Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, zunächst eine kurze Bemerkung zu dem, was Sie zum Wohnungsbau gesagt haben. Verehrte Frau Kollegin, das, was wir aus dem Lande hören, ist nicht die Frage: mehr Geld, sondern ist die Frage: Arbeitskräfte, Grundstücke
und Abbau von Genehmigungshemmnissen, damit man schneller zum Ergebnis kommt. Das sind die Punkte, die im Vordergrund stehen.
Zur Steuerreform: Wenn Sie hier wieder einmal gerechnet haben, die Erhöhung der Verbrauchsteuern gleiche das aus, was es an Steuersenkung gebe, dann ist das einer der üblichen Rechenfehler, die bei Ihnen in der Fraktion ständig wieder passieren. Diese Behauptung, daß die Verbrauchsteuererhöhungen genauso hoch oder höher gewesen seien als die Steuersenkungen, die wir beschlossen haben und die noch in Kraft treten, ist völlig falsch. Das Gegenteil ist richtig. Und durch die Steuersenkungen haben wir jetzt so viel Steuermehreinnahmen, weil sie die Konjunktur gefördert haben und uns auch für die nächsten Jahre — durch weitere Steuerreformen — in die Lage versetzen werden, die Haushalte entsprechend zu gestalten und beweglich zu machen.
Aber nun zu den anderen Fragen, die heute im Vordergrund stehen: Meine Damen und Herren, es ist auch interessant, daß es über Tage und Wochen immer wieder den Vorwurf gab, es fehle bei der Bundesregierung, beim Bundeskanzler ein Konzept, man sei völlig hilflos gegenüber der Entwicklung. Nachdem ein Sachkonzept in zehn Punkten vorgelegt worden ist, da geht es plötzlich los, daß man fragt: Warum muß man eigentlich so vieles bringen, das bringen und jenes bringen, daß diejenigen, die im Ausland zunächst davon gesprochen haben, das sei alles eine Frage der möglichst bald vor der Tür stehenden Wiedervereinigung, wenn jetzt Überlegungen langfristiger Art dargestellt werden, plötzlich dazu unter dem Motto Stellung nehmen, das könne eigentlich eine nicht ganz gewünschte, gefährliche Entwicklung werden? Hier sieht man, wie schnell dieselben Kommentatoren,
Argumentatoren das Gegenteil von dem vertreten, was sie gestern gesagt haben.
Meine Damen und Herren, wir sehen in diesen zehn Punkten eine Arbeitsgrundlage für die nächste Zeit. Manche davon müssen schnell angepackt werden, andere sind mittelfristig und langfristig von Bedeutung. So haben wir das verstanden. Wir werden dies auch entsprechend umsetzen.
Meine Sorge ist, daß im Augenblick das, was in den Punkten 7, 8, 9 und 10 steht, die Diskussion beherrscht und daß völlig vergessen wird, daß die Punkte 1, 2 und 3 das wiedergeben, was uns unter den Nägeln brennt und was wir in den nächsten Wochen gemeinsam zu
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bewältigen haben. Darüber sollten wir uns unterhalten.
Hier ist mit Recht davon gesprochen worden, daß der Devisenfonds möglichst schnell kommen soll. Wir sind der gleichen Meinung. Wir haben ja Angebote gemacht. Nur gehört dazu, daß beide Seiten zustimmen. Es ist ja nun nicht so, daß wir nur etwas vorlegen und die andere Seite es nur mitnimmt. Es muß vielmehr gemeinsam geschehen. Die Verhandlungen darüber laufen. Ich bin guten Mutes, daß dies jetzt noch vor Weihnachten entschieden wird.
