Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe festgestellt, Herr Kollege Scheer, daß wir in der gleichen Runde, und zwar die Kollegen Lowack, Feldmann, Scheer und Schäfer — letzterer noch als MdB zweimal und als Staatsminister wieder zweimal — , über dieses Thema hier schon sehr intensiv beraten haben. Ich muß Ihnen sagen: Es wird langsam zu einem Ladenhüter, den Sie hier jedes Jahr regelmäßig wieder hervorholen.
Es hat sich an Ihren Argumenten nichts geändert, es hat sich an unseren Argumenten nichts geändert, und ich glaube, so sehr wir in der Zielsetzung einig sind — —
— Sie sehen, selbst der Staatsminister darf gelegentlich frei reden. Ich versuche, das zumindest zu Beginn meiner Rede zu tun, um auf ein Zitat meiner Kollegin aus der Debatte über die Parlamentsreform einzugehen.
Es ist wirklich so, Herr Kollege Scheer: In der Zielsetzung sind wir einig, es geht um die Methode. Ihr Antrag sagt, wir sollten eine Vorkonferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten einberufen, und dazu haben wir nun wirklich die Argumente hinlänglich und sachlich ausgetauscht.
Ich muß es natürlich zurückweisen, wenn Sie hier behaupten, die Bundesregierung sei nicht dafür, daß Atomteststoppverträge geschlossen werden. Das stimmt nicht. Wir haben niemals gesagt, wir seien für eine Fortsetzung der Atomtests. Davon kann keine Rede sein. Wenn Sie hier gelegentlich vielleicht den einen oder anderen Politiker der einen oder anderen Fraktion zitieren, dann mögen Sie recht haben, aber sicher nicht, wenn Sie hier die Bundesregierung beschuldigen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14401
Staatsminister Schäfer
— Ich darf vielleicht zunächst mal auf unsere bereits geübte Argumentation zurückkommen, bevor wir die Gespräche hier fortsetzen.
Ich darf noch einmal ganz klarmachen: Die Bundesregierung hat ihre Haltung zum Nichtverbreitungsvertrag und zu der Forderung nach einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten im Vorfeld der im Herbst 1990, also bereits in einem knappen Jahr, stattfindenden vierten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages in der Plenardebatte zuletzt hier in diesem Haus am 23. September vergangenen Jahres und immer wieder auch in den verschiedenen Ausschußberatungen dargelegt. Der Bundesaußenminister hat sich am 1. Juli 1988 in einer Erklärung aus Anlaß des 20. Jahrestages des Nichtverbreitungsvertrages dafür ausgesprochen, daß dieser Vertrag als Rüstungskontrollvertrag mit der größten Zahl der Vertragsparteien in der Geschichte der Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie als Basis für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie über 1995 hinaus Bestand haben muß, und er wird Bestand haben.
Ein Entstehen neuer Kernwaffenstaaten könnte nicht nur regionale Kräfteverhältnisse grundlegend verändern — da sind wir uns einig — , sondern destabilisierende Entwicklungen mit weltweiten Auswirkungen auslösen. Das Verlangen insbesondere der Nicht-Kernwaffenstaaten, Herr Kollege Eich, von der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht ausgeschlossen zu werden, was Sie ständig und ununterbrochen all diesen Staaten als den Versuch vorwerfen, Atomwaffen herzustellen — da müssen Sie sich bitte mal mit diesen Staaten etwas genauer unterhalten —, wird vom Nichtverbreitungsvertrag ausdrücklich anerkannt. Sie haben das Recht auf Nutzung.
Gleichzeitig sind sie aber auch internationalen Kontrollverpflichtungen unterworfen. Da können Sie nicht dauernd mit Brasilien kommen. Da müssen Sie mal die brasilianische Verfassung von 1988 lesen und feststellen, daß sie jedwede militärische Nutzung ausschließt und dem Parlament die Kontrolle zuweist. Sie ist also nach der Verfassung gar nicht erlaubt. Wenn Herr Lula die Wahl am Sonntag gewinnt — das hat er schon angekündigt —, wird er sogar den Vertrag mit uns kündigen. Ich nehme an, Sie hoffen, daß er gewinnen wird.
Ich kenne ihn; wir haben vor einigen Wochen noch ein sehr langes Gespräch in meinem Büro geführt.
Die Debattenbeiträge der Fraktionen dieses Hohen Hauses haben heute deutlich gemacht, daß es in einer entscheidenden Frage überhaupt keinen Gegensatz zwischen uns gibt, nämlich daß wir alle für ein Weitergelten des Nichtverbreitungsvertrages über 1995 hinaus eintreten. Die Bundesregierung begrüßt diesen Konsens. Über den besten Weg zu diesem Ziel bestehen allerdings die bekannten und wiederholt vorgetragenen unterschiedlichen Auffassungen. Die Bundesregierung hat deshalb Änderungsinitiativen zum Nichtverbreitungsvertrag, die mit der Forderung nach einer Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten bezweckt oder gefördert werden, immer skeptisch gegenübergestanden. Falls das aus wirklich vielen schwierigen Kompromissen bestehende Paket dieses
Vertrages erst einmal geöffnet wird, Herr Kollege Scheer, besteht doch die Gefahr, daß es wegen einer Vielzahl von Änderungsinitiativen und gegensätzlichen Interessen — die Staaten, die nicht über Atomwaffen verfügen, haben gegensätzliche Interessen — nicht wieder zusammengeschnürt werden kann.
Das ist das entscheidende Argument gegen eine solche Vorkonferenz. Niemand, der den Nichtverbreitungsvertrag befürwortet, kann deshalb daran ein Interesse haben.
