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ID1120804700

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    6. Dreßler.: 1
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    Plenarprotokoll 11/208 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 208. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. April 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 16387 A Antrag des Abg. Wüppesahl (fraktionslos) nach § 126 der Geschäftsordnung . . . . 16387 C Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. September 1988 zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, Regierungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation, der Regierung Japans und der Regierung Kanadas über Zusammenarbeit bei Detailentwurf, Entwicklung, Betrieb und Nutzung der ständig bemannten zivilen Raumstation (Drucksachen 11/4576, 11/6858) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt (Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz) (Drucksachen 11/ 5994, 11/6859) Dr. Rüttgers CDU/CSU 16388 A Fischer (Homburg) SPD 16389 B Dr.-Ing. Laermann FDP 16391 A Dr. Briefs GRÜNE 16391 D Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 16392 D Vosen SPD 16393 B Zusatztagesordnungspunkt: Einspruch der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl gegen den am 26. April 1990 erfolgten Sitzungsausschluß 16394 B Tagesordnungspunkt 20: Wahl des Wehrbeauftragten Biehle CDU/CSU 16399 B Ergebnis 16399 B Tagesordnungspunkt 21: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Bericht über den Stand der Verhandlungen mit der DDR in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Vertrag über die polnische Westgrenze (Drucksache 11/6951) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat am Prozeß der deutschen Einigung (Drucksache 11/6952) Seiters, Bundesminister BK 16394 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16399 C Bohl CDU/CSU 16403 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. April 1990 Frau Dr. Vollmer GRÜNE 16406 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 16408 D Wüppesahl fraktionslos 16413 A Frau Matthäus-Maier SPD 16414 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 16415 D Lintner CDU/CSU 16418B Häfner GRÜNE 16420 D Mischnick FDP 16421 D Dreßler SPD 16422 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 16425 A Dreßler SPD 16425 D Dr. Briefs GRÜNE 16427 B Frau Unruh fraktionslos 16428A Stobbe SPD 16428 D Vizepräsident Cronenberg 16420 C Zusatztagesordnungspunkt: Eidesleistung des Wehrbeauftragten Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 16431 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und Ausnahmezustand in den kurdischen Provinzen Frau Beer GRÜNE 16431 C, 16435 A Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 16432 B Dr. Glotz SPD 16432 D Dr. Hirsch FDP 16433 C Frau Luuk SPD 16434 D Nächste Sitzung 16435 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .16437 * A Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl (GRÜNE) 16437 *B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 16437 * C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. April 1990 16387 208. Sitzung Bonn, den 27. April 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Bahr SPD 27. 04. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 27. 04. 90 Büchner (Speyer) SPD 27. 04. 90 * Buschbom CDU/CSU 27. 04. 90 Frau Conrad SPD 27. 04. 90 Frau Frieß GRÜNE 27. 04. 90 Grünbeck FDP 27. 04. 90 Dr. Hauchler SPD 27. 04. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 27. 04. 90 Kolb CDU/CSU 27. 04. 90 Koltzsch SPD 27. 04. 90 Leidinger SPD 27. 04. 90 Frau Limbach CDU/CSU 27. 04. 90 Petersen CDU/CSU 27. 04. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 27. 04. 90 Reuschenbach SPD 27. 04. 90 Frau Schoppe GRÜNE 27. 04. 90 Schröer (Mülheim) SPD 27. 04. 90 Wiefelspütz SPD 27. 04. 90 Frau Wollny GRÜNE 27. 04. 90 Würtz SPD 27. 04. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl (GRÜNE) Hiermit erheben wir, Frau Oesterle-Schwerin, MdB, und German Meneses Vogl, MdB, Einspruch gegen den von Vizepräsident Stücklen in der 207. Sitzung am 26. April 1990 ausgesprochenen Ausschluß unserer Person gem. § 39 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Begründung Bei dem § 38 GO-BT handelt es sich um die schärfste Ordnungsmaßnahme, die ein amtierender Präsident während einer Sitzung des Bundestags anwenden kann. Ein Blick in die Kommentierung Ritzel/Bücker Nr. I zu Abs. 1 unter a) aufgeführten schweren und fortgesetzten Störungen der parlamentarischen Ordnung macht überdeutlich, daß das lediglich schweigende Enthüllen eines Transparentes im Bundestag eine solche Maßnahme nicht im mindesten rechtfertigt. Wir haben weder die „Amtshandlungen des amtierenden Präsidenten namentlich durch dauerndes Schreien" behindert oder den „Redner durch fortgesetzte Unterbrechungen seiner Rede" gestört, oder etwa „Tätlichkeiten", „grobe Beschimpfungen des Anlagen zum Stenographischen Bericht Präsidenten oder der Abgeordneten" oder „gegenüber Bundesorganen" von uns gegeben. Das Transparent, welches die Aufschrift „Ausländergesetz - Die Demokratie stirbt weiter" hatte, ist eine politische Meinungsäußerung, die auch in einer Rede hätte verwendet werden können und die keine Verletzung gem. § 38 unserer Geschäftsordnung darstellt. Schon das Grundgesetz verbrieft in Art. 5 Abs. 1 das Recht eines jeden Menschen auf die Verbreitung seiner Meinung in Wort, Schrift und Bild. Dies kann die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages nicht beschneiden. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. April 1990 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Viertes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts Drittes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und anderer wehrrechtlicher Vorschriften Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/5950 Drucksache 11/6075 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/5860 Drucksache 11/555 Drucksachen 11/2677, 11/2678 Drucksache 11/3478 Drucksache 11/3917 Drucksache 11/4804 Drucksache 11/5786 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/6423 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/4019 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 5. April 1990 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1989 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Nachtrag zum Wirtschaftsplan 1989 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Holzschnittartig muß ich Stellung nehmen, denn fünf Minuten sind wenig Zeit. Das, was Sie hier gesagt haben, Herr Kollege Häfner — Kapitulationsurkunde, Knebelungs-



