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ID1120802600

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    Plenarprotokoll 11/208 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 208. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. April 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 16387 A Antrag des Abg. Wüppesahl (fraktionslos) nach § 126 der Geschäftsordnung . . . . 16387 C Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. September 1988 zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, Regierungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation, der Regierung Japans und der Regierung Kanadas über Zusammenarbeit bei Detailentwurf, Entwicklung, Betrieb und Nutzung der ständig bemannten zivilen Raumstation (Drucksachen 11/4576, 11/6858) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt (Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz) (Drucksachen 11/ 5994, 11/6859) Dr. Rüttgers CDU/CSU 16388 A Fischer (Homburg) SPD 16389 B Dr.-Ing. Laermann FDP 16391 A Dr. Briefs GRÜNE 16391 D Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 16392 D Vosen SPD 16393 B Zusatztagesordnungspunkt: Einspruch der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl gegen den am 26. April 1990 erfolgten Sitzungsausschluß 16394 B Tagesordnungspunkt 20: Wahl des Wehrbeauftragten Biehle CDU/CSU 16399 B Ergebnis 16399 B Tagesordnungspunkt 21: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Bericht über den Stand der Verhandlungen mit der DDR in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Vertrag über die polnische Westgrenze (Drucksache 11/6951) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat am Prozeß der deutschen Einigung (Drucksache 11/6952) Seiters, Bundesminister BK 16394 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16399 C Bohl CDU/CSU 16403 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. April 1990 Frau Dr. Vollmer GRÜNE 16406 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 16408 D Wüppesahl fraktionslos 16413 A Frau Matthäus-Maier SPD 16414 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 16415 D Lintner CDU/CSU 16418B Häfner GRÜNE 16420 D Mischnick FDP 16421 D Dreßler SPD 16422 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 16425 A Dreßler SPD 16425 D Dr. Briefs GRÜNE 16427 B Frau Unruh fraktionslos 16428A Stobbe SPD 16428 D Vizepräsident Cronenberg 16420 C Zusatztagesordnungspunkt: Eidesleistung des Wehrbeauftragten Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 16431 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und Ausnahmezustand in den kurdischen Provinzen Frau Beer GRÜNE 16431 C, 16435 A Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 16432 B Dr. Glotz SPD 16432 D Dr. Hirsch FDP 16433 C Frau Luuk SPD 16434 D Nächste Sitzung 16435 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .16437 * A Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl (GRÜNE) 16437 *B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 16437 * C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. April 1990 16387 208. Sitzung Bonn, den 27. April 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Bahr SPD 27. 04. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 27. 04. 90 Büchner (Speyer) SPD 27. 04. 90 * Buschbom CDU/CSU 27. 04. 90 Frau Conrad SPD 27. 04. 90 Frau Frieß GRÜNE 27. 04. 90 Grünbeck FDP 27. 04. 90 Dr. Hauchler SPD 27. 04. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 27. 04. 90 Kolb CDU/CSU 27. 04. 90 Koltzsch SPD 27. 04. 90 Leidinger SPD 27. 04. 90 Frau Limbach CDU/CSU 27. 04. 90 Petersen CDU/CSU 27. 04. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 27. 04. 90 Reuschenbach SPD 27. 04. 90 Frau Schoppe GRÜNE 27. 04. 90 Schröer (Mülheim) SPD 27. 04. 90 Wiefelspütz SPD 27. 04. 90 Frau Wollny GRÜNE 27. 04. 90 Würtz SPD 27. 04. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und Meneses Vogl (GRÜNE) Hiermit erheben wir, Frau Oesterle-Schwerin, MdB, und German Meneses Vogl, MdB, Einspruch gegen den von Vizepräsident Stücklen in der 207. Sitzung am 26. April 1990 ausgesprochenen Ausschluß unserer Person gem. § 39 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Begründung Bei dem § 38 GO-BT handelt es sich um die schärfste Ordnungsmaßnahme, die ein amtierender Präsident während einer Sitzung des Bundestags anwenden kann. Ein Blick in die Kommentierung Ritzel/Bücker Nr. I zu Abs. 1 unter a) aufgeführten schweren und fortgesetzten Störungen der parlamentarischen Ordnung macht überdeutlich, daß das lediglich schweigende Enthüllen eines Transparentes im Bundestag eine solche Maßnahme nicht im mindesten rechtfertigt. Wir haben weder die „Amtshandlungen des amtierenden Präsidenten namentlich durch dauerndes Schreien" behindert oder den „Redner durch fortgesetzte Unterbrechungen seiner Rede" gestört, oder etwa „Tätlichkeiten", „grobe Beschimpfungen des Anlagen zum Stenographischen Bericht Präsidenten oder der Abgeordneten" oder „gegenüber Bundesorganen" von uns gegeben. Das Transparent, welches die Aufschrift „Ausländergesetz - Die Demokratie stirbt weiter" hatte, ist eine politische Meinungsäußerung, die auch in einer Rede hätte verwendet werden können und die keine Verletzung gem. § 38 unserer Geschäftsordnung darstellt. Schon das Grundgesetz verbrieft in Art. 5 Abs. 1 das Recht eines jeden Menschen auf die Verbreitung seiner Meinung in Wort, Schrift und Bild. Dies kann die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages nicht beschneiden. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. April 1990 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Viertes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts Drittes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und anderer wehrrechtlicher Vorschriften Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/5950 Drucksache 11/6075 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/5860 Drucksache 11/555 Drucksachen 11/2677, 11/2678 Drucksache 11/3478 Drucksache 11/3917 Drucksache 11/4804 Drucksache 11/5786 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/6423 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/4019 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 5. April 1990 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1989 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Nachtrag zum Wirtschaftsplan 1989 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
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    Rede von Friedrich Bohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dr. Däubler-Gmelin, angesichts Ihrer Vorwürfe gegen die Koalition bezüglich Unklarheit und Verwirrung — so nannten Sie es — muß ich doch sagen: Das war ja der erfolglose Versuch, von Ihrer Verunsicherungskampagne in der Osterpause abzulenken.