Mit Recht ist gesagt worden, es solle keine Bedingungen geben. Natürlich, wir haben immer den Standpunkt vertreten, daß es keine Bedingungen geben soll. Wir haben allerdings auch klar gemacht, daß bestimmte Hilfeleistungen, die wir uns vorgenommen haben, nur dann wirksam sind, wenn die Voraussetzungen innerhalb der wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR dafür vorhanden sind. Wenn man genau nachliest, was in den letzten Tagen und Wochen , sei es von Herrn Modrow als Regierungschef, sei es von Professor Ardenne, der ja sehr eng mit Modrow zusammenarbeitet, über die wirtschaftliche Umstrukturierung in der DDR gesagt wird, dann stellt man fest, daß das genau die Voraussetzungen sind, von denen wir sprechen. Wir wissen, daß dort gesetzgeberische Maßnahmen im Gange sind, um beispielsweise Jointventures möglich zu machen. Daß das alles ein paar Tage dauert, das ist ja nicht bestreitbar. Daß sie dabei sogar ihre eigene Verfassung beiseite legen müssen, da es ja verfassungswidrig wäre, jetzt Joint-ventures zu machen, das wissen wir. Wir gehen davon aus, daß diese Entwicklung in den nächsten Wochen in dem guten Tempo weitergeht.
Wir Freien Demokraten bemühen uns jedenfalls darum, die Gespräche sachlich zu führen, beispielsweise noch im Dezember über Wirtschaftsfragen und Touristikfragen und in einem Symposium miteinander über praktische Maßnahmen zu reden und hier nicht nur Pläne aufzustellen und Überlegungen anzustellen, die dann nicht umgesetzt werden, weil man sich vor den Konsequenzen scheut.
Meine Damen und Herren, mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß die eigenständige Entwicklung in der DDR von den Bürgern gewollt wird. Das respektieren wir; das haben wir immer respektiert. Ich füge allerdings noch eines hinzu: Wir haben uns immer darauf verständigt: Wir reden nicht hinein; wir sind bereit, Ratschläge zu geben, wenn man sie von uns haben will.
Ich füge ein weiteres hinzu: Ich bin etwas erstaunt darüber, wie man das, was in den letzten Jahrzehnten geschehen ist, in letzter Zeit bei uns oft beurteilt und verurteilt. Sind wir uns eigentlich immer alle bewußt, daß diejenigen in der DDR, die noch einen freien Staat erlebt haben, heute 68 oder 70 Jahre alt sind? Das heißt, das praktisch 80 % oder 90 % der Bevölkerung in der DDR nichts anderes als die Nazi-Diktatur und diesen Zwangsstaat erlebt haben. Bitte machen wir es uns nicht so einfach, dann über einzelne urteilen und
sie verurteilen zu wollen, ohne selbst in dieser Situation gelebt zu haben. Das ist mir zu einfach.
Meine Damen und Herren, wie es nun bei Haushaltsberatungen so ist: Da wird Kritik geübt. Das ist notwendig. Die Opposition muß Kritik üben; das ist ihre Aufgabe. Aber es gibt auch Punkte, über die man versucht gemeinsam Politik zu gestalten. Die Deutschlandpolitik war lange Zeit ein solcher Bereich, wo es gemeinsame Entscheidungen in diesem Haus gab.
Ich begrüße sehr, daß die Zustimmung zu dem Arbeitsprogramm, das in den zehn Punkten zum Ausdruck kommt, gegeben worden ist. Ich muß Ihnen aber ganz offen sagen: Ich verstehe nicht, weshalb man dann glaubt, nun wiederum in Entschließungen Dinge miteinander verbinden zu sollen, die so nicht zusammengehören.
— Vielleicht sind Sie so nett und hören sich auch die Begründung an, die ich dafür bringe, weshalb ich dieser Meinung bin.
In der Debatte am vergangenen Dienstag hat der Bundesaußenminister gesagt, er würde es begrüßen, wenn der Bundestag dem zustimmen würde. Er hat hinzugefügt — ich darf hier aus dem Protokoll zitieren — :
Wie haben neulich in der Frage der polnischen Westgrenze eine wichtige gemeinsame Entscheidung getroffen.
Das übersehen Sie. Wir haben hier eine Entscheidung getroffen. Wer diese Entscheidung ständig aufs neue zur Entscheidung stellt, stellt in Frage, ob diese Entscheidung ernst gemeint war. Wir haben sie ernst gemeint.