    Mischnick
    vertrag — , ist so unqualifiziert, daß es keinen Sinn hat, sich darüber auseinanderzusetzen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Häfner [GRÜNE]: Sie machen es sich einfach!)

    Dazu, daß die Diskussion über die Verrechnung 1: 2 verunsichert hat, darf ich feststellen, daß der Bundeskanzler dazu über Wochen nichts gesagt hat, daß andere die Diskussion geführt haben.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das durfte er nicht zulassen!)

    Zum Stichtag: Ich bin für die Festlegung eines Stichtages möglichst im September des vergangenen Jahres, damit die Gesamtentwicklung, Prag, Budapest, nicht dazu führt, daß ungerechtfertigte Bereicherungen drüben stattfinden können. Das alles müssen wir mit der DDR absprechen.
    Zur Mißbrauchsklausel teile ich selbstverständlich Ihre Meinung, daß das von der DDR formuliert werden muß. Da können wir nichts vorgeben.
    Eine Umwandlung der Betriebe in der DDR ist notwendig, ein Strukturwandel ist erforderlich. Deshalb ist eine entsprechende Umschulung vorrangig vor Zahlung von Arbeitslosengeld. Absolut einverstanden.
    Sie sehen, wir haben eine ganze Menge Dinge, die sehr miteinander übereinstimmen.
    Zu einem weiteren Punkt will ich nur feststellen: Wir wollen keine Steuern erhöhen, wir werden keine Steuern erhöhen, auch nicht die Mehrwertsteuer. Wenn Sie von der Opposition immer davon sprechen, muß man langsam auf den Verdacht kommen, daß Sie es selber wollen. Aber ich gehe davon aus, daß auch Sie es nicht wollen. Wir wollen sie nicht haben.
    Es ist mit Recht gesagt worden: Übersiedler sind teurer, als wenn man direkt handelt. Was ist die Quintessenz daraus? Alle Verunsicherung, die auf Verzögerungen hinausläuft, erhöht die Übersiedlerzahl. Alles, was auf Tempo drückt, hält sie niedriger. Deshalb komme ich zu dem Ergebnis:
    Erstens. Gesamtdeutsche Wahlen müssen so schnell wie möglich stattfinden.

    (Beifall bei der FDP)

    Zweitens. Voraussetzung dafür ist, daß die DDR den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland erklärt. Ich bin überzeugt, das wird relativ schnell geschehen.
    Drittens. Wenn dies schnell geschieht, müssen wir hier eine entsprechend schnelle Reaktion haben. Deshalb ist für mich das Günstigste, wenn die Bundestagswahl eine gesamtdeutsche Wahl wird, um zu vermeiden, daß das, was an Vertrauen bisher drüben investiert worden ist, nicht verschwindet, daß das Mißtrauen wieder größer wird und daß man Sorge hat, die Entwicklung wäre doch nicht unumkehrbar. Deshalb muß versucht werden, hier so schnell wie möglich zu handeln.

