Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, ich will durchaus nicht verhehlen, daß es manchmal auch sinnvoll ist, in einer schwierigen Situation Gemeinsamkeiten zu betonen. Allerdings können Sie nur dann gemeinsam gehen, wenn Sie ein gemeinsames Ziel und insbesondere auch die gleiche Methode haben.
Ausgangspunkt ist einfach der, daß wir — ich werde Ihnen das leider noch einmal darlegen müssen — eine grundsätzlich unterschiedliche Einschätzung der jetzigen Situation haben. Kollege Lambsdorff wie auch andere haben darauf hingewiesen, daß wir in der DDR einen Prozeß der totalen Erosion staatlicher Macht haben, und zwar nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in den Betrieben. Wir haben eine Situation, in der die Menschen unverändert zu uns kommen. Und ich sage Ihnen eins — da liegt der entscheidende Dissens — : Nicht die fehlende Hilfe aus Bonn beschleunigt diesen Prozeß, sondern das fehlende Vertrauen der Menschen in der DDR, im anderen Teil Deutschlands, in eine grundsätzliche wirtschaftliche Umkehr in der DDR selber. Das ist der Grund, warum die Menschen unverändert zu uns kommen.
Ich will Ihnen ein Beispiel dazu nennen. Sie haben von dem Konsumprogramm gesprochen. Sie können den Menschen in der DDR, einmal als Beispiel genommen, einen Mercedes-Benz hinstellen: Die Menschen nehmen den Mercedes, kommen hier herüber, verkaufen ihn, machen sich selbständig, weil sie ihre Existenz hier sehen und nicht in der DDR — angesichts der jetzigen Umstände, wie sie in der DDR herrschen.
Sie haben das Beispiel des Wohnungsbauprogramms gebracht; ich glaube, es war die Frau Kollegin Matthäus-Maier. — Ja, Menschenskind, waren Sie denn selber noch nie in der DDR, in den Städten, um zu wissen, daß da 10, 20, 100 Milliarden DM notwendig sind, daß ein Programm, das Sie jetzt auflegen, an der konkreten Situation der Menschen jetzt, im Februar, nichts ändert, Herr Kollege Schäfer?
Darum geht es doch! Es geht doch nicht darum, in ein, zwei Jahren etwas zu bewirken. Die Menschen haben kein Vertrauen zu dem, was in der DDR heute geschieht. Sie verlangen grundsätzliche, schnelle Änderungen, damit sie überhaupt Hoffnung haben können, wenn sie in der DDR jetzt bleiben. Das ist der entscheidende Dissens, Herr Schäfer.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Sie können jedem Menschen in der DDR 10 000 DM in die Hand drücken: Der eine packt sie unter das Sofa, weil er zur eigenen Staatsbank sowieso kein Vertrauen hat, und der Rest kommt herüber und macht sich selbständig, weil sie hier ihre Existenz schaffen können, weil sie hier arbeiten wollen, weil sie aber keine Chancen sehen, in der DDR zu leben.
Was ich damit sagen will, ist folgendes. Sie können Milliardenbeträge aus staatlichen Mitteln zum jetzigen Zeitpunkt als Hilfe hinübergeben, es wird alles verschwinden — entweder in einem bodenlosen Faß
oder in der Schweiz — , aber nie bei den Menschen ankommen.
Solange wir diesen Grundsatz nicht alle begreifen, werden wir auch keinen Konsens hinsichtlich dessen erzielen, Herr Kollege Schäfer, was wir heute gemeinsam zu tun haben.
Wir setzen darauf, daß erst die grundlegenden Änderungen in der DDR selbst erfolgen müssen. Dann fassen die Menschen Vertrauen und bleiben dort. Dann ist auch die Voraussetzung gegeben, dort einen Aufschwung zu ermöglichen, der allerdings nur mit privaten Investitionen, nur mit privatem Kapital möglich ist. Der Staat kann nur die Randbedingungen setzen.
Es ist eben immer das gleiche: Sie haben keinen Abschied genommen vom sozialistischen Irrglauben der Allmacht des Staates. Sie glauben, der Staat könne alles richten. Der Staat kann nicht alles richten. Die Menschen selber müssen es richten, und sie müssen das Vertrauen haben, daß es sich wirklich lohnt, dort zu bleiben.
Dann hat Herr Kollege Roth noch von 1 Milliarde DM gesprochen, was hinsichtlich der Größenordnung nahezu unverständlich sei. Der Bundesfinanzminister hat selbst schon darauf hingewiesen, daß allein 6 Milliarden DM im Nachtragshaushalt enthalten seien. Wenn ich allein die ausgabenwirksamen Beschlüsse der Bundesregierung hinzunehme, die für den Verkehrsbereich — die Schnellbahn Berlin—Hannover; wir kennen das ja — und auch für Umweltschutzmaßnahmen getroffen worden sind, Herr Kollege Schäfer — es geht nicht allein um 140 Millionen DM, sondern immerhin um ein Programm in der Größenordnung von 1 Milliarde DM —, so komme ich ohne Probleme auf 10 Milliarden DM.
Ich sage trotzdem noch einmal: Soforthilfe da, wo sie den Menschen unmittelbar hilft, z. B. im medizinischen Bereich. Aber die Entscheidung fällt letztlich, wenn sich das System ändert, wenn sich die Strukturen ändern. Nur dann bleiben die Menschen nämlich dort.
Deswegen glaube ich bei aller Freundschaft und bei allem Verständnis für Konsens, Herr Kollege Schäfer, daß die SPD unverändert einen Orden verdient — nehmen Sie es mit Humor — : Sie haben nie das Richtige zum rechten Zeitpunkt vorgeschlagen, sondern immer das Unsinnige zum falschen Zeitpunkt.
Wir bleiben bei unserem klaren Kurs: die Einheit mit Maß vollenden.
Schönen Dank.