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    Plenarprotokoll 11/205 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 205. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. März 1990 Inhalt: Änderung einer Überweisung 16039 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/6542 [neu], 11/6835, 11/6841) Kühbacher SPD 16039 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 16040 D Dr. Penner SPD 16042 B Lutz SPD 16042 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 16043 C Frau Unruh fraktionslos 16044 B Richter FDP 16044 D Such GRÜNE 16045 D Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 16046 C Kühbacher SPD 16048 C Namentliche Abstimmung 16049 B Tagesordnungspunkt 21: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 (Nachtragshaushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/6400, 11/6775) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (ERP-Nachtragsplangesetz 1990) (Drucksachen 11/6592, 11/6780) Borchert CDU/CSU 16051A, 16055 D Frau Matthäus-Maier SPD 16051 B Uldall CDU/CSU 16052 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 16054 B Frau Vennegerts GRÜNE 16059 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 16062 C Carstens, Parl. Staatssekretär BMF . . . 16065 B Kühbacher SPD 16070A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 16071 D Wieczorek (Duisburg) SPD 16072 B Müller (Wadern) CDU/CSU 16073 C Gattermann FDP 16074 B Dr. Rose CDU/CSU 16075 A Frau Beer GRÜNE . . . . 16077 D Frau Seiler-Albring FDP 16079 B Weiss (München) GRÜNE 16081 A Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi . 16081 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 Namentliche Abstimmungen 16085 B Nächste Sitzung 16090 C Berichtigung 16090 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .16091* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 21 der Tagesordnung (Nachtragshaushaltsgesetz 1990 und ERP-Nachtragsplangesetz 1990) 16091* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 16099* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16039 205. Sitzung Bonn, den 30. März 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 203. Sitzung, Seite 15840 C, 1. Absatz, letzte Zeile: Statt 1,3 % ist 3,1 % zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Ahrens SPD 30. 03. 90 ** Andres SPD 30. 03. 90 Dr. Apel SPD 30. 03. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 30. 03. 90 Büchner (Speyer) SPD 30. 03. 90 * Dr. von Bülow SPD 30. 03. 90 Frau Bulmahn SPD 30. 03. 90 Buschbom CDU/CSU 30. 03. 90 Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 30. 03. 90 Frau Conrad SPD 30. 03. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 30. 03. 90 Duve SPD 30. 03. 90 Egert SPD 30. 03. 90 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 30. 03. 90 Eich GRÜNE 30. 03. 90 Engelsberger CDU/CSU 30. 03. 90 Eylmann CDU/CSU 30. 03. 90 Fischer (Homburg) SPD 30. 03. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 30. 03. 90 Gansel SPD 30. 03. 90 Frau Garbe GRÜNE 30. 03. 90 Frau Geiger CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 30. 03. 90 Genscher FDP 30. 03. 90 Glos CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Götz CDU/CSU 30. 03. 90 Graf SPD 30. 03. 90 Dr. Grünewald CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Haack SPD 30. 03. 90 Haack (Extertal) SPD 30. 03. 90 Frau Hasselfeldt CDU/CSU 30. 03. 90 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 30. 03. 90 Hedrich CDU/CSU 30. 03. 90 Heimann SPD 30. 03. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 30. 03. 90 Frau Hensel GRÜNE 30. 03. 90 Herkenrath CDU/CSU 30. 03. 90 Höffkes CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Holtz SPD 30. 03. 90 * Horn SPD 30. 03. 90 Dr. Hoyer FDP 30. 03. 90 Kastning SPD 30. 03. 90 Klein (München) CDU/CSU 30. 03. 90 Kleinert (Marburg) GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Klejdzinski SPD 30. 03. 90 * Dr. Knabe GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Kohl CDU/CSU 30. 03. 90 Kolbow SPD 30. 03. 90 Kuhlwein SPD 30. 03. 90 Lennartz SPD 30. 03. 90 Lenzer CDU/CSU 30. 03. 90 * Frau Limbach CDU/CSU 30. 03. 90 Linsmeier CDU/CSU 30. 03. 90 Lintner CDU/CSU 30. 03. 90 für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lowack CDU/CSU 30. 03. 90 Lüder FDP 30. 03. 90 Frau Luuk SPD 30. 03. 90 * Dr. Mechtersheimer GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 30. 03. 90 Meyer SPD 30. 03. 90 Möllemann FDP 30. 03. 90 Müller (Wesseling) CDU/CSU 30. 03. 90 Frau Odendahl SPD 30. 03. 90 Opel SPD 30. 03. 90 Peter (Kassel) SPD 30. 03. 90 Petersen CDU/CSU 30. 03. 90 Pfeifer CDU/CSU 30. 03. 90 Poß SPD 30. 03. 90 Reuschenbach SPD 30. 03. 90 Richter FDP 30. 03. 90 Frau Roitzsch CDU/CSU 30. 03. 90 (Quickborn) Rossmanith CDU/CSU 30. 03. 90 Roth SPD 30. 03. 90 Schäfer (Mainz) FDP 30. 03. 90 Schanz SPD 30. 03. 90 Frau Schilling GRÜNE 30. 03. 90 Schmidt (München) SPD 30. 03. 90 ** Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 30. 03. 90 Schmidt (Salzgitter) SPD 30. 03. 90 Dr. Schmude SPD 30. 03. 90 Schröer (Mülheim) SPD 30. 03. 90 Schütz SPD 30. 03. 90 Seidenthal SPD 30. 03. 90 Spilker CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Stercken CDU/CSU 30. 03. 90 Stobbe SPD 30. 03. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 30. 03. 90 Stratmann GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Unland CDU/CSU 30. 03. 90 * Dr. Vondran CDU/CSU 30. 03. 90 Vosen SPD 30. 03. 90 Dr. Waigel CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. von Wartenberg CDU/CSU 30. 03. 90 Weisskirchen (Wiesloch) SPD 30. 03. 90 Dr. Wieczorek SPD 30. 03. 90 Wiefelspütz SPD 30. 03. 90 Wischnewski SPD 30. 03. 90 Wissmann CDU/CSU 30. 03. 90 Wüppesahl fraktionslos 30. 03. 90 Würtz SPD 30. 03. 90 Zierer CDU/CSU 30. 03. 90 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 21 der Tagesordnung (Nachtragshaushaltsgesetz 1990 und ERP-Nachtragsplangesetz 1990) * ) Deres (CDU/CSU): Als wir heute vor vier Monaten an dieser Stelle den Haushalt 1990 abschließend dis- *) Vgl. Seite 16082 D 16092 * Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 kutieren wollten, wurden wir mit der tödlichen Realität des heimtückischen Mordanschlags auf Alfred Herrhausen konfrontiert. Ich will deshalb, auch wenn das Zahlenwerk des Nachtragshaushalts dazu nichts enthält, mit zwei Feststellungen beginnen: Erstens. Andere Themen beherrschen die tagespolitischen Schlagzeilen. Aber die Bombenanschläge der letzten Wochen und der abgebrochene Terroranschlag der RAF gegen Minister Kiechle mahnen zu höchster Wachsamkeit. Bei der Bekämpfung des Terrorismus sind langer Atem, zugleich aber Flexibilität und Erfindungsreichtum gefragt. Wir wissen, daß es keinen perfekten Schutz gegen skrupellose, zum äußersten entschlossene Verbrecher gibt. Zweitens. Dennoch sind wir optimistisch; unser Rechtsstaat ist stärker als die terroristischen Mörderbanden. Das Bundeskriminalamt, seine Mitarbeiter und seine ab übermorgen neu amtierende Spitze kann der konstruktiven Unterstützung durch meine Fraktion und meine Kollegen im Haushaltsausschuß sicher sein. — Ob das allerdings in erster Linie mit Panzerwagen geschehen soll, das ist zwischen dem BKA und uns strittig. — Das gilt nicht nur für die Terrorismusbekämpfung, sondern ebenso für das Krebsgeschwür der organisierten Kriminalität und Rauschgiftkriminalität. Dem scheidenden BKA-Präsidenten, Herrn Dr. Boge, möchte ich von hieraus für seine Arbeit herzlich danken. Meine Damen und Herren, die Haushaltsansätze beim Innenbereich dieses Nachtragshaushalts spiegeln die ganze Vielfalt der Probleme wider, vor welche uns der atemberaubende Prozeß der deutschen Einheit stellt. Bevor ich auf einige dieser Fragen eingehe, möchte ich — gerade mit Blick auf den Innenbereich — drei Gesichtspunkte hervorheben: Wer heute die Forderung erhebt, wie sie aus der Opposition laut wird, man müsse fertige Lösungen für die Verhältnisse in der DDR und den Zeitpunkt nach der Vereinigung beider deutscher Staaten vorlegen und die damit verbundenen finanziellen Kosten auf Heller und Pfennig auflisten, verlangt Unmögliches oder will in Wahrheit die deutsche Einheit nicht. Der Prozeß der deutschen Einheit ist — wie vom Bundesfinanzminister und der Bundesregierung dargestellt — finanzierbar. Das bedeutet auch für den Innenbereich nicht nur äußerste Sparsamkeit. Vielmehr müssen alle Umschichtungsmöglichkeiten genutzt werden. Wo die veränderte Situation in Mitteleuropa Aufwendungen nicht mehr erfordert, darf es keine Besitzstände geben. Schließlich: Weil wir unser Wirtschaftswachstum und unsere Kreditwürdigkeit zur Finanzierung der deutschen Einheit nutzen wollen, können voraussichtlich manche Zuwachsmöglichkeiten für die übrigen, vom Prozeß der deutschen Einheit nicht betroffenen Haushaltsansätze nicht mehr realisiert werden. Um es konkret zu sagen: Es ist wie bei dem neuverheirateten Ehepaar, das seine Wohnung einrichtet. Damit eine vernünftige Küche angeschafft werden kann, muß das Auto eben ein Jahr länger gefahren werden und muß die Skiausrüstung mehr als eine Saison halten. Ich meine, daß diese Tatbestände ebenso einfach wie klar sind. Ich appelliere deshalb an die Kollegen der Opposition, mit der unsoliden Polemik zu den Kosten der deutschen Einheit aufzuhören. Die Einwohner der DDR und unsere Bürger wollen von uns kein Hellsehen, keine Panikmache, sondern nüchterne und realistische Haushaltspolitik. Um bei meinem Beispiel der Familiengründung zu bleiben: Kein junges Ehepaar bildet sich vor der Hochzeit ein, genau vorher berechnen zu können, was denn diese Ehe im Laufe der Jahre kosten wird; die beiden trauen sich aber sehr wohl zu, das zu schaffen. Bei uns und der DDR ist es genau so! Ich komme jetzt zu einigen wichtigen Punkten aus dem Nachtragshaushalt. Mit zusätzlich 4,6 Millionen DM wollen wir ein Zeichen geben, daß sich das Zusammenwachsen beider deutscher Staaten nicht in der Regelung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse erschöpfen darf, daß vielmehr die Jahrzehnte der Teilung nicht zuletzt durch kulturelle Begegnungen schneller aufgearbeitet werden können. Z. B. sollen bei den Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Nachfrage durch Besucher und Benutzer aus der DDR erfüllt werden kann. Wir unterstreichen weiter durch ein vom Aufbaustab für das Deutsche Historische Museum betreutes Ausstellungsprojekt, daß diesem Museumsvorhaben unverändert hohe Priorität zukommt. Wenn es das Projekt eines Deutschen Historischen Museums in Berlin noch nicht gegeben hätte, nach dem 9. November vergangenen Jahres hätte es erfunden werden müssen! Was die künftige Kulturförderung des Bundes angeht, möchte ich aber schon jetzt deutlich machen, daß für uns eine Kultur im Staatssold — wie bislang in der DDR — nicht in Betracht kommt. Kultur in einem pluralistischen Staatswesen ist zuallererst Sache der Bürger, in einem föderalistischen Staatswesen zudem primär Sache der Länder. Die zuletzt genannten Grundsätze gelten ebenso für den Bereich des Sports. Wir haben in den letzten Wochen erfahren, welche Schattenseiten mit der Medaillenflut des DDR-Sports verbunden waren, wie Doping unter Mißachtung der Gesundheit der Sportler betrieben