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ID1120802800

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    Plenarprotokoll 11/208 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 208. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. April 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 16387 A Antrag des Abg. Wüppesahl (fraktionslos) nach § 126 der Geschäftsordnung . . . . 16387 C Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. September 1988 zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, Regierungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation, der Regierung Japans und der Regierung Kanadas über Zusammenarbeit bei Detailentwurf, Entwicklung, Betrieb und Nutzung der ständig bemannten zivilen Raumstation (Drucksachen 11/4576, 11/6858) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt (Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz) (Drucksachen 11/ 5994, 11/6859) Dr. Rüttgers CDU/CSU 16388 A Fischer (Homburg) SPD 16389 B Dr.-Ing. Laermann FDP 16391 A Dr. Briefs GRÜNE 16391 D Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 16392 D Vosen SPD 16393 B Zusatztagesordnungspunkt: Einspruch der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl gegen den am 26. April 1990 erfolgten Sitzungsausschluß 16394 B Tagesordnungspunkt 20: Wahl des Wehrbeauftragten Biehle CDU/CSU 16399 B Ergebnis 16399 B Tagesordnungspunkt 21: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Bericht über den Stand der Verhandlungen mit der DDR in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Vertrag über die polnische Westgrenze (Drucksache 11/6951) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat am Prozeß der deutschen Einigung (Drucksache 11/6952) Seiters, Bundesminister BK 16394 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16399 C Bohl CDU/CSU 16403 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. April 1990 Frau Dr. Vollmer GRÜNE 16406 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 16408 D Wüppesahl fraktionslos 16413 A Frau Matthäus-Maier SPD 16414 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 16415 D Lintner CDU/CSU 16418B Häfner GRÜNE 16420 D Mischnick FDP 16421 D Dreßler SPD 16422 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 16425 A Dreßler SPD 16425 D Dr. Briefs GRÜNE 16427 B Frau Unruh fraktionslos 16428A Stobbe SPD 16428 D Vizepräsident Cronenberg 16420 C Zusatztagesordnungspunkt: Eidesleistung des Wehrbeauftragten Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 16431 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und Ausnahmezustand in den kurdischen Provinzen Frau Beer GRÜNE 16431 C, 16435 A Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 16432 B Dr. Glotz SPD 16432 D Dr. Hirsch FDP 16433 C Frau Luuk SPD 16434 D Nächste Sitzung 16435 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .16437 * A Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl (GRÜNE) 16437 *B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 16437 * C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. April 1990 16387 208. Sitzung Bonn, den 27. April 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Bahr SPD 27. 04. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 27. 04. 90 Büchner (Speyer) SPD 27. 04. 90 * Buschbom CDU/CSU 27. 04. 90 Frau Conrad SPD 27. 04. 90 Frau Frieß GRÜNE 27. 04. 90 Grünbeck FDP 27. 04. 90 Dr. Hauchler SPD 27. 04. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 27. 04. 90 Kolb CDU/CSU 27. 04. 90 Koltzsch SPD 27. 04. 90 Leidinger SPD 27. 04. 90 Frau Limbach CDU/CSU 27. 04. 90 Petersen CDU/CSU 27. 04. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 27. 04. 90 Reuschenbach SPD 27. 04. 90 Frau Schoppe GRÜNE 27. 04. 90 Schröer (Mülheim) SPD 27. 04. 90 Wiefelspütz SPD 27. 04. 90 Frau Wollny GRÜNE 27. 04. 90 Würtz SPD 27. 04. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl (GRÜNE) Hiermit erheben wir, Frau Oesterle-Schwerin, MdB, und German Meneses Vogl, MdB, Einspruch gegen den von Vizepräsident Stücklen in der 207. Sitzung am 26. April 1990 ausgesprochenen Ausschluß unserer Person gem. § 39 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Begründung Bei dem § 38 GO-BT handelt es sich um die schärfste Ordnungsmaßnahme, die ein amtierender Präsident während einer Sitzung des Bundestags anwenden kann. Ein Blick in die Kommentierung Ritzel/Bücker Nr. I zu Abs. 1 unter a) aufgeführten schweren und fortgesetzten Störungen der parlamentarischen Ordnung macht überdeutlich, daß das lediglich schweigende Enthüllen eines Transparentes im Bundestag eine solche Maßnahme nicht im mindesten rechtfertigt. Wir haben weder die „Amtshandlungen des amtierenden Präsidenten namentlich durch dauerndes Schreien" behindert oder den „Redner durch fortgesetzte Unterbrechungen seiner Rede" gestört, oder etwa „Tätlichkeiten", „grobe Beschimpfungen des Anlagen zum Stenographischen Bericht Präsidenten oder der Abgeordneten" oder „gegenüber Bundesorganen" von uns gegeben. Das Transparent, welches die Aufschrift „Ausländergesetz - Die Demokratie stirbt weiter" hatte, ist eine politische Meinungsäußerung, die auch in einer Rede hätte verwendet werden können und die keine Verletzung gem. § 38 unserer Geschäftsordnung darstellt. Schon das Grundgesetz verbrieft in Art. 5 Abs. 1 das Recht eines jeden Menschen auf die Verbreitung seiner Meinung in Wort, Schrift und Bild. Dies kann die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages nicht beschneiden. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. April 1990 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Viertes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts Drittes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und anderer wehrrechtlicher Vorschriften Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/5950 Drucksache 11/6075 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/5860 Drucksache 11/555 Drucksachen 11/2677, 11/2678 Drucksache 11/3478 Drucksache 11/3917 Drucksache 11/4804 Drucksache 11/5786 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/6423 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/4019 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 5. April 1990 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1989 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Nachtrag zum Wirtschaftsplan 1989 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
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    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte wollte Oskar Lafontaine reden. Nun, da er nicht reden kann, fehlt er schon, bleibt eine Leerstelle in dieser Debatte. Ich wünsche ihm — auch im Namen meiner Fraktion — daß er sich die Zeit nimmt, richtig gesund zu werden. Es heißt ja, daß er schon wieder so weit bei sich ist, daß er bereits wieder freche Bemerkungen macht. Das ist beruhigend. Aber er wird noch mehr Mut brauchen. Er wird ja nicht nur im Saarland gebraucht, sondern eigentlich für einen Machtwechsel hier in Bonn, und das ist noch ein schweres Stück Arbeit.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Vor allem dauert es noch lange, lange, lange!)

