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    Plenarprotokoll 11/211 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 211. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Mai 1990 Inhalt: Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die neunzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz sowie zur Änderung weiterer sozialrechtlicher Vorschriften (KOV-Anpassungsgesetz 1990) (Drucksachen 11/6760, 11/7097, 11/7098) Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU 16613 B Schreiner SPD 16614 C Heinrich FDP 16615 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 16616 B Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 16617 B Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (Drucksache 11/6946) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Benennungen von Frauen in Ämter und Funktionen, für die die Bundesregierung ein Vorschlagsrecht hat (Drucksachen 11/3285, 11/4866) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Männle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Fraktion der FDP: Geschlechtsbezogene Formulierung in Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Geschlechtsneutrale Bezeichnungen (Drucksachen 11/1043, 11/118, 11/860, 11/2152) Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 16619 A Frau Weiler SPD 16620 C Frau Würfel FDP 16622 D Frau Schmidt (Hamburg) GRÜNE 16623 D Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 16625 B Frau Hämmerle SPD 16626 B Frau Schätzle CDU/CSU 16627 C Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ 16628 D Uldall CDU/CSU 16629 C Tagesordnungspunkt 18: Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Zink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Politik für die Arbeitnehmer (Drucksachen 11/5048, 11/5828) Scharrenbroich CDU/CSU 16630 C Schreiner SPD 16631 B Heyenn SPD 16633 D Heinrich FDP 16636 D Schreiner SPD 16637 C Heyenn SPD 16638 A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 16639 B Scharrenbroich CDU/CSU 16641 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Mai 1990 Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 16642 B Reimann SPD 16646 C Keller CDU/CSU 16649 B Urbaniak SPD 16651 B Schemken CDU/CSU 16652 C Urbaniak SPD 16652 D Reimann SPD 16654 D Vizepräsident Stücklen 16633 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Männle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Folz-Steinacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nach Zeiten der Kindererziehung (Drucksache 11/6856) Frau Schmidt (Spiesen) CDU/CSU 16655 D Frau Dr. Niehuis SPD 16657 B Frau Walz FDP 16659 A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 16660 A Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 16661 A Nächste Sitzung 16662 Berichtigung 16662 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 16663* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 16663* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Mai 1990 16613 211. Sitzung Bonn, den 11. Mai 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 210. Sitzung, Seite 16526 B, 5. Zeile von unten: Statt „ihnen" ist „Ihnen" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 11. 05. 90 ** Dr. Ahrens SPD 11. 05. 90 * Antretter SPD 11. 05. 90 * Bahr SPD 11. 05. 90 Frau Beer GRÜNE 11. 05. 90 Frau Blunck SPD 11. 05. 90 * Böhm (Melsungen) CDU/CSU 11. 05. 90 * Börnsen (Ritterhude) SPD 11. 05. 90 Brandt SPD 11. 05. 90 Brück SPD 11. 05. 90 Büchner (Speyer) SPD 11. 05. 90 * Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 11. 05. 90 * Buschfort SPD 11. 05. 90 Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 11. 05. 90 Cronenberg (Arnsberg) FDP 11. 05. 90 Ehrbar CDU/CSU 11. 05. 90 Eigen CDU/CSU 11. 05. 90 Engelsberger CDU/CSU 11. 05. 90 Eylmann CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Feldmann FDP 11. 05. 90 Fellner CDU/CSU 11. 05. 90 Gallus FDP 11. 05. 90 Gattermann FDP 11. 05. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Götz CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Haack SPD 11. 05. 90 Haack (Extertal) SPD 11. 05. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Haussmann FDP 11. 05. 90 Frhr. Heereman von CDU/CSU 11. 05. 90 Zuydtwyck Heimann SPD 11. 05. 90 Höffkes CDU/CSU 11. 05. 90 * Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 11. 05. 90 * Dr. Hüsch CDU/CSU 11. 05. 90 Irmer FDP 11. 05. 90 * Jung (Düsseldorf) SPD 11. 05. 90 Jungmann (Wittmoldt) SPD 11. 05. 90 Kittelmann CDU/CSU 11. 