wurde. Ich sehe deshalb den prinzipiellen Ansatz unserer Bundessportförderung, nämlich die Beschränkung auf den Spitzen- und Leistungssport, bestätigt. Ich bin zuversichtlich, daß sich auch in der DDR sehr schnell ein staatsfreier Breitensport lebensfähig entwickeln wird. Unsere Vereine und ihre Aktiven haben die Zeichen der Zeit erkannt und helfen mit Begegnungen und Partnerschaften sehr viel effektiver, als es hiesige staatliche Einrichtungen tun könnten. In den letzten Monaten hat sich der Wert der beiden Rundfunkanstalten des Bundes zur Information der Bevölkerung in der DDR sowie in unseren Nachbarstaaten gezeigt. Mit dem Nachtragshaushalt tragen wir dieser intensivierten Berichterstattung Rechnung. Der Prozeß der deutschen Einheit legt allerdings für die Zukunft eine Überprüfung der gewachsenen Strukturen von Deutscher Welle und Deutschlandfunk nahe. Ich meine, es sollte möglich sein, bis Anfang nächsten Jahres eine mit den Ländern abgestimmte Neukonzeption vorzulegen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16093* Aus den verschiedensten Behörden hört man von Kontakten mit vergleichbaren Stellen in der DDR, verbunden mit dem Wunsch nach zusätzlichen Haushaltsmitteln, um den Partnern in der DDR aus den ärgsten Klemmen zu helfen. Wir haben derartige Wünsche bewußt nicht in den Nachtragshaushalt aufgenommen. So gut solche Aktivitäten sind: Wer helfen will, mag zunächst in die eigene Tasche und nicht in die Tasche des Steuerzahlers greifen, d. h. soll sich von noch gut Brauchbarem, aber Entbehrlichem trennen. Der Finanzminister sollte prüfen, ob er nicht für eine solche „Behördenhilfe" eine generelle Ausnahme nach § 63 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung zuläßt. Bei der Beratung des BMI-Haushalts hat die Opposition Stellenstreichungen bzw. Verlagerungen weg vom Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. Bundesgrenzschutz und hin zu anderen Aufgaben gefordert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt solche unüberlegten Schnellschüsse ab. Eine — in verschiedenen Bereichen infolge der innerdeutschen Entwicklung durchaus absehbare — Umstrukturierung bestehender Behörden erfordert, damit das ganze sachgerecht und unter Berücksichtigung der neuen sich aus dem Einigungsprozeß ergebenden Bedürfnisse erfolgt, einen planerischen Vorlauf. Im übrigen ist davon eine Vielzahl von Bediensteten persönlich betroffen; der Gesichtspunkt der Fürsorge darf nicht außer acht gelassen werden. Mit dem Wegfall der innerdeutschen Grenze und den Veränderungen in der CSSR werden die bisherigen Grenzsicherungsaufgaben der BGS-Verbände entfallen. Dies heißt aber nicht, daß künftig auf eine verbandsmäßig organisierte Polizei des Bundes verzichtet werden könnte. Die Polizeiverbände des BGS sind unverzichtbarer Bestandteil der zwischen Bund und Ländern abgestimmten Konzeption für die innere Sicherheit. Für die Bewältigung schwieriger Sicherheitslagen — ich nenne nur die Stichworte Brokdorf und Wackersdorf — brauchen wir eine Verbandspolizei des Bundes, auch in einem künftigen deutschen Gesamtstaat. Ebenso brauchen wir an den Außengrenzen und Flughäfen die Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht, daß die reibungslose Aufnahme der Übersiedler aus Ungarn und der CSSR im Herbst vorigen Jahres u. a. nur deshalb möglich war, weil auf den Bundesgrenzschutz und seine Infrastruktur zurückgegriffen werden konnte. Ich sehe im übrigen weitere Daueraufgaben auf den BGS im Rahmen der Kompetenzordnung des Bundes zukommen, nämlich Bahnpolizei mit Fahndungsdienst sowie Gewährleistung der Luftsicherheit. Zum Bundesamt für den Verfassungsschutz hat es — so habe ich mir sagen lassen — bereits eingehende Beratungen im zuständigen Haushaltsgremium dieses Hohen Hauses gegeben. Die möglichen und verantwortbaren Konsequenzen in diesem Jahr sind gezogen worden. Ich gehe davon aus, daß die weiteren Auswirkungen bei der Haushaltsaufstellung 1991 berücksichtigt werden. Ich füge aber ausdrücklich hinzu: Der Auftrag des Verfassungsschutzes, nämlich Beobachtung von Bestrebungen, welche die freiheitliche Ordnung unseres Landes beschädigen oder zerstören, besteht unverändert und nach den schlimmen Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst erst recht in einem künftigen Gesamtstaat. Die Entscheidung unseres Grundgesetzes für eine wehrhafte Demokratie ist eine der wesentlichen Garantien für die politische und private Freiheit. Selbst wenn die kommunistischen Parteien und ihre Nachfolgeorganisationen ihren Absolutheitsanspruch aufgeben, bleiben die Abwehr anderer intoleranter Ideologien, von Ausländerextremismus und Terrorismus sowie die Abwehr von Ausspähungsversuchen im öffentlichen und privaten Bereich. Vor dem Hintergrund steigender Aussiedlerzahlen und der beabsichtigten Umstellung des Registrierverfahrens haben wir eine maßvolle Ausweitung des Personals beim Bundesverwaltungsamt vorgenommen. Wir begrüßen die Absicht des Innenministers, die Aufnahme als Aussiedler von einem vorausgegangenen schriftlichen Verfahren mit sorgfältiger, mit den Ländern abgestimmter Prüfung der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. der deutschen Volkszugehörigkeit abhängig zu machen. Wir lehnen den menschenverachtenden Gesetzentwurf des saarländischen Ministerpräsidenten, der Aussiedlern aus der UdSSR und Rumänien die Aufnahme verwehren will, ab. Wir halten es aber für zumutbar, daß die Deutschen bzw. deutschen Volkszugehörigen, die sich zur Aussiedlung entschließen, von ihren Herkunftsländern her das Aufnahmeverfahren betreiben. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden die Bundesaufnahmestellen für Übersiedler in Gießen und Berlin-Marienfelde nebst ihren Außenstellen vom Sommer dieses Jahres an in ihrer eigentlichen Funktion entbehrlich. Wir haben, soweit in diesem Jahr möglich, bereits dort entbehrliches Personal umgesetzt und gehen davon aus, daß im Haushalt 1991 dort nur noch das für Auskünfte benötigte Personal arbeitet. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der Prozeß der deutschen Einheit wird im Innenbereich zu Umstrukturierungen, Umorganisation und auch Minderbedarf in einigen Bereichen führen; in anderen zeichnet sich Mehrbedarf ab. Wir werden darauf achten, daß hier soweit möglich Umsetzungen und kein Aufwuchs stattfindet. In der gegenwärtigen Phase haben wir uns der Notwendigkeit einer Verstärkung des Ministeriums selbst nicht verschließen können. Der Abgleich und die darauf folgende Angleichung der Staatsstrukturen der DDR an die Prinzipien des föderalistischen Rechtsstaats ist ohne qualifiziertes neues Personal nicht zu bewältigen. Hinzu kommt die Federführung für die schrittweise Anpassung der beiden Rechtssysteme, d. h. Überleitungsgesetzgebung. Ich erwarte auch, daß die verschiedenen Schulungseinrichtungen im BMI-Bereich, wie z. B. Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, Fachhochschule des Bundes, alle Anstrengungen unternehmen, um Personal aus der DDR mit den Prinzipien und Regeln einer rechtsstaatlichen, die Freiheitsrechte der Bürger respektierenden Verwaltung vertraut zu machen. Umgekehrt halte ich es für notwendig, daß sich aus allen Bereichen unseres öffentlichen Dienstes, angefangen bei den Kommunen bis hin zu den Bundesministerien, qualifizierte Mitarbeiter für eine Beratungstätigkeit in der DDR zur Verfügung stellen. Wir stellen durch An- 16094* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 derung des Haushaltsgesetzes die erforderlichen Leerstellen und durch einen neuen Titel im Einzelplan 60 dafür Mittel bereit. Meine Damen und Herren, bei der Schlußberatung des Haushalts 1990 Ende vergangenen Jahres hat der Bundeskanzler mit seiner zehn-Punkte-Konzeption die Richtung angegeben. In diesen Tagen heißt der wichtigste Wegweiser zur deutschen Einheit „Artikel 23". 100 Staatsrechtsprofessoren deutscher Universitäten haben sich in dieser Woche mit überzeugenden Gründen für diesen Weg ausgesprochen. Das Grundgesetz ist die erfolgreichste Verfassung der deutschen Geschichte, sie hat uns 40 Jahre einer freiheitlichen und stabilen Demokratie mit Wohlstand und sozialer Sicherheit gebracht. Der Weg des Art. 23 des Grundgesetzes gibt unseren Bürgern die Sicherheit, daß wir diese tragfähige Grundlage nicht verlassen, gibt den Bürgern in der DDR die einzig überzeugende Alternative und läßt schließlich Spielraum für gerechten Ausgleich der Interessen. In dieser Phase kommt dem Bundesinnenminister und seinem Geschäftsbereich besondere Bedeutung zu. Die Koalitionsfraktionen werden dafür auch weiterhin die haushaltsmäßigen Voraussetzungen schaffen. Esters (SPD): Der Bundeskanzler und die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion versuchen, den Eindruck zu erwecken, als verliefen die politischen Trennungslinien bei Regierung und Opposition zwischen Vorkämpfern und Zauderern auf dem Weg zur deutschen Einheit. Dieser Nachtragshaushalt 1990 demonstriert — dürftig, wie er ist — den wirklichen Grundwiderspruch. Er liegt beim Bundeskanzler selbst und besteht ausschließlich darin, daß dieser mit oft bombastischer Rhetorik die schnelle Einheit fordert, daß er sich aber bei den dazu notwendigen Schritten unvorbereitet und ohne Konzept zeigt. Der Erwartungshorizont bei den Mitbürgern in der DDR auf ein Wirtschaftswunder wie durch Zauberkraft ist hochgesteckt und droht, wenn die Versäumnisse in der Sacharbeit andauern, schwer enttäuscht zu werden. Wir spekulieren nicht auf Baisse. Wir haben vom Beginn der Entwicklungen in Deutschland an keinen Zweifel daran gelassen, daß wir das Zusammenwachsen Deutschlands mit aller Kraft anstreben und daß wir die sozial verpflichtete Marktwirtschaft und eine Währungsunion für die notwendigen Mittel halten, um gerecht verteilte Existenzverbesserungen für die Bürger in der DDR zu erreichen. Ich sage ganz bewußt gegen einige elitäre Fastenprediger: Wir halten das Streben nach Wohlstand und sozialer Sicherheit für völlig legitim, weil dies die materielle Grundlage für die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist. Wir Sozialdemokraten befürchten aber, daß die überbordenden Hoffnungen in der DDR zunächst im Zeitmaß enttäuscht werden und daß daraus eine Resignation entsteht, die bei der labilen Stimmung den Einheitsprozeß belastet. Sie haben durch eine Reihe von Wahlkampfauftritten in der DDR ungeheure Erwartungen geweckt. Sie dürfen sich nun nicht wundern, wenn dort und hier bei uns gefragt wird, wie diese Erwartungen umgesetzt werden. Man glaubte, Sie hätten fertige Konzepte. Das erweist sich als irrig. Statt dessen gibt es vielstimmige Auseinandersetzungen in den Medien, in Wirtschaft und Wissenschaft bis hinunter zu den Stammtischen, die über Lösungen und Scheinlösungen stattfinden, während die politische Führung im Nebel stochert. Ein Beispiel ist die Währungsunion: Der mit großem Feldgeschrei verkündete Sommertermin ist nicht zu halten, deutet der Bundesfinanzminister an. Er warnt sogar im Haushaltsausschuß davor, Zeithorizonte zu erstellen, die unrealistisch seien. Als zuständiger Fachminister hat er offenbar erkannt, welche Problemberge vor uns liegen, und wir wären in dieser Einschätzung der sachlichen und zeitlichen