    (Beifall des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] — Dr. Vogel [SPD]: Na, na, na!)

    Es ist doch ganz offenkundig, daß Sie in der Osterpause von dem angeblichen Wortbruch gesprochen haben. Das können Sie nun nicht mehr.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wir haben von den Menschen in der DDR geredet!)

    Nicht unser Wort ist zusammengebrochen, sondern Ihre falschen Prophezeiungen sind zusammengebrochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Hornung [CDU/CSU]: Die sind schon oft zusammengebrochen!)

    Was haben Sie nun hier wieder gesagt: Wir täten so, als wäre bei uns alles gelöst; hier sei eine Verdrängung; wir hätten hier Armut. Das war ja wieder ein übles, düsteres Bild. Ich bin ganz sicher, daß die Menschen in der DDR dafür nur ein Hohnlachen übrig haben. Und die Zahl der Übersiedler straft doch Ihre Aussagen über das Bild der Bundesrepublik Deutschland schlicht und einfach Lügen. Das ist doch die Wirklichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Das ist aber ein Vergleich!)

    Ich will ganz offen sagen: Was mich am meisten an Ihrer Rede geärgert und irritiert hat, liebe Frau Däubler-Gmelin, ist die Tatsache, daß ich befürchte, daß viele Zuschauer am Fernsehschirm nach Ihrer Rede abgeschaltet haben und meine Rede nicht mehr hören können.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Schon während der Rede, nicht erst danach! — Lachen bei der SPD — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Eine verständliche Reaktion! — Dr. Vogel [SPD]: Da versäumen die Leute gar nichts, wenn Sie bei Ihnen abschalten!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte für die Regierungserklärung herzlich Dank sagen. Insbesondere möchte ich Herrn Bundesminister Seiters für seine klaren Aussagen und auch für die umsichtige Führung der Gespräche und Verhandlungen mit der DDR danken. Sie können unserer Unterstützung sicher sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das Angebot der Bundesregierung an die DDR zur Gründung einer Währungsunion mit einer Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft ist finanzpolitisch verantwortungsvoll, marktwirtschaftlich fundiert

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: 2 Millionen Arbeitslose!)

    und geprägt von Solidarität gegenüber unseren Landsleuten in der DDR.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: 3 Millionen Sozialhilfeempfänger!)




    Bohl
    Nach seinem Zehn-Punkte-Plan zur deutschen Einheit beweist der Bundeskanzler damit erneut, daß er den Weg der Wiedervereinigung konsequent, mit Mut, aber auch mit dem notwendigen Augenmaß beschreitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selber nicht! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Herr Bundeskanzler, wir unterstützen Sie dabei geschlossen und entschieden

    (Zuruf von der SPD: Und blind!)

    und freuen uns, daß Sie in dieser, wie wir finden, vorbildlichen Weise Verantwortung für Deutschland tragen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Gar kein Beifall!)