05. 90 * Dr. Klejdzinski SPD 11. 05. 90 * Kossendey CDU/CSU 11.05.90 Kreuzeder GRÜNE 11.05.90 Dr.-Ing. Laermann FDP 11. 05. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 11. 05. 90 Frau Limbach CDU/CSU 11. 05. 90 Lowack CDU/CSU 11.05.90 Frau Luuk SPD 11. 05. 90 * Dr. Mechtersheimer GRÜNE 11. 05. 90 Menzel SPD 11.05.90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 11. 05. 90 Meyer SPD 11.05.90 Dr. Müller CDU/CSU 11. 05. 90 Müller (Wesseling) CDU/CSU 11. 05. 90 Niegel CDU/CSU 11. 05. 90 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 11. 05. 90 Oostergetelo SPD 11. 05. 90 Petersen CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 11. 05. 90 Pfuhl SPD 11. 05. 90 * Poß SPD 11. 05. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 11. 05. 90 Reddemann CDU/CSU 11. 05. 90 * Regenspurger CDU/CSU 11. 05. 90 Reuschenbach SPD 11. 05. 90 Frau Rock GRÜNE 11. 05. 90 Roth SPD 11. 05. 90 Frau Saibold GRÜNE 11. 05. 90 Dr. Scheer SPD 11. 05. 90 Scherrer SPD 11. 05. 90 Frau Schilling GRÜNE 11. 05. 90 Schmidt (München) SPD 11. 05. 90 * Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 11. 05. 90 Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 11. 05. 90 von Schmude CDU/CSU 11. 05. 90 * Schröer (Mülheim) SPD 11. 05. 90 Schütz SPD 11. 05. 90 Dr. Schwörer CDU/CSU 11. 05. 90 Sielaff SPD 11. 05. 90 Dr. Soell SPD 11. 05. 90 * Dr. Sperling SPD 11. 05. 90 Steiner SPD 11. 05. 90 * Dr. Stoltenberg CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Uelhoff CDU/CSU 11. 05. 90 ** Dr. Voigt (Northeim) CDU/CSU 11. 05. 90 Dr. Vondran CDU/CSU 11. 05. 90 Vosen SPD 11. 05. 90 Dr. Waigel CDU/CSU 11. 05. 90 Wetzel GRÜNE 11. 05. 90 Wiefelspütz SPD 11. 05. 90 Wissmann CDU/CSU 11. 05. 90 Frau Wollny GRÜNE 11. 05. 90 Dr. Wulff CDU/CSU 11. 05. 90 * Zierer CDU/CSU 11. 05. 90 * Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/256 Drucksache 11/3895 Drucksache 11/4490 Drucksache 11/5510 Drucksache 11/6278 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/4342 Drucksache 11/4989 Drucksache 11/6116 Drucksache 11/6117 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: 16664* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Mai 1990 Finanzausschuß Drucksache 11/6285 Nr. 2.1 Drucksache 11/6423 Nr. 2.3 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/138 Nr. 3.41 Drucksache 11/973 Nr. 2.3 Drucksache 11/3311 Nr. 2.8 Drucksache 11/4534 Nr. 2.5 Drucksache 11/5351 Nr. 2.1 Drucksache 11/5954 Nr. 2.5 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/4019 Nr. 2.32-2.34 Drucksache 11/4081 Nr. 2.10, 2.13 Drucksache 11/5197 Nr. 2.10 Drucksache 11/6423 Nr. 2.14 Drucksache 11/6629 Nr. 2.14 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/6125 Nr. 12 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/4680 Nr. 2.15 Drucksache 11/5051 Nr. 51 Drucksache 11/6324 Nr. 2.35 Drucksache 11/6423 Nr. 2.16 Drucksache 11/6502 Nr. 21 Drucksache 11/6738 Nr. 2.14, 2.15
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    Rede von Marieluise Beck-Oberdorf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vorgelegte Große Anfrage „Politik für die Arbeitnehmer" ist eine recht durchsichtige Inszenierung, um der Bundesregierung eine Plattform zu bieten, das Modell „Weiter so, Deutschland" zu präsentieren.
    Schon die Vorbemerkung zu dieser Anfrage läßt erkennen, was die eigentliche Botschaft sein soll: Noch nie ging es uns so gut wie heute.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich werde mich später noch im einzelnen damit auseinandersetzen, daß bei der wirtschaftlichen Expansion, die es in den letzten Jahren gegeben hat, nicht alle zu den großen Gewinnern gehören, sondern daß es auch viele Verlierer und vor allem Verliererinnen gegeben hat. Aber zunächst einmal möchte ich mich mit dem Glauben auseinandersetzen, der Ihre Politik bestimmt, so, als wären die letzten zehn Jahre spurlos an Ihnen vorübergegangen.
    Als wichtigstes Leitziel Ihrer Politik bezeichnen Sie die stärkere Orientierung an der Sozialen Marktwirtschaft und benennen dann als wichtigstes Element dieser Politik die Stärkung der Wachstumskräfte. Diese Wachstumseuphorie zieht sich dann durch den gesamten Text. Es geht um — ich zitiere — mehr Wachstum und Beschäftigung; das Bruttosozialprodukt habe seit Ihrer Regierungsübernahme um ein Fünftel zugenommen; die Produktion laufe auf vollen Touren; in der Industrie sei die Stimmung derzeit so gut wie seit Jahren nicht mehr;