Möglichkeiten mit ihm einig, wenn er nicht selbst zuvor unhaltbare Versprechen gemacht hätte. Sie müssen sich nicht wundern, daß draußen zu der Verwirrung noch ein Gefühl der Ohnmacht vor den Schwierigkeiten hinzukommt. Wir spüren dies in den Wahlkreisen. Sie sind offenbar auf dem Rückzug. Sie sammeln Ihre Versprechen vor der DDR-Wahl wieder ein, nachdem der Mohr seine Schuldigkeit getan hat. Eine vorausschauende Politik aber muß nüchtern sein und sich auch darauf konzentrieren, die sozialen Ängste, die die Kehrseite der erwarteten wirtschaftlichen Dynamik sind, zu nehmen. Demgegenüber ist dieser Nachtragshaushalt selbst für unumgängliche Maßnahmen, die unstreitig nur durch Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt bewirkt werden können, ohne Gestaltungskraft: Das Volumen für die Umweltschutzinvestitionen, die schon aus den egoistischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland geboten sind, ist ebenso kläglich wie das für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen oder die Umstellung der Energiewirtschaft, ohne die überhaupt keine wirtschaftliche Entwicklung stattfinden kann. Wenn dieser Nachtragshaushalt zum Juni in Kraft tritt, wird die Bundesregierung fast ein halbes Jahr vertan haben, ohne die Voraussetzungen zur Bewältigung des Notwendigsten geschaffen zu haben. Sie gestehen dies selbst ein, indem Sie über einen zweiten Nachtragshaushalt sprechen, noch bevor dieser erste abschließend beraten ist. Wir Sozialdemokraten wissen, daß die Detailarbeit für die inhaltlichen Ziele der deutschen Einheit schwierig ist und daß erhebliche Belastungen für die Bürger hüben wie drüben unvermeidlich sind. Gerade deshalb ist es irreführend, so zu tun, als erforderte die Einheit keine Opfer. Dies ist neben der Planlosigkeit in der Sacharbeit der zweite Vorwurf, den wir an die Adresse der Bundesregierung richten. Ein weiterer Vorwurf schließt sich an: Er resultiert aus der Art und Weise, mit der der Bundeskanzler in einer Mischung aus Sendungsgefühl und berechnender Parteitaktik den Alleinvertretungsanspruch in Fragen der deutschen Einheit usurpiert. Wir sind uns einig, daß der Kern der Umwälzungen in der DDR die Begründung der parlamentarischen Demokratie als Voraussetzung persönlicher Freiheit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16095* ist. Darin liegt die Größe des Ereignisses. Gerade diese Errungenschaft diskreditiert der Bundeskanzler, wenn er die soeben frei gewählten Repräsentanten der DDR als Statisten und Befehlsempfänger behandelt und wenn er bei uns einen Regierungsstil praktiziert, den man in der wilhelminischen Ära als „persönliches Regiment" bezeichnet hat. Es gibt offenbar keine Sprechverbote, aber doch Denkverbote in den eigenen Reihen, z. B. zur Frage von Steuertariferhöhungen oder zum Geltungsbereich des propagierten 1 : 1-Umtauschkurses. Es gibt ferner eine regelrechte Ausgrenzung der Freien Demokraten, die in der Koalition neuerdings auf die Rolle des antiken Chors — auf Warnungen und Wehklagen — reduziert sind. Und es gibt schließlich eine beispiellose Mißachtung des Deutschen Bundestages, der spärlich unterrichtet wird und sich einer Informationspolitik ausgeliefert sieht, die offenbar gezielt einige wohlgesinnte Presseerzeugnisse mit Nachrichtenbrocken versieht, um Stimmungsmache zu betreiben. Dem Deutschen Bundestag ist zur Zeit lediglich die Rolle zugedacht, das persönliche Regiment des Bundeskanzlers durch Bewilligung weiterer Aufwüchse der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit zu stärken, die von 222 Millionen DM im Jahre 1982 auf einschließlich Nachtragshaushalt 427,5 Millionen DM im Jahre 1990, also um sage und schreibe 92,5 v. H., bei einer sonstigen Steigerungsrate des Haushalts von 27,6 v. H. angestiegen sind. Die SPD-Fraktion ist dabei, die Verfassungsmäßigkeit dieser Ausgaben im Wahljahr 1990 zu überprüfen, und bittet auch den Bundesrechnungshof, sein Augenmerk darauf zu richten. Der Deutsche Bundestag führt in diesem Plenarsaal regelmäßig Debatten zum parlamentarischen Selbstverständnis. Alle Bekenntnisse, die hierzu abgegeben wurden, erweisen sich jedenfalls bei der Gestaltung der deutschen Einheit als Makulatur. Auf der Tagesordnung des Haushaltsausschusses steht zwar seit einigen Wochen als ständiger Beratungspunkt eine Unterrichtung durch die Bundesregierung über den Stand und die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Wir erfahren jedoch inhaltlich wenig, weil die Bundesregierung entweder zögert, Aussagen zu treffen, oder weil sie das Parlament vor vollendete Tatsachen stellen und ihm eine bloße Notarfunktion zuweisen will. Wie kann man es bewerten, wenn z. B. der Kollege Nehm auf seine Anfrage, wie der Übergang der DDR auf eine Haushalts- und Steuerpolitik nach bundesrepublikanischem Vorbild gestaltet werden soll, von der Bundesregierung die Antwort erhält, daß die Vorbereitungen dazu nachdrücklich vorangetrieben würden und daß die Experten-Kommission wesentliche Fortschritte erzielt hätte, die allerdings vertraulich seien? Ich nenne das Desinformationspolitik und Parlamentsmißachtung. Es wird beklagt, daß unser Grundgesetz seinerzeit ohne umfassende Mitwirkung des Volkes zustande gekommen sei. Die deutsche Einheit soll nun offenbar zustande kommen, indem die beiden freigewählten Parlamente auf eine Chargenrolle beschränkt werden. Erst zuletzt scheint der Bundesregierung klargeworden zu sein, daß die Wirtschaftsänderungen in der DDR nicht einfach statuiert werden können, sondern eine Fülle von Entscheidungen der nunmehr freien Volkskammer voraussetzen. Die Frau Präsidentin Süssmuth hat den Deutschen Bundestag als „Werkstatt der Demokratie" bezeichnet. In der Frage der deutschen Einheit ist er eher der „Wartesaal der Demokratie" geworden, in welchem wir nur Gäste sind. Selbst zu Angelegenheiten, die zuallererst dieses Parlament betreffen, nämlich zur Frage gesamtdeutscher Wahlen, äußert sich der Bundeskanzler nicht hier im Plenum, sondern legt sich darauf während einer Pressekonferenz mit dem irischen Ministerpräsidenten fest. Ich appelliere an die Mehrheitsfraktionen: So wie es dem Bundesrat und den Ländern gelungen ist, ihre Rolle im Einigungsprozeß durchzusetzen, so muß auch der Deutsche Bundestag seinen Anspruch energisch geltend machen. Ich richte in dieser Hinsicht auch einen Appell an die Präsidentin. Wir Sozialdemokraten fordern den Bundeskanzler auf, einen Beitrag zum nationalen Konsens nicht nur von den demokratischen Parteien in der DDR, namentlich der SPD, zu verlangen, sondern ihn auch hier in der Bundesrepublik wenigstens so zu praktizieren, daß die Parlamentsrechte geachtet werden. Die jetzige Beratung des Nachtragshaushalts 1990 ist der gegebene Zeitpunkt, wenigstens die Eckwerte zu nennen, mit denen der Übergang der DDR in die neue Wirtschaftsordnung aus dem Bundeshaushalt flankiert werden soll. Wir bitten Sie hier im Plenum um Auskunft, was wenigstens in groben Zügen der Inhalt des angekündigten Leitsätze-Gesetzes zur Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft und zur Errichtung einer Währungs- und Sozialunion ist und welche Belastungen sich daraus oder aus den Folgegesetzen für die Haushalte von Bund und Ländern ergeben. Wie wollen Sie die Anschubfinanzierung bei den Sozialversicherungssystemen erbringen, die für September angekündigt ist? Woher sollen die Mittel genommen werden? Schon jetzt bewegen Sie sich bei der Kreditfinanzierung in der Nähe des Art. 115 GG und werden die Leitsätze der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bei Überschreitung zu berücksichtigen haben. Für welche Bereiche soll bei der Währungsunion ein Umtausch 1 : 1 gelten, um eine beliebte Streitfrage zu nennen, die bei Ihnen beliebig beantwortet wird? Wann soll der zweite Nachtragshaushalt kommen, und welchen Inhalt und Umfang soll er haben? Teilen Sie die Auffassung des Sachverständigenrats, dem wir zustimmen, daß es nach historischem Vorbild dem ERP-Sondervermögen oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau ermöglicht werden soll, der DDR für bestimmte Verwendungen Kredite zu besonders günstigen Konditionen einzuräumen? In etwas abgewandeltem Zuschnitt halten wir unser SPD-Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt", das 16096* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 nach diesem Muster angelegt ist, für geeignet, von seinen Schwerpunkten her die dringlichste Problematik beim Aufbau einer freien Wirtschaft in der DDR mit lösen zu helfen. Es geht nicht an, daß sich die deutsche Einheit nach Art der geheimen Kabinettspolitik des vorigen Jahrhunderts vollzieht. Sagen Sie den Bürgern in beiden Staaten Deutschlands, was sie von der deutschen Einheit erwarten können und was sie dafür zu leisten haben. Hören Sie auf besonnene Stimmen, die vor zu kurz gegriffenen zeitlichen Horizonten und vor Problemunterschätzungen warnen. Roth (Gießen) (CDU/CSU): Erlauben Sie mir bitte, in der Schlußrunde dieser verbundenen Debatte einige Bemerkungen zum Nachtrag für den Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens. Es kann jetzt in der DDR nicht um den Umbau des zusammengebrochenen Sozialismus gehen; im Vordergrund stehen muß der Aufbau einer offenen marktwirtschaftlichen Ordnung mit sozialer Absicherung. Diese Herausforderung werden wir nur bewältigen, wenn es gelingt, einen breiten wirtschaftlichen Mittelstand zu entwickeln bzw. zu reaktivieren. Dies ist die wirtschaftspolitische Schlüsselfrage. Ludwig Erhard hat schon im September 1953 energisch darauf gedrängt, für den Fall der Wiedervereinbarung den Prozeß der Leistungsangleichung zeitlich so kurz wie möglich zu bemessen. Dieser Prozeß werde um so rascher und erfolgreicher vor sich gehen, je mehr private Initiative und Tatkraft zur Entfaltung kommt. Weil das von uns auch heute noch so gesehen wird, leisten wir die Starthilfe für den wirtschaftlichen Aufholprozeß. Die Aufstockung des ERP-Sondervermögens um insgesamt 2 Milliarden DM hat dabei zentrale Bedeutung. Zusammen mit den Kreditaufnahmen am Kapitalmarkt stehen 6 Milliarden DM in den nächsten Jahren als Aufbaukredite für einen leistungsfähigen Mittelstand in der DDR zur Verfügung. Deshalb muß die ERP-Förderung innerhalb der Bundesrepublik aber keineswegs eingeschränkt werden. Überhaupt denke ich, daß wir auf diesem Felde gesamtdeutsch handeln müssen. Die Kammern, Verbände und Organisationen unserer Wirtschaft einschließlich des Handwerks verdienen unseren Dank für die bereits ergriffenen Initiativen. Nach unserem Verständnis müssen die Kräfte der privaten Wirtschaft zur Entfaltung gebracht werden. Dies gilt auch für die Finanzierung des gewaltigen Investitionsbedarfs. Die Schaffung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen und die Herstellung von Rechtssicherheit sind die politische Bringschuld. Wir müssen die verheerenden Strukturen der sozialistischen Kommandowirtschaft aufbrechen und den Mittelschichten Entwicklungsmöglichkeiten geben. Die SED-Politik hat den industriellen und gewerblichen Mittelstand zerschlagen. Jetzt geht es um die Entflechtung der Kombinate und die Privatisierung des sogenannten „Volkseigentums". Mittelfristig werden rund 500 000 selbständige