Rede von
Tay
Eich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider haben die Positionen des Kollegen Scheer, die er uns hier dargelegt hat, nur in geringem Maße in dem SPD-Antrag ihren Niederschlag gefunden. So bin ich leider gezwungen, mich mit der Grundlage dessen auseinanderzusetzen, worüber wir nachher abzustimmen haben, nämlich mit dem SPD-Antrag.
Zwar hat Willy Brandt in seinen Ausführungen vom 23. September 1988 korrigiert, daß nicht er die erste Konferenz der Nichtatomwaffenstaaten initiiert hat, aber in dem vorliegenden SPD-Antrag ist das immer noch nicht geändert — jetzt, nach anderthalb Jahren. Dafür hat sich Brandt bezüglich des Nichtverbreitungsvertrages in anderer Hinsicht hervorgetan. Er machte sich als Außenminister der Großen Koalition für den Art. IV stark, der die Unterzeichnerstaaten verpflichtet — ich betone: verpflichtet — , die Verbreitung der sogenannten zivilen Atomtechnologie zu fördern, des weiteren einzutreten für die Außerkraftsetzung des Vertrages im Kriegsfalle, für eine begrenzte statt einer unbegrenzten Laufzeit und schließlich für die bilaterale Zusatzvereinbarung mit dem Signatarstaat USA, daß die BRD in einer Europäischen Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik auch über Atomwaffen mitentscheiden darf.
Brandt betonte in der erwähnten Rede zur ersten Lesung im letzten Jahr, er habe sich für den Art. VI des Nichtweiterverbreitungsvertrages eingesetzt, der die Atomwaffenstaaten zur Abrüstung auffordert. Was er nicht sagte: Auch in den zwei der drei bisherigen Überprüfungskonferenzen, die in die Zeit der SPD/FDP-Regierung fallen, stellte sich die Bundesrepublik schützend vor die USA, wenn die Nichtatomwaffenstaaten die atomare Abrüstung forderten.
In den Jahren zwischen der ersten und zweiten Überprüfungskonferenz ging Helmut Schmidt mit der Lüge von der Raketenlücke hausieren und war so maßgeblich an der NATO-Vor- und -Aufrüstung und der anschließenden Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles beteiligt.
Auf der zweiten Überprüfungskonferenz 1980 waren die Differenzen zwischen den beteiligten Staaten so groß, daß es nicht einmal zu einer gemeinsamen Schlußerklärung kam. Die BRD betätigte sich dabei als Brandstifter. Sie verhinderte nicht nur, wie gesagt, die vertikale Non-Proliferation der Atommächte, sondern auch die horizontale, indem sie — in diesem Fall gemeinsam mit den Nichtatomwaffenstaaten — schärfere Exportkontrollen blockierte.
So wie der Nichtverbreitungsvertrag formuliert ist, steht er schon deshalb diametral grüner Politik entgegen, weil, wie gesagt, sein Art. IV die Verpflichtung zur Förderung der Verbreitung der sogenannten zivilen Atomtechnologie beinhaltet.
Wie unglaubwürdig der von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, formulierte langfristige Ausstieg aus der Atomenergie ist, zeigen Sie in diesen Tagen nicht nur durch Ihre Benrather Mauschelei mit der Regierung, durch die Sie sich verpflichtet haben, den Finger nicht in die Wunde der offenen Entsor-
14398 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989
Eich
gungsfrage zu legen. Das zeigt sich auch, wie ich meine, im vorliegenden Antrag.
Eine Änderung des Art. IV kommt bei Ihnen nicht vor. Statt dessen stricken Sie eifrig an dem Märchen von der Trennbarkeit ziviler und militärischer Atomenergienutzung. Auf der Grundlage dieses Märchens hat die sozialliberale Bundesregierung das Atomgeschäft mit Brasilien abgeschlossen. Heute tut die SPD ganz erstaunt, daß Brasilien auf der Schwelle zum Atomwaffenstaat steht.
Die jetzige Bundesregierung setzte noch einen drauf und sah sich nicht einmal veranlaßt, den Atomvertrag mit Brasilien am 18. November dieses Jahres zu kündigen, obwohl Brasilien sein militärisches mit dem sogenannten zivilen Atomprogramm, bei dem es ja mit der Bundesrepublik kooperiert, unter einem Dach vereinigt hat.