    Ich wünsche ihm, daß er nach diesem Attentat keinen Knacks in seiner Seele behält, wenn er nämlich verarbeiten muß, was wir alle wissen und immer verdrängen: daß Politik auch ein existentiell gefährlicher Beruf ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Dieses Attentat auf Oskar Lafontaine war nicht nur ein unmenschlicher, ein wahnsinniger und ein absurder Zufall — das war es auch —; wir sollten es aber auch zum Anlaß nehmen, über die Stimmung in unserem Land nachzudenken. Wir sollten uns alle fragen, ob denn dieser politische und soziale Hochdruck noch lange verkraftbar ist.
    Ich frage mich schon seit längerem, warum der Prozeß der deutschen Einigung so wenig das ist, was er eigentlich sein könnte. Die deutsche Einheit, das Entstehen eines neuen Deutschlands war lange ein Traum der politischen Linken in diesem Land, und darauf bestehe ich auch. Das Zusammenwachsen zweier Gesellschaften mit teils unterschiedlichen und teils gemeinsamen Mentalitäten und Kulturen hätte eine große kreative Phase in der Geschichte dieser Republik sein können.
    Warum ist das nicht so? Warum müssen wir soviel kritisieren? Warum erleben wir einen fast unmenschlichen Druck und eine so große Beklemmung? Warum gehen wir in diese deutsche Einheit wie in die Fabrik am Montagmorgen?
    Ich sehe dafür zwei Gründe: Erstens die Unterwerfung und damit die faktische Leugnung eines eigenständigen DDR-Beitrags in diesem kulturellen Großexperiment des Zusammenwachsens zweier Gesellschaften — von der DDR soll nicht viel bleiben, nur so etwas wie ein Phantomschmerz — und zweitens die Tatsache, daß die Politik in dieser Phase einfach nicht zum ehrlichen Reden kommt. Es wird so sehr gelogen, daß sich die Balken biegen, und es wird so sehr geglaubt, daß man sich nur wundern kann.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Soll ich Ihnen einen Spiegel holen?)

    Niemand traut sich in diesem Haus und in der Öffentlichkeit, die Kosten der Einheit und des Aufbaus der DDR wirklich zu nennen. Für die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung in der DDR greift die Regierung einfach in die Kasse der Bundesanstalt für Arbeit. Die Reserven der Bundesanstalt für Arbeit gehören aber nicht Norbert Blüm, sondern den Beitragszahlern.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Was jetzt geschieht, ist ein verdeckter Beitragsklau auf Raten. Es wird gleichzeitig nie und an keiner Stelle zugegeben, daß die DDR auch mit dem Umtauschkurs von 1 : 1 am 2. Juli in ein gewaltiges soziales Sommerloch fallen wird. Niemand weiß bisher, wie es zu stopfen sein wird, aber die Wahrheit ist: Die DDR bekommt mit der D-Mark eben nicht den BRD-Wohlstand, sie wird ihn auch auf Jahre nicht bekommen, sie bekommt zunächst Massenarbeitslosigkeit.
    Den Umtauschkurs von 1 : 1 begrüßen wir durchaus, aber er löst nicht im mindesten die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, und das muß man auch sagen. Und warum sagt niemand in der Regierung den Westdeutschen, daß sie mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, mit einem Anstieg der Zinssätze und mit der Gefahr der Inflation zu rechnen haben?
    Es wird nicht offen darüber geredet, daß die Länder über den Länderfinanzausgleich auf Jahre zur Kasse gebeten werden und damit die Bürger über diese Länderebene auf der zweiten und dritten Ebene belastet werden.
    Immer wieder werden die Ökonomen von den Politikern zum Schweigen gebracht, bis sie dann endlich in ihrer ironischen Sprache, wie Herr Pöhl sie benutzt, zugeben, daß die entsprechenden Entscheidungen eben „politisch" vernünftig seien. Das heißt im Klartext: Ökonomisch gehen wir so in dieser Eile den allerteuersten der möglichen Wege. Gerade bei der schnellen Einheit werden viele Betriebe der DDR als konkurrenzunfähig ruiniert, die bei langsamem Vorgehen durchaus hätten reformiert werden können.



