Rede von
Helga
Brahmst-Rock
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier und heute befassen wir uns mit einem Thema, das eigentlich über jede Kontroverse erhaben sein müßte, nämlich mit dem Transport gefährlicher Güter, mit dem Transport gefährlicher Güter insbesondere über die Straße. Nach dem folgenschweren Unfall von Herborn, der sich vor drei Jahren ereignete, wurde hier von allen Parteien, zumindest in öffentlichen Äußerungen, Handlungsbedarf erkannt. Schlagartig schien allen bewußt zu werden, daß jeden Tag geladene Zeitbomben über unsere Straßen rollen.
Das Thema Gefahrgut ist, wenn man von der Thematisierung der Urteilsverkündung absieht, die am Mittwoch erfolgt ist — wie die Kollegen hier schon ausgeführt haben — , aus dem öffentlichen Interesse anscheinend verschwunden. Es hat den Eindruck, als befaßten sich nur noch wenige Experten und Interessierte mit diesem Thema. Nur in unmittelbarer Umgebung von Herborn sind die Folgen dieses Unfalls nach wie vor präsent. Dort ist es bis heute nach wie vor lediglich glückliche Fügung und keineswegs verabschiedeten Richtlinien und Gesetzen zu verdanken,
Frau Rock
wenn wir von Unfällen dieses Ausmaßes verschont geblieben sind.
— Daß das Problem nicht umfassend erkannt, analysiert und Lösungen nicht umgesetzt worden sind, verehrter Herr Kollege!
Zur Verabschiedung stehen hier unter anderem eine Vielzahl von Einzelanträgen der SPD, die sich im wesentlichen mit technischen Verbesserungen von Gefahrguttransporten befassen.
— Nicht nur; ich sage ja: im wesentlichen!
Niemand, der im Besitz eines gesunden Menschenverstandes ist, kann Verbesserungen, auch technische Verbesserungen, ablehnen. Man muß aber gleichzeitig die Frage stellen, ob damit tatsächlich auch das Problem gelöst ist. Lassen Sie mich hierzu aus einer Stellungnahme des Bundesverbandes Werkverkehr und Verlader zitieren, da ich annehme, daß dieser den meisten hier wesentlich näher steht als die Fraktion DIE GRÜNEN. Ich zitiere also:
Ein Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und Risikoverlagerung des Fahrers dürfte als erwiesen gelten. Bessere technische Ausrüstungen verleiten dazu, die gegebenen Möglichkeiten auszunutzen, erhöhen also indirekt die Risikobereitschaft des Fahrers.
Diesen Punkt, den menschlichen Faktor, müssen wir also in unsere Überlegungen ganz besonders einbeziehen,
wenn wir tatsächlich mehr Sicherheit auf unseren Straßen haben wollen — insbesondere für den Transport gefährlicher Güter, den wir nicht isoliert von den übrigen Transporten sehen dürfen. So halten wir es für dringend erforderlich, die sozialen Bedingungen der Lkw-Fahrer zu verbessern, um hier zu einem höheren Maß an Sicherheit zu kommen. Es geht nicht an, daß den Lkw-Fahrern als dem schwächsten Glied in der Transportkette fast die gesamte Verantwortung für den ordnungsgemäßen und sicheren Ablauf von Transporten zugemutet wird, wenn sie derart unter Druck gesetzt werden, daß ihnen nichts anderes übrig bleibt, als Lenk- und Ruhezeiten zu überschreiten, daß ihnen nichts anderes übrig bleibt, als gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen zu verstoßen, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten wollen.
— Gerade das tue ich nicht. Ich benenne das Problem hier, indem ich sage: Es geht nicht an, daß wir versuchen, es auf dem Rücken der Lkw-Fahrer auszutragen.
Es ist der absolut falsche Problemansatz, werter Herr Kollege, wenn wir eine Lösung dadurch herbeiführen wollen, daß wir die Geschwindigkeitsbegrenzung für Lkw heraufsetzen.
Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten sind alltäglich. Das ist bekannt. Es ist auch ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten.
Eine wirkungsvolle Maßnahme wäre es, nicht bei den Lkw-Fahrern, sondern bei den Haltern anzusetzen. Man muß darangehen, einem Halter die Konzession zu entziehen, und zwar sehr schnell und nicht in einem komplizierten Verfahren, das dann irgendwo auf irgendwelchen Schreibtischen ruht. Wir fordern deshalb nachdrücklich auch die Anwendung des Art. 15 der EG-Verordnung, die eine Terminsetzung verhindert, die von vornherein ein rechtswidriges Verhalten von Lkw-Fahrern notwendig macht.
Mir ist es wegen der Kürze der Zeit nicht mehr möglich, hier alle notwendigen Verbesserungen aufzuführen. Ich greife nur noch einen Punkt heraus, der mir besonders gravierend erscheint, nämlich die Ratifizierung der ILO-Konvention 153. Auch sie schlummert seit Jahren auf den Schreibtischen der Bundesregierung. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, diese Konvention endlich zu ratifizieren.
Ich schließe mich im wesentlichen dem an, was der Kollege Daubertshäuser über notwendige Schritte wie Verkehrsvermeidung und Verkehrslenkung ausgeführt hat.
Als Letztes: Wir müssen uns auch zu dirigistischen Maßnahmen im Straßengüterverkehr, ganz besonders im Bereich der gefährlichen Güter, durchringen.
Ich danke Ihnen.