Rede von
Dr.
Theodor
Waigel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Betroffenheit und Erschütterung haben wir gestern von dem feigen Anschlag auf den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Alfred Herrhausen gehört.
Mit Alfred Herrhausen haben wir eine außergewöhnliche Persönlichkeit verloren. Er war nicht nur Vorstandsvorsitzender der größten deutschen Bank, sondern gewichtige Stimme in der öffentlichen Diskussion und Ratgeber der Politik. Er wußte dabei immer um die gesellschaftliche und soziale Verantwortung des von ihm geleiteten Kreditinstituts und der privaten Unternehmen insgesamt. Seine Stellungnahmen, insbesondere zur Lösung der internationalen Verschuldungskrise und zuletzt zur wirtschaftlichen Kooperation mit den Ostblockstaaten, haben die öffentliche Diskussion entscheidend vorangebracht.
Der Anschlag auf das Leben Alfred Herrhausens ist eine Herausforderung an Demokratie und Freiheit. Jeder, der ein herausgehobenes politisches, gesellschaftliches oder wirtschaftliches Amt ausübt, muß sich dieser Herausforderung stellen. Wir müssen uns mit unserer ganzen Persönlichkeit für Demokratie und Freiheit einsetzen. Nur wenn wir uns vorbehaltlos und im Bewußtsein aller Risiken dieser hohen Aufgabe verpflichten, können wir Terror und Gewalt die Stirn bieten.
Der Anschlag von gestern ist auch die Eskalation eines unverantwortlichen Geredes über die angebliche Herrschaft eines militärisch-industriellen Komplexes in der Bundesrepublik Deutschland.
Es muß mit dieser gefährlichen politischen Semantik Schluß sein.
Ich fordere alle Politiker, die Verantwortlichen in den Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen und alle gesellschaftlichen Gruppen auf, sich gemeinsam der Herausforderung des Terrors zu stellen. Es gibt keine Toleranz gegenüber der Intoleranz der Gewalt.
Wir dürfen denjenigen, die die Botschaft von Frieden und Freiheit immer noch nicht verstanden haben, keine Chance geben.
Meine Damen und Herren, ich darf als Finanzminister dem Haushaltsausschuß, allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses und seinem bewährten Vorsit-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. Dezember 1989 13901
Bundesminister Dr. Waigel
zenden, Rudi Walther, meinen herzlichen Dank aussprechen.
Lieber Rudi Walther, du hast dich an das Amt gewöhnt, wir haben uns an dich gewöhnt, und du sollst auch Vorsitzender bleiben.
— Da hinten hat einer deiner Kollegen mitgeklatscht. Er hat vorher euer kleines Theater nicht mitbekommen, das ihr da zusammen eingeübt habt.
Ich bedanke mich selbstverständlich auch beim Sekretariat des Haushaltsausschusses, wo eine großartige, umfangreiche und sehr präzise Arbeit geleistet wird.
Ich danke den Fachausschüssen, die sich dem Haushalt intensiv gewidmet haben, und den Fraktionen und Arbeitsgruppen.
— Ja, es ging so. Aber da der Haushaltsausschuß als der Oberausschuß aller Ausschüsse das Ganze am Schluß zusammengefaßt hat, ist es doch zu einem guten Ende gekommen.
Ich danke natürlich auch den Fachministerien und nicht zuletzt — ich glaube, das wird mir niemand verargen — insbesondere den Damen und Herren im Finanzministerium, vor allen Dingen in der Haushaltsabteilung, die sehr, sehr intensiv und sehr fachkundig auch den Abgeordneten zugearbeitet haben. Herzlichen Dank dafür!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man hat uns 1982 vorgehalten, daß wir einen strikten Konsolidierungskurs höchstens ein, zwei Jahre durchhalten würden. Tatsächlich liegt der Ausgabenanstieg des Bundes auch nach acht Jahren mit 3 % klar auf Konsolidierungskurs und entspricht der Rate, die der Finanzplanungsrat immer wieder gefordert hat.
Im Durchschnitt der Jahre 1982 bis 1990 nahmen die Ausgaben des Bundes nur um 2,6 % zu. Gleichzeitig stieg das Bruttsozialprodukt im Durchschnitt um 5,2 %, also exakt doppelt so schnell. Das ist beispielhafte Konsolidierungspolitik. Dafür erhalten wir das Lob der nationalen wie der internationalen Organisationen, von der OECD bis zum Internationalen Währungsfonds.
Die Staatsquote wird nach den neuesten Zahlen 1990 nur noch 44 % betragen. Die Steuerbelastung wird mit einer Steuerquote von 22,5 % den niedrigsten Stand seit 1959 erreichen. Hätten wir die Steuern nicht gesenkt, läge heute der Kreditfinanzierungsbedarf von Bund, Ländern und Gemeinden, rein rechnerisch, bei null. Nur, das ist eine fiktive Rechnung, weil wir natürlich mit der Steuersenkung die Wirtschaftsbelebung erreicht haben und mit der Wirtschaftsbelebung wieder die steigenden Steuereinnahmen: ein Bilderbuch der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.