    (Beifall bei der FDP)

    International muß das alles abgesichert sein. Es ist spürbar, daß man international eine schnelle Lösung durchaus für sinnvoll hält, nicht zuletzt deshalb, weil man weiß, daß man sich, je schneller die Lösung kommt, wieder den gemeinsamen europäischen Problemen zuwenden kann; denn ein kurzer Zeitraum zwischen einer gesamtdeutschen Wahl und dem 1. Januar 1993, dem Stichtag des Gemeinsamen Marktes, wäre schlecht, ein längerer Zeitraum ließe die Übergangsfristen auch für die DDR leichter werden. Deshalb auch im Interesse der europäischen Zusammenarbeit so schnell wie möglich gesamtdeutsche Wahlen! Das alles bedingt natürlich eine Entscheidung der DDR, das ist selbstverständlich. Daß aber auch wir darauf vorbereitet sein müssen, in diesem Tempo mitzugehen, halte ich für notwendig. Ich wehre mich gegen alle Überlegungen, die eine solche schnelle Lösung erschweren, weil sie in Wahrheit die Dinge nicht nur teurer machen, nicht nur politisch schwerer machen, sondern auch im Gegensatz zum Willen der Menschen stehen, die wir am 9. November nach der Entscheidung in der DDR so herzlich begrüßt haben. Die Menschen wollen die schnelle Einheit, die schnelle gesamtdeutsche Wahl. Tun wir alles, damit das auch eintritt!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.

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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem waren wir uns in diesem Hause am 9. November alle einig: daß den Menschen in der DDR unser ganzer Respekt gilt. Was aus dieser Einigkeit über den Respekt vor den Menschen jetzt geworden ist, wo der Zug zur Einheit rollt, ist es wert, ein wenig hinterfragt zu werden.
    Ministerpräsident de Maizière hat wohl zu recht darauf hingeweisen, daß die Menschen in der DDR etwas einzubringen haben in das gemeinsame Deutschland.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Richtig!)

    Aber er hatte auch Anlaß, auf diese Tatsache hinzuweisen; denn überdeutlich waren die Versuche von bundesdeutscher Seite, überheblich zu bevormunden.
    Wir sind uns doch, zumindest den verbalen Bekundungen nach, einig: Wirtschaftliche und finanzielle Macht darf nicht zu politischer Macht umgemünzt, ja mißbraucht werden. Das ist das Wesen sozialer Demokratie. Gilt dies etwa nicht für unser Verhältnis gegenüber der DDR und ihren Bürgern?
    In vielen Maßnahmen der Bundesregierung gegenüber der DDR erkenne ich die Anwendung der Prinzipien einer Politik des goldenen Zügels. Entspricht das dem Respekt vor den Menschen in der DDR, oder ist der Respekt des November 1989 hier nicht der Respektlosigkeit des April 1990 gewichen?
    Wir sind doch stolz darauf, daß die Deutschen in der DDR ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrgenommen haben. Sollen sie das etwa jetzt bei der Bundesregierung abliefern? Weder der Deutsche Bundestag noch die Bundesregierung haben ein Mandat, für die Menschen in der DDR zu sprechen und zu handeln. Der Ministerpräsident der DDR heißt nicht mehr Stoph oder Modrow, er hat ein demokratisches Man-