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Alles sehr gut! Das ist für die Arbeitnehmer unheimlich wichtig!)

    die Konsumausgaben der Haushalte wachsen; der Anstieg des privaten Verbrauchs sei deutlich usw.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Alles richtig zitiert!)

    Lesen Sie eigentlich Zeitungen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien?

    (Schreiner [SPD]: Die „Bild-Zeitung'' !)

    Oder haben Sie das bereits aufgegeben, weil die genaue Lektüre der Nachrichten auch Sie aus dem sorgsam gepflegten Verdrängungsschlaf heraustreiben könnte? Ich will Ihnen hier nur zwei Meldungen der Presse von dieser Woche nennen, die eigentlich jeden denkenden Menschen zu der Einsicht bringen müßten, daß wir nicht so weitermachen können wie bisher.
    Nachricht Nummer eins: Angst vor der Algenpest. Vor der Wissenschaftspressekonferenz teilte Umweltminister Töpfer mit, die Nordsee sei 4° bis 5 °C wärmer als normal aus dem Winter gekommen; bei der Ostsee verhalte es sich ähnlich. Die Entwicklung werde mit Sorge beobachtet. In der Ostsee sind bereits im April durch das explosionsartige Wachstum einer Giftalge bei der Insel Rügen mehr als 300 t Fische getötet worden.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Auch da kann ich Sie beruhigen: Durch Umweltschutzmaßnahmen sind etwa 500 000 Arbeitsplätze geschaffen worden!)

    — Ich werde den Zusammenhang schon noch herstellen, Herr Scharrenbroich.
    Nachricht Nummer zwei: Industrieländer sollen freiwillig ihren CO2-Ausstoß verringern. Die internationale Umweltkonferenz in Bergen soll eine Selbstverpflichtung der Industrieländer auf Verringerung



    Frau Beck-Oberdorf
    ihrer Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2000 vereinbaren. Weiter heißt es in diesem Bericht: Das unabhängige US-Forschungsinstitut World Watch vertritt die Auffassung, daß zur Vermeidung eines unumkehrbaren — ich betone: unumkehrbaren — ökologischen Zusammenbruchs der Erde höchstens 40 Jahre zur Verfügung stehen.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sie verschweigen, daß diese Bundesregierung der Motor bei der Absenkung des CO2-Ausstoßes gewesen ist!)