Betriebe im Handwerk, im Handel, im Dienstleistungssektor und im gewerblichindustriellen Bereich gebraucht. Eine Strukturierung wie in der Bundesrepublik würde bedeuten, daß in diesem für die Wirtschaftsdynamik wichtigsten Bereich rund 4 Millionen zukunftsorientierter Arbeitsplätze geschaffen werden. Deshalb ist die Hilfe bei der Existenzgründung erforderlich, auch die Erbringung von haftenden Mitteln über ein Eigenkapitalprogramm und natürlich die Bereitstellung längerfristiger, zinsgünstiger Kredite, wie sie durch das ERP-Kreditprogramm vorgehalten werden. Gefördert werden Existenzgründungen im gewerblichen Bereich, aber auch bei den freien Berufen. Allenthalben fehlt es an Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Architekten, Ärzten und Zahnärzten. Hier gibt es einen beträchtlichen Investitionsbedarf, der über das ERP-Programm finanziert werden kann. Die Konditionen hierfür sind angemessen. Sie entsprechen denen für unsere strukturschwachen Gebiete: zur Zeit 6,5 % Zins, jedoch mit längerer tilgungsfreier Zeit bis zu 5 Jahren und längerer Gesamtlaufzeit bis zu 15 Jahren, bei Bauten bis zu 20 Jahren. Es geht aber nicht nur um Existenzgründungen. Im Zuge der Entflechtung und Privatisierung der DDR-Betriebe müssen bestehende Anlagen modernisiert und erweitert werden. Der Maschinenpark ist völlig überaltert und verschlissen. Die dringend erforderliche Verbesserung der Produktivität und die Förderung der Wachstumsdynamik sind ohne nachhaltige Verstärkung der Investitionstätigkeit nicht zu schaffen. Die seitherige staatliche Investitionspolitik der DDR hat den industriellen Teil der Wirtschaft einseitig bevorzugt, ohne daß es technologisch oder in der Effizienz der Produktionsverfahren zu wettbewerbsfähigen Standards gekommen wäre. Auch hier wird es darum gehen, auf die Kreativität und Dynamik des Mittelstandes zu setzen, der auch bei uns immer Motor der Sozialen Marktwirtschaft geblieben ist. Darüber hinaus sollen Investitionen in der Gastronomie und im Tourismus gefördert werden, wo der Bedarf besonders augenfällig ist. Im Bereich des Umweltschutzes geht es um die Förderung von Maßnahmen der Abwasserreinigung, der Abfallverwertung und Beseitigung, der Luftreinhaltung sowie der rationelleren Energieverwendung. Die besorgniserregende Umweltsituation der DDR zwingt zu entschlossenem Handeln, auch in unserem eigenen Interesse. CDU/CSU, FDP und SPD haben den Gesetzentwurf des ERP-Nachtragswirtschaftsplans 1990 gemeinsam als Initiativantrag eingebracht, damit die Förderungsmaßnahmen schnell anlaufen können. Wie zu hören ist, liegen bereits jetzt 2 200 Anträge über 1,4 Milliarden DM vor. Die größere Zahl der Anträge kommt dabei direkt aus der DDR. Dies zeigt, daß unser Förderangebot greift und auf einen erheblichen Bedarf stößt. Allerdings ist das Volumen der aus der Bundesrepublik für Investitionen und Gemeinschaftsunternehmen in der DDR gestellten Anträge einstweilen noch größer. Ich bin davon überzeugt, daß sich dies ändern wird, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16097* in der DDR vorliegen. Vor allem müssen die Möglichkeiten für bankübliche Sicherungen der Investitionskredite geschaffen werden. Ohne die Gestellung von Sicherheiten in Form von z. B. Grundpfandrechten gerät der Prozeß der Kreditvergabe ins Stocken. Hier muß es bald Fortschritte geben. Interessant ist übrigens, daß die Anträge vornehmlich über Sparkassen und Genossenschaftskassen eingehen, was für die Entwicklung eines funktionsfähigen konkurrierenden Bankensystems von großer Bedeutung ist, auch in regionaler Hinsicht. Es könnte sich herausstellen, daß über die Herausgabe von ERP-Krediten auf diesem Gebiet ein belebender Anstoß erfolgt, der nur zu begrüßen wäre. Die Volksbanken und Sparkassen der Bundesrepublik haben in jüngster Zeit ihren jeweiligen Partnern in der DDR Hilfe und Unterstützung gegeben, die nicht weniger wichtig ist als die Hilfe, die wir jetzt beim Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung, insbesondere auch im Bereich des Haushalts- und Finanzwesens geben müssen. Alle Anstrengungen, auch die 90 Millionen DM, die wir im Nachtragshaushalt des Bundes für zusätzliche mittelstandspolitische Maßnahmen im Bereich des Technologietransfers, der Forschung und Entwicklung sowie Information, Schulung und Ausbildung bereitstellen, sind darauf gerichtet, den Menschen in der DDR eine wirtschaftliche und berufliche Entwicklungsperspektive zu geben. Wir fordern sie damit auf, am Aufbau einer Sozialen Marktwirtschaft aktiv mitzuwirken. Der Erfolg des ERP-Programms in der Bundesrepublik stützt unsere begründete Erwartung, daß diese Gelder auch für den Erneuerungsprozeß in der DDR bestens angelegt sind. Wieczorek (Duisburg) (SPD): Nach der Öffnung der Mauer hat die Bundesregierung und haben alle Parteien im Bundestag der DDR unsere großzügige solidarische Hilfe zugesagt. Das war im November und Dezember letzten Jahres. Großzügige und vor allem schnelle Hilfe — da waren wir uns alle einig — sollte den Menschen, die mit ihrer mutigen Revolution die Grenzen in Deutschland und in Europa aufgebrochen haben, zeigen: Wir stehen euch bei. Wir helfen euch, nach dem politischen Durchbruch auch wirtschaftlich auf die eigenen Beine zu kommen. Die Wahlkampfstrategie des Bundeskanzlers hat diesen Konsens zerstört. Während er selbst den Menschen in der DDR großzügige Solidarität versprach, verbürgte sich sein Finanzminister gegenüber den Menschen hier für eine Deutschlandpolitik zum Nulltarif. Solidarität, die nichts kostet, gibt es jedoch nicht. Solidarität heißt Zusammenstehen, Lasten teilen; sie bedeutet auch, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft. Diesen Gedanken der Solidarität haben Sie mit ihrer unehrlichen Strategie beschädigt. Die Möglichkeiten der Haushaltspolitik zu schneller Hilfe wurden bewußt nicht genutzt. Im Haushalt läßt sich nicht verschleiern, daß Hilfe selbstverständlich nicht umsonst ist. Deshalb haben Sie sich gegen allen Sachverstand auf die Währungspolitik verlegt. Mit der Einführung der D-Mark würde der Wohlstand über die DDR hereinbrechen — so haben Sie drüben glauben gemacht —; es komme nur auf die richtige Wahlentscheidung an: Kohl für Kohle. Ich unterstelle, daß zumindest die Fachleute in Ihren Reihen wußten, daß der Tausch Ostmark gegen D-Mark sich zwar einfach anhört, aber in Wahrheit der schwierigste Weg ist. Die Einführung der D-Mark in der DDR bedarf, wenn dieser Schritt gelingen soll, umfangreicher Vorarbeiten, zahlreicher Voraussetzungen. Sie birgt, wenn sie überhastet geschieht, große Risiken — nicht nur in der DDR, sondern auch für Preisstabilität und Zinsen in der Bundesrepublik. Hierin stimmen alle namhaften Sachverständigen überein, vom Sachverständigenrat bis zur Deutschen Bundesbank. Das war auch die Meinung im Bundesfinanzministerium, bis die Beamten sich der wahltaktisch bestimmten Vorgabe aus den Parteizentralen beugen mußten. Einen Vorgeschmack auf das, was eine überstürzte Währungsunion, die ökonomisch nicht vorbereitet und in flankierende Maßnahmen eingebettet ist, bedeutet, hat die scharfe Reaktion der Kapitalmärkte gegeben. Nie zuvor sind in der Bundesrepublik die Zinsen derart rasant angestiegen. Die ersten Auswirkungen sehen wir in der neuerlichen Krise des Wohnungsbaus. Teure Programme werden durch den Zinsanstieg Makulatur. Die Reaktion des Kapitalmarktes zeigt: Auch der Bundeskanzler kann die Gesetze der Ökonomie nicht außer Kraft setzen. Der niedrige Wohlstand der DDR liegt nicht an der falschen oder richtigen Mark im Portemonnaie. Die Ursachen sind vielmehr in jahrzehntelanger Mißwirtschaft eines zentralistischen Planungssystems zu finden, in dem die volkswirtschaftliche Infrastruktur verkommen ist und die Arbeitsproduktivität sich nicht entwickeln konnte. Die realen Probleme der DDR heute haben also reale Ursachen. Eine Währung, die von den Bürgern als Spielgeld empfunden wird, ist lediglich Symptom. Wir müssen an den Ursachen ansetzen, und das heißt harte Arbeit in der DDR, und das heißt reale Hilfe und eine gewisse Opferbereitschaft bei uns. Wer die Währungsfrage in den Vordergrund stellt, kuriert nur an den Symptomen. Deswegen haben wir die Währungsunion immer nur im Zusammenhang mit ordnungspolitischen, finanziellen und wirtschaftlichen Maßnahmen befürwortet. Und selbstverständlich gehört dazu eine umfassende sozialpolitische Flankierung, um soziale Härten, die zwangsläufig mit dem notwendigen Strukturwandel verbunden sind, zu mildern. Wir reden nach der Wahl so wie vor der Wahl. Die Bundesregierung, zumal der Bundeskanzler, ist dagegen mit dem Füllhorn durch die DDR gereist und nimmt jetzt Stück für Stück die gemachten Versprechungen zurück. Nach der Wahl wurde als erstes die Sozialunion von der Währungsunion abgekoppelt. Dann wurden die versprochenen Umtauschkurse für Renten von 1 : 1 in Frage gestellt. Minister Blüm, der letzte Woche eine großzügige Rentenanhebung zusagte, wurde am 16098* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 nächsten Tag zurückgepfiffen, und nun stellen die zuständigen Minister Waigel und Haussmann den 1. Juli als Einführungstermin für die Währungsunion in Frage, während der Kanzler ihn vage bekräftigt. Auch die schnelle Vereinigung noch in diesem Jahr ist auf 1992 vertagt. Was gilt denn nun? Sie muten den Menschen in der DDR, denen ein halbes Jahrhundert in Unfreiheit und die drückenden Probleme ihres Landes im Magen liegen, eine wirklich abenteuerliche Achterbahnfahrt zu. Sie haben das Blaue vom Himmel herunter versprochen; Ihre Hausaufgaben haben Sie nicht gemacht. Wertvolle Zeit ist vergeudet, die für die Erarbeitung eines wirksamen und solide finanzierten Nachtragshaushalts notwendig gewesen wäre. Der Nachtragshaushalt, wie er dem Parlament jetzt zur Abstimmung vorliegt, läßt weder die versprochene Großzügigkeit und Solidarität noch ein in sich schlüssiges Konzept erkennen. Aus den 2 Milliarden DM, die vor der Wahl für Sofortmaßnahmen in der DDR reserviert wurden, sind in den zwei Wochen nach der Wahl gerade 100 Millionen DM in konkrete Maßnahmen umgesetzt worden. 