Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen ist eine der größten weltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Niemand, Herr Kollege Scheer, unterschätzt die Bedeutung des Nichtverbreitungsvertrages. Aber, Herr Kollege, die Politik hat es in diesen bewegten Tagen nicht leicht, mit den Ereignissen Schritt zu halten. Ich muß Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, Herr Kollege Scheer: Das Thema der heutigen Debatte ist überholt.
Wir haben bereits 1985 einen ähnlichen Antrag der SPD beraten. Nach den rasanten Entwicklungen der letzten Zeit hätten Sie Ihren Antrag eigentlich zurückziehen müssen.
— Lieber Herr Kollege Scheer, regen Sie sich nicht auf! Die Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten paßt nicht mehr in die politische Landschaft. Ich muß das hier einmal so deutlich sagen. Denn anders als in den 70er Jahren und An-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14399
Dr. Feldmann
fang der 80er Jahre stehen die Zeichen der internationalen Politik klar auf Abrüstung und nicht mehr auf Wettrüsten. Das müssen Sie auch sehen!
Beide Supermächte machen jetzt mit der Verpflichtung zu umfassender Abrüstung ernst, die sie in Art. VI des Vertrages eingegangen sind. Diese positive Entwicklung zeigt sich bereits bei der Unterzeichnung des INF-Vertrages, also bereits bei der ersten Lesung, die wir hier im September 1988 — wir alle haben hier dazu gesprochen — vorgenommen haben.
Mittlerweile haben wir die zweite Nullösung. Die Möglichkeit einer Nachrüstung der atomaren Kurzstreckenraketen, die sogenannte Lance-Modernisierung, ist, wenn die Entwicklung so weitergeht, politisch so gut wie tot.
1990 kann wirklich zum Jahr der Abrüstung werden, sowohl bei konventionellen als auch bei strategischen Waffen. Wir haben die berechtigte Hoffnung, daß wir 1990 auch ein weltweites Verbot der chemischen Waffen erreichen können, denn in Ost und West hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß mehr Waffen nicht mehr Sicherheit, sondern eher weniger Stabilität und weniger Sicherheit bringen. Es muß daher im Interesse aller Nicht-Kernwaffenstaaten liegen, auch die Supermächte auf diesem Weg von der Konfrontation zur Kooperation zu unterstützen.
Herr Kollege Scheer, wir haben wirklich kein Problem mit der Intention Ihres Antrages. Auch wir wollen den Nichtverbreitungsvertrag stützen, stärken und verbessern. Aber wir halten den von Ihnen gewählten Weg für falsch. Die SPD muß sich darüber im klaren sein, daß sie durch diesen umfassenden Änderungskatalog eine Vielzahl unterschiedlichster Änderungswünsche anderer geradezu provoziert. Herr Kollege Scheer, Sie gefährden das, was Sie eigentlich schützen und verbessern wollen. Deswegen können wir Ihren Antrag nicht unterstützen.
Sie unterstellen in Ihrem Antrag gewissermaßen gemeinsame Interessen aller Nicht-Kernwaffenstaaten. So kann man das aber nicht sagen; das stimmt nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Diese Gruppe besteht nämlich zum einen aus Blockfreien und Neutralen, zum anderen aus Mitgliedern beider Bündnissysteme, aus Unterzeichnern des Vertrages, aus Nicht-Unterzeichnern, vor allem aber aus Befürwortern der Nichtverbreitung einerseits und aus Beinahe-
und Möchtegern-Atommächten andererseits. Worin soll da noch das gemeinsame Interesse liegen? Wenn ein solches besteht, dann liegt es nur noch in der Ausgrenzung aller Atommächte. Es hat aber keinen Sinn, in dieser diffizilen, schwierigen Frage die Atommächte auszugrenzen. Abrüstung kann man nicht gegen, sondern nur mit den Atommächten machen. Das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen.
So heterogen die Interessen dieser Gruppe wirklich sind, ist nicht einmal auszuschließen, daß eine solche Konferenz dieses mühsam geschnürte Konsenspaket des Nichtverbreitungsvertrages noch gefährden kann. Das wollen weder Sie — das unterstelle ich niemandem — noch wir; wir wollen es erst recht nicht. Irreführend, ja, sogar falsch, Herr Kollege, ist die in Ihrem Antrag enthaltene Behauptung, der Nichtverbreitungsvertrag werde 1995 auslaufen. Richtig ist vielmehr, daß die vierte Überprüfungskonferenz 1995 darüber entscheiden soll — —
— Gut, das ist richtig. — Es soll 1995 entschieden werden, ob der Nichtverbreitungsvertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleiben soll oder ob weiterhin eine oder mehrere Fristen gelten sollen.