    Wir begrüßen auch, daß Sie mit dem neuen Ministerpräsidenten der DDR so schnell ein gutes persönliches Verhältnis gefunden haben. Das dient der gemeinsamen Sache. Herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler!

    (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir möchten auch Lothar de Maizière Anerkennung aussprechen. Er hat sein Amt in einer äußerst schwierigen Situation übernommen und die Koalitionsbildung in der DDR in einer sehr kurzen Zeitspanne ermöglicht, obwohl von der West-SPD zunächst versucht wurde, die DDR-SPD von der Mitarbeit in der Regierung abzuhalten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Was ist denn das für ein Unsinn! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Dort war man aber Gott sei Dank klüger.
    Die Bundesregierung hat erklärt, sie werde der DDR ihr Angebot nach der Osterpause vorlegen, damit bis Anfang Mai grundsätzliche Übereinkunft erzielt werden kann.

    (Dr. Vogel [SPD]: Der Mann hat keine Ahnung, wovon er redet! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Der Termin 2. Juli für das Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion steht. Die Bundesregierung hat Wort gehalten und ihren gradlinigen Kurs in Richtung deutsche Einheit fortgesetzt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Na, na! — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wenn Sie es mal glauben!)

    Damit, Herr Kollege Vogel — ich verstehe ja, daß Sie sich da aufregen — , ist der Unterschied zum Verhalten der SPD augenfällig. Das gilt für Ihre gesamte Deutschlandpolitik.

    (Hornung [CDU/CSU]: Schon seit längerer Zeit!)

    Erst waren Sie gegen die Wiedervereinigung, jetzt scheinen Sie dafür zu sein. Erst waren Sie für den Zehn-Punkte-Plan des Bundeskanzlers, am nächsten Tag waren Sie dagegen. Erst forderten Sie für die alte
    sozialistische Regierung in der DDR Wirtschaftshilfen ohne jede Vorbedingung,

    (Hornung [CDU/CSU]: Richtig! — Dr. Vogel [SPD]: Für die Menschen, nicht für die Regierung! Reden Sie nicht einen solchen Stuß!)

    jetzt begleiten Sie unser Angebot an die neue, demokratisch gewählte Regierung mit Zögern und Zaudern. Das macht doch keinen Sinn, das ist widersprüchlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Dr. Graf Lambsdorff [FDP] — Dr. Vogel [SPD]: Unsinn, für die Menschen, nicht für die Regierung!)

    Der Abgeordnete Penner hat in diesen Tagen eine Verschiebung des Termins der Währungsunion gefordert. Sie, Herr Vogel, streuen schon Zweifel aus, ob es denn bis zum 1. Juli gelingen könne.

    (Dr. Vogel [SPD]: Ja, ist denn das nicht erlaubt?)

    Herr Bahr prognostiziert gesamtdeutsche Wahlen erst im Jahre 1992. Sie, Herr Kollege Vogel, prognostizieren laut „taz" von heute Wahlen erst 1994.

    (Dr. Vogel [SPD]: Dummes Zeug! 1991 bis 1994! — Weitere Zurufe von der SPD — Gegenruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU]: Warum denn so aufgeregt?)

    — Also, Herr Kollege Vogel, es liegt vielleicht an Ihrer falschen Brille. Ich gebe es Ihnen nachher;

    (Dr. Vogel [SPD]: Nein, lesen Sie vor!) Sie können es nachlesen.


    (Dr. Vogel [SPD]: Von 1991 bis 1994!)

    — Also, Herr Kollege Vogel, die „taz" von heute, vom 27. April 1990, bringt das so. Aber Sie können das nachher ja korrigieren.

    (Dr. Vogel [SPD]: Zitieren, vorlesen! Drückeberger! — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Warum so aufgeregt, Herr Kollege Vogel?)

    — Also, es heißt da:
    „Wann das ist, darüber will ich nicht spekulieren. Das wird in der nächsten Legislaturperiode sein, 1992 wäre ein vernünftiges Jahr,

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    es könnte auch 1993 sein."
    Antje Vollmer: „... Es kann auch 1994 sein. " Hans-Jochen Vogel: „Na gut. "
    Vielen Dank!

