Anhaltender Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Berlin ist der Ort in Deutschland, an dem die Einheit am schnellsten vollzogen wird und an dem sie am nachhaltigsten das Leben der Menschen verändern wird. In Berlin ist der Wunsch nach der Einheit am stärksten, aber auch das Bewußtsein der Gefahren, die bestehen, wenn zwei so unterschiedliche Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme allzu unvorsichtig wieder zusammengefügt werden. Der künftige Oberbürgermeister Ost-Berlins, Tino Schwierzina, hat gesagt: „Wir wollen die Einheit so schnell wie möglich, aber auch so sorgsam und schonend, wie es für das Wohl der Menschen nötig ist."

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])

    Diese Aussage, meine Damen und Herren, sollte wieder zum Konsens zwischen den politischen Kräften in Deutschland werden.
    Die deutsche Politik sollte sich wieder auf die drei Bedingungen zur Vollendung der deutschen Einheit besinnen. Das waren erstens die Verwirklichung von Freiheit und Demokratie im anderen Teil Deutschlands, zweitens die Angleichung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialsysteme und drittens die Einbettung der Einheit in den europäischen Einigungsprozeß und die Herstellung eines Einvernehmens mit unseren Nachbarn. Alle drei Bedingungen sind wichtig. Keine darf übergangen werden; alle drei müssen erfüllt sein. Denn das, was wir jetzt in Deutschland zu leisten haben, ist eine historische Aufgabe, die nicht nur alles taktische und politische Geschick von uns
    Politikern erfordert, sondern auch Besonnenheit und Gefühl für die Verantwortung.
    Die Wahlen am 18. März und am 6. Mai haben die DDR einen großen Schritt auf dem Weg zu einer demokratischen Gesellschaft vorangebracht. Aber die Demokratie in der DDR ist noch nicht stabil. Überall sitzen noch die alten Funktionäre der SED und ihrer Hilfsorganisationen auf ihren Posten, und sie beherrschen große Teile der Verwaltung, des öffentlichen Lebens und der Medien. Die Länder sind noch nicht gebildet, neue demokratische Verwaltungsstrukturen noch nicht aufgebaut. Die Stasi vergiftet das politische Klima und wirkt weiterhin im dunkeln.
    Ein besonderer Skandal ist es in diesem Zusammenhang, daß die SED, der FDGB, die alten Blockparteien und die Hilfsorganisationen nach wie vor über ihr Vermögen verfügen

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    und jetzt sogar darangehen, es mit Riesenerlösen zu verkaufen. Man sehe sich doch nur an, über welche Werte die SED etwa in Ost-Berlin verfügt. Die PDS/ SED hat gerade ihren Berliner Verlag für Millionen von D-Mark an einen ausländischen Verleger verscherbelt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört, hört! Was geschieht dagegen? Nichts im Vertrag!)

    Zu einem wirklichen demokratischen Neuanfang in der DDR muß es gehören, daß dieses zu Unrecht angehäufte Vermögen sofort wieder zurückgegeben wird und daß auch dieses Vermögen zum Wiederaufbau der Wirtschaft in der DDR beiträgt.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Die Menschen in der DDR wollen die endgültige Ablösung des alten und des uneffektiven Wirtschaftssystems. Sie wollen vor allen Dingen Geld verdienen, mit dem sie sich etwas kaufen und mit dem sie auch verreisen können. Die Menschen in der DDR sind bereit, den Sprung in die neue Zeit zu wagen.
    Zur Umstellung der Währung gibt es keine Alternative. In Berlin ist die D-Mark jetzt schon de facto Zweitwährung geworden. In Berlin lassen sich die beiden Wirtschafts- und Währungssysteme nicht mehr lange trennen. In der DDR löst sich das alte System immer mehr auf. Die Produktivität sinkt, und zunehmend herrschen wirtschaftliche Anarchie und Wild-West-Methoden.
    Der Ausverkauf der DDR findet nicht mit der Einführung der D-Mark statt, sondern er findet tatsächlich jetzt statt, indem volkseigenes Vermögen meistbietend verscherbelt wird, indem sich Spekulanten die Rosinen herauspicken und ehemalige SED-Funktionäre ihre Schäfchen ins Trockene bringen.
    Die Arbeitnehmer, insbesondere die Frauen, geraten mehr und mehr in einen Zustand der Rechtlosigkeit. Betriebsleiter, die sich gestern noch Kommunisten nannten, laufen heute wie Manchester-Kapitalisten mit Entlassungslisten durch die Betriebe.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)