    Wollen Sie jetzt etwa fragen, was das denn mit Ihnen zu tun habe und was mit der Großen Anfrage? — Ich will es Ihnen erklären. Der Geist Ihrer Politik ist immer noch von dem Gedanken geprägt, daß die Erde keine Grenzen kenne. Die etwas Schlaueren unter Ihnen werden argumentieren, daß Sie ja gerade mit dem Wachstum Umweltschutz betreiben wollten. Aber diese Anfrage verrät Sie, meine Damen und Herren. Sie fragen nicht etwa danach, was denn gewachsen ist, was denn produziert worden ist, was denn mehr konsumiert worden ist. Ihr Erfolg ist allein, daß es mehr war. Das geht — ich wiederhole es — nur noch auf dem Hintergrund der Ausblendung aller Warnsignale, die das ökologische System der Erde und das soziale System der Menschen aussenden.
    Sie ignorieren, daß nicht nur das ökologische System der Erde zunehmend mehr Zeichen der Erschöpfung aussendet. Auch die Menschen senden — wenn wir genau hinsehen — immer mehr Zeichen der Erschöpfung aus.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wie lange reden Sie denn jetzt noch? — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Wie erklären Sie es sich denn, daß unser Gesundheitswesen einen immer größeren Anteil des von Ihnen so vergötterten Bruttosozialproduktes auffrißt? Wie erklären Sie sich z. B. die rasante Zunahme von Allergien und Rheuma? Wie erklären Sie sich denn die Zunahme von Depressionen, aber auch von Gewalt in unserer Gesellschaft — Gewalt nicht nur unter Männern, sondern auch innerhalb der Familien gegenüber Frauen und Kindern?
    Wir waren in der Auseinandersetzung um die Logik unseres Industriesystems, um den Geist Ihrer Politik schon einmal weiter. Wir hatten Ihnen schon einmal mühsam vermittelt, daß Wachstum allein nichts aussagt, sondern daß wir die ökologischen und die sozialen Folgekosten des Wachstums bilanzieren müssen, soweit sie sich überhaupt benennen lassen. Denn wie hoch würden Sie denn den Verlust einer umgekippten Nordsee in Mark und Pfennig beziffern?

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Unsere Sorge ist im Augenblick nicht, daß wir zuviel Wachstum haben!)

    Ich sage alles das noch einmal in dieser Grundsätzlichkeit und Deutlichkeit, weil Sie nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme im Osten noch mehr obenauf sind und dies quasi als Bestätigung Ihrer Politik hier nehmen.

    (Heinrich [FDP]: Zu Recht! Sehr zu Recht! Das System des Sozialismus ist tot!)

    Nicht umsonst drücken Sie mit dem von Ihnen vorgelegten Staatsvertrag der DDR unser Modell aufs Auge. Eigentlich wäre es gerade in diesen großen Zeiten des Umbruchs an der Tagesordnung, noch einmal genau zu hinterfragen, auf welchen Weg wir uns eigentlich begeben wollen.
    Unsere Option ist klar: Wir wollen den ökologischen und sozialen Umbau der Gesellschaft — auch mit dem Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Aber bei Ihnen bleibt die Verdrängung weiter die Basis für Ihre Entscheidungen. Und das ist der Weg in den ökologischen Kollaps und in die Zweidrittelgesellschaft.
    Ich weiß, daß gerade in der Bevölkerung der DDR, die jahrelang in ihren Konsumbedürfnissen sehr kurzgehalten worden ist, jetzt zunächst einmal ein großer Nachholbedarf besteht, zumal der Westen für viele das Maß aller Dinge ist. Aber soll denn jetzt in der DDR noch einmal mit voller Kraft eine automobile Gesellschaft errichtet werden, statt daß man auf die Schiene setzt, wo wir doch hier in den Städten bereits merken, daß wir an den Autos ersticken? Muß denn noch einmal der ganze leidvolle Weg durch das Diktat von Mode, Spielzeugmüll, Autostaubsaugern und ähnlichem Schnickschnack gegangen werden? Für diese Überlegungen scheint sich kaum jemand Zeit zu nehmen; aber allein die Entscheidung für neue Wege würde uns neue Chancen für eine gute Zukunft eröffnen.
    Mit Zahlen, die zum guten Teil vordergründig sind, arbeiten Sie auch bei der Beantwortung der Einzelfragen. Sie betonen die große Zunahme von Beschäftigungsverhältnissen, verschweigen aber, daß sich nach Aussagen der Bundesanstalt für Arbeit, also eines durchaus unverdächtigen Instituts, das Quantum der geleisteten Arbeitsstunden in den letzten Jahren nicht vergrößert hat. Im Klartext bedeutet das, daß eine immer größer werdende Zahl von Beschäftigungsverhältnissen abgeschlossen wird, die geteilte Arbeitsplätze zur Grundlage haben.

    (Heinrich [FDP]: Die 35-Stunden-Woche ist bereits Teilzeitarbeit?!)