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, da Zögern und Angstmachen Ihre Politik zu sein scheinen, sich ein Beispiel an der DDR-SPD zu nehmen. Der Vorsitzende der Volkskammerfraktion dort hat in Ihrer Fraktionssitzung von „Interessendivergrenzen" zwischen West- und Ost-SPD gesprochen. Er hat dankenswerterweise festgehalten, daß bei der Währungsunion Eile geboten sei. „Wir brauchen die D-Mark", so waren seine Worte. Wenn sie komme, dann würden



    Bohl
    Zutrauen, Risikobereitschaft und Initiative wachsen. Genau darauf setzen auch wir.
    Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, ängstlich zu zögern. Wir stehen in einer historischen Verantwortung, und zukünftige Generationen würden es nicht verstehen, wenn wir unserer Verantwortung und der Chance zur Einheit jetzt nicht gerecht werden würden.
    Liebe Freunde, meine Damen und Herren, die Überwindung der Teilung Deutschlands in einem vereinigten Europa ist die Erfüllung einer 40jährigen Vision und Ergebnis einer konsequenten und gradlinigen Politik, die von CDU und CSU auf dieses Ziel gerichtet wurde und unter der Führung dieses Bundeskanzlers immer wieder angestrebt wurde. Die Wirtschaftsunion ist die große Chance für alle Deutschen. Jetzt ist Gemeinsamkeit gefragt. Für diesen Konsens gibt es als notwendige Voraussetzung Verständnis, glaube ich, in beiden Teilen Deutschlands. Wir müssen lernen: Fehler, die wir ab jetzt machen, werden uns nach dem 2. Juli gemeinsam treffen. Sie treffen dann nicht mehr nur die Deutschen in der DDR oder nur die Deutschen in der Bundesrepublik, sie treffen alle Deutschen. Ab sofort sitzen wir in einem Boot.
    Für unsere Mitbürger im anderen Teil Deutschlands bedeutet dies: Die Hilfe, die wir geben, kann nur eine Starthilfe sein, sie wird Hilfe zur Selbsthilfe sein. Unsere Vorstellung ist nicht, daß unsere Landsleute über viele Jahre am Subventionstropf hängen; damit wäre niemandem geholfen. Ich bin auch sicher, daß die Menschen in der DDR dies nicht wollen. Unsere Landsleute sind in einer freiheitlichen Ordnung genauso fleißig, motiviert und ideenreich wie wir.
    Meine Damen und Herren, wir setzen auf Optimismus und Vertrauen und die Motivation unserer Landsleute, so wie wir dies 1949 bei der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft getan haben. Wären wir damals so zögerlich gewesen wie heute die SPD, dann würden wir heute immer noch Essensmarken verteilen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben Verständnis dafür, daß die Menschen in der DDR einen möglichst kräftigen Anschub aus der Bundesrepublik wünschen. Aber ich bitte die Mitbürger in der DDR, auch die Situation in der Bundesrepublik zu berücksichtigen. Wir haben unser Juwel in Sachen Wirtschaft, nämlich unsere D-Mark, zum gemeinsamen Aufbau in Deutschland angeboten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Fetischist!)

    Aber es hat sicherlich auch keinen Sinn, daß dieser Juwel durch Inflationsschübe zu einem wertlosen Klunker würde. Wir wollen die D-Mark in die DDR bringen, damit wir gemeinsam Deutschland aufbauen können.
    An dieser Stelle sollte man darauf hinweisen: Hätte es die Wende in der DDR 1982, am Ende Ihrer 13jährigen Regierungszeit, gegeben, dann hätten wir unseren Landsleuten in der DDR, wenn überhaupt, höchstens ein laues Lüftchen als Rückenwind geben können. Jetzt können wir dank der erfolgreichen Wirtschaftspolitik kräftigen Anschub geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben einen ausgewogenen Mittelweg eingeschlagen. Einerseits wird die Wirtschaft der Bundesrepublik nicht über Gebühr belastet, andererseits kommt die Verbesserung unseren Mitbürgern in der DDR sofort zugute. Wer in der DDR über ein Sparguthaben z. B. von 8 000 Ost-Mark verfügt, der konnte sich bisher gerade einen großen Farbfernseher kaufen. Nach dem Angebot der Bundesregierung würde er dafür am 2. Juli 6 000 DM erhalten. Das reicht für einen Farbfernseher und für einen guten Gebrauchtwagen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Und wie ist es mit dem Brot?)

    Ich glaube, auch das muß man den Menschen drüben in der DDR mit Deutlichkeit sagen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist gut, daß neben dem Bund auch die Bundesländer bereits Wirtschaftshilfe für die DDR in Gang gesetzt haben. Bedauerlich ist aber, wie ungleich diese Wirtschaftshilfe verteilt ist. Allein das von der CDU — zusammen mit der FDP — regierte Bundesland Hessen hilft mehr als alle SPD-regierten Bundesländer zusammen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, alle unionsregierten Bundesländer leisten der DDR dreizehnmal soviel Aufbauhilfe wie die SPD-regierten Bundesländer. Das ist die Wirklichkeit.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Wiederholen!)