20 Millionen DM des Nachtragshaushalts sind für Beamte des Bundes vorgesehen, die an die DDR ausgeliehen werden, für 30 Millionen DM sollen neue Schulbücher für die DDR angeschafft werden, und mit 50 Millionen DM sollen regionalpolitische Modellvorhaben im Grenzgebiet gefördert werden. Das ist schon fast alles, was der Koalition bei den Ausschußberatungen noch eingefallen ist. Das ist nicht großzügig, das ist kleinkariert und kleinherzig. Vergleicht man die 30 Millionen DM für Schulbücher mit den 13 Millionen DM für Modellmaßnahmen zur sozialen Sicherung in der DDR und den 4 Millionen DM für Modellvorhaben der Stadt- und Dorferneuerung, stellt sich die Frage: In welcher Beziehung stehen diese Beträge zu der Bedeutung der Probleme, die in der DDR bewältigt werden müssen? Was sollen überhaupt Modellvorhaben? Wir wissen doch längst, was getan werden muß. Die DDR braucht keine schönen kleinen Modelle, sondern reale wirtschaftliche Hilfe. Wie sehr man diesen Haushalt dreht und wendet: Er bietet weder den Menschen in der DDR noch den Menschen bei uns eine Orientierung. Er ist im großen und ganzen, bei einigen Details, denen wir durchaus zustimmen können, konzeptionslos und halbherzig. Wenn wir in diesem Parlament die deutsche Einheit gemeinsam und mit den Bürgern wollen, dann müssen die notwendigen Schritte ohne Verzögerung, aber auch nicht überstürzt eingeleitet werden. Dann muß den Bürgern jetzt ein Fahrplan vorgelegt werden, ein Konzept, wie es weitergeht. Deshalb ist die Bundesregierung gefordert, Konzepte und Kosten auf den Tisch zu legen. Es darf nicht sein, daß hier weiter herumgeeiert wird und wir nach dem ersten Nachtragshaushalt noch auf den zweiten Nachtragshaushalt warten müssen, bis endlich Klarheit herrscht. Daß die Bundesregierung die deutsche Vereinigung seit Monaten als ihre Privatveranstaltung betrachtet, ist skandalös und verträgt sich in keiner Weise mit dem Informationsrecht und Selbstverständnis dieses Parlaments. Deshalb fordern wir die stärkere Mitwirkung und Einbeziehung des Deutschen Bundestages und des neu gewählten Parlaments der DDR. Wir müssen dafür sorgen und wir sind mit in der Verantwortung, daß die Menschen in der DDR möglichst bald in der Lage sind, sich ihren Wohlstand selbst zu erarbeiten. Vieles, vor allem die Errichtung neuer produktiver Arbeitsplätze, muß privatem Kapital vorbehalten bleiben. Aber bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen ist staatliche Hilfe erforderlich. Zu den Rahmenbedingungen, die originäre Aufgabe des Staates sind und die vordringlich angegangen werden müssen, gehören vor allem die Sanierung und der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur in der DDR. Der Zustand der Bausubstanz in der DDR, die Umweltsituation und die Energieversorgung sind katastrophal. Die Infrastruktur im Verkehrsbereich und die Kommunikationssysteme sind völlig veraltet. All das behindert die wirtschaftliche Entfaltung und schmälert den Wohlstand der Menschen. Hier muß schnell gehandelt werden, damit sich Investitionen lohnen und mit der Produktivität auch der Lebensstandard steigt. Das Abebben des Übersiedlerstroms nach der Wahl geht sicher nicht nur auf den Abbau von Vergünstigungen zurück, die die Sozialdemokraten schon lange vor der Wahl gefordert haben, bis sich die Bundesregierung — nach der Wahl — endlich bewegt hat. Hierin zeigt sich auch ein erheblicher Vertrauensvorschuß an unsere Adresse. Dieses Vertrauen muß jetzt stabilisiert werden. Dazu gehört, wenn schon nicht alle Details, so doch die Grundzüge und Eckdaten der Sozialunion festzulegen und sie verbindlich mit der Einführung der Währungsunion zu verkoppeln. Rentner und Arbeitslose in der DDR müssen wissen, daß sie nicht ins Bodenlose fallen, sondern daß es sich auch bei vorübergehenden Strukturkrisen lohnt, in der DDR zu bleiben und am Aufbau teilzunehmen. Ich möchte Finanzminister Waigel deshalb an das erinnern, was er in der ersten Lesung des Nachtragshaushalts am 8. März hier im Deutschen Bundestag ausgeführt hat: Wir geben . . ., was die Bürger im anderen Teil Deutschlands brauchen: Solidarität, Orientierung und einen festen Rahmen für die wirtschaftliche und für die politische Wiedervereinigung. Herr Waigel, Sie haben sich leider nicht von ihren eigenen Worten leiten lassen. Der Nachtragshaushalt läßt nicht nur bei den Maßnahmen zugunsten der DDR jegliche Orientierung vermissen; er ist auch angesichts der grundlegend gewandelten sicherheitspolitischen Lage in Europa falsch strukturiert. Die bescheidenen Kürzungen, die die Koalition im Verteidigungshaushalt vorgenommen hat, sind unzureichend und werden weder der sicherheitspolitischen noch der haushaltspolitischen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16099* Lage gerecht. Der Verteidigungshaushalt ist immer noch über 400 Millionen DM höher als letztes Jahr, und für nächstes Jahr fordert Verteidigungsminister Stoltenberg 55,6 Milliarden DM, also noch einmal zwei Milliarden DM mehr als in diesem Jahr. Wie so oft ist die FDP hier politisch weggetaucht. Die vereinbarte globale Minderausgabe umkurvt jede auch nur halbwegs verbindliche Festlegung, wie sie es mit dem Jäger 90 und den militärischen Tiefflügen hält. Es ist der bekannte Spagat der FDP. Die Parteigremien fassen populäre Beschlüsse fürs Plakat, die Bundestagsfraktion sorgt dafür, daß nichts davon in die Tat umgesetzt wird. Das sind Spitzenleistungen von politischen Geisterfliegern. Wir waren dem Ziel durchgreifender Abrüstungsschritte niemals näher. Niemals waren die Umstände günstiger. Wir haben in unseren Anträgen konkret nachgewiesen, daß noch in diesem Jahr Kürzungen von insgesamt vier Milliarden DM möglich sind: durch den Ausstieg aus dem Jäger 90, durch sofortigen Stopp aller Tiefflüge, durch Verzicht auf neue großtechnische Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben und Rekordeinkäufe von Kriegsmunition und durch die Verkürzung der Grundwehrdienstzeit noch in diesem Jahr auf zwölf Monate. Nach den Abstimmungen zur zweiten Lesung steht fest: Die Koalition verspricht Abrüstung, löst sie aber nicht ein. Abrüstung und Strukturwandel an den Standorten und in den Rüstungsfabriken werden ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land will Abrüstung. Wenn sie nicht mit der Koalition gemacht werden kann, dann werden wir sie bald gegen sie machen. Kürzungen im Verteidigungshaushalt sind nicht nur sicherheitspolitisch richtig und geboten; sie erleichtern uns auch die Bereitstellung der Mittel, die wir für die deutsche Einheit brauchen. Der innere Zusammenhang zwischen Vereinigung und Abrüstung zwingt doch dazu, die vorübergehenden Mehrausgaben durch den Fall der Blockgrenze in Deutschland aus der Friedensdividende, wie die Amerikaner es nennen, zu finanzieren. Hier bietet sich einer der seltenen Königswege, die es in der Finanzpolitik gibt: Die Ausgabenkürzungen sind politisch geboten. Wir bräuchten uns weniger zu verschulden, und der Haushalt würde damit auch aus konjunkturpolitischer Sicht besser in die Landschaft passen. Doch die Bundesregierung läßt diese Chance verstreichen. Die Neuverschuldung steigt 1990 auf 33 Milliarden DM gegenüber 19 Milliarden DM im letzten Jahr. Dieser scharfe Zuwachs hat zusammen mit dem Wirrwarr um die Währungsunion erheblich zur Verunsicherung der Kapitalmärkte beigetragen. Hauptleidtragender der Zinsentwicklung ist der Wohnungsbau. Noch bevor die Programme der Bundesregierung zur Belebung des Wohnungsbaus greifen konnten, werden sie durch die hohen Zinsen unterlaufen und auf Null gebracht. Heute fehlen schon 1,7 Millionen Wohnungen. Jetzt wird der Wohnungsnotstand, der nicht auf die Übersiedler, sondern auf die jahrelange Kahlschlagpolitik und scheinheilige Gesundbetereivon Stoltenberg und Schneider zurückgeht, zum Dauerzustand zementiert. Im Nachtragshaushalt wird dieses soziale Problem Nummer 1 für viele Menschen nicht einmal zur Kenntnis genommen. Zusammen mit den Wohnungssuchenden stehen auch die Langzeitarbeitslosen im Schatten der angekündigten Unternehmenssteuersenkung. 25 Milliarden DM für die Reichen — die Armen müssen den Gürtel enger schnallen. Für diesen sozialpolitischen Skandal hat sich Finanzminister Waigel verbürgt, ohne daß Herr Finck, das personifizierte schlechte Gewissen der CDU in der Sozialpolitik, aufmuckt. Wir Sozialdemokraten lehnen diesen Nachtragshaushalt ab. Er ist kein Haushalt der Solidarität mit der DDR. Er ist kein Haushalt vernünftiger und verantwortlicher Orientierung in Zeiten des Umbruchs. Er ist ein Haushalt der sozialen Ungerechtigkeiten. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 16. März 1990 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Zweites Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses Gesetz zur Ausführung von Sorgerechtsübereinkommen und zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie anderer Gesetze Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Artikel 45 b des Grundgesetzes — WBeauftrG) Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 11. August 1989 zum Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 11. August 1989 zur Durchführung des Abkommens Gesetz zu der Verwaltungsvereinbarung vom 26. November 1987 zur Durchführung des Übereinkommens vom 30. November 1979 über die Soziale Sicherheit der Rheinschiff er Gesetz zu dem Vertrag vom 31. Mai 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen Gesetz zu dem VN-Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt und zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Juni 1989 der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen 16100* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 Gesetz zu dem Vertrag vom 10. Juli 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über den gegenseitigen Schutz und die Förderung von Kapitalanlagen Gesetz zur Verbesserung der Struktur der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (KOV-Strukturgesetz 1990) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Mit dem jetzt vorliegenden KOV-Strukturgesetz 1990 ist ein wesentlicher Schritt hin zur sozialpolitisch gebotenen Verbesserung der Versorgungslage der Kriegsopfer gemacht worden. Besonders zu begrüßen sind die erheblichen nachträglichen Verbesserungen im Rahmen des Berufsschadensausgleichs, der Pflegezulage sowie der Versorgung der Witwen von Pflegezulageempfängern, die während der Beratungen des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag zusätzlich in das Gesetz aufgenommen wurden. Damit sind wesentliche Teile der Forderungen des Bundesrates erfüllt. Einige sozialpolitisch wichtige Verbesserungen sind allerdings nicht oder nur halbherzig aufgegriffen worden. Der Bundesrat sieht daher die jetzige Gesetzesfassung lediglich als ersten wesentlichen Schritt zu nachhaltigen Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung an und bittet die Bundesregierung, die folgenden sozialpolitisch notwendigen Verbesserungen in einem weiteren KOV-Strukturgesetz aufzugreifen: — den maßgebenden Zeitraum für die Gewährung einer Badekur für alle Pflegepersonen unter den bisherigen rechtlichen Voraussetzungen von 5 auf 10 Jahre auszudehnen, — die erforderliche Mindestpflegezeit für die Gewährung des Pflegeausgleichs auf 10 Jahre zu verkürzen und die Bewertung der einzelnen Pflegejahre von 0,5 auf 1 v. H. zu verdoppeln, — die Ausgleichsrente der Waisen in gleichem Umfang wie die der Witwen zu erhöhen und — den Mindesbetrag der Elternrente von 5 auf 20 DM zu erhöhen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/6226 Drucksache 11/6301 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/5450 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/973 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/6324 Nr. 2.2-2.9 Drucksache 11/6423 Nr. 2.4 —2.7 Drucksache 11/6502 Nr. 1-6, 8 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/6423 Nr. 2.11, 2.13 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/929 Nr. 2.27 Drucksache 11/3117 Nr. 2.12 Drucksache 11/4238 Nr. 2.14 Drucksache 11/4534 Nr. 2.19 Drucksache 11/4758 Nr. 2.31 Drucksache 11/5051 Nr. 42 Drucksache 11/5145 Nr. 3.33 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/5642 Nr. 3.21 Drucksache 11/6423 Nr. 2.17
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    Rede von Manfred Carstens


