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    Plenarprotokoll 11/205 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 205. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. März 1990 Inhalt: Änderung einer Überweisung 16039 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/6542 [neu], 11/6835, 11/6841) Kühbacher SPD 16039 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 16040 D Dr. Penner SPD 16042 B Lutz SPD 16042 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 16043 C Frau Unruh fraktionslos 16044 B Richter FDP 16044 D Such GRÜNE 16045 D Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 16046 C Kühbacher SPD 16048 C Namentliche Abstimmung 16049 B Tagesordnungspunkt 21: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 (Nachtragshaushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/6400, 11/6775) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (ERP-Nachtragsplangesetz 1990) (Drucksachen 11/6592, 11/6780) Borchert CDU/CSU 16051A, 16055 D Frau Matthäus-Maier SPD 16051 B Uldall CDU/CSU 16052 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 16054 B Frau Vennegerts GRÜNE 16059 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 16062 C Carstens, Parl. Staatssekretär BMF . . . 16065 B Kühbacher SPD 16070A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 16071 D Wieczorek (Duisburg) SPD 16072 B Müller (Wadern) CDU/CSU 16073 C Gattermann FDP 16074 B Dr. Rose CDU/CSU 16075 A Frau Beer GRÜNE . . . . 16077 D Frau Seiler-Albring FDP 16079 B Weiss (München) GRÜNE 16081 A Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi . 16081 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 Namentliche Abstimmungen 16085 B Nächste Sitzung 16090 C Berichtigung 16090 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .16091* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 21 der Tagesordnung (Nachtragshaushaltsgesetz 1990 und ERP-Nachtragsplangesetz 1990) 16091* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 16099* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16039 205. Sitzung Bonn, den 30. März 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 203. Sitzung, Seite 15840 C, 1. Absatz, letzte Zeile: Statt 1,3 % ist 3,1 % zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Ahrens SPD 30. 03. 90 ** Andres SPD 30. 03. 90 Dr. Apel SPD 30. 03. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 30. 03. 90 Büchner (Speyer) SPD 30. 03. 90 * Dr. von Bülow SPD 30. 03. 90 Frau Bulmahn SPD 30. 03. 90 Buschbom CDU/CSU 30. 03. 90 Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 30. 03. 90 Frau Conrad SPD 30. 03. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 30. 03. 90 Duve SPD 30. 03. 90 Egert SPD 30. 03. 90 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 30. 03. 90 Eich GRÜNE 30. 03. 90 Engelsberger CDU/CSU 30. 03. 90 Eylmann CDU/CSU 30. 03. 90 Fischer (Homburg) SPD 30. 03. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 30. 03. 90 Gansel SPD 30. 03. 90 Frau Garbe GRÜNE 30. 03. 90 Frau Geiger CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 30. 03. 90 Genscher FDP 30. 03. 90 Glos CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Götz CDU/CSU 30. 03. 90 Graf SPD 30. 03. 90 Dr. Grünewald CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Haack SPD 30. 03. 90 Haack (Extertal) SPD 30. 03. 90 Frau Hasselfeldt CDU/CSU 30. 03. 90 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 30. 03. 90 Hedrich CDU/CSU 30. 03. 90 Heimann SPD 30. 03. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 30. 03. 90 Frau Hensel GRÜNE 30. 03. 90 Herkenrath CDU/CSU 30. 03. 90 Höffkes CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Holtz SPD 30. 03. 90 * Horn SPD 30. 03. 90 Dr. Hoyer FDP 30. 03. 90 Kastning SPD 30. 03. 90 Klein (München) CDU/CSU 30. 03. 90 Kleinert (Marburg) GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Klejdzinski SPD 30. 03. 90 * Dr. Knabe GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Kohl CDU/CSU 30. 03. 90 Kolbow SPD 30. 03. 90 Kuhlwein SPD 30. 03. 90 Lennartz SPD 30. 03. 90 Lenzer CDU/CSU 30. 03. 90 * Frau Limbach CDU/CSU 30. 03. 90 Linsmeier CDU/CSU 30. 03. 90 Lintner CDU/CSU 30. 03. 90 für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lowack CDU/CSU 30. 03. 90 Lüder FDP 30. 03. 90 Frau Luuk SPD 30. 03. 90 * Dr. Mechtersheimer GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 30. 03. 90 Meyer SPD 30. 03. 90 Möllemann FDP 30. 03. 90 Müller (Wesseling) CDU/CSU 30. 03. 90 Frau Odendahl SPD 30. 03. 90 Opel SPD 30. 03. 90 Peter (Kassel) SPD 30. 03. 90 Petersen CDU/CSU 30. 03. 90 Pfeifer CDU/CSU 30. 03. 90 Poß SPD 30. 03. 90 Reuschenbach SPD 30. 03. 90 Richter FDP 30. 03. 90 Frau Roitzsch CDU/CSU 30. 03. 90 (Quickborn) Rossmanith CDU/CSU 30. 03. 90 Roth SPD 30. 03. 90 Schäfer (Mainz) FDP 30. 03. 90 Schanz SPD 30. 03. 90 Frau Schilling GRÜNE 30. 03. 90 Schmidt (München) SPD 30. 03. 90 ** Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 30. 03. 90 Schmidt (Salzgitter) SPD 30. 03. 90 Dr. Schmude SPD 30. 03. 90 Schröer (Mülheim) SPD 30. 03. 90 Schütz SPD 30. 03. 90 Seidenthal SPD 30. 03. 90 Spilker CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Stercken CDU/CSU 30. 03. 90 Stobbe SPD 30. 03. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 30. 03. 90 Stratmann GRÜNE 30. 03. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. Unland CDU/CSU 30. 03. 90 * Dr. Vondran CDU/CSU 30. 03. 90 Vosen SPD 30. 03. 90 Dr. Waigel CDU/CSU 30. 03. 90 Dr. von Wartenberg CDU/CSU 30. 03. 90 Weisskirchen (Wiesloch) SPD 30. 03. 90 Dr. Wieczorek SPD 30. 03. 90 Wiefelspütz SPD 30. 03. 90 Wischnewski SPD 30. 03. 90 Wissmann CDU/CSU 30. 03. 90 Wüppesahl fraktionslos 30. 03. 90 Würtz SPD 30. 03. 90 Zierer CDU/CSU 30. 03. 90 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 21 der Tagesordnung (Nachtragshaushaltsgesetz 1990 und ERP-Nachtragsplangesetz 1990) * ) Deres (CDU/CSU): Als wir heute vor vier Monaten an dieser Stelle den Haushalt 1990 abschließend dis- *) Vgl. Seite 16082 D 16092 * Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 kutieren wollten, wurden wir mit der tödlichen Realität des heimtückischen Mordanschlags auf Alfred Herrhausen konfrontiert. Ich will deshalb, auch wenn das Zahlenwerk des Nachtragshaushalts dazu nichts enthält, mit zwei Feststellungen beginnen: Erstens. Andere Themen beherrschen die tagespolitischen Schlagzeilen. Aber die Bombenanschläge der letzten Wochen und der abgebrochene Terroranschlag der RAF gegen Minister Kiechle mahnen zu höchster Wachsamkeit. Bei der Bekämpfung des Terrorismus sind langer Atem, zugleich aber Flexibilität und Erfindungsreichtum gefragt. Wir wissen, daß es keinen perfekten Schutz gegen skrupellose, zum äußersten entschlossene Verbrecher gibt. Zweitens. Dennoch sind wir optimistisch; unser Rechtsstaat ist stärker als die terroristischen Mörderbanden. Das Bundeskriminalamt, seine Mitarbeiter und seine ab übermorgen neu amtierende Spitze kann der konstruktiven Unterstützung durch meine Fraktion und meine Kollegen im Haushaltsausschuß sicher sein. — Ob das allerdings in erster Linie mit Panzerwagen geschehen soll, das ist zwischen dem BKA und uns strittig. — Das gilt nicht nur für die Terrorismusbekämpfung, sondern ebenso für das Krebsgeschwür der organisierten Kriminalität und Rauschgiftkriminalität. Dem scheidenden BKA-Präsidenten, Herrn Dr. Boge, möchte ich von hieraus für seine Arbeit herzlich danken. Meine Damen und Herren, die Haushaltsansätze beim Innenbereich dieses Nachtragshaushalts spiegeln die ganze Vielfalt der Probleme wider, vor welche uns der atemberaubende Prozeß der deutschen Einheit stellt. Bevor ich auf einige dieser Fragen eingehe, möchte ich — gerade mit Blick auf den Innenbereich — drei Gesichtspunkte hervorheben: Wer heute die Forderung erhebt, wie sie aus der Opposition laut wird, man müsse fertige Lösungen für die Verhältnisse in der DDR und den Zeitpunkt nach der Vereinigung beider deutscher Staaten vorlegen und die damit verbundenen finanziellen Kosten auf Heller und Pfennig auflisten, verlangt Unmögliches oder will in Wahrheit die deutsche Einheit nicht. Der Prozeß der deutschen Einheit ist — wie vom Bundesfinanzminister und der Bundesregierung dargestellt — finanzierbar. Das bedeutet auch für den Innenbereich nicht nur äußerste Sparsamkeit. Vielmehr müssen alle Umschichtungsmöglichkeiten genutzt werden. Wo die veränderte Situation in Mitteleuropa Aufwendungen nicht mehr erfordert, darf es keine Besitzstände geben. Schließlich: Weil wir unser Wirtschaftswachstum und unsere Kreditwürdigkeit zur Finanzierung der deutschen Einheit nutzen wollen, können voraussichtlich manche Zuwachsmöglichkeiten für die übrigen, vom Prozeß der deutschen Einheit nicht betroffenen Haushaltsansätze nicht mehr realisiert werden. Um es konkret zu sagen: Es ist wie bei dem neuverheirateten Ehepaar, das seine Wohnung einrichtet. Damit eine vernünftige Küche angeschafft werden kann, muß das Auto eben ein Jahr länger gefahren werden und muß die Skiausrüstung mehr als eine Saison halten. Ich meine, daß diese Tatbestände ebenso einfach wie klar sind. Ich appelliere deshalb an die Kollegen der Opposition, mit der unsoliden Polemik zu den Kosten der deutschen Einheit aufzuhören. Die Einwohner der DDR und unsere Bürger wollen von uns kein Hellsehen, keine Panikmache, sondern nüchterne und realistische Haushaltspolitik. Um bei meinem Beispiel der Familiengründung zu bleiben: Kein junges Ehepaar bildet sich vor der Hochzeit ein, genau vorher berechnen zu können, was denn diese Ehe im Laufe der Jahre kosten wird; die beiden trauen sich aber sehr wohl zu, das zu schaffen. Bei uns und der DDR ist es genau so! Ich komme jetzt zu einigen wichtigen Punkten aus dem Nachtragshaushalt. Mit zusätzlich 4,6 Millionen DM wollen wir ein Zeichen geben, daß sich das Zusammenwachsen beider deutscher Staaten nicht in der Regelung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse erschöpfen darf, daß vielmehr die Jahrzehnte der Teilung nicht zuletzt durch kulturelle Begegnungen schneller aufgearbeitet werden können. Z. B. sollen bei den Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Nachfrage durch Besucher und Benutzer aus der DDR erfüllt werden kann. Wir unterstreichen weiter durch ein vom Aufbaustab für das Deutsche Historische Museum betreutes Ausstellungsprojekt, daß diesem Museumsvorhaben unverändert hohe Priorität zukommt. Wenn es das Projekt eines Deutschen Historischen Museums in Berlin noch nicht gegeben hätte, nach dem 9. November vergangenen Jahres hätte es erfunden werden müssen! Was die künftige Kulturförderung des Bundes angeht, möchte ich aber schon jetzt deutlich machen, daß für uns eine Kultur im Staatssold — wie bislang in der DDR — nicht in Betracht kommt. Kultur in einem pluralistischen Staatswesen ist zuallererst Sache der Bürger, in einem föderalistischen Staatswesen zudem primär Sache der Länder. Die zuletzt genannten Grundsätze gelten ebenso für den Bereich des Sports. Wir haben in den letzten Wochen erfahren, welche Schattenseiten mit der Medaillenflut des DDR-Sports verbunden waren, wie Doping unter Mißachtung der Gesundheit der Sportler betrieben wurde. Ich sehe deshalb den prinzipiellen Ansatz unserer Bundessportförderung, nämlich die