    — Dreizehnmal soviel. Die SPD zögert nicht nur mit Hilfe für die DDR, sie knausert auch noch.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Aber fordern!)

    Wir haben, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, klar gesagt, daß wir keine Steuererhöhungen wollen. Der Herr Finanzminister hat es gesagt. „Daß das der Finanzminister von vornherein ausgeschlossen hat, ist meiner Meinung nach ein Fehler ... (Ich) hätte eine Ergänzungsabgabe oder ... auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für einen Zeitraum für vernünftiger gehalten" — so Ihre Finanzministerin in Schleswig-Holstein, Heide Simonis. Landauf, landab warnen Sie vor Steuererhöhungen, obwohl wir sie ja ausgeschlossen haben. Und siehe da, die SPD ist es, die tatsächlich Steuererhöhungen, Ergänzungsabgaben und sonstige Werkzeuge zur Malträtierung der Bürger bereithält. Das ist die Wirklichkeit.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sie Folterer!)

    Meine Damen und Herren, Sie sind wieder dabei, der Bundesregierung düstere Prophezeiungen anzuhängen: Nach dem schlechten Umtauschkurs, den Sie angekündigt haben, sollen jetzt belastende Steuererhöhungen kommen. Dieses Konzept haben Sie schon zuhäufig angewandt, es ist schon zu häufig als falsch



    Bohl
    entlarvt worden. Es ist zu durchsichtig, und es wird auch diesmal nicht aufgehen.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Seit August Bebel immer das gleiche!)

    Wir appellieren an die SPD: Machen Sie endlich mit bei der deutschen Einigung! Stehen Sie nicht beiseite! Hören Sie auf zu zögern, zu knausern und zu nörgeln! Das war bisher Ihr Beitrag zur Deutschlandpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Deutschen sind kein egoistisches Volk. Sie lassen sich nicht spalten. Die Mehrheit der Deutschen denkt nach vorn und will helfen. Wir sind aufgefordert, diese Bereitschaft zur Mithilfe und zur Solidarität zum Nutzen eines vereinten Deutschlands gemeinsam umzusetzen.
    Die Bundesregierung mit dem Bundeskanzler darf sich bei den wichtigen Verhandlungen und Gesprächen mit der DDR, die im Geist der Einheit geführt werden, der Unterstützung und des Vertrauens der Fraktion der CDU/CSU sicher sein.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte wollte Oskar Lafontaine reden. Nun, da er nicht reden kann, fehlt er schon, bleibt eine Leerstelle in dieser Debatte. Ich wünsche ihm — auch im Namen meiner Fraktion — daß er sich die Zeit nimmt, richtig gesund zu werden. Es heißt ja, daß er schon wieder so weit bei sich ist, daß er bereits wieder freche Bemerkungen macht. Das ist beruhigend. Aber er wird noch mehr Mut brauchen. Er wird ja nicht nur im Saarland gebraucht, sondern eigentlich für einen Machtwechsel hier in Bonn, und das ist noch ein schweres Stück Arbeit.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Vor allem dauert es noch lange, lange, lange!)

    Ich wünsche ihm, daß er nach diesem Attentat keinen Knacks in seiner Seele behält, wenn er nämlich verarbeiten muß, was wir alle wissen und immer verdrängen: daß Politik auch ein existentiell gefährlicher Beruf ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Dieses Attentat auf Oskar Lafontaine war nicht nur ein unmenschlicher, ein wahnsinniger und ein absurder Zufall — das war es auch —; wir sollten es aber auch zum Anlaß nehmen, über die Stimmung in unserem Land nachzudenken. Wir sollten uns alle fragen, ob denn dieser politische und soziale Hochdruck noch lange verkraftbar ist.
    Ich frage mich schon seit längerem, warum der Prozeß der deutschen Einigung so wenig das ist, was er eigentlich sein könnte. Die deutsche Einheit, das Entstehen eines neuen Deutschlands war lange ein Traum der politischen Linken in diesem Land, und darauf bestehe ich auch. Das Zusammenwachsen zweier Gesellschaften mit teils unterschiedlichen und teils gemeinsamen Mentalitäten und Kulturen hätte eine große kreative Phase in der Geschichte dieser Republik sein können.
    Warum ist das nicht so? Warum müssen wir soviel kritisieren? Warum erleben wir einen fast unmenschlichen Druck und eine so große Beklemmung? Warum gehen wir in diese deutsche Einheit wie in die Fabrik am Montagmorgen?
    Ich sehe dafür zwei Gründe: Erstens die Unterwerfung und damit die faktische Leugnung eines eigenständigen DDR-Beitrags in diesem kulturellen Großexperiment des Zusammenwachsens zweier Gesellschaften — von der DDR soll nicht viel bleiben, nur so etwas wie ein Phantomschmerz — und zweitens die Tatsache, daß die Politik in dieser Phase einfach nicht zum ehrlichen Reden kommt. Es wird so sehr gelogen, daß sich die Balken biegen, und es wird so sehr geglaubt, daß man sich nur wundern kann.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Soll ich Ihnen einen Spiegel holen?)