    Nun wäre die Aufteilung und die Umverteilung der Arbeit ja keine schlechte Sache. Das sehen insbesondere die Frauen so, die ja die Leidtragenden der Doppelbelastung sind. Aber der Pferdefuß dabei ist, daß die kleinen Beschäftigungsverhältnisse dazu führen, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kein existenzsicherndes Einkommen haben und obendrein auch noch ungeschützt sind.
    Vertreterinnen der Krankenkassen und des Arbeitsamtes Meppen haben mir vor einigen Tagen erzählt, daß erst jetzt nach der Meldepflicht für ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse deutlich wird, welches immense Ausmaß die Zahl ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse hat. Gerade in den strukturschwachen Gebieten scheint diese Art von Beschäftigungen extrem verbreitet zu sein.
    Das betrifft natürlich im wesentlichen Frauen, und eigentlich bezahlen sie dafür zweimal: einmal als Beschäftigte, wenn sie von dem Einkommen nicht leben können, ein zweites Mal als Rentnerinnen, wenn dann die Rente weder zum Leben noch zum Sterben reicht. Wir haben Ihnen in den Rentendebatten des yergan-



    Frau Beck-Oberdorf
    genen Jahres immer wieder vorgerechnet und belegt, daß gerade in einer Zeit, in der die Aufweichung der sogenannten Normalarbeitsverhältnisse betrieben wird — das ist das Credo Ihrer Politik — , das soziale Sicherungssystem nicht mehr die Strukturen des vergangenen Jahrhunderts haben dürfe. Deswegen brauchen wir die soziale Grundsicherung.
    Es ist auch sehr klug von Ihnen, daß Sie bei den Fragen nach den Alterseinkommen ganz bewußt immer vom Haushaltseinkommen sprechen und nicht die Alterseinkommen von Frauen gesondert aufschlüsseln; denn dann würde nur allzu offensichtlich, daß gerade die Frauen die Verliererinnen bei der von Ihnen vorangetriebenen Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind.
    Die Flexibilisierung, die Entkoppelung von individueller und betrieblicher Arbeitszeit, die Verlängerung der Kapitalnutzungszeiten sind Ihre Antworten auf die Frage nach Erwerbsmöglichkeiten für alle. Wir haben die Debatte über die sozialen Folgen dieser Art von Arbeitszeitpolitik hier schon des öfteren geführt. Ich wiederhole: Flexible Arbeitszeiten, die Verlängerung der Betriebsnutzungszeiten — Sie selbst nennen das Modell BMW, wo an vier Tagen, natürlich unter Einbeziehung des Samstags, neun Stunden lang gearbeitet wird — , machen die Verbindung von Arbeit und sozialem Leben immer schwieriger. Wenn unsere Arbeits- und Lebenswelt nicht durch Kernzeiten gekennzeichnet ist, auf die sich die Gesellschaft quasi verständigt hat, werden die Zeiten für gemeinsames Leben immer mehr schrumpfen. Sprechen Sie doch einmal mit den Fahrern hier im Deutschen Bundestag! Sie können Ihnen genau vorrechnen, wie oft sie durch Schicht- und Nachtarbeit ihre Kinder tagelang nicht zu Gesicht bekommen.
    Vollkommen klar ist, daß bei dieser zeitlichen Strukturierung des für den Mann bereitgehaltenen Erwerbslebens der Arbeitsplatz für die Frauen dann so gestaltet sein muß, daß sie die Funktion der Lükkenbüßerin übernehmen kann, sei es, um die Oma zu pflegen, sei es, um die Kinder zu betreuen oder nur einkaufen zu gehen.
    Ich stimme Ihnen zu: Wir bräuchten eine tiefgreifende Umgestaltung der Arbeitszeiten; aber bitte an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an denen der Maschinenlaufzeiten orientiert!

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Weder der Vater noch die Mutter von zwei kleinen Kindern können den sogenannten Normalarbeitstag ausfüllen. Also müßten gerade die Menschen in dieser Lebensphase ihre Arbeitszeiten reduzieren, ohne den arbeitsrechtlichen Schutz zu verlieren, ohne das Recht auf Wiedereinstieg verwehrt zu bekommen, ohne dann mit der Rente die Quittung zu bekommen, ohne den Einkommensverlust ganz privat tragen zu müssen.


Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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    Rede von Marieluise Beck-Oberdorf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ja.