Beschränkung auf den Spitzen- und Leistungssport, bestätigt. Ich bin zuversichtlich, daß sich auch in der DDR sehr schnell ein staatsfreier Breitensport lebensfähig entwickeln wird. Unsere Vereine und ihre Aktiven haben die Zeichen der Zeit erkannt und helfen mit Begegnungen und Partnerschaften sehr viel effektiver, als es hiesige staatliche Einrichtungen tun könnten. In den letzten Monaten hat sich der Wert der beiden Rundfunkanstalten des Bundes zur Information der Bevölkerung in der DDR sowie in unseren Nachbarstaaten gezeigt. Mit dem Nachtragshaushalt tragen wir dieser intensivierten Berichterstattung Rechnung. Der Prozeß der deutschen Einheit legt allerdings für die Zukunft eine Überprüfung der gewachsenen Strukturen von Deutscher Welle und Deutschlandfunk nahe. Ich meine, es sollte möglich sein, bis Anfang nächsten Jahres eine mit den Ländern abgestimmte Neukonzeption vorzulegen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16093* Aus den verschiedensten Behörden hört man von Kontakten mit vergleichbaren Stellen in der DDR, verbunden mit dem Wunsch nach zusätzlichen Haushaltsmitteln, um den Partnern in der DDR aus den ärgsten Klemmen zu helfen. Wir haben derartige Wünsche bewußt nicht in den Nachtragshaushalt aufgenommen. So gut solche Aktivitäten sind: Wer helfen will, mag zunächst in die eigene Tasche und nicht in die Tasche des Steuerzahlers greifen, d. h. soll sich von noch gut Brauchbarem, aber Entbehrlichem trennen. Der Finanzminister sollte prüfen, ob er nicht für eine solche „Behördenhilfe" eine generelle Ausnahme nach § 63 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung zuläßt. Bei der Beratung des BMI-Haushalts hat die Opposition Stellenstreichungen bzw. Verlagerungen weg vom Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. Bundesgrenzschutz und hin zu anderen Aufgaben gefordert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt solche unüberlegten Schnellschüsse ab. Eine — in verschiedenen Bereichen infolge der innerdeutschen Entwicklung durchaus absehbare — Umstrukturierung bestehender Behörden erfordert, damit das ganze sachgerecht und unter Berücksichtigung der neuen sich aus dem Einigungsprozeß ergebenden Bedürfnisse erfolgt, einen planerischen Vorlauf. Im übrigen ist davon eine Vielzahl von Bediensteten persönlich betroffen; der Gesichtspunkt der Fürsorge darf nicht außer acht gelassen werden. Mit dem Wegfall der innerdeutschen Grenze und den Veränderungen in der CSSR werden die bisherigen Grenzsicherungsaufgaben der BGS-Verbände entfallen. Dies heißt aber nicht, daß künftig auf eine verbandsmäßig organisierte Polizei des Bundes verzichtet werden könnte. Die Polizeiverbände des BGS sind unverzichtbarer Bestandteil der zwischen Bund und Ländern abgestimmten Konzeption für die innere Sicherheit. Für die Bewältigung schwieriger Sicherheitslagen — ich nenne nur die Stichworte Brokdorf und Wackersdorf — brauchen wir eine Verbandspolizei des Bundes, auch in einem künftigen deutschen Gesamtstaat. Ebenso brauchen wir an den Außengrenzen und Flughäfen die Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht, daß die reibungslose Aufnahme der Übersiedler aus Ungarn und der CSSR im Herbst vorigen Jahres u. a. nur deshalb möglich war, weil auf den Bundesgrenzschutz und seine Infrastruktur zurückgegriffen werden konnte. Ich sehe im übrigen weitere Daueraufgaben auf den BGS im Rahmen der Kompetenzordnung des Bundes zukommen, nämlich Bahnpolizei mit Fahndungsdienst sowie Gewährleistung der Luftsicherheit. Zum Bundesamt für den Verfassungsschutz hat es — so habe ich mir sagen lassen — bereits eingehende Beratungen im zuständigen Haushaltsgremium dieses Hohen Hauses gegeben. Die möglichen und verantwortbaren Konsequenzen in diesem Jahr sind gezogen worden. Ich gehe davon aus, daß die weiteren Auswirkungen bei der Haushaltsaufstellung 1991 berücksichtigt werden. Ich füge aber ausdrücklich hinzu: Der Auftrag des Verfassungsschutzes, nämlich Beobachtung von Bestrebungen, welche die freiheitliche Ordnung unseres Landes beschädigen oder zerstören, besteht unverändert und nach den schlimmen Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst erst recht in einem künftigen Gesamtstaat. Die Entscheidung unseres Grundgesetzes für eine wehrhafte Demokratie ist eine der wesentlichen Garantien für die politische und private Freiheit. Selbst wenn die kommunistischen Parteien und ihre Nachfolgeorganisationen ihren Absolutheitsanspruch aufgeben, bleiben die Abwehr anderer intoleranter Ideologien, von Ausländerextremismus und Terrorismus sowie die Abwehr von Ausspähungsversuchen im öffentlichen und privaten Bereich. Vor dem Hintergrund steigender Aussiedlerzahlen und der beabsichtigten Umstellung des Registrierverfahrens haben wir eine maßvolle Ausweitung des Personals beim Bundesverwaltungsamt vorgenommen. Wir begrüßen die Absicht des Innenministers, die Aufnahme als Aussiedler von einem vorausgegangenen schriftlichen Verfahren mit sorgfältiger, mit den Ländern abgestimmter Prüfung der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. der deutschen Volkszugehörigkeit abhängig zu machen. Wir lehnen den menschenverachtenden Gesetzentwurf des saarländischen Ministerpräsidenten, der Aussiedlern aus der UdSSR und Rumänien die Aufnahme verwehren will, ab. Wir halten es aber für zumutbar, daß die Deutschen bzw. deutschen Volkszugehörigen, die sich zur Aussiedlung entschließen, von ihren Herkunftsländern her das Aufnahmeverfahren betreiben. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden die Bundesaufnahmestellen für Übersiedler in Gießen und Berlin-Marienfelde nebst ihren Außenstellen vom Sommer dieses Jahres an in ihrer eigentlichen Funktion entbehrlich. Wir haben, soweit in diesem Jahr möglich, bereits dort entbehrliches Personal umgesetzt und gehen davon aus, daß im Haushalt 1991 dort nur noch das für Auskünfte benötigte Personal arbeitet. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der Prozeß der deutschen Einheit wird im Innenbereich zu Umstrukturierungen, Umorganisation und auch Minderbedarf in einigen Bereichen führen; in anderen zeichnet sich Mehrbedarf ab. Wir werden darauf achten, daß hier soweit möglich Umsetzungen und kein Aufwuchs stattfindet. In der gegenwärtigen Phase haben wir uns der Notwendigkeit einer Verstärkung des Ministeriums selbst nicht verschließen können. Der Abgleich und die darauf folgende Angleichung der Staatsstrukturen der DDR an die Prinzipien des föderalistischen Rechtsstaats ist ohne qualifiziertes neues Personal nicht zu bewältigen. Hinzu kommt die Federführung für die schrittweise Anpassung der beiden Rechtssysteme, d. h. Überleitungsgesetzgebung. Ich erwarte auch, daß die verschiedenen Schulungseinrichtungen im BMI-Bereich, wie z. B. Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, Fachhochschule des Bundes, alle Anstrengungen unternehmen, um Personal aus der DDR mit den Prinzipien und Regeln einer rechtsstaatlichen, die Freiheitsrechte der Bürger respektierenden Verwaltung vertraut zu machen. Umgekehrt halte ich es für notwendig, daß sich aus allen Bereichen unseres öffentlichen Dienstes, angefangen bei den Kommunen bis hin zu den Bundesministerien, qualifizierte Mitarbeiter für eine Beratungstätigkeit in der DDR zur Verfügung stellen. Wir stellen durch An- 16094* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 derung des Haushaltsgesetzes die erforderlichen Leerstellen und durch einen neuen Titel im Einzelplan 60 dafür Mittel bereit. Meine Damen und Herren, bei der Schlußberatung des Haushalts 1990 Ende vergangenen Jahres hat der Bundeskanzler mit seiner zehn-Punkte-Konzeption die Richtung angegeben. In diesen Tagen heißt der wichtigste Wegweiser zur deutschen Einheit „Artikel 23". 100 Staatsrechtsprofessoren deutscher Universitäten haben sich in dieser Woche mit überzeugenden Gründen für diesen Weg ausgesprochen. Das Grundgesetz ist die erfolgreichste Verfassung der deutschen Geschichte, sie hat uns 40 Jahre einer freiheitlichen und stabilen Demokratie mit Wohlstand und sozialer Sicherheit gebracht. Der Weg des Art. 23 des Grundgesetzes gibt unseren Bürgern die Sicherheit, daß wir diese tragfähige Grundlage nicht verlassen, gibt den Bürgern in der DDR die einzig überzeugende Alternative und läßt schließlich Spielraum für gerechten Ausgleich der Interessen. In dieser Phase kommt dem Bundesinnenminister und seinem Geschäftsbereich besondere Bedeutung zu. Die Koalitionsfraktionen werden dafür auch weiterhin die haushaltsmäßigen Voraussetzungen schaffen. Esters (SPD): Der Bundeskanzler und die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion versuchen, den Eindruck zu erwecken, als verliefen die politischen Trennungslinien bei Regierung und Opposition zwischen Vorkämpfern und Zauderern auf dem Weg zur deutschen Einheit. Dieser Nachtragshaushalt 1990 demonstriert — dürftig, wie er ist — den wirklichen Grundwiderspruch. Er liegt beim Bundeskanzler selbst und besteht ausschließlich darin, daß dieser mit oft bombastischer Rhetorik die schnelle Einheit fordert, daß er sich aber bei den dazu notwendigen Schritten unvorbereitet und ohne Konzept zeigt. Der Erwartungshorizont bei den Mitbürgern in der DDR auf ein Wirtschaftswunder wie durch Zauberkraft ist hochgesteckt und droht, wenn die Versäumnisse in der Sacharbeit andauern, schwer enttäuscht zu werden. Wir spekulieren nicht auf Baisse. Wir haben vom Beginn der Entwicklungen in Deutschland an keinen Zweifel daran gelassen, daß wir das Zusammenwachsen Deutschlands mit aller Kraft anstreben und daß wir die sozial verpflichtete Marktwirtschaft und eine Währungsunion für die notwendigen Mittel halten, um gerecht verteilte Existenzverbesserungen für die Bürger in der DDR zu erreichen. Ich sage ganz bewußt gegen einige elitäre Fastenprediger: Wir halten das Streben nach Wohlstand und sozialer Sicherheit für völlig legitim, weil dies die materielle Grundlage für die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist. Wir Sozialdemokraten befürchten aber, daß die überbordenden Hoffnungen in der DDR zunächst im Zeitmaß enttäuscht werden und daß daraus eine Resignation entsteht, die bei der labilen Stimmung den Einheitsprozeß belastet. Sie haben durch eine Reihe von Wahlkampfauftritten in der DDR ungeheure Erwartungen geweckt. Sie dürfen sich nun nicht wundern, wenn dort und hier bei uns gefragt wird, wie diese Erwartungen umgesetzt werden. Man glaubte, Sie hätten fertige Konzepte. Das erweist sich als irrig. Statt dessen gibt es vielstimmige Auseinandersetzungen in den Medien, in Wirtschaft und Wissenschaft bis hinunter zu den Stammtischen, die über Lösungen und Scheinlösungen stattfinden, während die politische Führung im Nebel stochert. Ein Beispiel ist die Währungsunion: Der mit großem Feldgeschrei verkündete Sommertermin ist nicht zu halten, deutet der Bundesfinanzminister an. Er warnt sogar im Haushaltsausschuß davor, Zeithorizonte zu erstellen, die unrealistisch seien. Als zuständiger Fachminister hat er offenbar erkannt, welche Problemberge vor uns liegen, und wir wären in dieser Einschätzung der sachlichen und zeitlichen Möglichkeiten mit ihm einig, wenn er nicht selbst zuvor unhaltbare Versprechen gemacht hätte. Sie müssen sich nicht wundern, daß draußen zu der Verwirrung noch ein