Die künstliche Trennung von zivilem und militärischem Atomprogramm ermöglicht es der Bundesrepublik, durch ungehemmten Atomtechnologieexport Länder — ich nenne nur Pakistan, Indien, Argentinien, Südafrika, Brasilien — zu Atomwaffenschwellenländern zu machen.
Außerdem ist seit der Affäre um die Firma Transnuklear, wenn auch noch viel zu wenig, Licht auf die regierungsamtlich geduldeten schmutzigen Geschäfte der Atom-Mafia gefallen.
Die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre haben auf diese Weise Geist und Buchstaben des Nichtverbreitungsvertrages systematisch untergraben. Wer wird der BRD künftig noch die Mitverfügung über Atomwaffen verwehren, wenn Länder wie Pakistan welche besitzen?
Daß die BRD heute schon ein Atomwaffenstaat auf Abruf ist, dafür hat sie mit ihren gigantischen Atomprogrammen der 70er und 80er Jahre schon selbst gesorgt — unterstützt eben durch Art. IV des Nichtverbreitungsvertrages.
Es ist absurd, eine Regierungspartei wie die CDU, die in ihrem Programm Großbritannien und Frankreich auffordert — Zitat — , „ihr nukleares Potential in eine gemeinsame europäische Sicherheitsunion" einzubringen, auf einer Konferenz zur Sachwalterin einer Verschärfung der NPT zu machen. Die CDU steht hier übrigens im Einklang mit der erwähnten, von Willy Brandt erkämpften europäischen Option des Nichtverbreitungsvertrages. Warum kämpft die SPD nicht für die Liquidierung dieses Erbes aus der Großen Koalition?
Statt dessen demonstriert sie mit ihrem Bekenntnis zur atomaren Abschreckung durch die Zustimmung zum deutsch-französischen Verteidigungsrat vor einem Jahr, daß auch sie dem Reiz der Beteiligung an einer westeuropäischen Atomstreitmacht nicht widerstehen kann. Auf den Fensterbänken der NATO-Zimmer im europäischen Haus sollen keine Blumenkästen, da sollen Atomwaffen stehen.
Jüngstes Beispiel, wie sich auch die SPD um einen eindeutigen, politisch und rechtlich einklagbaren Verzicht zu drücken versucht, war die Reaktion auf den GRÜNEN-Antrag „Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz".
Die SPD konterte mit einem „Verzicht auf Massenvernichtungswaffen", durch den der Bundestag lediglich die völlig unzureichenden bestehenden Verträge bekräftigen soll. Ich meine, dieselbe Wischiwaschiqualität hat ihr heutiger Antrag.
Er verschleiert zum einen die reale umfassende Exportpolitik der BRD und das Streben nach Mitverfügung über Atomwaffen im Rahmen einer westeuropäischen Atomstreitmacht; zum anderen werden wesentliche Punkte wie der Verzicht auf eine europäische Option und der Stopp auch der sogenannten zivilen Nutzung der Atomenergie — Art. IV NPT — gar nicht angesprochen. Deshalb werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen.
Dabei wäre es durchaus notwendig, die Unzulänglichkeiten des Nichtweiterverbreitungsvertrages und seine Verbesserung anläßlich der letzten Überprüfungskonferenz im Herbst kommenden Jahres zu diskutieren. Denn bei allen Mängeln muß dem Nichtweiterverbreitungsvertrag die Funktion einer moralischen Instanz gegenüber der Weltöffentlichkeit zugesprochen werden, auf die auch die BRD gerne verweist, wenn ihr Atomwaffengelüste nachgesagt werden, und die darum auch eine gewisse politische Schranke für atomare Alleingänge der BRD darstellt.
Für eine wirkliche Verbesserung des Zustandes müssen aber zunächst alle Leichen aus dem Keller geholt werden, und es muß ein gründliche Neuorientierung öffentlicht diskutiert werden, wie dies die Menschen in der DDR in viel umfassenderem Maße derzeit demonstrieren. Es wäre begrüßenswert, wenn die SPD den gleichen Mut aufbringen könnte wie die Menschen in unserem Nachbarstaat.
Ich danke Ihnen.