    Frau Dr. Vollmer
    Ich habe mich lange gefragt, warum die Analyse von Herrn Pöhl, die ja irgendwo säuberlich in schriftlicher Form vorliegen muß, eigentlich noch nicht im „Spiegel" erschienen ist. Der „Spiegel" ist ja eine Zeitschrift, die an die geheimsten Stasi-Akten herankommt, ebenso wie an die Regierungspapiere, lange bevor die Parlamentarier sie erhalten. Wieso ist eigentlich die Analyse der Bundesbank noch nirgendwo öffentlich gemacht worden?
    Öffentlich werden dagegen Debatten über lauter Zahlen geführt: 2: 1 oder 1: 1, Art. 23 oder Art. 146. Den Menschen in beiden Teilen Deutschlands wird bei diesen Zahlenspielen und bei dieser Berg- und Talfahrt von Hoffnung und Ohnmacht schwindelig, und das ist, glaube ich, auch der Sinn der Übung. Sie werden unmündig gehalten, damit sie alles den Bürokraten und Experten in den Regierungsetagen überlassen.
    Die Absicht der Regierung bei diesem Versteckspiel ist klar: Sie will bei ihrem Tun möglichst wenig vom Parlament und von der Öffentlichkeit gestört werden; deswegen schaltet sie beides auch möglichst weitgehend aus. Funktionieren kann es aber bloß, wenn eine Opposition in der DDR und in der BRD kaum noch stattfindet oder kaum noch stattfinden kann. Deswegen kritisieren wir zusammen mit dem Bündnis 90, daß sich die SPD in der DDR als Juniorpartner in die Regierung eingereiht hat. Wir kritisieren es auch deswegen, weil wir meinen, daß damit auch die SPD-Opposition hier gebunden ist. Statt einer großen öffentlichen Debatte, die einen Konsens in der Gesellschaft sucht, geht es immer mehr um einen Konsens zwischen den großen Machtzentralen, und wir fürchten ein bißchen, daß unter der Heussallee schon an einem Geheimgang zwischen Baracke und Kanzleramt gebaut wird.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So sieht es aus! Das ist unsere neueste Sorge!)

    Die Menschen in Deutschland werden unruhig, sie werden mißtrauisch, sie fragen immer wieder bohrend zurück, wenn ein und dieselbe Milliarde gleich dreimal verteilt wird. Schließlich wird ihnen die Antwort gegeben, die alle denkbaren Interessengegensätze und Zielkonflikte geradezu klassisch bereinigen soll: Es wird eben ein riesiges Wachstum in Großdeutschland geben. „Wachstum", das ist das Zauberwort, Wachstum in der BRD und Wachstum in der DDR.
    Da bin ich denn beim Hauptgrund der beklommenen Stimmung im Land. Bei diesem magischen Wort Wachstum wird eben nicht mehr vorbehaltlos in die Hände geklatscht oder gespuckt. Alle wissen nämlich, daß in derselben Zeit, in der dieses neue, große, ökonomisch potente Deutschland entsteht, ganz andere, größere Probleme wachsen, die unser Leben in Zukunft mehr bestimmen werden als jede staatliche Verfaßtheit irgendeines Landes.
    Die Klimakatastrophe hat in diesem selben Jahr mit der Deutlichkeit von Orkanen laut und mehrmals an unsere Tür geklopft. Sie hat uns klargemacht, daß es mit dem Wachstum eben nicht mehr weitergeht. Auf diese große Zukunftsfrage aber hat die Regierung nicht den Hauch einer Antwort. Zwar hat der Umweltminister auf einer Konferenz irgendwo weitab in den USA sagen dürfen, daß die Klimakatastrophe eigentlich nur zu verhindern wäre, wenn die Industriestaaten mindestens eine Generation lang ohne Wachstum auskämen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die DDR kommt schon die ganze Zeit ohne Wachstum aus! Und wie miserabel sieht es dort aus!)

    — das sagt sich schön auf einer Konferenz in der USA — , aber im Staatsvertrag steht gerade dazu nichts.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dem bedauernswürdigen Herrn Töpfer hat der ganze Staatsvertrag keinen Platz für eine ökologische Rahmenplanung gelassen.

    (Hüser [GRÜNE]: Er hat den wahrscheinlich noch nicht gelesen!)

    In diesem Wirtschaftswunder-Vertrag stehen dazu nur ein paar harmlose Floskeln, die gerade ein ganzes Drittel auf der allerletzten Seite einnehmen dürfen, unter dem schönen verräterischen Titel: „Regelungen, die im weiteren Verlauf noch anzustreben sind".

    (Häfner [GRÜNE]: Hört! Hört!)

    Es besteht also ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem Wachstum für das Vaterland und der Schrumpfung für das Klima und die Überlebenschancen der Erde. Darüber hilft auch die gekünstelte nationale Euphorie des Kanzlers in seiner leibhaftigen Größe nicht hinweg,

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Da haben Sie wohl einen Komplex!)

    die ohnehin weniger vom Herzen als von der Gesäßtasche kommt.
    Dieser D-Mark-Nationalismus kennt, wie Jürgen Habermas sagt, nur eine Rechnungseinheit für alle Themen: D-Mark-Wachstum und Wirtschaftswunder. Alle merken es: Diese Wachstumsmilitanz, dieser Wirtschaftswunder-Glaube erinnern an die 50er Jahre. Auch die Atmosphäre in der DDR erinnert an die 50er Jahre, in vielen kulturellen Einzelheiten. Auch die soziale Stimmung hier im Land erinnert an die 50er Jahre, und auch der Trotz und die mürrische Stummheit der Jugendlichen in diesem Land erinnern an die 50er Jahre.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie denn eigentlich?)

    Aber da lag doch etwas dazwischen, zwischen 1955 und 1990, nämlich die Emanzipation der Westdeutschen seit 1968 und die Revolution der Ostdeutschen im Herbst 1989. Was jetzt versucht wird, ist gerade die Umgehung dieser beiden zentralen Marksteine deutscher Geschichte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weinerliches Geschwätz!)

    Aber gerade in diesen beiden demokratischen Bewegungen, hier und drüben, liegt doch die Chance, gleichzuziehen mit den demokratischen Herausforderungen der Revolutionen in den osteuropäischen



    Frau Dr. Vollmer
    Staaten und mit den ökologischen Herausforderungen des neu entstehenden Europas.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die Wünsche der Menschen sind Ihnen egal!)

    Statt dessen liegt uns nun dieser Staatsvertrag vor. Eine solche Ungleichheit von Verteilung von Rechten und Pflichten ist, glaube ich, völkerrechtlich einmalig. Dieser Vertrag ähnelt einem Kolonialvertrag, geschrieben in Manchester 1890.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Pfeffermann [CDU/CSU]: Unverschämtes Weib ist das!)