Gefühl der Ohnmacht vor den Schwierigkeiten hinzukommt. Wir spüren dies in den Wahlkreisen. Sie sind offenbar auf dem Rückzug. Sie sammeln Ihre Versprechen vor der DDR-Wahl wieder ein, nachdem der Mohr seine Schuldigkeit getan hat. Eine vorausschauende Politik aber muß nüchtern sein und sich auch darauf konzentrieren, die sozialen Ängste, die die Kehrseite der erwarteten wirtschaftlichen Dynamik sind, zu nehmen. Demgegenüber ist dieser Nachtragshaushalt selbst für unumgängliche Maßnahmen, die unstreitig nur durch Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt bewirkt werden können, ohne Gestaltungskraft: Das Volumen für die Umweltschutzinvestitionen, die schon aus den egoistischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland geboten sind, ist ebenso kläglich wie das für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen oder die Umstellung der Energiewirtschaft, ohne die überhaupt keine wirtschaftliche Entwicklung stattfinden kann. Wenn dieser Nachtragshaushalt zum Juni in Kraft tritt, wird die Bundesregierung fast ein halbes Jahr vertan haben, ohne die Voraussetzungen zur Bewältigung des Notwendigsten geschaffen zu haben. Sie gestehen dies selbst ein, indem Sie über einen zweiten Nachtragshaushalt sprechen, noch bevor dieser erste abschließend beraten ist. Wir Sozialdemokraten wissen, daß die Detailarbeit für die inhaltlichen Ziele der deutschen Einheit schwierig ist und daß erhebliche Belastungen für die Bürger hüben wie drüben unvermeidlich sind. Gerade deshalb ist es irreführend, so zu tun, als erforderte die Einheit keine Opfer. Dies ist neben der Planlosigkeit in der Sacharbeit der zweite Vorwurf, den wir an die Adresse der Bundesregierung richten. Ein weiterer Vorwurf schließt sich an: Er resultiert aus der Art und Weise, mit der der Bundeskanzler in einer Mischung aus Sendungsgefühl und berechnender Parteitaktik den Alleinvertretungsanspruch in Fragen der deutschen Einheit usurpiert. Wir sind uns einig, daß der Kern der Umwälzungen in der DDR die Begründung der parlamentarischen Demokratie als Voraussetzung persönlicher Freiheit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16095* ist. Darin liegt die Größe des Ereignisses. Gerade diese Errungenschaft diskreditiert der Bundeskanzler, wenn er die soeben frei gewählten Repräsentanten der DDR als Statisten und Befehlsempfänger behandelt und wenn er bei uns einen Regierungsstil praktiziert, den man in der wilhelminischen Ära als „persönliches Regiment" bezeichnet hat. Es gibt offenbar keine Sprechverbote, aber doch Denkverbote in den eigenen Reihen, z. B. zur Frage von Steuertariferhöhungen oder zum Geltungsbereich des propagierten 1 : 1-Umtauschkurses. Es gibt ferner eine regelrechte Ausgrenzung der Freien Demokraten, die in der Koalition neuerdings auf die Rolle des antiken Chors — auf Warnungen und Wehklagen — reduziert sind. Und es gibt schließlich eine beispiellose Mißachtung des Deutschen Bundestages, der spärlich unterrichtet wird und sich einer Informationspolitik ausgeliefert sieht, die offenbar gezielt einige wohlgesinnte Presseerzeugnisse mit Nachrichtenbrocken versieht, um Stimmungsmache zu betreiben. Dem Deutschen Bundestag ist zur Zeit lediglich die Rolle zugedacht, das persönliche Regiment des Bundeskanzlers durch Bewilligung weiterer Aufwüchse der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit zu stärken, die von 222 Millionen DM im Jahre 1982 auf einschließlich Nachtragshaushalt 427,5 Millionen DM im Jahre 1990, also um sage und schreibe 92,5 v. H., bei einer sonstigen Steigerungsrate des Haushalts von 27,6 v. H. angestiegen sind. Die SPD-Fraktion ist dabei, die Verfassungsmäßigkeit dieser Ausgaben im Wahljahr 1990 zu überprüfen, und bittet auch den Bundesrechnungshof, sein Augenmerk darauf zu richten. Der Deutsche Bundestag führt in diesem Plenarsaal regelmäßig Debatten zum parlamentarischen Selbstverständnis. Alle Bekenntnisse, die hierzu abgegeben wurden, erweisen sich jedenfalls bei der Gestaltung der deutschen Einheit als Makulatur. Auf der Tagesordnung des Haushaltsausschusses steht zwar seit einigen Wochen als ständiger Beratungspunkt eine Unterrichtung durch die Bundesregierung über den Stand und die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Wir erfahren jedoch inhaltlich wenig, weil die Bundesregierung entweder zögert, Aussagen zu treffen, oder weil sie das Parlament vor vollendete Tatsachen stellen und ihm eine bloße Notarfunktion zuweisen will. Wie kann man es bewerten, wenn z. B. der Kollege Nehm auf seine Anfrage, wie der Übergang der DDR auf eine Haushalts- und Steuerpolitik nach bundesrepublikanischem Vorbild gestaltet werden soll, von der Bundesregierung die Antwort erhält, daß die Vorbereitungen dazu nachdrücklich vorangetrieben würden und daß die Experten-Kommission wesentliche Fortschritte erzielt hätte, die allerdings vertraulich seien? Ich nenne das Desinformationspolitik und Parlamentsmißachtung. Es wird beklagt, daß unser Grundgesetz seinerzeit ohne umfassende Mitwirkung des Volkes zustande gekommen sei. Die deutsche Einheit soll nun offenbar zustande kommen, indem die beiden freigewählten Parlamente auf eine Chargenrolle beschränkt werden. Erst zuletzt scheint der Bundesregierung klargeworden zu sein, daß die Wirtschaftsänderungen in der DDR nicht einfach statuiert werden können, sondern eine Fülle von Entscheidungen der nunmehr freien Volkskammer voraussetzen. Die Frau Präsidentin Süssmuth hat den Deutschen Bundestag als „Werkstatt der Demokratie" bezeichnet. In der Frage der deutschen Einheit ist er eher der „Wartesaal der Demokratie" geworden, in welchem wir nur Gäste sind. Selbst zu Angelegenheiten, die zuallererst dieses Parlament betreffen, nämlich zur Frage gesamtdeutscher Wahlen, äußert sich der Bundeskanzler nicht hier im Plenum, sondern legt sich darauf während einer Pressekonferenz mit dem irischen Ministerpräsidenten fest. Ich appelliere an die Mehrheitsfraktionen: So wie es dem Bundesrat und den Ländern gelungen ist, ihre Rolle im Einigungsprozeß durchzusetzen, so muß auch der Deutsche Bundestag seinen Anspruch energisch geltend machen. Ich richte in dieser Hinsicht auch einen Appell an die Präsidentin. Wir Sozialdemokraten fordern den Bundeskanzler auf, einen Beitrag zum nationalen Konsens nicht nur von den demokratischen Parteien in der DDR, namentlich der SPD, zu verlangen, sondern ihn auch hier in der Bundesrepublik wenigstens so zu praktizieren, daß die Parlamentsrechte geachtet werden. Die jetzige Beratung des Nachtragshaushalts 1990 ist der gegebene Zeitpunkt, wenigstens die Eckwerte zu nennen, mit denen der Übergang der DDR in die neue Wirtschaftsordnung aus dem Bundeshaushalt flankiert werden soll. Wir bitten Sie hier im Plenum um Auskunft, was wenigstens in groben Zügen der Inhalt des angekündigten Leitsätze-Gesetzes zur Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft und zur Errichtung einer Währungs- und Sozialunion ist und welche Belastungen sich daraus oder aus den Folgegesetzen für die Haushalte von Bund und Ländern ergeben. Wie wollen Sie die Anschubfinanzierung bei den Sozialversicherungssystemen erbringen, die für September angekündigt ist? Woher sollen die Mittel genommen werden? Schon jetzt bewegen Sie sich bei der Kreditfinanzierung in der Nähe des Art. 115 GG und werden die Leitsätze der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bei Überschreitung zu berücksichtigen haben. Für welche Bereiche soll bei der Währungsunion ein Umtausch 1 : 1 gelten, um eine beliebte Streitfrage zu nennen, die bei Ihnen beliebig beantwortet wird? Wann soll der zweite Nachtragshaushalt kommen, und welchen Inhalt und Umfang soll er haben? Teilen Sie die Auffassung des Sachverständigenrats, dem wir zustimmen, daß es nach historischem Vorbild dem ERP-Sondervermögen oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau ermöglicht werden soll, der DDR für bestimmte Verwendungen Kredite zu besonders günstigen Konditionen einzuräumen? In etwas abgewandeltem Zuschnitt halten wir unser SPD-Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt", das 16096* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 nach diesem Muster angelegt ist, für geeignet, von seinen Schwerpunkten her die dringlichste Problematik beim Aufbau einer freien Wirtschaft in der DDR mit lösen zu helfen. Es geht nicht an, daß sich die deutsche Einheit nach Art der geheimen Kabinettspolitik des vorigen Jahrhunderts vollzieht. Sagen Sie den Bürgern in beiden Staaten Deutschlands, was sie von der deutschen Einheit erwarten können und was sie dafür zu leisten haben. Hören Sie auf besonnene Stimmen, die vor zu kurz gegriffenen zeitlichen Horizonten und vor Problemunterschätzungen warnen. Roth (Gießen) (CDU/CSU): Erlauben Sie mir bitte, in der Schlußrunde dieser verbundenen Debatte einige Bemerkungen zum Nachtrag für den Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens. Es kann jetzt in der DDR nicht um den Umbau des zusammengebrochenen Sozialismus gehen; im Vordergrund stehen muß der Aufbau einer offenen marktwirtschaftlichen Ordnung mit sozialer Absicherung. Diese Herausforderung werden wir nur bewältigen, wenn es gelingt, einen breiten wirtschaftlichen Mittelstand zu entwickeln bzw. zu reaktivieren. Dies ist die wirtschaftspolitische Schlüsselfrage. Ludwig Erhard hat schon im September 1953 energisch darauf gedrängt, für den Fall der Wiedervereinbarung den Prozeß der Leistungsangleichung zeitlich so kurz wie möglich zu bemessen. Dieser Prozeß werde um so rascher und erfolgreicher vor sich gehen, je mehr private Initiative und Tatkraft zur Entfaltung kommt. Weil das von uns auch heute noch so gesehen wird, leisten wir die Starthilfe für den wirtschaftlichen Aufholprozeß. Die Aufstockung des ERP-Sondervermögens um insgesamt 2 Milliarden DM hat dabei zentrale Bedeutung. Zusammen mit den Kreditaufnahmen am Kapitalmarkt stehen 6 Milliarden DM in den nächsten Jahren als Aufbaukredite für einen leistungsfähigen Mittelstand in der DDR zur Verfügung. Deshalb muß die ERP-Förderung innerhalb der Bundesrepublik aber keineswegs eingeschränkt werden. Überhaupt denke ich, daß wir auf diesem Felde gesamtdeutsch handeln müssen. Die Kammern, Verbände und Organisationen unserer Wirtschaft einschließlich des Handwerks verdienen unseren Dank für die bereits ergriffenen Initiativen. Nach unserem Verständnis müssen die Kräfte der privaten Wirtschaft zur Entfaltung gebracht werden. Dies gilt auch für die Finanzierung des gewaltigen Investitionsbedarfs. Die Schaffung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen und die Herstellung von Rechtssicherheit sind die politische Bringschuld. Wir müssen die verheerenden Strukturen der sozialistischen Kommandowirtschaft aufbrechen und den Mittelschichten Entwicklungsmöglichkeiten geben. Die SED-Politik hat den industriellen und gewerblichen Mittelstand zerschlagen. Jetzt geht es um die Entflechtung der Kombinate und die Privatisierung des sogenannten „Volkseigentums". Mittelfristig werden rund 500 000 selbständige Betriebe im Handwerk, im Handel, im Dienstleistungssektor und im gewerblichindustriellen Bereich gebraucht. Eine Strukturierung wie in der Bundesrepublik würde bedeuten, daß in diesem für die Wirtschaftsdynamik wichtigsten Bereich rund 4 