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist eben schon zum Ausdruck gebracht worden, daß sich der Bundesfinanzminister heute gemeinsam mit dem Bundeskanzler und einer Regierungsdelegation in London befindet. Er ist bei den deutsch-britischen Konsultationen anwesend,

    (Dr. Vogel [SPD]: Er studiert die Poll-Tax!)

    so daß Sie mit mir vorlieb nehmen müssen. Es ist eben schon angedeutet worden, daß man das gern tut.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Bevor ich auf den Nachtragshaushalt eingehe, möchte ich vier Punkte ansprechen, die die Rednerinnen der Opposition hier vorgetragen haben. Es geht zunächst einmal um die Frage nach den Steuererhöhungen. Die Aussagen seitens der Opposition hierüber wollen kein Ende nehmen. Wir haben gesagt und bleiben dabei,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wie lange?)

    daß wir keine Steuererhöhungen wollen, daß wir sie für falsch halten, allemal die Mehrwertsteuererhöhung, aber auch andere Steuererhöhungen. Was wir für falsch halten und was wir nicht wollen, das machen wir auch nicht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Dann schließen Sie es doch aus!)

    Dann möchte ich noch auf das Stichwort Abrüstung zu sprechen kommen. Das ist natürlich eine sehr wesentliche und wichtige Frage; ganz klar. Wer möchte nicht abrüsten? Wir möchten es allemal. Aber wenn man sich die letzten zehn oder zwanzig Jahre anschaut, stellt man fest, daß es in der Vergangenheit zwar viele Abrüstungsverhandlungen gegeben hat; aber eine wirkliche Abschaffung von Waffensystemen, einen wirklichen Abbau von Waffen hat es erstmals mit der Regierung Kohl/Genscher gegeben. Das darf auch einmal gesagt werden!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir kommen drittens zum Thema Verschuldung der öffentlichen Hände. Herr Kollege Borchert hat schon zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Bundesregierung seit 1982 Kredite immer nur etwa in Höhe der zu zahlenden Zinsen aufnimmt, meistens sogar eher weniger als das, was an Zinsen zu zahlen war. Das ist so seit 1982.

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Das heißt im Klartext: Wenn die gewaltige Schuldenlast von damals nicht zu übernehmen gewesen wäre, hätten wir in den Jahren nach 1982 im Bundeshaushalt gar keine Neuverschuldung gehabt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Nicht eine Mark!)

    Viertens gehe ich auf die Vorwürfe der Kollegin Vennegerts ein. Die GRÜNEN haben ja Frau Minister Wilms und dem Bundesfinanzminister vorgeworfen, es seien Haushaltsmittel mißbräuchlich verwendet worden.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Richtig!)

    Ich möchte hier feststellen, daß das jeder Grundlage entbehrt,

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wie immer!)

    und darf dazu drei Bemerkungen machen. Erstens. Die Zahlungen an vier parteinahe Stiftungen halten sich an die Zweckbestimmung des Titels „Förderung besonderer Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters". In der Vergangenheit erfolgten solche Zahlungen nur deshalb nicht, weil die politischen Verhältnisse in der DDR ein entsprechendes Tätigwerden der



    Parl. Staatssekretär Carstens
    Stiftungen nicht zuließen. Das ist der eigentliche Grund dafür, daß das jetzt erstmals so passiert ist.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Da steht „nur für medizinische und karitative Maßnahmen" !)

    Zweitens. Die Zahlen haben mit dem Nachtragshaushalt 1990 nichts zu tun, denn der Titelansatz steht schon im Haushalt 1990.
    Drittens. Die Mittelvergabe steht eindeutig im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Bevölkerung unseres Landes muß noch eines wissen: Die vier anderen parteinahen Stiftungen hatten Anträge gestellt. Die GRÜNEN hatten gar keine Anträge gestellt.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Aus gutem Grund!)

    Ist das darauf zurückzuführen, daß Sie etwas gegen die Einheit unseres Volkes haben? Wenn das der Fall wäre, dann ist das Ihr Problem und nicht unser Problem.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, jetzt zum Nachtragshaushalt 1990. Dieser Nachtragshaushalt ist ein wichtiger Teil unserer Konzeption für den Weg in die Einheit Deutschlands. Er setzt erste Akzente für den schnellen und wirkungsvollen Aufbau einer modernen und leistungsfähigen ökonomischen Struktur nach den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft. Zugleich setzt er ein deutliches Signal für die Bereitschaft der Bundesregierung, den Mitbürgern in der DDR bei der gewaltigen Aufgabe der grundlegenden Umgestaltung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse tatkräftig zur Seite zu stehen, sie dabei aktiv zu unterstützen.
    Bei der Wahl am 18. März haben unsere Landsleute in der DDR deutlich gemacht, daß sie diese Zeichen verstanden haben und daß sie, wie die vergangenen Tage und Wochen gezeigt haben, darüber hinaus bereit und willens sind, ihre wirtschaftliche und politische Zukunft selbst zu gestalten. Die riesige Nachfrage nach Beratungsangeboten bei den Handelskammern und bei Unternehmertreffen beweist es jeden Tag aufs neue. Wir hören — die Zahl ist kaum zu glauben, so hoch ist sie — , daß es bereits 6 000 Kooperationswünsche, 6 000 Wünsche auf Zusammenarbeit im Rahmen von Joint-ventures geben soll. Das spricht eine deutliche Sprache. Wir werden helfen müssen, wir wollen auch helfen,

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Und wir können es!)

    und wir werden es auch tun. Aber die eigentliche Initiative muß von unseren Landsleuten in der DDR ausgehen.
    Der Optimismus im Hinblick auf einen raschen und steilen Wirtschaftsaufschwung in der DDR ist berechtigt. Die vorliegenden ökonomischen Daten und alle Experten bestätigen diese Einschätzung. Die Voraussetzungen für die DDR sind bedeutend besser, als sie für die Bundesrepublik nach der Währungsreform waren. Die DDR ist kein Entwicklungsland, sondern sie ist ein Industrieland, allerdings wenig modern ausgebaut, teilweise sogar marode. Aber die DDR gehört zu den Industrieländern.
    In diesem Zusammenhang darf ich einmal sagen, daß man bei Aufenthalten in der DDR oftmals festgestellt hat, daß die Wirtschaftsfachleute in der DDR wegen dieser maroden Situation und des Rückstands ihrer Wirtschaft oftmals geradezu Komplexe haben. Aber man muß doch auch einmal sagen, daß sie die Situation in der DDR bitte nicht mit der Situation jener Länder vergleichen sollten, die in der Sozialen Marktwirtschaft arbeiten konnten. Sie sollten die Situation der DDR eher mit der Situation der Länder vergleichen, die auch unter dem Sozialismus gelitten haben. Dann haben unsere Landsleute recht gut abgeschnitten. Ich darf einmal sagen: Wenn selbst die Deutschen in der DDR mit dem Sozialismus nicht fertiggeworden sind, dann ist das der endgültige Beweis dafür, daß der Sozialismus überall auf der Welt nicht erfolgreich praktiziert werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Eine bestechende Logik!)

    Die größten Behinderungen für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung in der DDR werden durch Einführung der Währungsunion in Verbindung mit einer Wirtschaftsgemeinschaft beseitigt. Dazu zählen vor allem das ineffektive, zentral gesteuerte Planwirtschaftssystem, das Staatseigentum an Produktionsmitteln sowie das Außenhandelsmonopol. Das entscheidende Problem des Produktivitätsdefizits der DDR-Betriebe gegenüber westlichen Unternehmen wird seiner Lösung ein gutes Stück nähergekommen sein, wenn mit dem Übergang zur Marktwirtschaft pünktliche und qualitativ einwandfreie Zulieferungen sichergestellt sind.
    Der deutsche Kapitalmarkt steht für einen Kapitalfluß in die DDR bereit. Die dafür notwendigen Mittel sind vorhanden. Allein durch eine Umorientierung unseres Nettokapitalexports von rund 117 Milliarden DM im Jahre 1989 wäre es möglich, der DDR große Beträge zur Verfügung zu stellen, ohne daß Investitionen und Konsum bei uns deswegen beeinträchtigt würden. Deshalb ist es wichtig, daß in der DDR die Hemmnisse für den Zustrom privaten Kapitals schnellstmöglich abgebaut werden. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für die Aufwärtsentwicklung in der DDR.
    Dabei muß es nicht zu Zinserhöhungen auf unseren Kapitalmärkten kommen. Ein dauerhafter Zinsanstieg in der Bundesrepublik über den Weltmarktzins hinaus wäre nur dann begründet, wenn sich die Risiken oder Kapitalrenditen in den beiden deutschen Staaten durch die Wirtschaftsgemeinschaft und die Währungsunion verschlechtern würden, und das ist nicht erkennbar. Die gute Gläubigerposition der Bundesrepublik an den Finanzmärkten spricht dafür, daß sich der Finanzbedarf zur Modernisierung einer marktwirtschaftlich orientierten DDR-Wirtschaft zu günstigeren Bedingungen finanzieren lassen wird, als viele andere Länder sie am Weltmarkt für Finanzkapital vorfinden. Werden die marktwirtschaftlichen Kräfte im Innern freigesetzt und das Kapital von außen



    Parl. Staatssekretär Carstens
    mobilisiert, wird es in der DDR schnell zu dynamischen Veränderungen kommen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und viele der scheinbar verlustreichen Betriebe müssen und werden dann Gewinne machen.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Und wie viele Arbeitslose gibt es?)

    Sicherlich nicht alle; manche alten Kapazitäten werden abgebaut oder verschwinden, und neue werden entstehen. Vor allem der künstlich zurückgedrängte Handwerks- und Dienstleistungsbereich wird neue Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Ein rascher Produktivitätsschub, neue Arbeitsplätze und steigende Einkommen werden dynamische Zuwächse der Steuereinnahmen und der Einnahmen der Sozialversicherungssysteme zur Folge haben. Damit wird sich das Gebiet der DDR bald zunehmend selbst finanzieren können.
    Auch auf die Bundesrepublik Deutschland kommen durch den Nachholbedarf der DDR kräftige Wachstumsimpulse zu, Ich freue mich darüber, daß die EG-Kommission vor kurzem festgestellt hat, daß sie annimmt, diese Impulse würden uns in der Bundesrepublik Deutschland jährlich mindestens 1 % zusätzliches Wirtschaftswachstum bringen. Das scheint zunächst nicht viel zu sein. Ich darf aber hinzufügen, daß das aufs Jahr gerechnet bei unserer Wirtschaftskraft 23 Milliarden DM wären; aber dies erbringt — kumuliert bis einschließlich 1995 — ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 380 Milliarden DM. Die öffentlichen Haushalte erhalten hiervon 22 bis 23 % Steuern; d. h. bei nur 1 % zusätzlichem Wachstum bei uns in der Bundesrepublik hätten die öffentlichen Haushalte rund 85 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, daß unsere Volkswirtschaft durch die Hilfen an die DDR im Ergebnis nicht geschwächt, sondern gestärkt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sozialistischen Miesmachern zum Trotz!)

    Meine Damen und Herren, die DDR ist aus eigener Kraft zu der dringend notwendigen schnellen und konsequenten Umstellung der DDR-Wirtschaft auf marktwirtschaftliche Strukturen nicht in der Lage. Unsere schnelle und durchgreifende Hilfe ist gefordert. Dazu wird der als Soforthilfe konzipierte Nachtragshaushalt eine erste Anschubwirkung haben. Es ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden, daß aus diesen Mitteln 6 Milliarden DM in ein Kreditprogramm des ERP-Sondervermögens fließen werden. Der Kollege Beckmann wird hierzu nähere Ausführungen machen.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Jämmerlich, dieser Haushalt!)

    Wir werden aber auch zinsverbilligte, vom Bund verbürgte Darlehen an Existenzgründer über die Deutsche Ausgleichsbank gewähren. Damit werden Neugründungen von Unternehmen und einer Neugründung gleichstehende Weiterführungen von Unternehmen unterstützt. Außerdem soll für das Grenzgebiet der DDR ein regionalpolitisches Infrastrukturprogramm nach dem Vorbild der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufgelegt werden. Es kommt darüber hinaus zu ganz konkreten Hilfsmaßnahmen im Verkehrs- und Umweltbereich. Als entscheidend verweise ich auf den Anstoß für private Unternehmerinitiativen und die Katalysatorwirkung für die dynamische Entwicklung einer breit gefächerten Privatwirtschaft, denn darauf kommt es an.
    Für die von uns angekündigte Umschichtung von Haushaltsmitteln zur Deckung von Mehrbelastungen ist ein erster Schritt getan worden, und zwar durch den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, der im Einzelplan 14 — Verteidigung — um 500 Millionen DM gekürzt hat. Ich darf an dieser Stelle sagen: Ich denke, daß es möglich sein dürfte, Mittel in dieser Größenordnung im Jahre 1990 ohne nachhaltige Probleme freizumachen.