    Das Budgetrecht gibt die DDR ab, und alle Gesetze der Bundesrepublik sollen denen der DDR übergeordnet sein. Nach diesem Vertrag ist der Beitritt der DDR nach Art. 23 nur noch eine hohle Geste. Die DDR ist nämlich schon einverleibt.
    Aber dieser Staatsvertrag markiert auch noch etwas anderes. Darauf möchte ich Sie hinweisen. Er markiert auch das Ende der Bundesrepublik, wie wir sie kannten. Wir tragen heute damit auch die uns bekannte Republik zu Grabe. Das sage ich auch mit Blick auf meine eigene Partei. Die Geschichte der Bundesrepublik ist vorbei.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Die haben Sie immer bekämpft! Sie haben immer eine andere Republik gewollt! Welche wollen Sie denn? — Das ist unglaublich! So was Heuchlerisches!)

    Deutschland ist nun beinahe eine Supermacht. In einer solchen Supermacht, wie wir sie werden, entstehen auch für die Opposition ganz neue Aufgaben. Das ist kein Grund zur Trauer, aber es ist ein Grund zum Innehalten, zum Nach- und Vorausdenken.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Das Ethos der Politik ist es, die Wahrheit zu den Problemen zu sagen und auf der Basis eines solch ehrlichen Redens Lösungen vorzuschlagen.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Fangen Sie doch mal damit an! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ein weinerliches Feuilleton ist das, was Sie hier bieten!)

    Aber das geht nur mit einem demokratischen Ablauf. Das geht nur, wenn man die Menschen mitentscheiden läßt. Das geht nur, wenn man ihnen reinen Wein über die Kosten des Prozesses und seine Chancen einschenkt. Das geht nur mit einem Volksentscheid nach ausführlicher Debatte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Diese Diskussion wollen wir. Wir werden uns auch die notwendige Zeit dafür nehmen.
    In diesem Land herrscht zur Zeit wirklich ein prima Klima. Ein Jahr lang Wahlkampf à la DDR: Das überstehen wirklich nur die Dümmsten und die Härtesten. Aber — da bin ich ganz sicher — es wird auch hier bald wieder ein ganz frischer Wind oder auch ein Orkan vom Berge her wehen. Der Geist des Staatsvertrages war davon geprägt, daß Vater Staat die Probleme der Einheit schon irgendwie regeln wird, daß die Bürger schlafen können und daß man ihnen nicht allzusehr wehtun will.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weinerliches Geschwätz!)

    Wir setzen darauf, daß die Gesellschaft stärker und emanzipierter ist und daß sie die beiden demokratischen Traditionen wachhalten will. Deswegen setzen wir auch darauf, daß die Gesellschaft auch Wahrheiten ertragen kann, wenn man sie wirklich mit den entscheidenden Fragen unserer Zeit konfrontiert.
    Das Konzept der Regierung ist es, den Wahlkampf unter der Parole zu führen: Wir machen das große Deutschland zur Nummer eins in der Welt. — Aus der großen Wachstumswundertüte soll für alle etwas abfallen. Unser Gegenkonzept heißt: Wir machen die Zukunft dieser Erde zum Wahlkampfthema Nummer eins. Wir holen die Zukunft an den Kabinettstisch. Wir verschweigen durchaus nicht, daß die Zukunft, wenn sie denn eine sein soll, allen auch etwas an Verzicht und Lebensveränderung zumutet. Ich bin wirklich sehr gespannt, welchen Parolen und welchen Politikern die Menschen in diesem Land dann eher folgen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ihnen mit Sicherheit nicht!)

    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Otto Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Gerade weil wir dieses Land nicht zur Nummer eins der Welt und auch nicht zur Nummer eins in Europa machen wollen, sind wir in diesem Punkte mit der sozialdemokratischen Opposition einig, nämlich daß wir dieses Deutschland in Europa integrieren wollen, daß wir den europäischen Weg und keinen nationalen Weg gehen wollen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich habe am letzten Sonntag in Washington einen Vortrag vor einem internationalen Gremium gehalten. Zum Schluß forderte der Vorsitzende dieser Veranstaltung den anwesenden Vorsitzenden der Solidarność-Fraktion im polnischen Parlament auf, sich doch mit einer Frage in der Diskussion an mich zu wenden. Herr Professor Geremek stand auf und sagte: Nun, wenn ein Pole einen Deutschen in diesen Tagen etwas zu fragen hat, dann ist das Thema klar, dann ist es nämlich die Frage nach der Oder-Neiße-Grenze. Ich werde Graf Lambsdorff nicht danach fragen, denn ich kenne seine Antwort.
    In dieser Frage war uns, was Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion anlangt, von Anfang an klar: Wir haben mit Ihrem Antrag betreffend Deutschland und Polen keine inhaltlichen Probleme. Wir halten es aber für richtig, jetzt den Weg zu gehen, den der französische Staatspräsident und der Bundeskanzler nach Presse-



    Dr. Graf Lambsdorff
    berichten gestern besprochen oder in Angriff genommen haben, also eine Entschließung der beiden deutschen Parlamente zustande zu bringen. Wir werden der Überweisung Ihres Antrages an den Ausschuß zustimmen.
    Wir werden ebenso mit Ihrem Antrag auf Einsetzung eines beratenden Ausschusses verfahren. Wir sind für die stärkere Beteiligung des Parlaments, wir sind aber nicht, Herr Vogel, für die Vermischung der Zuständigkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat. Dazu werden wir im Ausschuß nein sagen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der Staatsvertrag, der jetzt vorliegt, ist der Gegenstand der heutigen Debatte. Er soll die Grundlagen für die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion liefern.
    Meine Damen und Herren, in der Frage einer Volksabstimmung sind wir, wie Sie wissen, nicht Ihrer Meinung. Ich glaube, Robert Leicht hat die Frage gestern in der „Zeit " sehr richtig formuliert. Warum soll denn überhaupt abgestimmt werden, wenn ein Nein gar nicht möglich ist? Was soll denn der Sinn einer solchen Veranstaltung sein?