    Niemand traut sich in diesem Haus und in der Öffentlichkeit, die Kosten der Einheit und des Aufbaus der DDR wirklich zu nennen. Für die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung in der DDR greift die Regierung einfach in die Kasse der Bundesanstalt für Arbeit. Die Reserven der Bundesanstalt für Arbeit gehören aber nicht Norbert Blüm, sondern den Beitragszahlern.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Was jetzt geschieht, ist ein verdeckter Beitragsklau auf Raten. Es wird gleichzeitig nie und an keiner Stelle zugegeben, daß die DDR auch mit dem Umtauschkurs von 1 : 1 am 2. Juli in ein gewaltiges soziales Sommerloch fallen wird. Niemand weiß bisher, wie es zu stopfen sein wird, aber die Wahrheit ist: Die DDR bekommt mit der D-Mark eben nicht den BRD-Wohlstand, sie wird ihn auch auf Jahre nicht bekommen, sie bekommt zunächst Massenarbeitslosigkeit.
    Den Umtauschkurs von 1 : 1 begrüßen wir durchaus, aber er löst nicht im mindesten die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, und das muß man auch sagen. Und warum sagt niemand in der Regierung den Westdeutschen, daß sie mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, mit einem Anstieg der Zinssätze und mit der Gefahr der Inflation zu rechnen haben?
    Es wird nicht offen darüber geredet, daß die Länder über den Länderfinanzausgleich auf Jahre zur Kasse gebeten werden und damit die Bürger über diese Länderebene auf der zweiten und dritten Ebene belastet werden.
    Immer wieder werden die Ökonomen von den Politikern zum Schweigen gebracht, bis sie dann endlich in ihrer ironischen Sprache, wie Herr Pöhl sie benutzt, zugeben, daß die entsprechenden Entscheidungen eben „politisch" vernünftig seien. Das heißt im Klartext: Ökonomisch gehen wir so in dieser Eile den allerteuersten der möglichen Wege. Gerade bei der schnellen Einheit werden viele Betriebe der DDR als konkurrenzunfähig ruiniert, die bei langsamem Vorgehen durchaus hätten reformiert werden können.



    Frau Dr. Vollmer
    Ich habe mich lange gefragt, warum die Analyse von Herrn Pöhl, die ja irgendwo säuberlich in schriftlicher Form vorliegen muß, eigentlich noch nicht im „Spiegel" erschienen ist. Der „Spiegel" ist ja eine Zeitschrift, die an die geheimsten Stasi-Akten herankommt, ebenso wie an die Regierungspapiere, lange bevor die Parlamentarier sie erhalten. Wieso ist eigentlich die Analyse der Bundesbank noch nirgendwo öffentlich gemacht worden?
    Öffentlich werden dagegen Debatten über lauter Zahlen geführt: 2: 1 oder 1: 1, Art. 23 oder Art. 146. Den Menschen in beiden Teilen Deutschlands wird bei diesen Zahlenspielen und bei dieser Berg- und Talfahrt von Hoffnung und Ohnmacht schwindelig, und das ist, glaube ich, auch der Sinn der Übung. Sie werden unmündig gehalten, damit sie alles den Bürokraten und Experten in den Regierungsetagen überlassen.
    Die Absicht der Regierung bei diesem Versteckspiel ist klar: Sie will bei ihrem Tun möglichst wenig vom Parlament und von der Öffentlichkeit gestört werden; deswegen schaltet sie beides auch möglichst weitgehend aus. Funktionieren kann es aber bloß, wenn eine Opposition in der DDR und in der BRD kaum noch stattfindet oder kaum noch stattfinden kann. Deswegen kritisieren wir zusammen mit dem Bündnis 90, daß sich die SPD in der DDR als Juniorpartner in die Regierung eingereiht hat. Wir kritisieren es auch deswegen, weil wir meinen, daß damit auch die SPD-Opposition hier gebunden ist. Statt einer großen öffentlichen Debatte, die einen Konsens in der Gesellschaft sucht, geht es immer mehr um einen Konsens zwischen den großen Machtzentralen, und wir fürchten ein bißchen, daß unter der Heussallee schon an einem Geheimgang zwischen Baracke und Kanzleramt gebaut wird.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So sieht es aus! Das ist unsere neueste Sorge!)