    (Dr. Struck [SPD]: Noch mehr!)

    Insofern scheint mir auch vertretbar zu sein, was hier beschlossen wurde.
    Eine darüber hinausgehende nachhaltigere Absenkung hängt allerdings entscheidend von der weiteren Entwicklung der politischen Verhältnisse und dem erhofften positiven Ergebnis der Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung in Europa ab; das muß ebenfalls einmal gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt ist seiner Konzeption nach ein erster Anstoß.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ein Stößchen!)

    Für eine dauerhafte Lösung der tiefgreifenden wirtschaftlichen Probleme in der DDR haben wir uns in Würdigung der historischen Situation zu einem unkonventionellen Schritt fernab von lehrbuchhaften Dogmen entschlossen. Unser Angebot zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsgebietes ist kühn und in seiner Dimension ohne Beispiel.

    (Frau Teubner [GRÜNE]: Tollkühn!)

    Aber es ist politisch und ökonomisch wohl überlegt, was wir tun. Die weit überwiegende Mehrheit der Fachleute in Wirtschaft und Wissenschaft, national wie international, hält unser Angebot einer Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft für den richtigen Weg.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ist nicht wahr! DIW ist dagegen! Geiger ist dagegen!)

    Allein mit der Einführung der D-Mark lassen sich aber die wirtschaftlichen Probleme in der DDR nicht lösen. Nur durch Einführung der Sozialen Marktwirtschaft werden sich Leistungskraft und Güterangebot und damit die Lebensverhältnisse der Bürger in der DDR nachhaltig verbessern — nur durch die gleich-



    Parl. Staatssekretär Carstens
    zeitige Einführung der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Macht ruhig eure Bauchlandung!)

    Für die Landsleute in der DDR ist es wichtig zu wissen, daß dann ihre gute Arbeit auch durch gutes Geld entlohnt wird. Das ist auch eine wichtige Triebfeder für entsprechende Privatinitiative.
    Nur der Übergang zur Marktwirtschaft schafft die Basis für einen kräftigen Zufluß privaten Kapitals, der für die weitere Entwicklung der DDR von zentraler Bedeutung ist. Hier sind die bisher erlassenen Gesetze in der DDR und die vorliegenden Entwürfe noch völlig unzureichend. Mit der neuen politischen Konstellation in der DDR wird es jetzt sicher ganz anders vorangehen. Das ist auch nötig im Sinne der Bevölkerung in der DDR.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es kann nur besser werden!)

    Wie Sie wissen, hat eine auf unsere Anregung hin gebildete gemeinsame Expertenkommission zur Vorbereitung einer Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft am 13. März 1990 einen Zwischenbericht für die Regierung verabschiedet. Konkrete Vereinbarungen und Entscheidungen können selbstverständlich erst getroffen werden, wenn sich in der DDR die neue, demokratisch legitimierte Regierung gebildet hat. Mit ihr müssen wir die Bestandsaufnahme vervollständigen, die in der Expertenkommission mit gutem Erfolg begonnen wurde.
    Die Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft können erst kommen, wenn alle fachlichen Fragen geklärt sind, dann allerdings, meine Damen und Herren, quasi über Nacht, sehr schnell.
    Befürchtungen, dies könnte unsere ökonomische Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, sind nicht gerechtfertigt. Die Bundesbank wird ihre Geldpolitik auch nach der D-Mark-Einführung in der DDR in völliger Unabhängigkeit und orientiert an der Geldwertstabilität weiterführen. Deswegen habe ich auch keine Inflationsbedenken. Ich möchte das hier einmal in dieser deutlichen Form zum Ausdruck bringen.
    Dem zusätzlichen Umlauf an D-Mark stehen Millionen arbeitswilliger DDR-Bürger und ein nicht unerhebliches Produktionspotential gegenüber. Ein sich vereinigendes Deutschland, das an die erfolgreiche Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik anknüpft, wird das Vertrauen der internationalen Anleger ebenso erhalten wie bisher die Bundesrepublik alleine. Da bin ich ganz sicher.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch die Deutschen in der DDR brauchen keine Angst zu haben, daß ihr Erspartes nach einer Währungsumstellung nichts mehr wert sein könnte. Man wird die Sparer nicht um den Lohn ihrer Arbeit bringen, schon gar nicht die Normalsparer.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Wieviel wird denn im Verhältnis von 1 : 1 entschädigt, 2 000 bis 3 000?)

    Für die DDR-Unternehmen werden wir eine differenzierte Lösung finden, damit diese Unternehmen nach der Währungsumstellung Luft zum Atmen haben. Gleichwohl kann ein gewisser Schuldenbestand, der in einem angemessenen Verhältnis zur Ertragslage des Unternehmens steht, auch nach einer Umstellung bestehenbleiben.

    (Zuruf von der SPD: Was heißt das denn?)

    Natürlich wird es mit der Umstellung Strukturanpassungen in der DDR-Wirtschaft und einen beachtlichen Finanzierungsbedarf des künftigen DDR-Haushalts geben. Einnahmen werden bei der Umstellung auf ein modernes Steuersystem im Unternehmenssektor zunächst nur begrenzt zu erzielen sein. In den Ausgaben schlagen sich die wirtschaftlichen Probleme der noch nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen und die Kosten der sozialen Flankierung des Anpassungsprozesses nieder. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Rentenfrage und die Arbeitslosenproblematik. Quantifizierungen hängen allerdings von zahlreichen Annahmen ab, und für sie ist es jetzt noch zu früh, zumal im jetzigen Stadium noch große Unsicherheitsfaktoren und Gestaltungsmöglichkeiten auch im DDR-Haushalt bestehen.
    Bei der Finanzierung wird zu überlegen sein, in welchem Ausmaß Finanztransfers aus den öffentlichen Haushalten der Bundesrepublik möglich und nötig sind. Die auf die Bundesrepublik zukommende Belastung kann nicht vom Bund allein getragen werden. Sie muß auf alle öffentlichen Haushalte verteilt werden. Unser oberster Grundsatz bleibt dabei die Fortführung der erfolgreichen Stabilitätspolitik.
    Ziel für den kommenden Bundeshaushalt muß es deshalb sein, notwendige Mehrausgaben zugunsten der DDR soweit wie möglich durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage noch einmal: Steuererhöhungen wollen wir nicht. Wir halten sie für falsch. Was wir nicht wollen und was wir für falsch halten, das machen wir nicht. Das ist eine Zusage unsererseits.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wie lange hält die denn?)

    Auch Länder und Gemeinden werden ihren Beitrag leisten müssen. Im Verhältnis unserer Gebietskörperschaften zueinander ist der gerechteste Verteilungsmaßstab für den Finanzbedarf die steuerliche Finanzkraft der einzelnen Ebenen. Nur so ist gewährleistet, daß keine der Ebenen überfordert wird. Deswegen müssen sich auch alle angemessen an einer so wichtigen nationalen Aufgabe beteiligen. Je eher in der DDR eine vernünftige Einnahmebasis geschaffen wird, desto eher werden unsere öffentlichen Haushalte entlastet. Ich halte es daher für dringend erforderlich, der DDR beim Aufbau einer leistungsfähigen Steuer- und Finanzverwaltung zu helfen.
    In den nächsten Wochen wird es darum gehen, in der DDR auch im Bereich der Steuern ein marktorientiertes System zu errichten, damit auch von dieser Seite die notwendigen Voraussetzungen für eine Währungsunion geschaffen werden.



    Parl. Staatssekretär Carstens
    In dem Gebiet der DDR muß ein leistungsgerechtes und investitionsförderndes Steuersystem eingeführt werden. Wir bieten der DDR hierzu unsere Hilfe an.
    Um die überfällige Modernisierung der DDR-Wirtschaft zu erreichen, sind primär private Investitionen erforderlich. Private Unternehmen investieren jedoch nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das gilt für die DDR ebenso wie für jedes andere Land.
    In der Übergangsphase bis zur Vollendung der deutschen Einheit sind steuerliche Hemmnisse, die einem Engagement bundesdeutscher Unternehmen in der DDR entgegenstehen, abzubauen. Der in den letzten Tagen von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der DDR sieht bei Investitionen in Kapitalgesellschaften folgende Maßnahmen vor.
    Erstens. Bei Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem inländischen Betrieb in eine Kapitalgesellschaft in der DDR brauchen stille Reserven nicht bereits zum Zeitpunkt der Überführung steuerlich aufgedeckt zu werden.
    Zweitens. Anlaufverluste von Tochtergesellschaften in der DDR können bei der inländischen Besteuerung zum Zeitpunkt ihrer Entstehung durch Bildung einer steuerfreien Rücklage berücksichtigt werden.
    Drittens. Bei Investitionen in Betriebsstätten in der DDR können Verluste bei der Besteuerung berücksichtigt werden. Die Besteuerung wird damit an die Rechtslage bei Verlusten aus Betriebsstätten in Staaten, mit denen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bestehen, angeglichen.
    Mit diesen Maßnahmen gehen wir in Richtung auf ein einheitliches Steuersystem in beiden Teilen Deutschlands, das geeignet ist, den Wirtschaftsstandort Deutschland auch international weiterhin attraktiv zu halten.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Hoffentlich ist es ein bißchen einfacher als unseres!)

    — Ja, das sollte man hoffen, Herr Kollege Weng.
    Bei allem Gewicht, das die Bundesregierung in diesen Tagen zwangsläufig der deutsch-deutschen Entwicklung beimessen muß, übersehen wir nicht die Einbindung der Bundesrepublik in die politischen Umwälzungen in ganz Europa und ihre Rolle als verläßlicher Partner der internationalen Solidargemeinschaft.

    (Zuruf von der SPD)

    Wir werden gerade die Nachbarnationen nicht vergessen, die mit ihren mutigen Schritten zu einer politischen Umgestaltung das Tor zur deutschen Einheit mit geöffnet haben, meine Damen und Herren. Deshalb leisten wir auch aus dem Nachtragshaushalt Nahrungsmittelhilfe und humanitäre Hilfen für die Sowjetunion, für Rumänien. Wir unterstützen in Zusammenarbeit mit anderen Industrieländern die Reformbestrebungen in Polen. Teile dieser Mittel sind insbesondere für die Förderung der deutschen Sprache und Kultur in Polen bestimmt und kommen so der
    in dieser Heimat verbliebenen deutschen Minderheit zugute.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das war aber schwach! Das muß geübt werden!)

    Darüber hinaus werden wir die Initiative des Europäischen Rates vom Dezember 1989 in Straßburg unterstützen. Hier geht es nämlich darum, eine europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zu gründen — eine sehr wesentliche Aufgabenstellung der Europäischen Gemeinschaft, der wir uns gern anschließen. Sie soll private Initiativen im kleingewerblichen und mittelständischen Bereich fördern und auch Maßnahmen der Infrastruktur und im Umweltbereich. Es wird wahrscheinlich möglich sein, diese Bank schon Anfang nächsten Jahres ihre Arbeit aufnehmen zu lassen.
    Der Weg in die Einheit Deutschlands ist kein isolierter Prozeß. Er ist eingebettet und abhängig von den Entwicklungen und Integrationsprozessen in ganz Europa. Auf dem Rat der Wirtschafts- und Finanzminister in Brüssel am 12. Februar sind die irische Präsidentschaft, die anderen EG-Mitgliedstaaten und die EG-Kommission über die deutschlandpolitischen Entwicklungen informiert worden. Die Haltung der Bundesregierung, der DDR Gespräche über die Einbeziehung der DDR in das Wirtschafts- und Währungsgebiet der D-Mark anzubieten, wurde mit großem Verständnis und mit Zustimmung aufgenommen. Die EG-Kommission hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Vizepräsident Bangemann eingesetzt, die sich mit den verschiedenen Aspekten und Szenarien der deutschlandpolitischen Entwicklung befassen soll. An diesen Erörterungen werden auch Sachverständige der Bundesregierung teilnehmen. Ich meine, wir sollten solche Gesprächsmöglichkeiten intensiv nutzen, nicht nur mit der EG-Kommission, sondern auch mit anderen EG-Mitgliedstaaten. Die deutschlandpolitische Entwicklung muß in den europäischen Rahmen eingebettet sein.
    Die Währungsunion mit der DDR kann aber nicht ein Modell für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion sein. Auch das ist sicherlich jedermann klar. Die Verhandlungen mit der DDR werden zu keiner Änderung in Inhalt oder Tempo der Verwirklichung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion führen. Das hat auch der Bundeskanzler dieser Tage erneut bekräftigt.
    Meine Damen und Herren, die deutsche Einheit ist zum Greifen nahe. Beide Großmächte haben grünes Licht gegeben. Jetzt liegt es an uns Deutschen selbst, mit Augenmaß, aber entschlossen unseren Weg zu gehen. Die Herausforderungen, die uns bevorstehen, können von uns gemeistert werden. Die Politik der Bundesregierung hat dazu seit Jahren ein festes Fundament gelegt. Wir werden an unserem Kurs konsequent festhalten. Meine Damen und Herren, man sollte sich einmal vorstellen, was es bedeutet hätte, wenn wir diesen Herausforderungen bei einer Wirtschafts- und Finanzlage hätten gerecht werden müssen, wie sie uns die damalige Bundesregierung 1982 hinterlassen hatte. Wie ständen wir dann wohl da, und



    Parl. Staatssekretär Carstens
    wie sollten wir dann mit diesen Herausforderungen fertigwerden?