Millionen zukunftsorientierter Arbeitsplätze geschaffen werden. Deshalb ist die Hilfe bei der Existenzgründung erforderlich, auch die Erbringung von haftenden Mitteln über ein Eigenkapitalprogramm und natürlich die Bereitstellung längerfristiger, zinsgünstiger Kredite, wie sie durch das ERP-Kreditprogramm vorgehalten werden. Gefördert werden Existenzgründungen im gewerblichen Bereich, aber auch bei den freien Berufen. Allenthalben fehlt es an Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Architekten, Ärzten und Zahnärzten. Hier gibt es einen beträchtlichen Investitionsbedarf, der über das ERP-Programm finanziert werden kann. Die Konditionen hierfür sind angemessen. Sie entsprechen denen für unsere strukturschwachen Gebiete: zur Zeit 6,5 % Zins, jedoch mit längerer tilgungsfreier Zeit bis zu 5 Jahren und längerer Gesamtlaufzeit bis zu 15 Jahren, bei Bauten bis zu 20 Jahren. Es geht aber nicht nur um Existenzgründungen. Im Zuge der Entflechtung und Privatisierung der DDR-Betriebe müssen bestehende Anlagen modernisiert und erweitert werden. Der Maschinenpark ist völlig überaltert und verschlissen. Die dringend erforderliche Verbesserung der Produktivität und die Förderung der Wachstumsdynamik sind ohne nachhaltige Verstärkung der Investitionstätigkeit nicht zu schaffen. Die seitherige staatliche Investitionspolitik der DDR hat den industriellen Teil der Wirtschaft einseitig bevorzugt, ohne daß es technologisch oder in der Effizienz der Produktionsverfahren zu wettbewerbsfähigen Standards gekommen wäre. Auch hier wird es darum gehen, auf die Kreativität und Dynamik des Mittelstandes zu setzen, der auch bei uns immer Motor der Sozialen Marktwirtschaft geblieben ist. Darüber hinaus sollen Investitionen in der Gastronomie und im Tourismus gefördert werden, wo der Bedarf besonders augenfällig ist. Im Bereich des Umweltschutzes geht es um die Förderung von Maßnahmen der Abwasserreinigung, der Abfallverwertung und Beseitigung, der Luftreinhaltung sowie der rationelleren Energieverwendung. Die besorgniserregende Umweltsituation der DDR zwingt zu entschlossenem Handeln, auch in unserem eigenen Interesse. CDU/CSU, FDP und SPD haben den Gesetzentwurf des ERP-Nachtragswirtschaftsplans 1990 gemeinsam als Initiativantrag eingebracht, damit die Förderungsmaßnahmen schnell anlaufen können. Wie zu hören ist, liegen bereits jetzt 2 200 Anträge über 1,4 Milliarden DM vor. Die größere Zahl der Anträge kommt dabei direkt aus der DDR. Dies zeigt, daß unser Förderangebot greift und auf einen erheblichen Bedarf stößt. Allerdings ist das Volumen der aus der Bundesrepublik für Investitionen und Gemeinschaftsunternehmen in der DDR gestellten Anträge einstweilen noch größer. Ich bin davon überzeugt, daß sich dies ändern wird, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16097* in der DDR vorliegen. Vor allem müssen die Möglichkeiten für bankübliche Sicherungen der Investitionskredite geschaffen werden. Ohne die Gestellung von Sicherheiten in Form von z. B. Grundpfandrechten gerät der Prozeß der Kreditvergabe ins Stocken. Hier muß es bald Fortschritte geben. Interessant ist übrigens, daß die Anträge vornehmlich über Sparkassen und Genossenschaftskassen eingehen, was für die Entwicklung eines funktionsfähigen konkurrierenden Bankensystems von großer Bedeutung ist, auch in regionaler Hinsicht. Es könnte sich herausstellen, daß über die Herausgabe von ERP-Krediten auf diesem Gebiet ein belebender Anstoß erfolgt, der nur zu begrüßen wäre. Die Volksbanken und Sparkassen der Bundesrepublik haben in jüngster Zeit ihren jeweiligen Partnern in der DDR Hilfe und Unterstützung gegeben, die nicht weniger wichtig ist als die Hilfe, die wir jetzt beim Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung, insbesondere auch im Bereich des Haushalts- und Finanzwesens geben müssen. Alle Anstrengungen, auch die 90 Millionen DM, die wir im Nachtragshaushalt des Bundes für zusätzliche mittelstandspolitische Maßnahmen im Bereich des Technologietransfers, der Forschung und Entwicklung sowie Information, Schulung und Ausbildung bereitstellen, sind darauf gerichtet, den Menschen in der DDR eine wirtschaftliche und berufliche Entwicklungsperspektive zu geben. Wir fordern sie damit auf, am Aufbau einer Sozialen Marktwirtschaft aktiv mitzuwirken. Der Erfolg des ERP-Programms in der Bundesrepublik stützt unsere begründete Erwartung, daß diese Gelder auch für den Erneuerungsprozeß in der DDR bestens angelegt sind. Wieczorek (Duisburg) (SPD): Nach der Öffnung der Mauer hat die Bundesregierung und haben alle Parteien im Bundestag der DDR unsere großzügige solidarische Hilfe zugesagt. Das war im November und Dezember letzten Jahres. Großzügige und vor allem schnelle Hilfe — da waren wir uns alle einig — sollte den Menschen, die mit ihrer mutigen Revolution die Grenzen in Deutschland und in Europa aufgebrochen haben, zeigen: Wir stehen euch bei. Wir helfen euch, nach dem politischen Durchbruch auch wirtschaftlich auf die eigenen Beine zu kommen. Die Wahlkampfstrategie des Bundeskanzlers hat diesen Konsens zerstört. Während er selbst den Menschen in der DDR großzügige Solidarität versprach, verbürgte sich sein Finanzminister gegenüber den Menschen hier für eine Deutschlandpolitik zum Nulltarif. Solidarität, die nichts kostet, gibt es jedoch nicht. Solidarität heißt Zusammenstehen, Lasten teilen; sie bedeutet auch, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft. Diesen Gedanken der Solidarität haben Sie mit ihrer unehrlichen Strategie beschädigt. Die Möglichkeiten der Haushaltspolitik zu schneller Hilfe wurden bewußt nicht genutzt. Im Haushalt läßt sich nicht verschleiern, daß Hilfe selbstverständlich nicht umsonst ist. Deshalb haben Sie sich gegen allen Sachverstand auf die Währungspolitik verlegt. Mit der Einführung der D-Mark würde der Wohlstand über die DDR hereinbrechen — so haben Sie drüben glauben gemacht —; es komme nur auf die richtige Wahlentscheidung an: Kohl für Kohle. Ich unterstelle, daß zumindest die Fachleute in Ihren Reihen wußten, daß der Tausch Ostmark gegen D-Mark sich zwar einfach anhört, aber in Wahrheit der schwierigste Weg ist. Die Einführung der D-Mark in der DDR bedarf, wenn dieser Schritt gelingen soll, umfangreicher Vorarbeiten, zahlreicher Voraussetzungen. Sie birgt, wenn sie überhastet geschieht, große Risiken — nicht nur in der DDR, sondern auch für Preisstabilität und Zinsen in der Bundesrepublik. Hierin stimmen alle namhaften Sachverständigen überein, vom Sachverständigenrat bis zur Deutschen Bundesbank. Das war auch die Meinung im Bundesfinanzministerium, bis die Beamten sich der wahltaktisch bestimmten Vorgabe aus den Parteizentralen beugen mußten. Einen Vorgeschmack auf das, was eine überstürzte Währungsunion, die ökonomisch nicht vorbereitet und in flankierende Maßnahmen eingebettet ist, bedeutet, hat die scharfe Reaktion der Kapitalmärkte gegeben. Nie zuvor sind in der Bundesrepublik die Zinsen derart rasant angestiegen. Die ersten Auswirkungen sehen wir in der neuerlichen Krise des Wohnungsbaus. Teure Programme werden durch den Zinsanstieg Makulatur. Die Reaktion des Kapitalmarktes zeigt: Auch der Bundeskanzler kann die Gesetze der Ökonomie nicht außer Kraft setzen. Der niedrige Wohlstand der DDR liegt nicht an der falschen oder richtigen Mark im Portemonnaie. Die Ursachen sind vielmehr in jahrzehntelanger Mißwirtschaft eines zentralistischen Planungssystems zu finden, in dem die volkswirtschaftliche Infrastruktur verkommen ist und die Arbeitsproduktivität sich nicht entwickeln konnte. Die realen Probleme der DDR heute haben also reale Ursachen. Eine Währung, die von den Bürgern als Spielgeld empfunden wird, ist lediglich Symptom. Wir müssen an den Ursachen ansetzen, und das heißt harte Arbeit in der DDR, und das heißt reale Hilfe und eine gewisse Opferbereitschaft bei uns. Wer die Währungsfrage in den Vordergrund stellt, kuriert nur an den Symptomen. Deswegen haben wir die Währungsunion immer nur im Zusammenhang mit ordnungspolitischen, finanziellen und wirtschaftlichen Maßnahmen befürwortet. Und selbstverständlich gehört dazu eine umfassende sozialpolitische Flankierung, um soziale Härten, die zwangsläufig mit dem notwendigen Strukturwandel verbunden sind, zu mildern. Wir reden nach der Wahl so wie vor der Wahl. Die Bundesregierung, zumal der Bundeskanzler, ist dagegen mit dem Füllhorn durch die DDR gereist und nimmt jetzt Stück für Stück die gemachten Versprechungen zurück. Nach der Wahl wurde als erstes die Sozialunion von der Währungsunion abgekoppelt. Dann wurden die versprochenen Umtauschkurse für Renten von 1 : 1 in Frage gestellt. Minister Blüm, der letzte Woche eine großzügige Rentenanhebung zusagte, wurde am 16098* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 nächsten Tag zurückgepfiffen, und nun stellen die zuständigen Minister Waigel und Haussmann den 1. Juli als Einführungstermin für die Währungsunion in Frage, während der Kanzler ihn vage bekräftigt. Auch die schnelle Vereinigung noch in diesem Jahr ist auf 1992 vertagt. Was gilt denn nun? Sie muten den Menschen in der DDR, denen ein halbes Jahrhundert in Unfreiheit und die drückenden Probleme ihres Landes im Magen liegen, eine wirklich abenteuerliche Achterbahnfahrt zu. Sie haben das Blaue vom Himmel herunter versprochen; Ihre Hausaufgaben haben Sie nicht gemacht. Wertvolle Zeit ist vergeudet, die für die Erarbeitung eines wirksamen und solide finanzierten Nachtragshaushalts notwendig gewesen wäre. Der Nachtragshaushalt, wie er dem Parlament jetzt zur Abstimmung vorliegt, läßt weder die versprochene Großzügigkeit und Solidarität noch ein in sich schlüssiges Konzept erkennen. Aus den 2 Milliarden DM, die vor der Wahl für Sofortmaßnahmen in der DDR reserviert wurden, sind in den zwei Wochen nach der Wahl gerade 100 Millionen DM in konkrete Maßnahmen umgesetzt worden. 