    Dreßler
    dat. Die Volkskammer spricht jetzt wirklich für die DDR. Es ist mehr als notwendig, die Bundesregierung eindringlich zu ermahnen, daß sie sich daran hält.
    CDU und CSU haben der DDR-Bevölkerung suggeriert, sie brauche nur die Allianz zu wählen; dann seien alle Probleme gelöst; dann könne jeder so leben, wie es im Werbefernsehen von ARD und ZDF zu sehen ist. Nur stürmische Proteste im Osten wie im Westen haben die Bundesregierung daran gehindert, einen Wahlbetrug zu begehen und den Menschen in der DDR die in Aussicht gestellte Währungsumstellung von 1 : 1 zu verweigern.
    Ich denke, hier wird ein gefährliches Spiel gespielt. Der CDU/CSU muß doch klar sein, daß mit dieser Politik in der DDR genau jener Partei in die Hände gespielt wird, die Verursacherin der dortigen Misere ist, der SED-Nachfolgeorganisation PDS.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß Sie ausgerechnet dieser Organisation die Möglichkeit bieten, sich in der Maske des Biedermannes zu präsentieren und die Chance zu dem Argument zu liefern: Wir haben doch immer gesagt, daß die euch das Fell über die Ohren ziehen, ist für mich besonders bedrückend.
    Nach Schätzungen aus dem Arbeitsministerium Bonn beträgt der durchschnittliche Bruttolohn in der DDR im Jahre 1990 1 142 Mark. Das ergibt Netto — ebenfalls nach Schätzungen des Ministeriums —962 Mark. Es muß aber berücksichtigt werden: Durch den Abbau von Subventionen für Lebensmittel, Wohnungen etc. entsteht ein Realeinkommensverlust von mindestens 150 Mark im Monat.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Hört! Hört!)

    Die Regierung will ferner, daß die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer von zur Zeit 10 % auf 17,9 % erhöht werden. Der durchschnittliche Nettolohn nach der Währungsunion beträgt also 720 DM und nicht mehr 960 DDR-Mark. Der Reallohn wird um ein glattes Viertel gekürzt. Das wahre Umtauschverhältnis für Arbeitnehmer, so wie es dem Entwurf des Staatsvertrages zugrunde liegt, beträgt demnach i : 1,33 oder — klarer ausgedrückt — etwa 3 : 4.
    Wissen Sie eigentlich, wie es dann für die Rentner aussieht? Weder ein Ausgleich für die bisherigen Subventionen noch eine angemessene Fortführung der dort bestehenden und bewährten Mindestrenten ist vorgesehen. Was die Bundesregierung hier vorhat, wird das Thema Altersarmut in der DDR auf die Tagesordnung setzen.

    (Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ein einfaches Zahlenbeispiel illustriert das Manöver, das die Bundesregierung mit den Rentnern in der DDR vorhat. Ein Durchschnittsverdiener mit 45 Versicherungsjahren, der 1990 Rentner wird, erhält heute 480 Mark Rente und, wenn entsprechende freiwillige Beiträge gezahlt wurden, 120 Mark Zusatzrente, zusammen also 600 Mark. Nach der Systemumstellung, wie sie die Bundesregierung will, bekommt er 70 % des durchschnittlichen Nettolohnes. Das wären rund 670 DM. Gleichzeitig jedoch sollen die Subventionen für den täglichen Grundbedarf ohne Ausgleich wegfallen.

    (Frau Unruh [fraktionslos]: Unmöglich!)

    Das macht pro Kopf 150 bis 200 DM Realeinkommensverlust aus. Der Rentner, der vorher 600 Mark erhielt, bekommt dann wirklich nur noch rund 470 bis 520 DM. Sozialunion à la Kohl heißt also für die Rentner nach Entwurfstext: Realeinkommenskürzung um 20%.
    Was die DDR-Rentenregelung für die Bundesrepublik bedeuten wird, hat die Bundesregierung bis heute morgen verschwiegen. Sie weigert sich, die Kosten zu nennen, vor allem aber, wer dafür geradestehen soll. Es fehlt die klare Aussage, daß die Stützung der Rentenversicherung der DDR nicht Sache der Beitragszahler der Bundesrepublik, sondern des Bundeshaushalts ist.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    In diesem Zusammenhang will ich für die SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich die unmißverständliche Stellungnahme des FDP-Vorsitzenden Graf Lambsdorff von heute morgen begrüßen,

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Wenigstens etwas, worüber Sie sich freuen!)

    weise aber darauf hin, Herr Kollege Vogel, daß ausgerechnet Ihr Fraktionskollege Lintner hier just vor wenigen Minuten für die CDU/CSU freimütig zugegeben hat, daß sie beabsichtigt, in die Rentenkasse zu greifen.

    (Zustimmung der Abg. Frau Unruh [fraktionslos] — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Leider, leider!)

    Es wird also noch ein hartes Stück Arbeit sein, mit der FDP und der SPD zusammen Herrn Waigel und die CDU/CSU an diesem Griff in die Rentenkasse und damit in die Taschen der Beitragszahler zu hindern.