    (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Dieser Staatsvertrag ist ein faires Angebot. Die Bundesregierung ist bis an die Grenze des wirtschaftlich Möglichen und des wirtschaftlich Vertretbaren gegangen. Sie wissen, daß ich von der ersten Materialsammlung gesagt habe — etwas spontan , wie ich zugebe — : Das liest sich wie ein Dokument der Unterwerfung. Dies ist nicht mehr der Fall.

    (Zuruf von der SPD: Wieso denn das nicht?)

    Dieser Staatsvertrag jetzt verdient eine solche Charakterisierung nicht.
    Natürlich ist es richtig, daß die notwendige und angestrebte Rechtseinheit in so weiten Bereichen des politischen und wirtschaftlichen Lebens Souveränitätseinbußen der Regierung der DDR mit sich bringt. Das ist ganz unvermeidlich, wenn Sie die D-Mark als Währung in die DDR einführen wollen. Darüber streitet auch niemand. Die Sprache, in der das geschehen muß, muß aber vernünftig und angemessen sein. Ich denke, das ist im Staatsvertrag der Fall. Das zeigt ja auch die Reaktion der Regierung der DDR.
    Im einzelnen: Der 1. Juli muß bleiben — im Gegensatz zu einigen Anregungen aus Ihrer Fraktion. Jeder Tag Verzögerung macht die Sache nur teurer. Es läuft auch nichts mehr in der DDR.
    Zweitens. Das Angebot 70 % Renten — gemessen am Niveau der Einkommen in der DDR — ist angemessen und vernünftig. Gleichzeitig ist die Einführung unseres Systems der Altersversorgung notwendig; also ist es auch notwendig, den Krankenversicherungsbeitrag für Rentner einzuführen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Typisch!)

    Ebenso muß darangegangen werden, den schnellen Aufbau der gegliederten Krankenversicherung zustande zu bringen. Im übrigen wird das Thema Rentenversicherung und ihre Finanzierung dann, wenn es
    mit der Arbeitslosigkeit einigermaßen glimpflich geht, bei dem sehr hohen Anteil von arbeitenden Menschen in der DDR nicht so schwierig sein.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Dann brauchen Sie auch den Krankenversicherungsbeitrag für Rentner nicht, Herr Kollege!)

    — Den brauchen wir wohl. Wir brauchen dasselbe System wie hier, und zwar von Anfang an das gleiche und nicht erst später mit verzögerter Einführung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Drittens. Meine Damen und Herren, ich habe seit Wochen gesagt, daß die Diskussion über Löhne und Gehälter 1: 1 oder 1 : 2 eine ökonomisch irreführende und falsche Diskussion ist. Der jetzige Einstieg ist eine Meßgröße. Es müssen unverzüglich Löhne und Gehälter ausgehandelt werden. Wenn die Preise freigegeben werden, dann werden auch die Preise für Arbeit freigegeben, und das sind nun einmal Löhne und Gehälter. Diese Verhandlungen müssen in der Situation der DDR betriebsnah geführt werden. Deswegen ist die Wahl von Betriebsräten eine der dringendsten Notwendigkeiten in der DDR, damit es Gesprächspartner für die Betriebsleiter gibt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD] — Zuruf von den GRÜNEN: Keine Ahnung!)

    — Ich nehme ja gern den Zwischenruf „keine Ahnung" entgegen, meine Damen und Herren. Ich habe überhaupt von nichts Ahnung; ich weiß.
    Meine Damen und Herren, es wäre ein grober Fehler, der DDR in der jetzigen Situation flächendekkende Tarifverträge zu empfehlen, flächendeckende Tarifverträge, die die Flexibilität zwischen den einzelnen Betrieben ja nicht ausgleichen können und die auf die Gegebenheiten aus regionaler und vor allen Dingen aus branchenmäßiger und ertragsmäßiger Sicht keine Rücksicht nehmen können. Diese Rücksichtnahme muß aber sein.
    Wenn wir glauben, meine Damen und Herren, wir können den Zustand der Regulierung oder — wie ich sage — der Überregulierung, den sich die Bundesrepublik Deutschland nach 40 Jahren erfolgreichen Wirtschaftens leistet, der DDR heute zumuten, dann müssen wir wissen, daß die dann nie aus den Startlöchern kämen. Wenn wir 1948 mit dem Regelnetzwerk angefangen hätten, das wir heute haben, dann säßen wir noch in derselben Situation wie 1948.

    (Beifall bei der FDP und CDU/CSU)

    Natürlich entscheiden die Lohnhöhe, die Höhe der Personalkosten auch über die Höhe der Arbeitslosigkeit. Das hat übrigens etwas mit 1 : 1 und 1 : 2 zu tun. Bei 1: 1 kriegen Sie verhältnismäßig schnell eine hohe Arbeitslosigkeit und einen massiven Druck auf die Verbesserung der Produktivität. Aber dies ist ein ziemlich unbarmherziges Verfahren, während mir das bei 1 : 2 oder bei der Regelung, die wir jetzt gefunden haben, vernünftiger zu sein scheint.
    Die Anschubfinanzierung der Arbeitslosenversicherung und der Renten muß aus der Bundesrepublik geschehen. Dabei sollte die Anschubfinanzierung