In den Reden der Frau Kollegin Matthäus-Maier und des Kollegen Struck war immer wieder von einem dramatischen Anstieg der Neuverschuldung des Bundes im nächsten Jahr die Rede. Ja, meine Damen und Herren, warum haben Sie die Reden eigentlich nicht 1980, 1981 oder 1982 gehalten? Das hätte uns nämlich gutgetan. Wir hätten uns dann bei der Konsolidierung und auch bei der Akzeptanz dieser schwierigen Maßnahmen nicht so schwer getan.
Natürlich wird die Nettokreditaufnahme 1990 im Zusammenhang mit einer Steuerentlastung, die allein den Bund 10,5 Milliarden DM an Steuereinnahmen kostet, wieder zunehmen. Aber, meine Damen und Herren, es geht doch nicht an, hier immer nur mit den absoluten Zahlen zu arbeiten. Sie müssen doch immerhin bedenken, daß das Bruttosozialprodukt nun um 40 % höher ist als 1982.
Entscheidend ist doch der Anteil der Nettokreditaufnahme des Bundes, aber auch der anderen Gebietskörperschaften, am Bruttosozialprodukt, und da stehen wir gut da. Das ist die entscheidende Konsolidierung, die wir herbeigeführt haben.
Von diesem nun höheren Bruttosozialprodukt beanspruchen Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr nur noch 1,3 % und auch im nächsten Jahr trotz der Steuerentlastung nur 1,9 %. Die entsprechenden Anteile für die Jahre 1981 und 1982 lauten 4,9 bzw. 4,4 %.
Ich will noch etwas hinzufügen, was man in der Diskussion vielfach zuwenig berücksichtigt. Man muß oder kann in die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden auch noch die Sozialversicherung einrechnen; auch sie gehört zum öffentlichen Bereich mit dazu. Wenn man das tut, so erwirtschaftet der Staat in diesem Jahr insgesamt sogar einen leichten Oberschuß. Dagegen machte 1981 der Anteil des Staatsdefizits am Bruttosozialprodukt noch 3,1 % und 1982 3,8 % aus.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich einmal den Outlook des Internationalen Währungsfonds vom Sommer dieses Jahres anzusehen. Dort werden die großen Industrienationen aufgefordert, ihre Sozialausgaben, ihre sozialen Sicherungssysteme langfristig, nicht nur über Jahre, sondern über Jahrzehnte hinweg so zu gestalten, daß sie bestehen können. Wir sind fast das einzige Wirtschaftsland in diesem Geflecht, das sich dieser Herausforderung gestellt hat und das in einer Legislaturperiode sowohl die Gesundheitskosten wie auch die Rentenfinanzen über Wahlperioden hinaus langfristig auf eine verläßliche Grundlage gestellt hat und damit beispielhaft alles positiv beantwortet hat, was die internationale Wirtschafts-, Währungs-, Geld- und Sozialpolitik von uns fordert. Was will man eigentlich noch mehr tun?
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Dann kommt natürlich wieder die alte Leier mit dem Lohnsteuerstaat. Da wird der Marsch in den Lohnsteuerstaat beklagt. Meine Damen und Herren, es gibt doch nur eine einzige Möglichkeit, um den Anstieg der Steuerbelastung der Arbeitnehmer zu verhindern, nämlich die Abflachung des Tarifverlaufs. Weil wir mit der Steuerreform 1990 den gradlinig und sanft ansteigenden Lohn- und Einkommensteuertarif verwirklichen, 1986 bereits einen entscheidenden Schritt durchgeführt haben, 1988 nochmals, geht die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer zurück; im Vergleich des Tarifs 1990 gegenüber dem Tarif 1985 für einen verheirateten Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen und zwei Kindern um über 40 %.
Ich mache ja immer wieder den Vorschlag, wie man objektiv und ohne eine Mark für Informationen aus dem Bundespresseamt die Wahrheit darstellen könnte, nämlich indem man im nächsten Jahr in die Steuerbescheide oder in die Gehaltszettel hineinschreibt: „Das ist Ihre Steuerschuld oder Ihr Lohn nach dem Tarif 1990", und dahinter in Klammern: CDU, CSU und FDP; Klammer zu. Darunter sollte man schreiben: „Das wäre Ihre Steuerschuld nach dem Tarif 1982"; in Klammern SPD. Weil ich koalitionsfreundlich bin, lasse ich die FDP in diesem Zusammenhang weg.
Meine Damen und Herren, der Zusammenhang zwischen marktwirtschaftlichen Reformen, Konsolidierung, umfassenden Steuerentlastungen und zunehmender wirtschaftlicher Dynamik kann doch von niemand mehr geleugnet werden. Ich zitiere nur den Sachverständigenrat, vor wenigen Tagen:
Mit Blick auf die wachstumspolitische Aufgabe ist und bleibt es wichtig, die Abgabenbelastung weiter zu senken.