20 Millionen DM des Nachtragshaushalts sind für Beamte des Bundes vorgesehen, die an die DDR ausgeliehen werden, für 30 Millionen DM sollen neue Schulbücher für die DDR angeschafft werden, und mit 50 Millionen DM sollen regionalpolitische Modellvorhaben im Grenzgebiet gefördert werden. Das ist schon fast alles, was der Koalition bei den Ausschußberatungen noch eingefallen ist. Das ist nicht großzügig, das ist kleinkariert und kleinherzig. Vergleicht man die 30 Millionen DM für Schulbücher mit den 13 Millionen DM für Modellmaßnahmen zur sozialen Sicherung in der DDR und den 4 Millionen DM für Modellvorhaben der Stadt- und Dorferneuerung, stellt sich die Frage: In welcher Beziehung stehen diese Beträge zu der Bedeutung der Probleme, die in der DDR bewältigt werden müssen? Was sollen überhaupt Modellvorhaben? Wir wissen doch längst, was getan werden muß. Die DDR braucht keine schönen kleinen Modelle, sondern reale wirtschaftliche Hilfe. Wie sehr man diesen Haushalt dreht und wendet: Er bietet weder den Menschen in der DDR noch den Menschen bei uns eine Orientierung. Er ist im großen und ganzen, bei einigen Details, denen wir durchaus zustimmen können, konzeptionslos und halbherzig. Wenn wir in diesem Parlament die deutsche Einheit gemeinsam und mit den Bürgern wollen, dann müssen die notwendigen Schritte ohne Verzögerung, aber auch nicht überstürzt eingeleitet werden. Dann muß den Bürgern jetzt ein Fahrplan vorgelegt werden, ein Konzept, wie es weitergeht. Deshalb ist die Bundesregierung gefordert, Konzepte und Kosten auf den Tisch zu legen. Es darf nicht sein, daß hier weiter herumgeeiert wird und wir nach dem ersten Nachtragshaushalt noch auf den zweiten Nachtragshaushalt warten müssen, bis endlich Klarheit herrscht. Daß die Bundesregierung die deutsche Vereinigung seit Monaten als ihre Privatveranstaltung betrachtet, ist skandalös und verträgt sich in keiner Weise mit dem Informationsrecht und Selbstverständnis dieses Parlaments. Deshalb fordern wir die stärkere Mitwirkung und Einbeziehung des Deutschen Bundestages und des neu gewählten Parlaments der DDR. Wir müssen dafür sorgen und wir sind mit in der Verantwortung, daß die Menschen in der DDR möglichst bald in der Lage sind, sich ihren Wohlstand selbst zu erarbeiten. Vieles, vor allem die Errichtung neuer produktiver Arbeitsplätze, muß privatem Kapital vorbehalten bleiben. Aber bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen ist staatliche Hilfe erforderlich. Zu den Rahmenbedingungen, die originäre Aufgabe des Staates sind und die vordringlich angegangen werden müssen, gehören vor allem die Sanierung und der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur in der DDR. Der Zustand der Bausubstanz in der DDR, die Umweltsituation und die Energieversorgung sind katastrophal. Die Infrastruktur im Verkehrsbereich und die Kommunikationssysteme sind völlig veraltet. All das behindert die wirtschaftliche Entfaltung und schmälert den Wohlstand der Menschen. Hier muß schnell gehandelt werden, damit sich Investitionen lohnen und mit der Produktivität auch der Lebensstandard steigt. Das Abebben des Übersiedlerstroms nach der Wahl geht sicher nicht nur auf den Abbau von Vergünstigungen zurück, die die Sozialdemokraten schon lange vor der Wahl gefordert haben, bis sich die Bundesregierung — nach der Wahl — endlich bewegt hat. Hierin zeigt sich auch ein erheblicher Vertrauensvorschuß an unsere Adresse. Dieses Vertrauen muß jetzt stabilisiert werden. Dazu gehört, wenn schon nicht alle Details, so doch die Grundzüge und Eckdaten der Sozialunion festzulegen und sie verbindlich mit der Einführung der Währungsunion zu verkoppeln. Rentner und Arbeitslose in der DDR müssen wissen, daß sie nicht ins Bodenlose fallen, sondern daß es sich auch bei vorübergehenden Strukturkrisen lohnt, in der DDR zu bleiben und am Aufbau teilzunehmen. Ich möchte Finanzminister Waigel deshalb an das erinnern, was er in der ersten Lesung des Nachtragshaushalts am 8. März hier im Deutschen Bundestag ausgeführt hat: Wir geben . . ., was die Bürger im anderen Teil Deutschlands brauchen: Solidarität, Orientierung und einen festen Rahmen für die wirtschaftliche und für die politische Wiedervereinigung. Herr Waigel, Sie haben sich leider nicht von ihren eigenen Worten leiten lassen. Der Nachtragshaushalt läßt nicht nur bei den Maßnahmen zugunsten der DDR jegliche Orientierung vermissen; er ist auch angesichts der grundlegend gewandelten sicherheitspolitischen Lage in Europa falsch strukturiert. Die bescheidenen Kürzungen, die die Koalition im Verteidigungshaushalt vorgenommen hat, sind unzureichend und werden weder der sicherheitspolitischen noch der haushaltspolitischen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 16099* Lage gerecht. Der Verteidigungshaushalt ist immer noch über 400 Millionen DM höher als letztes Jahr, und für nächstes Jahr fordert Verteidigungsminister Stoltenberg 55,6 Milliarden DM, also noch einmal zwei Milliarden DM mehr als in diesem Jahr. Wie so oft ist die FDP hier politisch weggetaucht. Die vereinbarte globale Minderausgabe umkurvt jede auch nur halbwegs verbindliche Festlegung, wie sie es mit dem Jäger 90 und den militärischen Tiefflügen hält. Es ist der bekannte Spagat der FDP. Die Parteigremien fassen populäre Beschlüsse fürs Plakat, die Bundestagsfraktion sorgt dafür, daß nichts davon in die Tat umgesetzt wird. Das sind Spitzenleistungen von politischen Geisterfliegern. Wir waren dem Ziel durchgreifender Abrüstungsschritte niemals näher. Niemals waren die Umstände günstiger. Wir haben in unseren Anträgen konkret nachgewiesen, daß noch in diesem Jahr Kürzungen von insgesamt vier Milliarden DM möglich sind: durch den Ausstieg aus dem Jäger 90, durch sofortigen Stopp aller Tiefflüge, durch Verzicht auf neue großtechnische Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben und Rekordeinkäufe von Kriegsmunition und durch die Verkürzung der Grundwehrdienstzeit noch in diesem Jahr auf zwölf Monate. Nach den Abstimmungen zur zweiten Lesung steht fest: Die Koalition verspricht Abrüstung, löst sie aber nicht ein. Abrüstung und Strukturwandel an den Standorten und in den Rüstungsfabriken werden ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land will Abrüstung. Wenn sie nicht mit der Koalition gemacht werden kann, dann werden wir sie bald gegen sie machen. Kürzungen im Verteidigungshaushalt sind nicht nur sicherheitspolitisch richtig und geboten; sie erleichtern uns auch die Bereitstellung der Mittel, die wir für die deutsche Einheit brauchen. Der innere Zusammenhang zwischen Vereinigung und Abrüstung zwingt doch dazu, die vorübergehenden Mehrausgaben durch den Fall der Blockgrenze in Deutschland aus der Friedensdividende, wie die Amerikaner es nennen, zu finanzieren. Hier bietet sich einer der seltenen Königswege, die es in der Finanzpolitik gibt: Die Ausgabenkürzungen sind politisch geboten. Wir bräuchten uns weniger zu verschulden, und der Haushalt würde damit auch aus konjunkturpolitischer Sicht besser in die Landschaft passen. Doch die Bundesregierung läßt diese Chance verstreichen. Die Neuverschuldung steigt 1990 auf 33 Milliarden DM gegenüber 19 Milliarden DM im letzten Jahr. Dieser scharfe Zuwachs hat zusammen mit dem Wirrwarr um die Währungsunion erheblich zur Verunsicherung der Kapitalmärkte beigetragen. Hauptleidtragender der Zinsentwicklung ist der Wohnungsbau. Noch bevor die Programme der Bundesregierung zur Belebung des Wohnungsbaus greifen konnten, werden sie durch die hohen Zinsen unterlaufen und auf Null gebracht. Heute fehlen schon 1,7 Millionen Wohnungen. Jetzt wird der Wohnungsnotstand, der nicht auf die Übersiedler, sondern auf die jahrelange Kahlschlagpolitik und scheinheilige Gesundbetereivon Stoltenberg und Schneider zurückgeht, zum Dauerzustand zementiert. Im Nachtragshaushalt wird dieses soziale Problem Nummer 1 für viele Menschen nicht einmal zur Kenntnis genommen. Zusammen mit den Wohnungssuchenden stehen auch die Langzeitarbeitslosen im Schatten der angekündigten Unternehmenssteuersenkung. 25 Milliarden DM für die Reichen — die Armen müssen den Gürtel enger schnallen. Für diesen sozialpolitischen Skandal hat sich Finanzminister Waigel verbürgt, ohne daß Herr Finck, das personifizierte schlechte Gewissen der CDU in der Sozialpolitik, aufmuckt. Wir Sozialdemokraten lehnen diesen Nachtragshaushalt ab. Er ist kein Haushalt der Solidarität mit der DDR. Er ist kein Haushalt vernünftiger und verantwortlicher Orientierung in Zeiten des Umbruchs. Er ist ein Haushalt der sozialen Ungerechtigkeiten. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 16. März 1990 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Zweites Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses Gesetz zur Ausführung von Sorgerechtsübereinkommen und zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie anderer Gesetze Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Artikel 45 b des Grundgesetzes — WBeauftrG) Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 11. August 1989 zum Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 11. August 1989 zur Durchführung des Abkommens Gesetz zu der Verwaltungsvereinbarung vom 26. November 1987 zur Durchführung des Übereinkommens vom 30. November 1979 über die Soziale Sicherheit der Rheinschiff er Gesetz zu dem Vertrag vom 31. Mai 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen Gesetz zu dem VN-Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt und zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Juni 1989 der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen 16100* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1990 Gesetz zu dem Vertrag vom 10. Juli 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über den gegenseitigen Schutz und die Förderung von Kapitalanlagen Gesetz zur Verbesserung der Struktur der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (KOV-Strukturgesetz 1990) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Mit dem jetzt vorliegenden KOV-Strukturgesetz 1990 ist ein wesentlicher Schritt hin zur sozialpolitisch gebotenen Verbesserung der Versorgungslage der Kriegsopfer gemacht worden. Besonders zu begrüßen sind die erheblichen nachträglichen Verbesserungen im Rahmen des Berufsschadensausgleichs, der Pflegezulage sowie der Versorgung der Witwen von Pflegezulageempfängern, die während der Beratungen des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag zusätzlich in das Gesetz aufgenommen wurden. Damit sind wesentliche Teile der Forderungen des Bundesrates erfüllt. Einige sozialpolitisch wichtige Verbesserungen sind allerdings nicht oder nur halbherzig aufgegriffen worden. Der Bundesrat sieht daher die jetzige Gesetzesfassung lediglich als ersten wesentlichen Schritt zu nachhaltigen Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung an und bittet die Bundesregierung, die folgenden sozialpolitisch notwendigen Verbesserungen in einem weiteren KOV-Strukturgesetz aufzugreifen: — den maßgebenden Zeitraum für die Gewährung einer Badekur für alle Pflegepersonen unter den bisherigen rechtlichen Voraussetzungen von 5 auf 10 Jahre auszudehnen, — die erforderliche Mindestpflegezeit für die Gewährung des Pflegeausgleichs auf 10 Jahre zu verkürzen und die Bewertung der einzelnen Pflegejahre von 0,5 auf 1 v. H. zu verdoppeln, — die Ausgleichsrente der Waisen in gleichem Umfang wie die der Witwen zu erhöhen und — den Mindesbetrag der Elternrente von 5 auf 20 DM zu erhöhen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/6226 Drucksache 11/6301 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/5450 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/973 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/6324 Nr. 2.2-2.9 Drucksache 11/6423 Nr. 2.4 —2.7 Drucksache 11/6502 Nr. 1-6, 8 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/6423 Nr. 2.11, 2.13 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/929 Nr. 2.27 Drucksache 11/3117 Nr. 2.12 Drucksache 11/4238 Nr. 2.14 Drucksache 11/4534 Nr. 2.19 Drucksache 11/4758 Nr. 2.31 Drucksache 11/5051 Nr. 42 Drucksache 11/5145 Nr. 3.33 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/5642 Nr. 3.21 Drucksache 11/6423 Nr. 2.17
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Erstens. Damit nicht bei den Zuhörern der Eindruck entsteht, ich hätte gefehlt, obwohl ich Mitglied im Haushaltsausschuß wäre, stelle ich klar, daß ich nicht Mitglied bin. Aber selbstverständlich haben alle Mitglieder der SPD im Haushaltsausschuß übereinstimmend von den Beratungen berichtet. Das entspricht auch dem, was Sie jeden Tag zeigen. Sie wollen im Verteidigungshaushalt nicht sparen, im Gegenteil.