400 Abgeordnete haben dieser Entschließung zugestimmt. Dies ist ein Faktum. Wer ständig neue Entschließungsanträge dazu stellt, muß doch draußen den Eindruck erwecken, als gelte eine solche Entschließung nicht. Für uns gilt die Entschließung, vom Beschluß an bis heute. Das gilt ebenso für die 78 Punkte, denen wir hier zugestimmt haben. Wollen Sie durch das Herausgreifen einzelner Punkte vielleicht auch noch den Eindruck erwecken, anderes, was wir beschlossen haben, sei nicht so wichtig? Es ist ein gefährlicher Weg, den Sie mit dieser Form Ihrer Entschließung gehen.
Ich kann Sie nur herzlich bitten, sich noch einmal zu überlegen, was es bedeutet, wenn Sie immer wieder versuchen, bestimmte Punkte herauszulösen und damit den Gesamtwert des Beschlusses, den wir hier — ich sage: ich freue mich darüber — mit 400 Abge-
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ordneten beschlossen haben, in Frage zu stellen. Den Zweifel säen doch nicht diejenigen, die draußen Fragen stellen
und die wir auf den Beschluß verweisen können, sondern den Zweifel säen diejenigen, die meinen, man müsse hier ständig aufs neue über diese Dinge beschließen. Ich bedauere das.
Zweiter Punkt. Sie bringen in dieser Entschließung zum Ausdruck, man solle nun über die Kurzstreckenraketen reden. Sie wissen doch ganz genau, daß festgelegt ist, daß über diese Frage 1992 entschieden wird, und zwar angesichts der Entscheidungen, die in Wien im konventionellen Bereich anstehen. Jeder von uns ist sich im klaren darüber, daß ein Fortschritt bei der Abrüstung der konventionellen Waffen entscheidend dafür ist, wie es bei den nuklearen Waffen weitergeht. Deshalb ist es für die Verhandlungen nicht hilfreich, sondern belastend, wenn man heute in dieser oder jener Form dazu Stellung nimmt. Sie machen denselben Fehler, den Sie bei den Mittelstreckenraketen gemacht haben, als Sie zwar den Beschluß gemeinsam mit uns gefaßt haben, ihn dann aber nicht durchgestanden haben. Das Durchstehen der Entscheidung ist der Grund, warum wir heute in der Abrüstung so weit gekommen sind.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD, auch in der Opposition — wir haben das in der Zeit der Großen Koalition bewiesen — muß man in solchen Fragen, die von uns gemeinsam zu tragen sind, auch einmal durchstehen können.
Lassen Sie mich allerdings eines deutlich hinzufügen: Für uns hat es nie einen Zweifel gegeben, daß alle Überlegungen zur Deutschlandpolitik in die europäische Entwicklung eingebettet sind. Für uns hat es nie einen Zweifel gegeben, daß alle Fragen der Deutschlandpolitik, der Wiederherstellung der Einheit als eine europäische Frage angesehen werden. Nicht die Überwindung der Spaltung Deutschlands führt zur Überwindung der Spaltung Europas, sondern die Überwindung der Spaltung Europas führt zur Überwindung der Spaltung unseres Vaterlandes. Das ist der Weg, den wir immer gegangen sind und von dem wir nicht abweichen werden.
Warum sagen wir unseren Verbündeten, unseren Partnern in Ost und West nicht immer wieder, daß dies die Basis ist? Erwecken wir nicht den falschen Eindruck, es sei notwendig, solche Grundkonzeptionen ständig durch neue Entschließungen hier zu unterstreichen.
Wir haben in diesem Hause diesen zehn Punkten als Arbeitspapier gemeinsam zugestimmt. Damit wird deutlich, daß es eine Basis ist. Ich habe wenig Verständnis dafür, daß man sich nicht vorher verständigen konnte, die Entschließung an die Ausschüsse zu überweisen — dort liegen noch verschiedene zur Deutschlandpolitik, über die man reden muß — , sondern daß man glaubt, man müsse hier mit einer Abstimmung etwas vorführen.
Meine Damen und Herren, die Menschen in der DDR wollen von uns praktisches Handeln, aber nicht ständig neue Entschließungen.
Ich danke Ihnen.