    Dr. Graf Lambsdorff
    nicht aus Beiträgen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zu unserem Sozialversicherungssystem erfolgen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Viertens. Der Umtauschsatz war doch nur bei der Frage der Bestände von Anfang an von wirklich entscheidender Bedeutung, und er ist es bei den Schulden. Die Schulden sollen 1 : 2 umgestellt werden. Ich frage auch hier — das muß die Bundesregierung mit Herrn de Maizière und seinen Kollegen verhandeln — , ob die DDR-Wirtschaft diese Schulden eigentlich verzinsen und tilgen kann. Da muß man seine Zweifel haben. Natürlich darf man das auch nicht mit dem groben Raster machen. Die Hersteller von Meißner Porzellan können das natürlich, aber die Hersteller des Trabant können es nicht. Das ist die Situation. Hier haben Sie die weiten Spannbreiten.
    Die Umtauschfrage ist von entscheidender Bedeutung bei Sparkonten und Bargeld. Ich denke: 4 000 Mark Ost 1: 1, darüber hinaus 1 :2, aber — das ist ein ganz entscheidender Punkt — sofort verfügbar und marktmäßig verzinst. Wenn man das bankmäßig rechnet, kommen Sie nämlich beinahe auf dasselbe, wie wenn Sie 1 : 1 mit Verfügungssperre und niedrigem Zinssatz ansetzen. Das ist ein Angebot, das sich auch nach unserer Überzeugung sehen lassen kann. Wir wissen, daß es noch Zusatzwünsche gibt. Darüber wird zu sprechen sein.
    Eine Inflationsgefahr besteht nach unserer Überzeugung bei dieser Handhabung nicht. Die Inflationsgefahr wird vermieden werden. Sie muß auch vermieden werden, und zwar nicht nur wegen der Bürger der Bundesrepublik — das ist wahrlich wichtig genug, das sind unsere Wähler — , sondern auch wegen der Bürger in der DDR, die stabiles Geld haben wollen. Die wollen ihre Aluchips, ihr Spielgeld loswerden und endlich stabiles Geld bekommen und nicht damit anfangen, daß wir die D-Mark instabil machen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Frau Däubler-Gmelin hat gefragt: Wie macht man das denn? Das machen wir genauso, wie wir es hier gemacht haben: mit einer soliden Haushalts- und Steuerpolitik der Bundesregierung

    (Lachen der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

    und mit einer vernünftigen Geld-, Zins- und Währungspolitik der Bundesbank. Wir haben doch die Inflation heruntergebracht, und zwar ganz erheblich.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das wird auch dort geschehen.

    Wenn Frau Vollmer meint, die Ökonomen seien alle beiseite geschoben, dann muß ich sagen: Bei Ihrem partiellen Wahrnehmungsvermögen lesen Sie offenbar das, was die Ökonomen in ihrem Frühjahrsgutachten geschrieben haben, gar nicht. Die haben nämlich alle diese Fragen so beantwortet, wie wir sie beantworten. Aber davon nehmen Sie keine Kenntnis. Das paßt nicht in Ihr Weltbild.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das kann die nicht verstehen!)

    Das war auch ein zuversichtliches Gutachten und nicht so weinerlich; das paßt Ihnen nicht.
    Meine Damen und Herren, ein paar Anmerkungen der FDP zu diesem Staatsvertrag. Wir sind der Meinung, daß ein Stichtag möglichst weit zurückliegend eingeführt werden muß, damit jeder Versuch von Spekulation seit dem Anfang der Entwicklung in der DDR unterbunden wird.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Dabei muß man etwas vorsichtig sein. Es gibt auch Leute, die aus Angst ihre Sparkonten aufgeteilt haben, weil sie befürchtet haben, von ihrem Staat wieder gerupft zu werden. Wenn die das nachweisen können, muß man ihnen helfen. Man darf also nicht mit der großen Sense über alles hergehen.
    Zweitens. Im Staatsvertrag steht, daß Mißbrauch verhindert werden soll. Ich frage mich bei näherem Nachdenken ein wenig, ob das bei einem generellen Umtausch von Bargeld eigentlich wirklich sicherzustellen ist

    (Beifall des Abg. Dr. Diederich [Berlin] [SPD])

    oder man darüber nicht noch einmal reden und nachdenken muß.
    Ich frage mich auch, ob man Konten aller und jeder Höhe 1 : 2 umstellen kann. Aber machen Sie es sich auch da nicht so leicht und sagen Sie nicht einfach, das seien Stasi- oder SED-Konten. Da haben Leute viel Geld verdient, die gleichzeitig in der SED waren, weil sie in ihrem Beruf tüchtige Leute waren. Herr Vogel, Marita Koch ist nicht 200 Meter in Weltrekordzeit gelaufen, weil sie in der SED war,

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Die soll auch ihr Vermögen behalten!)

    sondern sie war in der SED, weil sie Weltrekord laufen konnte. So geht das.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Darüber reden wir ja nicht!)

    Eine weitere Anmerkung zur Frage der Herstellung der Rechtseinheit und der Übernahme fast aller Gesetze der Bundesrepublik schon zum 1. Januar 1991. Ich fürchte, das kann nicht gehen. Das kann die DDR nicht schaffen. Wir müssen hier noch sortieren und sagen, was wirklich ganz wichtig ist. Sonst überfordern wir die DDR.

    (Stobbe [SPD]: Das ist der Punkt!)