    (Kühbacher [SPD]: Leider wahr!)

    Zweitens. Wenn Sie sich so schwer tun, aus 54 Milliarden mehr als 540 Millionen herauszuholen, dann drängt sich mir die Frage auf: Wie eng sind Sie eigentlich mit der Rüstungslobby verbunden, daß Ihnen das solche Schwierigkeiten macht?

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Zu unseren Kürzungsvorschlägen gehört — ich sagte es — der Stopp der Tiefflüge und der Stopp des Jäger 90. Dazu haben wir namentliche Abstimmungen beantragt. Dann muß, Herr Kollege Weng, die FDP nun endlich Farbe bekennen.

    (Dr. Struck [SPD]: Das hat keinen Sinn! Das machen die nie!)

    Dann wird die Öffentlichkeit sehen, ob die FDP immer nur draußen gegen den Jäger 90 redet oder ob sie auch im Bundestag gegen den Jäger 90 abstimmt. Dazu haben Sie gleich Gelegenheit.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Uelhoff [CDU/CSU]: Der reine Populismus, was Sie da sagen!)

    Drittens. Ich bitte Sie, fassen Sie doch Vorschläge zu Einsparungen im Verteidigungshaushalt nicht immer als Zumutung auf. Abrüstung ist doch nicht etwas Schreckliches. Weltweit werden jährlich Hunderte von Milliarden für Rüstung ausgegeben. Die Menschen, die jetzt in der DDR, in der Tschechoslowakei, in Polen, in Ungarn und in Rumänien auf die Straße gegangen sind, haben doch auch für uns die Chance erkämpft, endlich den Rüstungswahnsinn zu beenden. Zögern wir doch nicht länger. Ergreifen wir doch die Chance. Kürzen wir die Militärausgaben, und machen wir damit Gelder frei für sinnvolle Aufgaben, für die Bekämpfung des Hungers in der Welt, für soziale Gerechtigkeit und auch für die deutsche Einheit.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Bei der Finanzierung der deutschen Einheit darf die soziale Gerechtigkeit nicht unter die Räder kommen. Es ist unverständlich, daß die Koalition in der nächsten Legislaturperiode für Unternehmen und Spitzenverdiener die Steuern um 25 Milliarden DM senken will. Bundesfinanzminister Waigel hat sich noch vor wenigen Tagen persönlich ausdrücklich dafür verbürgt, daß diese Steuersenkung, wie angekündigt, tatsächlich verwirklicht wird. Gleichzeitig werden Pläne bekannt, die DDR-Hilfe aus der bundesdeutschen Renten- und Arbeitslosenversicherung zu bezahlen. Das allerdings wäre ein starkes Stück. Die bundesdeutschen Unternehmen verdienen sich eine goldene Nase, und unsere Rentner und Arbeitnehmer müssen dafür zahlen. Das lehnen wir entschieden ab.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Uelhoff [CDU/ CSU]: Das ist unglaublich!)

    Seit Monaten verstummen bei CDU/CSU und FDP auch nicht die Forderungen, die Mehrwertsteuer anzuheben. Ich nenne Bundeswirtschaftsminister Haussmann und das CDU-Vorstandsmitglied Graf Schwerin, die eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte von 14 auf 16 % gefordert haben. Die Südwest-FDP hat auch eine Mehrwertsteueranhebung beschlossen.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Was Sie da sagen, ist nicht richtig!)

    Auch Bundesarbeitsminister Blüm hat von Steuererhöhungen gesprochen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzminister hat dargelegt, daß eine Unternehmensteuersenkung nur machbar ist, wenn die Mehrwertsteuer erhöht wird.
    Die SPD hat der Bundesregierung eine klare parlamentarische Frage gestellt. Wir haben gefragt:



    Frau Matthäus-Maier
    Schließt die Bundesregierung verbindlich aus, daß es im Zuge des Einigungsprozesses Steuererhöhungen — z. B. eine Anhebung der Mehrwertsteuer — geben wird?
    Auf diese klare Frage hat der Bundesfinanzminister in der letzten Woche nicht mit einem ebenso klaren Nein geantwortet. Er hat geantwortet, Steuererhöhungen wären abträglich.
    Meine Damen und Herren, „abträglich" reicht nicht. Im Gegenteil, die Antwort spricht doch Bände. Nach den Erfahrungen, die unsere Bürger mit der Steuerpolitik dieser Bundesregierung gemacht haben, können die jüngsten Beteuerungen, es werde keine Steuererhöhung geben, niemanden überzeugen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

    Auch bei der Steuerreform haben Sie vor der Wahl behauptet, es sei alles solide finanziert. Nach der Wahl haben Sie dann die Verbrauchsteuern um 10 Milliarden DM angehoben.

    (Zurufe von der SPD: Das ist typisch! Steuererhöhungspartei! Schuldenmacherpartei!)

    Vor der Wahl hatten Sie versprochen, der Weihnachtsfreibetrag für Arbeitnehmer bleibe erhalten. Nach der Wahl haben Sie dann den Weihnachtsfreibetrag abgeschafft.