Alle im Antrag aufgelisteten Themenkreise können und werden im Rahmen der nächsten Überprüfungskonferenz, die vom 20. August bis zum 14. September nächsten Jahres stattfinden wird, sowie in den drei Sitzungen des Vorbereitungsausschusses erörtert. 137 Nicht-Kernwaffenstaaten sind dort zur Teilnahme berechtigt. Die ersten beiden der insgesamt drei Sitzungsperioden des Vorbereitungsausschusses dieser vierten Überprüfungskonferenz haben im Mai 1989 in New York und im September 1989 in Genf schon stattgefunden. Wesentliche Entscheidungen für die Organisation der 4. Überprüfungskonferenz wurden auf diesen Sitzungen schon getroffen. Sie machen deutlich, daß aller. Mitgliedsstaaten an einem der Bedeutung des Nichtverbreitungsvertrags angemessenen konstruktiven Ablauf und Ergebnis der 4. Nichtverbreitungsvertrags-Überprüfungskonferenz wirklich gelegen ist. Der Gedanke einer Konferenz der NichtKernwaffenstaaten wurde weder in diesen Sitzungen noch informell am Rand von Teilnehmerstaaten geäußert, Herr Kollege Scheer. Deshalb ist es doch unsinnig, daß wir das hier ständig wieder von neuem fordern, obwohl all die Staaten gar kein Interesse daran haben. Dasselbe gilt für Überlegungen, die darauf zielen, den Nichtverbreitungsvertrag 1995 durch einen völlig neuen Vertrag zu ersetzen.
Wer den Nichtverbreitungsvertrag befürwortet, sollte sich wirklich davor hüten, dieses Vertragswerk zu einem fragilen und weitgehend unwirksamen Gebilde herunterzureden, und sollte sich nicht, wohl unbewußt, Argumente und Standpunkte von Gegnern des Nichtverbreitungsvertrags zu eigen machen. Dieser Vertrag ist als grundlegender Faktor der internationalen Friedenssicherung auf nicht absehbare Zeit notwendig. Er ist auch lebensfähig, weil er dem Interesse der Völkergemeinschaft dient, die Entstehung von weiteren Kernwaffenstaaten nach Möglichkeit zu verhindern. Auch darin sind wir in der Tendenz einig.
Seit 1985 — Herr Kollege Feldmann, es sind tatsächlich schon mehr als 130, die Sie soeben noch genannt haben — , dem Jahr der letzten Überprüfungskonferenz, sind insgesamt weitere 15 Staaten dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten, darunter Spanien, Nordkorea, Saudi-Arabien und zwei arabische Golfstaaten.
Meine Kollegen, ich muß bei dieser Gelegenheit — Herr Kollege Scheer, auch Sie haben das ja angesprochen doch noch einmal appellieren — was ich als Bundestagsabgeordneter schon tat — : Es wäre sehr
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Staatsminister Schäfer
wünschenswert, wenn Israel diesem Vertrag nun wirklich bald beitreten würde.
Ich erinnere mich an Gespräche mit dem israelischen Botschafter vor einigen Jahren, der mir damals gesagt hat: Solange arabische Staaten dem Vertrag nicht beitreten, treten wir nicht bei. Es sind nun einige arabische Staaten beigetreten, und Sie haben zu Recht auf die Kritik aus arabischen Staaten und damit auch auf die gefährliche Begründung hingewiesen: Da man nicht selber Atomwaffen herstellen könne, werde man sich chemischen Waffen zuwenden. Und darüber unterhalten wir uns tatsächlich um 11 Uhr schon wieder im Auswärtigen Ausschuß.
Es wäre wünschenswert, wenn man das, bitte, auch einmal bei den vielen Reisen, die nach diesem Staat stattfinden, der israelischen Regierung immer wieder sagen würde. Es täte uns allen sehr wohl und Israel bestimmt auch, wenn es hier endlich diesen Schritt vollziehen könnte.
Seit dem Inkrafttreten des INF-Vertrags können die Bemühungen der USA und der Sowjetunion um nukleare Abrüstung von niemandem mehr ernsthaft bezweifelt werden, Herr Kollege Scheer. Gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem eine drastische Reduzierung von Nuklearwaffen in greifbarer Nähe ist, muß die weitere Ausbreitung von Kernwaffen wirksam verhindert werden.
Lieber Herr Kollege Eich, wir haben keine Gelüste nach Atomwaffen. Und wenn Sie von Leichen im Keller sprechen, kann ich sagen: Es sind manchmal Ihre abgestandenen Ideen und Ihre Vorurteile, die Sie, bitte, als Leichen aus dem Keller einmal allmählich entfernen müßten.
Weniger denn je kann der Hinweis auf Nuklearrüstung der Kernwaffenstaaten für noch abseits stehende Staaten als Vorwand dienen, dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beizutreten.
Der Außenminister hat bei seiner letzten Ansprache vor den Vereinten Nationen ausdrücklich noch einmal an alle Staaten appelliert, die dem Nichtverbreitungsvertrag noch nicht beigetreten sind, sich zum Beitritt zu diesem Vertragswerk nun endlich zu entschließen.
Die Bundesregierung sieht die besondere Bedeutung der neuen Überprüfungskonferenz im Hinblick auf die Konferenz der Vertragsstaaten des Nichtverbreitungsvertrags im Jahr 1995 und die Verlängerung des Vertrags. Wir werden uns auch für ein substantielles Schlußdokument einsetzen, in dem alle Bestimmungen und Aspekte des Nichtverbreitungsvertrags behandelt werden.
Wenn wir Ihren Antrag ablehnen, heißt das nicht, daß wir in der Zielsetzung verschiedener Meinung sind, sondern lediglich, daß wir in der Methode nicht übereinstimmen. Und das sollten wir hier, Herr Kollege Scheer, nicht dramatisieren.
Vielen Dank.