    Regierender Bürgermeister Momper (Berlin)

    Die DDR-Wirtschaft muß auf feste Füße gestellt werden. Es muß wieder Rechtssicherheit einkehren, und die Menschen müssen wieder auf eine sichere Zukunft bauen können.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Aus diesen Gründen duldet die Herstellung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion keinen Aufschub über den 2. Juli hinaus.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    — Immer erst zu Ende reden lassen, und dann erbitte ich Ihren Beifall.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Gut, dann nehmen wir den Beifall zurück!)

    — Aber gleich haben Sie Gelegenheit. — Der Schlüssel für die Herstellung der Währungsunion am 2. Juli liegt aber bei der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist jetzt aufgefordert, sicherzustellen — was ganz vernünftige Forderungen sind und das zu regeln durchaus noch vier Wochen Zeit ist —,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    daß verbindlich vereinbart wird, daß das Vermögen der SED, ihrer Hilfsorganisationen und auch das der Blockparteien eingezogen wird. Die Bundesregierung kann sicherstellen, daß überlebensfähige Betriebe auch den Schutz und die Unterstützung zum Überleben erhalten. Die Bundesregierung kann sicherstellen, daß die Umweltunion gleichrangig neben die Wirtschafts- und Sozialunion tritt und das der weitere Weg zur deutschen Einheit im Konsens mit den Ländern und auch der Opposition im Bundestag verfolgt wird. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich möchte meine Kritik nicht verhehlen, daß die Bundesregierung den Prozeß der deutschen Einheit nicht stetig und sorgsam entwickelt hat, sondern den bestehenden Erwartungsdruck der Menschen in der DDR noch verstärkt hat. Die Bundesregierung hat den vollen Druck entfaltet, um am Ende die Einheit der Wirtschafts- und Währungssysteme in einem radikalen Schritt durchsetzen zu können. Das ist eine Politik mit hohem Risiko für die Zukunft. Ein Experiment, wie die vor uns liegende Umstellung des planwirtschaftlichen Systems auf die Marktwirtschaft ist in dieser Form nie zuvor gewagt worden. Jeder, der sagen würde, er überschaue die Folgen, der würde lügen, die Unwahrheit sagen. 17 Millionen Menschen in der DDR sind voller Hoffnung, wohl wahr! Aber sie sind auch voller Unsicherheit. Kaum einer dort weiß heute, was morgen mit ihm wird. Wir dürfen diese Ängste nicht mit Pathos und Rhetorik und auch nicht mit der Arroganz des reichen Onkels beiseite schieben.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Wir müssen den Menschen Sicherheit geben. Die berufstätigen Frauen in der DDR brauchen die Sicherheit, das die Kinderbetreuung in Qualität und Umfang auf dem jetzigen Niveau erhalten bleibt.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) Die Frauen brauchen die Sicherheit, daß sie nicht zurück und an den Herd gedrängt werden, sondern daß die Möglichkeiten bleiben, Mutterschaft und Berufstätigkeit miteinander vereinbaren zu können.


    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) Solide Sicherheiten fehlen doch bisher!

    Die DDR darf nicht zum verlängerten Supermarkt der Bundesrepublik gemacht werden. Wir alle werden nichts davon haben, wenn es nicht gelingt, in der DDR leistungsfähige Produktionsstätten zu erhalten, die Betriebe zu sanieren und neue, konkurrenzfähige Produktionen aufzubauen. Wir wollen doch kein Armenhaus schaffen sondern wir wollen eine neue blühende Region im europäischen Park.

    (Beifall bei der SPD)

    Nach den vorliegenden Regelungen werden den DDR-Betrieben keine ausreichenden Hilfen zum Strukturwandel eingeräumt, um sich auf den Markt einstellen zu können. Für eine Übergangszeit brauchen wir den Schutz von DDR-Produktionen, für eine Übergangszeit brauchen wir Hilfen für die überlebensfähigen Betriebe.