    (Zuruf von der SPD: Ja, ja, eiskalt! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Er wurde nicht abgeschafft!)

    Denken Sie bitte nicht, die Ungerechtigkeiten Ihrer Steuerreform seien vergessen! Wir werden nicht zulassen, daß die deutsche Einheit die soziale Gerechtigkeit von der Tagesordnung der bundesdeutschen Politik verdrängt.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Abschaffung des Weihnachtsfreibetrages für Arbeitnehmer, um damit die Senkung des Spitzensteuersatzes zu finanzieren, war grobes Unrecht. Der Weihnachtsfreibetrag muß noch in diesem Jahr wieder eingeführt werden, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Behaupten Sie bitte auch nicht, eine Mehrwertsteuererhöhung hätte etwas mit der EG-Integration, etwas mit dem Binnenmarkt zu tun. Die EG-Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der für die Mehrwertsteuer eine Spanne von 14 bis 20 % vorsieht. Bei unserer Mehrwertsteuer von 14 % gibt es durch Brüssel also überhaupt keinen Handlungsbedarf.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Eine Mehrwertsteuererhöhung bei gleichzeitiger Senkung der Steuer für Spitzenverdiener und Unternehmen — diese Kombination wäre die Fortsetzung Ihrer Umverteilungspolitik.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Und es trifft die Kleinen!)

    Unter dem Deckmantel der deutschen Einheit müßte dann die breite Masse der Bevölkerung dafür zahlen, daß die Bundesregierung Spitzenverdienern und Unternehmen ein Steuergeschenk in Milliardenhöhe
    macht. Nach der Gesundheitsreform, nach der Steuerreform,

    (Zuruf von der SPD: Nach der sogenannten Steuerreform!)

    nach dem Flugbenzinsteuerskandal, nach dem Dienstmädchenprivileg wäre das ein neuer Höhepunkt sozialer Ungerechtigkeit.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir Sozialdemokraten fordern: Hände weg von der bundesdeutschen Rentenkasse, weg mit allen Plänen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, und Verzicht auf neue Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Unternehmen!
    Solange Sie sich nicht dazu durchringen,

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Aber schnell 15 Milliarden an das SED-Regime!)

    bei den Militärausgaben ernsthaft einzusparen und auf ihre Steuersenkung für Unternehmen und Spitzenverdiener zu verzichten, solange müssen wir befürchten, daß die Bundesregierung eine Wählertäuschung vorbereitet und trotz ihrer Beteuerungen vor der Wahl die Bürger nach der Wahl zur Kasse bitten wird.
    Es gibt das böse Wort „Wahltag ist Zahltag". Lassen Sie dies nicht Wirklichkeit werden! Für uns Sozialdemokraten ist klar: Ja zur deutschen Einheit,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na! War das immer so?)

    ja zur solidarischen Hilfe für die Menschen in der DDR, aber nein zu einer unsozialen Umverteilungspolitik unter dem Deckmantel der deutschen Einheit!
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Borchert.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jochen Borchert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Nachtragshaushalt 1990, über den wir heute abschließend beraten, schafft die notwendigen und zur Zeit möglichen finanziellen Voraussetzungen für die Gestaltung der deutschen Einheit. Ich hätte hier gerne kontroverse Sachbeiträge von der Opposition gehört. Aber außer der üblichen Polemik war eigentlich nichts Neues zu hören.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Frau Kollegin, früher waren Ihre Debattenbeiträge in der Sache interessant und kontrovers. Seitdem Sie einen neuen Kanzlerkandidaten haben, sind sie eigentlich nur noch polemisch.

    (Beifall des Abg. Uldall [CDU/CSU])

    Ich habe schon in der ersten Debatte gesagt, Sie müssen jetzt Ihren Sachverstand an der Garderobe abgeben. Ich glaube, daß Ihnen das noch viel Schwierigkeiten bereiten wird.



    Borchert
    Von den rund 6,8 Milliarden DM stehen rund 6 Milliarden DM im Zusammenhang mit der DDR. Durch diesen Nachtragshaushalt erhöht sich die Ausgabensteigerung auf rund 5,9 %, und die Nettokreditaufnahme steigt um knapp 6 Milliarden DM auf rund 32,9 Milliarden DM.

    (Zander [SPD]: Das heißt auf deutsch: die Schulden!)

    — Die wir zum größten Teil von Ihnen übernommen haben, Herr Kollege.

    (Beifall des Abg. Dr. Faltlhauser [CDU/CSU] — Lachen bei der SPD)

    Es ist schon unverfroren, hier über Zinsbelastungen zu sprechen, wenn das die Zinsen sind, die wir auf die Schulden zu leisten haben, die wir von Ihnen übernommen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie uns einen ausgeglichenen Haushalt hinterlassen hätten, bräuchten wir hier über die Kosten der deutschen Einheit nicht zu streiten.

    (Huonker [SPD]: Sie müssen einmal die Versatzstücke Ihrer Reden austauschen!)

    Die im Vergleich zu früheren Jahren höhere Ausgabensteigerung ist vertretbar. Dabei schlagen sich auf der Ausgabenseite sowohl die Kosten der deutschen Vereinigung als auch zur Zeit noch die Kosten der Teilung nieder. Wenn wir den Vorschlägen der Opposition in den vergangenen Haushaltsjahren gefolgt wären — Milliardenprogramme zur Arbeitsförderung und ähnliche Programme — , wären wir heute sicher in der verzweifelten Lage, daß wir überhaupt keine Möglichkeiten zur Finanzierung der neu auf uns zukommenden Aufgaben hätten.
    Meine Damen und Herren, das Wahlergebnis in der DDR war ein Sieg für die Demokratie. Mit der Wahl am 18. März haben die Wähler der SPD eine deutliche Absage erteilt, als Antwort auf die Widersprüchlichkeiten der Deutschlandpolitik der SPD. Es ist noch gar nicht lange her, daß die SPD an der Zweistaatlichkeit in Deutschland festhalten wollte. Den Spagat innerhalb der SPD, hier Willy Brandt, dort Oskar Lafontaine als Bremser der deutschen Einheit, haben die Wählerinnen und Wähler in der DDR erkannt und Ihnen eine klare Absage erteilt. Willy Brandt für die Nationalerhebung in der DDR und Lafontaine und Schröder für die Neid- und Angstkampagne in der Bundesrepublik, diese Doppelstrategie haben die Bürger der DDR durchschaut. Das Wahlergebnis ist eine deutliche Willenserklärung der Bevölkerung zum gemeinsamen Weg mit der Bundesrepublik Deutschland und zugleich ein großer Vertrauensbeweis für die Regierung und die Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Verhandlungen zur Währungs- und zur Wirtschaftsreform und zur Sozialunion können nun zügig fortgeführt werden. Wir bieten den Menschen in der DDR einen klaren Kurs für Einheit und für eine wirtschaftliche Gesundung. Wir halten, was wir versprechen, und wir werden die von uns zugesagten Umtauschkurse für kleine Sparguthaben auch einhalten.

    (Zander [SPD]: Bis zu welcher Höhe denn? — Dr. Vogel [SPD]: Wann denn?)

    — Wir halten natürlich die Zusagen, die wir gemacht haben. Wir werden auch die zeitlichen Zusagen genau einhalten.

    (Zuruf von der SPD: Das ist völlig neu!)

    — Das ist nicht völlig neu. Im Gegensatz zu Ihnen halten wir Zusagen immer ein.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Gestern bei Biehle! Zusagen!)

    Wenn man die Aussagen der Opposition in der Vergangenheit betrachtet, angefangen von den Äußerungen der Frau Kollegin Matthäus-Maier Anfang Januar zur Währungsunion

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wehrbeauftragter!)

    bis zu den Äußerungen von Herrn Lafontaine, auf die Währungsunion überhaupt zu verzichten, sie gar nicht schnell einzuführen, dann wird dieser Schlingerkurs für alle klar genug.
    Die neue Regierung und das erste frei gewählte Parlament der DDR werden nun für die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Sie müssen die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehören Preisreform, Gewerbefreiheit, Lohnreform, leistungsorientiertes Steuer- und Finanzsystem, funktionsfähige Geld- und Kapitalmärkte, Privatisierung, Entflechtung der Großkombinate, Ausbau des Verkehrswesens und vor allem Öffnung für Investitionen von außen. Die Währungsunion und die Soziale Marktwirtschaft werden in der DDR bald zu einer dynamischen Aufwärtsbewegung führen.

    (Zander [SPD]: Wollen Sie in der DDR auch die Quellensteuer einführen?)

    Der von uns vorgeschlagene Weg der Währungsunion mit Wirtschaftsreformen ist ein kurzer und anspruchsvoller, aber erfolgreicher Weg. Man kann ihn durchaus mit dem Weg vergleichen, den Ludwig Erhard damals für die Bundesrepublik Deutschland durchsetzte, und auch damals, genau wie wir jetzt, gegen die SPD.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    — Herr Kollege, ich weiß, daß Sie immer gegen den Weg Ludwig Erhards waren.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir haben ihn doch nicht abgesägt!)

    Ich werde gleich noch Lafontaine vom Berliner Parteitag zitieren.
    Die Diskussion über die Währungsunion wird bei uns derzeit allzusehr von den möglichen Risiken überlastet; die Chancen werden zuwenig gewürdigt. Man kann doch nicht von der Hand weisen, daß interessante Investitionsmöglichkeiten in Deutschland eine Umlenkung der Kapitalströme von ausländischen auf



    Borchert
    inländische Investitionen Verwendungen ermöglichen. Besser als jedes andere Wirtschaftssystem ist die Soziale Marktwirtschaft in der Lage, die soziale Sicherung der Bürger zu gewährleisten.
    Daß wir die Einheit nicht zum Nulltarif haben werden, ist jedem klar. Wer aber ständig in der Haltung eines kleinlichen Krämers nur von den Kosten der deutschen Einheit redet, wie es Herr Lafontaine tut, der will aus wahltaktischen Überlegungen heraus Angst und Neid schüren, um darauf sein politisches Süppchen für die Bundestagswahl zu kochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer heute die Kosten der deutschen Einheit genau beziffern will, der muß entweder ein Hellseher oder ein Scharlatan sein.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das hat Herr Waigel gesagt!)

    Die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland ist heute stark genug, um die Herausforderungen der Vereinigung solide finanzieren zu können. Vor einigen Jahren, als noch die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung trugen, wäre dies nicht möglich gewesen.

    (Lachen der Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE])

    Wenige Zahlenvergleiche, damals zu heute, zeigen dies. 1982 war das reale Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik um 14 Milliarden DM niedriger als 1980. Damals hieß dies beschönigt umschrieben: Minuswachstum. Demgegenüber steigt es in den Jahren 1989 und 1990 zusammen um rund 130 Milliarden DM.
    1981 und 1982 wurden über 600 000 Arbeitsplätze vernichtet. Allein in den Jahren 1989 und 1990 wächst die Zahl der Beschäftigten um rund 700 000. Seit dem Herbst 1983 haben wir eine Zunahme der Arbeitsplätze um rund 1,7 Millionen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist die höchste Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik.
    1982 lagen die volkswirtschaftlich bedeutsamen realen Bruttoanlageinvestitionen um 10 % unter denen von 1980, 1989 sind sie demgegenüber um 10 % und damit kräftig gewachsen. Dieser Aufwärtstrend setzt sich 1990 fort.
    1981. hatte die Bundesrepublik ein Leistungsbilanzdefizit von 8 Milliarden DM, heute hat sie einen Überschuß von 100 Milliarden DM.