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Dann hätten wir gewollt, aber nicht gekonnt! — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Und heute können Sie und wollen nicht! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Und Frau Matthäus-Maier könnte nicht einmal opponieren!)

    Das Fundament ist in Ordnung, und dieser finanzpolitische Kurs wird fortgesetzt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Unser Angebot einer Wirtschaftsgemeinschaft und einer Währungsunion ist eine Investition in die Zukunft Deutschlands. Wenn wir, meine Damen und Herren, später eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung über die Kosten und Erträge unseres finanziellen Engagements für die deutsche Einheit aufmachen, werden viele sehen: Es hat sich gelohnt, in die Zukunft Deutschlands zu investieren.
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.

(Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Der hat uns heute morgen schon aufgehalten!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Klaus-Dieter Kühbacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das mit dem Aufhalten hat gelegentlich seinen Sinn. Im übrigen muß man Ihnen Ihre Sünden ständig vorhalten, die Sie hier im Plenum begehen.

    (Beifall der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD] — Dr. Rose [CDU/CSU]: Aufhalten, nicht vorhalten!)

    Als wir im November letzten Jahres den Haushalt verabschiedet haben, hat uns Staatssekretär Carstens gesagt, wenn je ein Nachtragshaushalt 1990 wegen der deutsch-deutschen Einheit erforderlich werden sollte, dann bedürften die kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen einer ganz gründlichen Vorbereitung. Das haben wir Staatssekretär Carstens damals abgenommen. Aber die Wirklichkeit hat uns eines Besseren belehrt.

    (Beifall der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD])

    Der vorliegende Nachtragshaushalt enthält nur ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen ohne gründliche Vorbereitung, ohne mittel- und langfristige Perspektiven und ohne Ansätze für die Lösung der im Moment, also unmittelbar vor uns liegenden Aufgaben.

    (Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Klaus-Dieter, das weißt du doch besser!)

    — Das ist so. Es ist ein Sammelsurium, zusammengestottert und zusammengeschrieben, das die wesentlichen Probleme wie z. B. die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion völlig ausklammert.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Leider, leider! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hört mal gut zu da drüben!)

    Der Nachtrag enthält keine Ansätze zum Aufbau einer Arbeitsverwaltung in der DDR.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

    Der Nachtrag sieht keine Mittel vor, mit denen eine Anschubfinanzierung für die Systeme der sozialen Sicherung in der DDR möglich wäre: Rentenversicherung, Krankenversicherung, Berufsgenossenschaften und alles, was erforderlich wäre. Für den gesamten sozialen Bereich gibt es nichts. Er berücksichtigt nicht, daß die DDR sofort eine Offensive zur Qualifizierung der vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dringend braucht, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Wir können doch nicht die Menschen vergessen, wenn wir über große Projekte reden.

    (Diller [SPD]: Das machen die immer!)

    Und hier geht es um 6 Milliarden DM im Haushalt.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wird auch keine Vorsorge für den Tag X, nämlich für die Umstellung der Währung, getroffen. Ich führe dies deshalb hier an, weil ich an eine größere Zahl von Kolleginnen und Kollegen hier appellieren möchte, an dieses Problem doch mit mehr Nachdenklichkeit heranzugehen,

    (Dr. Struck [SPD]: Das ist aber zuviel erwartet, Herr Kollege Kühbacher!)

    Nachdenklichkeit auch darüber, daß im Laufe des vor uns liegenden Jahres und der nachfolgenden Jahre auf den Bund Finanzbelastungen in einer Größenordnung zukommen, im Vergleich zu der das jetzige Volumen des Nachtragshaushalts mit 6 Milliarden DM geradezu zu vernachlässigen ist. Das wissen wir alle. Die Finanzexperten wissen es, aber auch die übrigen wollte ich hier zur Nachdenklichkeit veranlassen.
    Diese Bundesregierung gibt — obwohl sie diese Summen auch kennt und ahnt — keine Antworten darauf, wie wir denn mit diesen finanziellen Auswirkungen der Währungs- und Wirtschaftsunion fertig werden wollen. Zum Beispiel haben wir im Haushaltsausschuß gefragt — der Finanzminister konnte nur ausweichend antworten — , welche Belastungen wir zu tragen haben, die sich auf Grund der Außenschulden der DDR ergeben werden. Wir wollten wissen, was der Aufbau eines funktionierenden Sozialversicherungssystems den Bundeshaushalt kosten wird. Wir wollten weiter wissen, welche Mittel erforderlich sind, um den Sparern die Umstellung ihrer Guthaben im Verhältnis 1 : 1 zu garantieren, wie das ja seitens der Bundesregierung vorgeschlagen wurde. Wie soll dies denn überhaupt garantiert werden?
    Weiter ist ein Thema, das uns alle bewegen muß — wir haben ja heute morgen über Besoldung geredet — , wie nach dem Tag X die Bezüge der Staatsbediensteten der DDR gezahlt werden können.

    (Dr. Struck [SPD]: Sehr wahr!)

    Soll das kreditiert werden? Sollen die Länder und die Kommunen in der DDR Kredite aufnehmen, um die Staatsbeschäftigten, die Lehrer und die Polizeibeamten usw., zu bezahlen? Oder steigen wir dort als Staat für dieses Staatswesen ein und bringen die Mittel
    Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16071
    Kühbacher
    dann in unseren Haushalt ein? Wollen wir das dann mit Schulden bezahlen?
    Ich hätte erwartet, daß dazu einige Perspektiven aufgezeigt worden wären. Nein, dazu hörten wir kein Wort — außer den Wahlversprechungen vor der Wahl in der DDR.
    Die Tatsache, daß sich die Bundesregierung weigert, die mit der Währungs- und Wirtschaftsunion verbundenen Kosten heute zu quantifizieren, heißt doch nicht, daß diese Kosten nicht anfallen werden.
    So wie wir Sozialdemokraten schon im letzten Jahr gesagt haben: Wir brauchen einen Nachtrag, so sagen wir Ihnen heute: Wir brauchen auch noch einen zweiten Nachtrag. Der Bundesfinanzminister hat das ja im Ausschuß schon angedeutet.
    Spätestens dann wird es — anders als bei diesem Haushalt — nicht mehr möglich sein, einen zweiten Nachtragshaushalt oder die Erweiterung des Haushalts 1991 nur noch über eine Neuaufnahme von Schulden zu finanzieren.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Richtig!)

    Dann muß man an Einsparungen herangehen, denn mit 33 Milliarden DM Neuverschuldung — die höchste, die überhaupt nach Art. 115 des Grundgesetzes möglich ist — sind Sie jetzt genau an der Grenze.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Das ist doch Luft!) — Ja, so ist die Situation, Herr Kollege Rose.


    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Und das bei einer boomenden Wirtschaft!)

    Sie sind genau an dem Punkt, bei dem Sie sich zuvor an das Bundesverfassungsgericht gewandt haben.

    (Dr. Struck [SPD]: Das tut weh!)

    Schulden machen Sie im Moment für laufende Ausgaben, u. a. für Besoldung. Dies ist nicht in Ordnung. Dies ist nicht seriös.
    Ich verstehe ja, daß der Kollege Carstens eben und überhaupt die Union vor den Bundestagswahlen am 2. Dezember überhaupt kein Wort zum Thema Steuererhöhungen sagen wollen. Sie meiden dieses Wort wie der Teufel das Weihwasser. Der vorwitzige Minister Blüm ist zurückgepfiffen worden. Aber ich sage Ihnen: Sie werden an der Wahrheit nicht vorbeikommen. Die Zahlen bringen es an den Tag. Sie müssen einsparen, und Sie müssen sehen, wie Sie zu zusätzlichen Einnahmen kommen, um die Belastungen, die auf die Bevölkerung zukommen, wirklich auch glaubwürdig darzustellen.
    Aber wer sparen muß, darf nicht bis nach der Wahl warten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer sparen muß, muß damit jetzt anfangen. Der Bundeshaushalt 1990 bietet doch noch Chancen. Sie können doch nicht bis zum Sommer oder bis zum Herbst warten, bis der zweite Nachtragshaushalt kommt. All das Geld, das Sie im Bundeshaushalt bereitstellen, ist bis dahin ausgegeben. Ich habe selten erlebt, daß die Ministerialbürokratie, insbesondere die des Verteidigungsressorts, einmal zur Verfügung gestellte Gelder nicht ausgegeben hat.
    Das ist der entscheidende Punkt, den wir kritisieren. Wir haben Ihnen schon im November letzten Jahres gesagt: Folgen Sie uns auf dem Weg der Einsparungen im Verteidigungshaushalt, wobei der Verteidigungsauftrag überhaupt nicht in Frage gestellt wird.
    Damals, Ende November, haben Sie gesagt, das sei gänzlich unmöglich — nach dem Motto, daß morgen die Sowjetunion bei uns einfiele. Es klang damals etwa so: Wir brauchen neue Munition.
    Nunmehr kommen Sie mit ganz vorsichtigen Vorschlägen, nachdem wir Kürzungen in Höhe von 4 Milliarden DM beantragt haben.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Die Sowjetunion fällt nicht ein, sie fällt zusammen!)

    Sie wußten, daß Sie sich damit auseinandersetzen müßten. Ihnen, Kollege Rose, fällt aber nicht mehr als 544 Millionen DM ein. Dies halte ich Ihnen hier vor. Diese 544 Millionen DM sind überhaupt nichts im Verhältnis zu dem, was Sie sparen könnten.
    Sie sagen kein Wort — das finde ich für Haushälter, überhaupt für Parlamentarier unverantwortlich — zu den Kürzungsmöglichkeiten bei den Verpflichtungsermächtigungen. Sie erlauben dieser Bundesregierung, dem früheren Finanzminister und jetzigen Verteidigungsminister Stoltenberg, neue Rüstungsaufträge, neue Munitionsaufträge in Milliardenhöhe zu Lasten der Haushalte 1991, 1992, 1993, 1994 und 1995 schon jetzt zu vergeben. Sie erlauben es. Wir haben Ihnen gesagt: Lassen Sie uns um 5 Milliarden DM kürzen, damit nicht bestellt werden kann. Dazu kam von Ihnen kein Wort, keine Äußerung.
    Ich habe das Gefühl, daß die dahinterstehenden Auftragserwartungen der deutschen Rüstungsindustrie, der Munitionsindustrie, der Luft- und Raumfahrtindustrie vor der Wahl nicht tangiert werden dürfen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der FDP)

    Das ist der Punkt: Sie wollen keine negativen Signale in diese Richtung aussenden. Die Damen und Herren aus dem Rüstungsbereich könnten ja ungnädig werden.

    (Frau Seiler-Albring [FDP]: Unsinn!)

    — Mit dem Wort „Unsinn", Frau Kollegin Seiler-Albring, kaschieren Sie nur Ihr schlechtes Gewissen.

    (Beifall bei der SPD — Frau Seiler-Albring [FDP]: Ich werde gleich etwas dazu sagen!)