    Die Menschen in Deutschland werden unruhig, sie werden mißtrauisch, sie fragen immer wieder bohrend zurück, wenn ein und dieselbe Milliarde gleich dreimal verteilt wird. Schließlich wird ihnen die Antwort gegeben, die alle denkbaren Interessengegensätze und Zielkonflikte geradezu klassisch bereinigen soll: Es wird eben ein riesiges Wachstum in Großdeutschland geben. „Wachstum", das ist das Zauberwort, Wachstum in der BRD und Wachstum in der DDR.
    Da bin ich denn beim Hauptgrund der beklommenen Stimmung im Land. Bei diesem magischen Wort Wachstum wird eben nicht mehr vorbehaltlos in die Hände geklatscht oder gespuckt. Alle wissen nämlich, daß in derselben Zeit, in der dieses neue, große, ökonomisch potente Deutschland entsteht, ganz andere, größere Probleme wachsen, die unser Leben in Zukunft mehr bestimmen werden als jede staatliche Verfaßtheit irgendeines Landes.
    Die Klimakatastrophe hat in diesem selben Jahr mit der Deutlichkeit von Orkanen laut und mehrmals an unsere Tür geklopft. Sie hat uns klargemacht, daß es mit dem Wachstum eben nicht mehr weitergeht. Auf diese große Zukunftsfrage aber hat die Regierung nicht den Hauch einer Antwort. Zwar hat der Umweltminister auf einer Konferenz irgendwo weitab in den USA sagen dürfen, daß die Klimakatastrophe eigentlich nur zu verhindern wäre, wenn die Industriestaaten mindestens eine Generation lang ohne Wachstum auskämen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die DDR kommt schon die ganze Zeit ohne Wachstum aus! Und wie miserabel sieht es dort aus!)

    — das sagt sich schön auf einer Konferenz in der USA — , aber im Staatsvertrag steht gerade dazu nichts.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dem bedauernswürdigen Herrn Töpfer hat der ganze Staatsvertrag keinen Platz für eine ökologische Rahmenplanung gelassen.

    (Hüser [GRÜNE]: Er hat den wahrscheinlich noch nicht gelesen!)

    In diesem Wirtschaftswunder-Vertrag stehen dazu nur ein paar harmlose Floskeln, die gerade ein ganzes Drittel auf der allerletzten Seite einnehmen dürfen, unter dem schönen verräterischen Titel: „Regelungen, die im weiteren Verlauf noch anzustreben sind".

    (Häfner [GRÜNE]: Hört! Hört!)

    Es besteht also ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem Wachstum für das Vaterland und der Schrumpfung für das Klima und die Überlebenschancen der Erde. Darüber hilft auch die gekünstelte nationale Euphorie des Kanzlers in seiner leibhaftigen Größe nicht hinweg,

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Da haben Sie wohl einen Komplex!)

    die ohnehin weniger vom Herzen als von der Gesäßtasche kommt.
    Dieser D-Mark-Nationalismus kennt, wie Jürgen Habermas sagt, nur eine Rechnungseinheit für alle Themen: D-Mark-Wachstum und Wirtschaftswunder. Alle merken es: Diese Wachstumsmilitanz, dieser Wirtschaftswunder-Glaube erinnern an die 50er Jahre. Auch die Atmosphäre in der DDR erinnert an die 50er Jahre, in vielen kulturellen Einzelheiten. Auch die soziale Stimmung hier im Land erinnert an die 50er Jahre, und auch der Trotz und die mürrische Stummheit der Jugendlichen in diesem Land erinnern an die 50er Jahre.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie denn eigentlich?)

    Aber da lag doch etwas dazwischen, zwischen 1955 und 1990, nämlich die Emanzipation der Westdeutschen seit 1968 und die Revolution der Ostdeutschen im Herbst 1989. Was jetzt versucht wird, ist gerade die Umgehung dieser beiden zentralen Marksteine deutscher Geschichte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weinerliches Geschwätz!)