— Sie haben es richtig zitiert, aber in Ihrem Antrag steht es noch falsch, und einen solchen falschen Antrag sollten Sie korrigieren, oder Sie sollten ihn zurückziehen und ihn hier nicht noch einmal einbringen.
— Gut, Sie geben zu, daß das dort falsch steht; einigen wir uns darauf.
Herr Kollege Eich, Ihre Ausführungen zur zivilen Nutzung der Kernenergie zeigen Ihre Kompromißunfähigkeit und damit auch Ihre Politikunfähigkeit.
Bis heute haben 130 Staaten diesen Vertrag unterzeichnet. Das zeigt die breite Akzeptanz dieses Vertrages. Diese Akzeptanz beruht nicht zuletzt darauf, daß den Nicht-Kernwaffenstaaten, und zwar auch den Entwicklungsländern, die zum Teil großen Wert darauf legen, der Zugang zu kontrollierter friedlicher Nutzung der Atomkraft ausdrücklich garantiert wird.
— Herr Eich, es ist richtig, daß die friedliche Nutzung der Atomkraftwerke bei uns längst in Frage gestellt wird; da gebe ich Ihnen ja recht. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß dies die Grundlage des damaligen Konsenses ist. Ohne diese Grundlage, ohne diesen Konsens wäre dieser Vertrag nicht zustande gekommen, wäre dieser Vertrag wahrscheinlich auch heute nicht mehr zu halten. Das muß man als Realpolitiker einfach sehen, auch wenn einem das nicht paßt.
Seit dem Inkrafttreten des Nichtverbreitungsvertrages im Jahre 1970 haben drei Überprüfungskonferen-
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zen stattgefunden — und das geht jetzt wieder an die Adresse des Kollegen Scheer —: 1975, 1980 und 1985. Die vierte Konferenz wird in der zweiten Jahreshälfte 1990 durchgeführt. Und, Herr Kollege: Zwei von drei Vorkonferenzen haben bereits stattgefunden, und die dritte Vorkonferenz ist für April 1990 geplant. Allein dieser Zeitplan zeigt, daß die Durchführung einer Vorbereitungstagung der Nicht-Kernwaffenstaaten, wie Sie dies hier fordern, absolut unrealistisch ist.
Es ist klar, Herr Scheer, ein umfassender und verifizierbarer Teststopp ist ein wichtiger Baustein zur Beendigung des atomaren Wettrüstens; da stimmen wir voll überein. Die Bundesregierung hat ihr Interesse an einem Teststoppabkommen wiederholt bekräftigt, so auch in der deutsch-sowjetischen Erklärung vom 13. Juni 1989.
Jetzt aber weiter: Die Außenminister Baker und Schewardnadse haben in Wyoming
gemeinsame Experimente auf dem Boden der jeweils anderen Seite vereinbart.
— Das geht doch weiter, das ist doch der erste Schritt!
— Lieber Herr Kollege, wir machen Realpolitik, d. h. wir gehen Schritt für Schritt voran und können nicht am ersten Tag die Sterne vom Himmel holen.
Die beiden Präsidenten, Bush und Gorbatschow, haben in Malta vereinbart, auf dem Gipfeltreffen im Juni die Voraussetzungen für die Ratifizierung der beiden Schwellenverträge von 1974 und 1975 zu schaffen. Natürlich müssen die amerikanisch-sowjetischen Gespräche in multilaterale Verhandlungen münden. Dann aber ist die Genfer Abrüstungskonferenz das richtige Gremium und nicht die von Ihnen vorgeschlagene weitere Konferenz.
Die FDP wird sich, wie Außenminister Genscher im Juni 1988 am 20. Jahrestag der Unterzeichnung ausgeführt hat — ich darf zitieren —,
... auch zukünftig dafür einsetzen, daß der Nichtverbreitungsvertrag als Instrument einer wirksamen Verhinderung der Weiterverbreitung von Kernwaffen und als Basis für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie integral bestätigt und bekräftigt wird.
Ich darf zum Schluß feststellen: Die FDP läßt sich in ihrem Engagement für den Nichtverbreitungsvertrag von niemandem übertreffen.
Wir haben 1969 maßgeblich dazu beigetragen, daß dieser wichtige Vertrag von der Bundesrepublik unterzeichnet und ratifiziert wurde.
— Ich stimme Ihnen zu. — Dieser Vertrag gehört ebenso wie die Schlußakte von Helsinki zu den Kernelementen internationaler Sicherheit und Stabilität. Sie sind das Herzstück des Abrüstungsprozesses und der Vertrauensbildung zwischen Ost und West. Auf dieser Grundlage sind jetzt die Chancen für eine neue, blockübergreifende Friedensordnung gewachsen. Diese Chancen werden wir nutzen; darauf können Sie sich verlassen.
Danke sehr.