    (Beifall bei der SPD — Lintner [CDU/CSU]: Herr Dreßler, ich habe zugesagt: Es wird zurückgezahlt! — Gegenruf der Abg. Frau Unruh [fraktionslos]: Es wird nicht zurückgezahlt! Das haben Sie nie getan!)

    Natürlich hat das Schweigen Gründe gehabt. Es ist ja mittlerweile in vielen Gazetten zu lesen gewesen, womit wir da rechnen müssen. Wenn das so liefe, käme — Herr Lintner, das sage ich Ihnen — zum Betrug an den DDR-Rentnern in dem von mir aufgezeigten Zusammenhang der Rentenbetrug in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1990 hinzu.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Wer den gesundheitspolitischen Teil Ihres Arbeitspapiers zu einem Staatsvertrag prüft, stößt auf Erstaunliches. Das Motto möchte ich so überschreiben: Bevormundung, präjudizieren, überstülpen. Statt in diesen Tagen, in dieser Stunde einmal innezuhalten und zusammen mit den Verantwortlichen in der DDR zu überlegen, wie wir zu einem vernünftigen gemeinsamen Ganzen im Gesundheitswesen kommen können, wollen Sie unser System einfach exportieren.



    Dreßler
    Natürlich verkenne ich nicht den Druck, den die unübersichtliche und interessenverfilzte Verb ands-landschaft des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik auf die Politik ausübt, wenn es um die Neugestaltung des Gesundheitswesens in der DDR geht. Da trappeln schon viele mit den Hufen, es herrscht so etwas wie Goldgräberstimmung; jeder war schon da, und jeder hat seine Claims abgesteckt.

    (Zuruf von der SPD)

    Aber diesem Druck gilt es zu widerstehen, und zwar — wenn das vernünftig liefe — gemeinsam. Es ist nämlich nicht Klientelpolitik gefordert, sondern die zügige Erarbeitung und Umsetzung eines in sich geschlossenen Gesamtkonzeptes, das die Menschen überzeugt und das die sich bietende Chance nutzt, beim Aufbau eines gemeinsamen gesamtdeutschen Gesundheitswesens die Fehler und Mängel unseres Systems zu überwinden.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Ich habe nicht den Eindruck, daß die Bundesregierung mit ihrem Arbeitspapier dem Druck der Verbände standhält. Im Gegenteil, sie hat dort textlich bereits nachgegeben. Sie ist insoweit drauf und dran, den politischen Verstand in dieser Frage an der Garderob e von Interessenverbänden abzugeben.
    Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Vereinbarung der Partner der DDR-Regierungskoalition. Hier ist der vernünftige Weg vorgezeichnet. Es ist richtig, beim Aufbau einer Krankenversicherungsorganisation in der DDR mit einem Krankenversicherungsträger in jeder Region zu beginnen, und zwar mit einem Träger, der kassenneutral ist. Mit einer solchen Regelung würde nichts präjudiziert oder vorweggenommen. Sie schafft aber Zeit und Raum für Überlegungen. Sie vertagt die Entscheidung darüber, ob in der DDR das sogenannte gegliederte System bundesdeutscher Art übernommen werden soll, auf jenen Zeitpunkt, an dem sie sinnvollerweise ohnehin erst getroffen werden kann, nämlich wenn ein Grundgerüst der Krankenversicherung steht und die entsprechende Betreuung für die Menschen erst einmal sichergestellt ist.
    Warum gehen Sie diesen vernünftigen Weg nicht? Frühere Entwurfsfassungen zum Staatsvertrag sahen dies ja vor. Was hat Sie eigentlich dazu veranlaßt, davon abzurücken? Aber vor allem interessiert uns die Frage: Wer steckt dahinter?
    In früheren Entwurfsfassungen zum Staatsvertrag war auch für die Krankenversicherung in der DDR eine Anschubfinanzierung aus Bundesmitteln vorgesehen, wenn die Beitragseinnahmen die Leistungsausgaben nicht abdecken. Im jetzt präsentierten Entwurf ist die Anschubfinanzierung weggefallen. Auch der Bundesregierung muß doch klar sein: Ohne Anschubfinanzierung ist die Krankenversicherung in der DDR nicht auf die Beine zu stellen. Wenn die Bundesregierung sie verweigert, hat dies für die Menschen in der DDR entweder den Preis einer schlechten Gesundheitsversorgung oder den Preis einer kaum tragbaren Beitragslast. Sie zwingen die DDR also in eine verhängnisvolle, sozial unverantwortbare Alternative. Ich füge hinzu: Sie wollen der DDR einerseits ein
    Krankenversicherungssystem aufzwingen, das sie jetzt und so gar nicht will, und als Belohnung dafür streichen Sie die ihr in Aussicht gestellte Anschubfinanzierung mit der Folge extremer Beitragsbelastungen für die Menschen. Das ist eine politische Provokation.
    Da wir gerade beim Thema der Provokation sind: Unter dieses Rubrum fallen auch die Vorschläge zur Finanzierung der in der DDR neu aufzubauenden Unfallversicherung. Jeder weiß, daß in der Bundesrepublik die Beiträge zur Unfallversicherung ausschließlich vom Arbeitgeber getragen werden. Wie kommt die Bundesregierung eigentlich dazu, der DDR eine Regelung zuzumuten, nach der sich die Arbeitnehmer zur Hälfte an den Beiträgen zur Unfallversicherung zu beteiligen haben? Krasser als hier kann man die Ungleichbehandlung und Benachteiligung doch kaum zum Ausdruck bringen. Sollte allerdings hinter dieser Ungleichbehandlung die Absicht stecken, über den Umweg DDR auch in der Bundesrepublik die Beteiligung der Arbeitnehmer zur Hälfte an den Beiträgen zur Unfallversicherung herbeizutricksen,