Mit dem Beispiel Österreichs können Sie nun wirklich nicht mehr kommen. Österreich hat doch unter einem sozialdemokratischen Kanzler seinen Einkommensteuerspitzensatz von 62 % auf 50 % und den Körperschaftsteuersatz sogar auf 30 % gesenkt. Mein Kollege, der sozialdemokratische Finanzminister Lacina, spricht in diesem Zusammenhang vom „Niedrigsteuerland Österreich" . Was müssen denn die Genossen in Österreich über die Parolen der SPD denken?
Auch von einer reinen Umschichtung bei den Unternehmenssteuern kann in Österreich keine Rede sein. Die Tarifsenkung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer wird nur zu einem Teil durch die Erweiterung der Bemessungsgrundlage, im übrigen jedoch durch höhere Verbrauchsteuern finanziert. Ist das denn Ihr Vorbild?
Großbritannien, Frankreich, Belgien und Japan sind dabei, ihre Unternehmen zum Teil massiv zu entlasten. Auch Ihre Behauptung, die Steuerreform in den Vereinigten Staaten führe zu einer Mehrbelastung der Unternehmen, ist nur die halbe Wahrheit. Bezieht man nämlich die erste Stufe von 1981 mit ein, ergibt sich vielmehr eine deutliche Verbesserung. Im übrigen will ich klar sagen, daß ich nicht die gesamte Haushalts- und Fiskalpolitik der Vereinigten Staaten
als Beispiel dargestellt haben möchte. Hier hat es genau an der Abstimmung zwischen Finanzpolitik und monetärer Politik gefehlt, und das Budgetdefizit ist mit ein Grund — deswegen ist es auch in den entsprechenden Kommuniqués der G 7 und der G 10 mit verankert — für die Ungleichgewichte, die entstanden sind und die wir wieder zurückführen wollen.
Wir haben trotz der Reduzierung der Staatsquote, trotz der Reduzierung der Steuerquote und sinkender Kreditaufnahme im Bundeshaushalt 1990 zusätzliche Mittel für neue Aufgaben bereitgestellt und damit Prioritäten gesetzt. Ich nenne das Programm für Langzeitarbeitslose, die Verdoppelung der Wohnungsbau, mittel bis 1993, höhere Ansätze für Familien und Ausbildung, zusätzliche Investitionen in der Verkehrsinfrastruktur und die Fortführung des von mir besonders geschätzten Programms „Stadtsanierung und Dorferneuerung" mit 660 Millionen DM auf einen langfristigen Zeitraum,
damit sich Länder, Kommunen und alle Beteiligten auch darauf verlassen können.
Dies ist soziale Politik dieser Bundesregierung, und die Platte von der „Umverteilung von unten nach oben" zieht nicht mehr. Den Menschen ist immer noch am besten geholfen, wenn sie in die Lage versetzt werden, sich selbst helfen zu können.
Aber auch im unmittelbaren Bereich der Sozialpolitik haben wir erhebliche Verbesserungen erreicht. So wurden z. B. die Eckregelsätze in der Sozialhilfe zwischen 1983 und 1989 um real fast 14 % angehoben. In den letzten sechs Jahren der Regierungsverantwortung der Sozialdemokratischen Partei gingen sie demgegenüber um fast 8 % real zurück.
Wer uns vorwirft, wir hätten in der Familienpolitik nichts bewegt, der spricht hier bewußt die Unwahrheit.
Im Jahre 1990 werden die Leistungen für Familien insgesamt rund 39 Milliarden DM ausmachen und liegen damit um rund 18 Milliarden DM über dem Betrag des Jahres 1985.
Wir brauchen uns, was Familienpolitik anbelangt — sie ist das Herz und Kernstück unserer Gesellschaftspolitik — , von niemandem einen Vorwurf machen zu lassen,
und schon gar nicht von denen, die noch in den 70er Jahren über die Familie als Sozialisationsagentur der Gesellschaft gesprochen haben.
Auch in der Agrarpolitik haben wir in diesem Jahr wieder Akzente gesetzt. Hauptschwerpunkt ist die Agrarsozialpolitik. Wenn man hier sieht, daß die Ausgaben im Jahre 1990 um 3,7 auf 5,3 Milliarden DM
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gestiegen sind, während 1983 dafür nur 3,5 Milliarden DM ausgegeben worden sind, dann ist dies neben den Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe eine gute Bilanz. Wir haben auch in diesem Jahr drei wichtige neue Maßnahmen, die Produktionsaufgaberente, die Flächenstillegung und die Extensivierung sowie den soziostrukturellen Einkommensausgleich anlaufen lassen, die insbesondere den bäuerlichen Familienbetrieben zugute kommen.
Die Politik von Ignaz Kiechle zahlt sich aus. Es zeigt sich, daß sie richtig war. Abbau der Überschüsse ermöglicht wieder Spielräume für Preispolitik. Die Agrarsozialpolitik trägt, Landwirtschaft und Ökologie kommen zunehmend in Einklang. Ignaz Kiechle ist der beste Garant dafür, daß diese Regierung die Bauern nicht im Stich läßt.