    (Huonker [SPD]: Und das ist alles Verdienst der Bundesregierung? Gratulation!)

    Ich könnte diese Negativliste der Sozialdemokraten und die Positivliste der Regierungskoalition fortsetzen.
    Wichtig ist: Dank unserer angebotsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik sind heute die Voraussetzungen für weiteres Wachstum, für steigende Beschäftigung, für mehr soziale Sicherheit und für weitere Realeinkommenszuwächse gut.
    Die SPD hat diese angebotsorientierte Politik immer bekämpft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui Teufel!)

    Angesichts früherer Schulden, die die SPD zu verantworten hat, meine ich, ist es unverfroren, heute auf die Zinsbelastungen des Haushalts hinzuweisen.
    Unsere Politik der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft hat sich bewährt. Wir werden sie konsequent fortsetzen, damit wir die Herausforderungen der kommenden Jahre bewältigen können. Wir müssen und werden die finanz- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen weiter verbessern.
    Wie aber sehen heute die Konzepte der SPD zur Lösung dieser Probleme aus? An erster Stelle steht ungebrochen der Ruf nach mehr Staat und Steuererhöhungen. Dabei denke ich beispielsweise an die vorgetragenen Steuererhöhungen z. B. im Bereich der Mineralölsteuer. Nach den negativen Erfahrungen früherer Konjunktur- und Sonderprogramme müßte Lafontaines Programm „Fortschritt '90" eigentlich besser „Rückschritt '90" heißen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben aus den alten Fehlern nichts gelernt.
    Wir lehnen Steuererhöhungen entschieden ab, weil sie ökonomisch falsch sind und die wirtschaftliche Dynamik in der Bundesrepublik Deutschland bremsen würden.

    (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den Schulden!)

    Gerade mit Blick auf die gewaltigen Aufgaben der Sanierung der DDR-Wirtschaft müssen wir die Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik weiter stärken. Eine wachsende Wirtschaft ist die erste Voraussetzung dafür, daß wir die Herausforderungen meistern können. Nur eine wachsende Wirtschaft kann die notwendigen Mittel für Umweltschutz und soziale Leistungen erbringen.
    Den engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik haben jedoch Sozialdemokraten noch nie erkannt. Wie sagte doch der Kanzlerkandidat der SPD, Herr Lafontaine, auf dem Berliner Parteitag zu unserem Wirtschaftssystem — ich zitiere — :
    Wer unser System preist, hat überhaupt nicht die Zeichen der Zeit verstanden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ich gebe gerne zu, daß Herr Lafontaine offensichtlich die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat.
    Die Wähler in der DDR haben die Zeichen der Zeit klar verstanden und sich für unser Wirtschaftssystem und die Soziale Marktwirtschaft entschieden und genau aus den gleichen Gründen der SPD eine deutliche Abfuhr erteilt.
    Lafontaine aber betreibt seine opportunistische Angststrategie weiter. Einerseits polemisiert er gegen die Politik der Bundesregierung, andererseits fordert er für das Saarland dauernd mehr Geld und einen begrenzten Schuldenerlaß mit der Begründung, der



    Borchert
    Bund sei seinen Verpflichtungen gegenüber der Montanindustrie nicht nachgekommen.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    In seiner Regierungserklärung vom 14. März hat er polemisiert:
    Es kann nicht angehen, daß man dem Saarland den Ausgleich seiner Montanlasten verweigert.
    Der Kanzlerkandidat der SPD hat das Saarland an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gewirtschaftet,

    (Widerspruch bei der SPD)

    wie es ihm sein eigener Landesrechnungshof attestiert. Das Saarland hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Flächenländer; Bayern hat die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Saarland hatte 1988 eine Kreditfinanzierungsquote von 17,4 %; alle Länder hatten im Durchschnitt eine von 7,9 %. Das Saarland hat die höchste Staatsquote aller Flächenländer. Dazu schreibt der Landesrechnungshof — ich zitiere — :
    Der Haushalt des Landes ist mit der Verfassung nicht mehr vereinbar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schlimme Zustände!)

    Der Haushalt des Saarlandes ist in besonderem Maße notleidend. Dies wird besonders deutlich durch die schlechtesten Ergebnisse aller Flächenländer bei den für eine Haushaltssituation signifikanten finanzstatistischen Kennzahlen, namentlich hinsichtlich der letzten fünf Jahre.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich verstehe ja, daß Ihnen das nicht paßt. — Wer hat in den letzten fünf Jahren, die der Rechnungshof besonders rügt, das Saarland regiert? — Herr Lafontaine; es war die SPD mit Herrn Lafontaine an der Spitze.
    Ich biete Herrn Lafontaine gern finanzpolitischen Nachhilfeunterricht an.

    (Lachen bei der SPD)

    Er könnte aber auch den bayerischen Finanzminister oder noch besser den Vorsitzenden der CSU um ein finanzpolitisches Kolloquium bitten. Ich halte es aber für unverfroren, dem Bund mangelnde Solidarität vorzuwerfen. Die Fakten zeigen ein völlig anderes Bild.
    Ich stelle fest: Herr Lafontaine ist mit seinen Rezepten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Saarland gescheitert und mit seinen Rezepten in der Deutschlandpolitik von den Wählern der DDR nach Hause geschickt worden.
    Das Wahlergebnis in der DDR ist ein Zeichen für die politische Reife der Wähler in der DDR. Wenn aber Lafontaine am Wahlabend erklärt: „Die Menschen haben den Eindruck gehabt, wenn sie Kohl wählen, dann fließt das Geld", dann spricht aus dieser Einstellung eine nicht mehr zu überbietende Arroganz gegenüber den Wählern in der DDR.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu schreibt die FAZ — ich zitiere — :

    Lafontaine erklärt sie (die Wähler) zu politischen Analphabeten, die auf einen faulen Zauber hereingefallen sind. Das ist eine Art kolonialer Überlegenheitsmentalität auf westdeutsch-sozialdemokratisch.
    — Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Rose [CDU/ CSU]: Der kleine Napoleon!)

    Der entscheidende Beitrag zur Sanierung der Wirtschaft in der DDR kann nicht die Bereitstellung öffentlicher Gelder sein. Der entscheidende Beitrag muß vielmehr von dem Fluß privaten Kapitals in die DDR kommen. Hierzu ist nach meiner festen Überzeugung unsere Wirtschaft bereit. Die vom Volk frei gewählte neue Regierung wird schnellstens die beschriebenen Wege hierfür ebnen.
    Wir sind bereit, mit öffentlichen Mitteln bei der Lösung der Probleme mitzuhelfen. Der Nachtragshaushalt 1990 ist hierzu ein erster Schritt.

    (Zander [SPD]: Der nächste Nachtrag kommt bestimmt!)

    Ich füge hinzu: Wir sind bereit, den Reformprozeß in der DDR sozial abzufedern und weitere Mittel für konkrete Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Wir werden vor allem die Rentner in der DDR sozial absichern.
    Es kann aber nicht Aufgabe der Haushälter sein, bei den Ausgaben immer nur draufzusatteln. Die deutschdeutsche Entwicklung verpflichtet gerade die Haushälter, die Staatsaufgaben und -ausgaben einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

    (Zander [SPD]: Vor allem bei der Rüstung!)

    Ich weiß, diese notwendigen Umschichtungen erfordern politisches Stehvermögen.
    Wie ich in meiner Rede zur Einbringung des Haushalts angekündigt hatte, haben wir den Verteidigungsetat unter die Lupe genommen und gekürzt.

    (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Viel zuwenig!)

    Der Verteidigungsminister muß 544 Millionen DM einsparen — was bei dem Volumen dieses Haushalts durchaus möglich sein müßte.

    (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Viel zuwenig!)

    — Wir kennen ja Ihre Vorschläge. —
    Völlig unrealistisch allerdings sind die Vorschläge der SPD, im Haushalt 1990 4 Milliarden DM zu kürzen. Sie weiß das — wenn ich dies mit den Vorschlägen noch bei den Haushaltsberatungen im Herbst 1989 vergleiche. Dies ist ebenso Augenwischerei wie der ständige Hinweis auf den „Jäger 90" als Finanzierungsquelle, den wir mittlerweile, wenn es nach der SPD ginge, zum fünften Mal verplant hätten.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: FDP!)

    Der Verteidigungshaushalt ist kein Steinbruch, sondern Kürzungen müssen auf der Basis abgestimmter konzeptioneller Änderungen des Auftrags der Bundeswehr erfolgen.

    (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Da soll Herr Stoltenberg in sich gehen!)




    Borchert
    Trotz des Nachtragshaushalts bleibt die Ausgabensteigerung 1990 im Rahmen des Zuwachses der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Dies ist gerade angesichts der großen Herausforderungen der deutschen Vereinigung Ausdruck unserer finanzpolitischen Solidität.
    Die höhere Ausgabensteigerung und auch die höhere Nettokreditaufnahme sind für eine gewisse Zeit hinnehmbar. Im Unterschied zur Schuldenpolitik der SPD wird unsere Ausweitung der Nettokreditaufnahme nicht für konsumptive Zwecke hier, sondern für investive Zwecke in der DDR und für Kosten, die wir für die Finanzierung der Vereinigung benötigen, verwendet.

    (Zander [SPD]: Beamtengehälter! — Diller [SPD]: Spitzenverdiener!)

    Wir finanzieren Investitionen für die deutsche Einheit und für künftige Generationen.
    Trotz der moderaten Ausweitung der Nettokreditaufnahme auf Grund der deutschen Vereinigung liegt sie weiter unter den Investitionsausgaben.
    Der Sachverständigenrat schrieb in seinem Sondergutachten vom Januar 1990:
    Um die Unterstützung (an die DDR) rasch auszuweiten, kann es dann angezeigt erscheinen, die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik vorübergehend zu erhöhen.
    Der Bundeshaushalt ist verfassungskonform, ganz im Gegensatz zum Haushalt des saarländischen Kanzlerkandidaten.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Mit dem Nachtragshaushalt 1990 setzt die Koalition ihren bewährten Weg der erfolgreichen und gestalterischen Finanzpolitik fort. Für uns besteht kein Anlaß, den finanzpolitischen Kurs zu korrigieren. Restriktive Ausgabenpolitik und weitere Steuerentlastungen sind und bleiben die Eckpfeiler der Finanzpolitik auch eines vereinten Deutschlands. Unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik hat die Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft verbessert und die Selbstfinanzierungskräfte der Sozialen Marktwirtschaft gestärkt. Sie ist Modell für ganz Deutschland.
    Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Nachtragshaushalt 1990 zu.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zander [SPD]: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!)