    (Frau Unruh [fraktionslos]: Natürlich! — Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    dann sage ich der Bundesregierung: Ich warne Neugierige. Wir würden diesen unanständigen Versuch der Fortsetzung Ihrer Umverteilungspolitik zum Scheitern bringen. Sie haben also noch Zeit, Klarheit zu schaffen.
    Meine Damen und Herren, die DDR braucht starke Gewerkschaften. Koalitionsfreiheit muß gewährt und Tarifautonomie muß gesichert werden. Die DDR braucht ein Tarifvertrags- und ein Betriebsverfassungsgesetz, aber ein Betriebsverfassungsgesetz mit Zähnen und nicht eines, das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der DDR schutzlos werden läßt, wenn es zum Schlimmsten, nämlich dem Verlust des Arbeitsplatzes, kommt. Die Beschäftigten in der Bundesrepublik haben nicht vergessen, daß Herr Blüm die Bestimmungen für Sozialpläne bei Konkursen und Vergleichen verschlechtert hat. Aber daß Sie jetzt der DDR eine Betriebsverfassung zumuten wollen, in der die Bestimmungen über den Sozialplan ganz gestrichen werden, das nenne ich wirklich ungeheuerlich und inakzeptabel.
    In der DDR gibt es keine offene Arbeitslosigkeit. Die ersten Erfahrungen der Menschen in der DDR mit Arbeitsämtern dürfen nicht Verwaltung von Arbeitslosigkeit heißen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit dem Verlust von 1 Million Arbeitsplätzen. Andere Einschätzungen gehen weit darüber hinaus. Es ist notwendig, mit Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sofort zu beginnen, und zwar noch vor dem angekündigten Stichtag der Währungsunion. Ich erinnere erneut daran: Seit Mitte Dezember letzten Jahres steht das Angebot der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, bei Umschulungsmaßnahmen in der DDR zu helfen. Die Bun-



    Dreßler
    desregierung muß dieses Angebot endlich nutzen. Zuviel wertvolle Zeit ist verloren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich das Papier für den Staatsvertrag abschließend bewerte, so komme ich bei dem Kapitel Sozialunion unabhängig von vielen im Detail richtigen Regelungen zu folgendem Urteil. Es atmet den Geist der Allwissenheit und Unfehlbarkeit. Es dominiert die DDR, wo Partnerschaft gefragt ist. Es ist zumindest vom Text her in der Gefahr, die DDR als Hebel zu mißbrauchen, um die Politik des Sozialabbaus in der Bundesrepublik fortzusetzen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Daß die DDR-Regierung diesen Entwurf eines Staatsvertrages so nicht akzeptiert, ist wohl verständlich. Dieser Entwurf ist, Herr Blüm, was Ihre Handschrift betrifft, kein guter Anfang für ein einiges Deutschland.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])