    Wir empfehlen, meine Damen und Herren, den DDR-Bürgern gewissermaßen ein Vorkaufsrecht einzuräumen, wenn es darum geht, an dem bisherigen Staatsbesitz Beteiligungen zu erwerben, auch am Grundbesitz.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Aber das wirft Probleme der Eigentumsbehandlung in der DDR auf. Hier, Herr Bundeskanzler, bitten wir darum, daß Sie dem Ministerpräsidenten sagen, daß seine Regierungserklärung in diesem Punkt unbefriedigend ist. Im Staatsvertrag ist es kaum angesprochen worden. Das muß im Entwurf ja auch nicht sein. Aber



    Dr. Graf Lambsdorff
    nach den Vorstellungen von Herrn de Maizière soll der Erwerb von Eigentum an Grund und Boden in der DDR nicht möglich sein, lediglich Erbpacht und Erbbaurecht. Auf dieser Basis werden Sie keine Investitionsfinanzierung zustande bekommen, weil Sie keine Sicherheiten bekommen. Das kann nicht gehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich habe eine weitere Bitte an den Ministerpräsidenten der DDR, dessen Zähigkeit beim Verhandeln von Koalitionen ich übrigens durchaus bewundere. Sie müssen das nicht unbedingt nachahmen, Herr Bundeskanzler. Aber ich fand das schon ganz ordentlich.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Heute morgen hat Herr de Maizière nach Pressemeldungen gesagt: Kein Abbau von Subventionen bei Energie und Wohnungen! Ich empfehle sehr, bei Neubauten die Zwangswirtschaft in der Wohnungswirtschaft sofort aufhören zu lassen. Sonst geschieht nämlich überhaupt nichts. Er will die Energiepreise erst freigeben, so hat er nach diesen Meldungen gesagt, wenn die Produktivität gestiegen ist. Das ist nun schlicht falsch. Der sparsame Einsatz von Energie folgt höheren Preisen, und das trägt zur Verbesserung der Produktivität bei. Sehen Sie sich einmal den Energieverbrauch in der DDR an. In der Bundesrepublik haben wir 6 Tonnen SKE je Einwohner und Jahr, in der DDR 7,5 Tonnen SKE je Einwohner und Jahr. Bei bedeutend höherer Produktion in der Bundesrepublik heißt das zu deutsch: eine maßlose Energieverschwendung in der DDR.
    Das hat natürlich auch etwas mit Umweltproblemen zu tun.

    (Zurufe von der SPD: Was haben Sie denn dann gegen Fortschritt 90?)

    — Wir kommen noch auf Fortschritt 90 zurück, keine Sorge. Sie werden doch nicht glauben, daß ich das ausließe.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Frau Däubler-Gmelin, Sie haben zum Thema Umwelt gesprochen. Wir kommen hier vor ernsthafte und für die Bundesbürger nicht immer ganz bequeme Fragen: Lohnt sich eigentlich ein massiver finanzieller Einsatz, um noch die letzten 2 % eines Schadstoffes aus unserer Produktion herauszuquetschen, oder lohnt es sich, das Geld dort drüben einzusetzen, um da 40 % des gleichen Schadstoffs zu beseitigen? Das werden wir uns wohl fragen müssen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das, was Sie da sagen, ist aber gefährlich!)

    Frau Matthäus-Maier, ich will Sie gleich zitieren, aber natürlich freundlich. Laut „Express" haben Sie am 25. April gesagt:
    Ich rechne nach einer kurzen Phase des Übergangs in der DDR mit einem zweiten Wirtschaftswunder, das auch zu einem Wachstumsschub bei uns beiträgt. Nach der Einheit werden wir einer der besten Investitionsstandorte in der ganzen Welt sein.
    Das ist vollständig richtig, aber nicht mit der Wirtschaftspolitik der SPD, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie müßten im übrigen Ihre freundlichen Aufforderungen einmal an Ihre eigenen Reihen richten. Ich darf zitieren, was sich auf dem Bundeskongreß der Jusos entwickelt:
    Die Wiedervereinigung ist ein konservatives Projekt und mit dem internationalistischen Ansatz der Arbeiterbewegung unvereinbar.

    (Lachen bei der FDP und der CDU/CSU)

    Führende Repräsentanten des Großkapitals der CDU/CSU und FDP geben sich bereits in Kolonialherrenmanier und erheben in immer aggressiverer Form die Forderung nach Privateigentum an Produktionsmitteln und freier Betätigungsmöglichkeit für das bundesdeutsche Kapital in der DDR und setzen dies für die wirtschaftliche Unterstützung der DDR voraus.
    Nun, meine Damen und Herren, wie sagte Frau Däubler-Gmelin: Wir wollen die Einheit. Da haben Sie aber noch einigen Missionsbedarf in Ihren eigenen Reihen, vor allen Dingen bei Ihren jüngeren Leuten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das Berliner Programm — Sie haben es ja eben erwähnt — beruft sich im Gegensatz zu dem, was die SPD in der DDR tut, ausdrücklich auf Karl Marx. Aber nicht einmal mit der Mund-zu-Mund-Beatmung durch die deutschen Sozialdemokraten wird marxistische Wirtschaftspolitik wieder lebendig, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Manchmal — da wird es dann etwas ernster — frage ich mich, ob einige von Ihnen — ich will Sie nicht alle meinen — der DDR überhaupt helfen wollen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist eine miese Unterstellung! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Sie dürfen doch nicht glauben, daß ich einen solchen Satz so stehen lasse. Nun schreien Sie doch nicht zu früh. Ich werde ihn begründen.
    Wenn Herr Schröder in Niedersachsen sagt, die Leute in der DDR sollten sich jetzt selber krummlegen, was ist das dann für eine Formulierung? Sie ist herzlos und kalt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Alles Wahlkampf!)

    — Gleich kommt noch ein anderer Punkt, der mit Wahlkampf überhaupt nichts zu tun hat.
    Wenn die sozialdemokratische Neuakquisition — Peter Glotz sei Dank — , Herr Otto Schily, am Abend des 18. März im Palast der Republik auf die Frage, wie dieses Wahlergebnis zustande komme, vor die Fernsehkameras geht und eine Banane dahin hält,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! — Schändlich! — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ein Lümmel!)