    Aber gerade in diesen beiden demokratischen Bewegungen, hier und drüben, liegt doch die Chance, gleichzuziehen mit den demokratischen Herausforderungen der Revolutionen in den osteuropäischen



    Frau Dr. Vollmer
    Staaten und mit den ökologischen Herausforderungen des neu entstehenden Europas.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die Wünsche der Menschen sind Ihnen egal!)

    Statt dessen liegt uns nun dieser Staatsvertrag vor. Eine solche Ungleichheit von Verteilung von Rechten und Pflichten ist, glaube ich, völkerrechtlich einmalig. Dieser Vertrag ähnelt einem Kolonialvertrag, geschrieben in Manchester 1890.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Pfeffermann [CDU/CSU]: Unverschämtes Weib ist das!)

    Das Budgetrecht gibt die DDR ab, und alle Gesetze der Bundesrepublik sollen denen der DDR übergeordnet sein. Nach diesem Vertrag ist der Beitritt der DDR nach Art. 23 nur noch eine hohle Geste. Die DDR ist nämlich schon einverleibt.
    Aber dieser Staatsvertrag markiert auch noch etwas anderes. Darauf möchte ich Sie hinweisen. Er markiert auch das Ende der Bundesrepublik, wie wir sie kannten. Wir tragen heute damit auch die uns bekannte Republik zu Grabe. Das sage ich auch mit Blick auf meine eigene Partei. Die Geschichte der Bundesrepublik ist vorbei.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Die haben Sie immer bekämpft! Sie haben immer eine andere Republik gewollt! Welche wollen Sie denn? — Das ist unglaublich! So was Heuchlerisches!)

    Deutschland ist nun beinahe eine Supermacht. In einer solchen Supermacht, wie wir sie werden, entstehen auch für die Opposition ganz neue Aufgaben. Das ist kein Grund zur Trauer, aber es ist ein Grund zum Innehalten, zum Nach- und Vorausdenken.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Das Ethos der Politik ist es, die Wahrheit zu den Problemen zu sagen und auf der Basis eines solch ehrlichen Redens Lösungen vorzuschlagen.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Fangen Sie doch mal damit an! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ein weinerliches Feuilleton ist das, was Sie hier bieten!)

    Aber das geht nur mit einem demokratischen Ablauf. Das geht nur, wenn man die Menschen mitentscheiden läßt. Das geht nur, wenn man ihnen reinen Wein über die Kosten des Prozesses und seine Chancen einschenkt. Das geht nur mit einem Volksentscheid nach ausführlicher Debatte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Diese Diskussion wollen wir. Wir werden uns auch die notwendige Zeit dafür nehmen.
    In diesem Land herrscht zur Zeit wirklich ein prima Klima. Ein Jahr lang Wahlkampf à la DDR: Das überstehen wirklich nur die Dümmsten und die Härtesten. Aber — da bin ich ganz sicher — es wird auch hier bald wieder ein ganz frischer Wind oder auch ein Orkan vom Berge her wehen. Der Geist des Staatsvertrages war davon geprägt, daß Vater Staat die Probleme der Einheit schon irgendwie regeln wird, daß die Bürger schlafen können und daß man ihnen nicht allzusehr wehtun will.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weinerliches Geschwätz!)

    Wir setzen darauf, daß die Gesellschaft stärker und emanzipierter ist und daß sie die beiden demokratischen Traditionen wachhalten will. Deswegen setzen wir auch darauf, daß die Gesellschaft auch Wahrheiten ertragen kann, wenn man sie wirklich mit den entscheidenden Fragen unserer Zeit konfrontiert.
    Das Konzept der Regierung ist es, den Wahlkampf unter der Parole zu führen: Wir machen das große Deutschland zur Nummer eins in der Welt. — Aus der großen Wachstumswundertüte soll für alle etwas abfallen. Unser Gegenkonzept heißt: Wir machen die Zukunft dieser Erde zum Wahlkampfthema Nummer eins. Wir holen die Zukunft an den Kabinettstisch. Wir verschweigen durchaus nicht, daß die Zukunft, wenn sie denn eine sein soll, allen auch etwas an Verzicht und Lebensveränderung zumutet. Ich bin wirklich sehr gespannt, welchen Parolen und welchen Politikern die Menschen in diesem Land dann eher folgen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ihnen mit Sicherheit nicht!)

    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)