    Dr. Graf Lambsdorff
    kalt spekulierend und kalt kalkuliert, dann ist das eine menschenverachtende Beschimpfung der Wähler in der DDR.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich freue mich über Ihren Beifall, Frau Matthäus-Maier. Aber es hat keine Kritik aus der SPD-Spitze an diesem unglaublichen Verhalten gegeben. Keine!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie ist auch hier die einzige!)

    — Ja, aber sie hat den Mut, das zu tun, und dafür hat sie meinen Respekt.
    Meine Damen und Herren, es ist im übrigen schon eine merkwürdige Situation. In der Bundesrepublik hört man ja gelegentlich weinerliche Untertöne, das werde alles zu teuer, das sei ja alles so schwierig, die Inflation komme, und die Zinsen und die Steuern würden steigen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Steigt die Inflation denn nun oder nicht? Was sagt denn die Bundesbank?)

    Es verbreitet sich langsam — glücklicherweise nicht überall — Mißmut. Von Ihnen wird er natürlich auch noch geschürt.
    Wenn man ins Ausland geht, hört man, daß die Leute dort alle sagen: Die Deutschen werden noch stärker; jetzt packen sie noch die DDR dazu, also noch 16 Millionen fleißige und einfallsreiche Leute; die Deutschen werden noch stärker. Das kommt ja dann am Ende; dann werden wir doch die Nummer eins. Wenn es Ihnen ins Schema paßt, Frau Vollmer, werden wir wieder die Nummer eins.
    Die Ausländer haben natürlich recht: Das wird eine Erfolgsstory. Die DDR-Wirtschaft ist gemessen am Volumen der Bundesrepublik 10 % von dem, was wir darstellen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Fragen Sie mal Herrn Genscher, ob ihm Ihre Rede gefällt! Ich glaube, er runzelt die Stirn!)

    Die Einwohnerzahl ist so groß wie die von Nordrhein-Westfalen. Und das, meine Damen und Herren, sollten wir nicht schaffen?
    Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik ist blendend, übrigens nicht zuletzt, weil wir 1982/1983 diesen wirtschaftspolitischen Weg ermöglicht haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie ist blendend!

    Ich sage sehr wohlüberlegt, weil ich das auch draußen im Ausland sage und keinen Widerspruch finde: Es gibt zur Zeit kein Land auf der Welt mit besseren Wirtschaftsdaten als die Bundesrepublik Deutschland.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Um welchen Preis? — Dr. Briefs [GRÜNE]: Das sagen aber nur Sie!)

    Das brauchen wir genau jetzt. Wir haben ein ungeheures Glück. Aber es ist auch unsere Leistung, daß
    wir diese wirtschaftliche Situation in diesem Augenblick haben, wo wir unsere Wirtschaftskraft für die Aufgaben in der DDR brauchen. Das ist gut so.
    Was wir 1948 geschafft haben, das schafft auch die DDR 1990. Ihre Ausgangssituation ist doch viel besser, als es unsere damals war. Die DDR erhält ganz zu Beginn dieses Prozesses eine hochangesehene, international vertrauenbildende, stabile, konvertible Währung auf dem silbernen Tablett angeboten. Das hätten wir einmal 1948 haben sollen; wieviel leichter wäre alles gewesen! Also, das muß doch gehen!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Voraussetzung für den Erfolg der DDR ist Mut zu marktwirtschaftlichen Entscheidungen, ist Optimismus. Werden diese Entscheidungen richtig getroffen, dann werden wir das erwartete Aufbauwunder in der DDR erleben, allerdings, Frau Vollmer — das muß ich Ihnen doch sagen — , nicht mit Ihrer weinerlichen, larmoyanten Grundhaltung; damit wäre gar nichts zu erreichen.
    Unseren Landsleuten in der DDR sage ich: Habt Selbstvertrauen! Packt an! Ihr werdet Licht am Ende des Tunnels sehen! Ihr müßt durch diesen Tunnel noch hindurch; darum herumgehen ist nicht möglich; eigene Anstrengungen sind notwendig! Jeder in der DDR, mit dem man darüber spricht, akzeptiert das auch.
    Aber sie wollen Hoffnungen haben. Sie wollen für ihre Leistungen ein anständiges Stück Geld in die Hand bekommen und nicht diese Unsinnswährung. Sie wollen eine Aussicht sehen, daß sie für sich, ihre Kinder und ihre Familien etwas aufbauen können. Wir werden ihnen helfen, daß sie so etwas sehen können.
    Lassen Sie mich zwei persönliche Bemerkungen machen. Wenn ich 25 Jahre jünger wäre, etwas erspart hätte und mich selbständig machen wollte, glauben Sie, daß ich dann nach Köln oder Hamburg ginge? Ich ginge nach Leipzig oder Greifswald. Man muß sich doch nur umgucken; das Land schreit doch nach Arbeit.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Eine zweite Bemerkung. In meiner Studentenzeit im Jahre 1949, also kurz nach der Einführung der Währungsreform, habe ich mir in einem Reisebüro in Köln ein bißchen Geld verdient und mußte amerikanische Touristen betreuen. Sie kamen über ein Reisebüro in Chicago hierher, das mit dem Werbespruch annonciert hatte: „If you want to see the ruins, go to Germany now" — wenn ihr die Ruinen sehen wollt, dann fahrt jetzt nach Deutschland. Ich sage den Touristen aus aller Welt: Wenn ihr die Ergebnisse sozialistischer Mißwirtschaft in der DDR in Augenschein nehmen wollt, dann kommt bald; in wenigen Jahren haben wir sie dank sozialer Marktwirtschaft beseitigt, dann werdet ihr davon nichts mehr sehen.

    (Lebhafte Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der SPD)