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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/176 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 176. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13325 A Absetzung der Punkte 12 c) und e) sowie 17 von der Tagesordnung 13326 A Änderung des Beschlusses betr. die Überweisung des Entwurfs eines Wohnungsbauförderungsgesetzes an Ausschüsse . . . . 13326 A Nachträgliche Überweisung des Entwurfs eines Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes an den Verteidigungsausschuß zur Mitberatung 13326 A Begrüßung einer Delegation finnischer Parlamentarier 13380 A Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 27. November 1989 . . 13397 C Tagesordnungspunkt 10: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Polenreise und zur Lage in der DDR b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Nichtigkeitserklärung zum Hitler-StalinPakt (Drucksache 11/5273) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Einführung des Themas „Europäische Friedensordnung" in den KSZE-Prozeß (Drucksache 11/5276) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Verurteilung des Hitler-Stalin-Paktes (Drucksache 11/5683) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zur Öffnung der deutsch-deutschen Grenze und zur Deutschlandpolitik (Drucksache 11/5691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Zur Unterstützung der Reformen und Soforthilfe für Polen (Drucksache 11/5692) Dr. Kohl, Bundeskanzler 13326D Brandt SPD 13335 C Dr. Waigel CDU/CSU 13340A Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 13344 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13347 A Momper, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 13352 C Rühe CDU/CSU 13356A Koschnick SPD 13361A Genscher, Bundesminister AA 13364 B Frau Dr. Schreyer, Senator des Landes Berlin 13367 A Roth SPD 13368B Dr. Hornhues CDU/CSU 13370 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13372 D Bahr SPD 13375 C Wüppesahl fraktionslos 13377 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 Stobbe SPD 13379 B Becker (Nienberge) SPD (nach § 31 GO) 13380D Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE (nach § 31 GO) 13381 A Tagesordnungspunkt 11: Beratungen ohne Aussprache a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung für Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (Drucksachen 11/138 Nr. 3.45, 11/392, 11/1191) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 136 zu Petitionen (Drucksache 11/5473) c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 20. April 1989 zu dem Protokoll zu dem Europäischen Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen (Drucksachen 11/5319, 11/5696) d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksachen 11/5585, 11/5701) e) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Pick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksachen 11/5483, 11/5701) f) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (Drucksachen 11/5584, 11/5673) 13381 C Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für einen Beschluß des Rates über die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen und die Förderung ihrer Entwicklung, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen in der Gemeinschaft (Drucksachen 11/4405 Nr. 3.3, 11/4860) 13382 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entwurf einer Richtlinie des Rates zur Einführung eines gemeinschaftlichen Verfahrens zur Gewährleistung der Transparenz der vom industriellen Endverbraucher zu zahlenden Gas- und Strompreise zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entwurf einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1056/72 über die Mitteilung der Investitionsvorhaben von gemeinschaftlichem Interesse auf dem Erdöl-, Erdgas- und Elektrizitätssektor an die Kommission zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Transit von Elektrizitätslieferungen über die großen Netze (Drucksachen 11/5497 Nr. 2.5, 2.6, 11/5642 Nr. 3.10, 11/5693) 13382 C Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts (Drucksache 11/5700) 13382 D Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes (Drucksache 11/5392) aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (Drucksache 11/5646) bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 11/5649) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau (Drucksachen 11/5318, 11/5647) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN: Umbaukonzept für die heimische Steinkohle: Neuer Konsens zur Sicherung der Arbeitsplätze im Bergbau und zum ökologischen Umbau der Kohlereviere (Drucksachen 11/1476, 11/5633) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 III f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Stratmann, Dr. Daniels (Regensburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ersatz des Kohlepfennigs durch eine Primärenergie- und Atomstromsteuer (Drucksachen 11/3655, 11/5634) Gerstein CDU/CSU 13384 C Müller (Wadern) CDU/CSU 13384 D Jung (Düsseldorf) SPD 13386 C Dr.-Ing. Laermann FDP 13388 C Stratmann GRÜNE 13389 D Dr. Sprung CDU/CSU 13391 B Schreiner SPD 13392 C Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi . 13395 C Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) (Drucksachen 11/3919, 11/5532) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Gesetz) (Drucksachen 11/1844, 11/5532, 11/5617) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag des Abgeordneter Dr. Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Umweltverträglichkeitsprüfung (Drucksachen 11/1902, 11/5532) d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes (Drucksachen 11/4015, 11/5601) Brauer GRÜNE (zur GO) 13398 C Dr. Rüttgers CDU/CSU (zur GO) 13398 D Frau Weyel SPD (zur GO) 13399 A Dörflinger CDU/CSU 13399 A Frau Dr. Hartenstein SPD 13401 C Baum FDP 13404 A Brauer GRÜNE 13405 A Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 13406 B Kiehm SPD 13408 B Tagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag des Abgeordneten Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kündigung des deutsch-brasilianischen Abkommens über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu dem Antrag des Abgeordneten Stratmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN: Kündigung des Deutsch-Brasilianischen Atomvertrages von 1975 (Drucksachen 11/5266, 11/5358, 11/5624) Bachmaier SPD 13410 C Jäger CDU/CSU 13411D Stratmann GRÜNE 13414A, 13419B Timm FDP 13415B Frau Ganseforth SPD 13416C Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 13417 C Zusatztagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung schadstoffarmer Personenkraftwagen (Drucksachen 11/5289, 11/5495, 11/5623, 11/ 5676) Schulhoff CDU/CSU 13420 D Opel SPD 13422 C Gattermann FDP 13424 D Hüser GRÜNE 13425 D Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Eingliederungsleistungen für Aussiedler und Übersiedler (Eingliederungsanpassungsgesetz — EinglAnpG) (Drucksachen 11/5110, 11/5677, 11/5678) Dr. Czaja CDU/CSU 13427 B Frau Hämmerle SPD 13428 D Lüder FDP 13430A Meneses Vogl GRÜNE 13431 A Sielaff SPD 13432 A Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 13433 B Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und des Arbeitsplatzschutzgesetzes (Drucksachen 11/5058, 11/5614, 11/5618) IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 Breuer CDU/CSU 13435 D Steiner SPD 13436 D Nolting FDP 13437 D Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär BMVg 13438 C Zusatztagesordnungspunkt 13: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Bericht und den Empfehlungen der Enquete-Kommission „Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 5. November 1987 (Drucksachen 11/220, 11/311, 11/403, 11/979): Zur Notwendigkeit und Ausgestaltung einer ständigen Beratungskapazität für Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rüttgers, Dr. Kronenberg, Dr. Mahlo, Kraus, Lenzer und der Fraktion der CDU/ CSU sowie des Abgeordneten Dr. Hitschler und der Fraktion der FDP: Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag zu dem Antrag des Abgeordneten Schreiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Technikfolgenabschätzung und -gestaltung beim Deutschen Bundestag zu dem Antrag der Abgeordneten Schreiner, Westphal, Bulmahn, Paterna, Vosen, Catenhusen, Fischer (Homburg), Ganseforth, Grunenberg, Lohmann (Witten), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Bernrath, Dr. Klejdzinski, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Technikfolgenabschätzung und -gestaltung beim Deutschen Bundestag zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN: Institutionalisierung von TechnikfolgenAbschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN: Praxis und Perspektiven der Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung (Drucksachen 11/4606, 11/4749, 11/4377, 11/4832, 11/4828, 11/5489) Dr. Rüttgers CDU/CSU 13440 B Schreiner SPD 13442 B Dr. Hitschler FDP 13444 D Frau Rust GRÜNE 13446 D Dr. Kronenberg CDU/CSU 13448 C Frau Bulmahn SPD 13450 A Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte im ehemaligen Konzentrationslager Salzgitter-Drütte (Drucksache 11/786) Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13452 C Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 13453 B Schmidt (Salzgitter) SPD 13454 A Lüder FDP 13455 A Tagesordnungspunkt 19: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rust, Frau Olms, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sanktionen gegen die Militärdiktatur in Chile (Drucksachen 11/894, 11/3930) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung für die Bemühungen um Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und um Gerechtigkeit für ihre Opfer (Drucksachen 11/2985, 11/3931) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Aufnahme der in Chile mit der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen (Drucksachen 11/2986, 11/4391) d) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung der Oppositionspresse in Chile (Drucksachen 11/2987, 11/3929) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Präsidentschaftswahlen in Chile (Drucksache 11/5688) Meneses Vogl GRÜNE 13456 D Dr. Müller CDU/CSU 13457 C Waltemathe SPD 13458B Irmer FDP 13459 D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 V Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 13460 C Meneses Vogl GRÜNE (Erklärung nach § 31 G0) 13461 B Dr. Müller CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 13461 C Tagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Stopp des Abbaus von Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Drucksache 11/5467) Andres SPD 13462A, 13469 A Scharrenbroich CDU/CSU 13464 A Hoss GRÜNE 13467 B Heinrich FDP 13467 D Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 13470 C Andres SPD (Erklärung nach § 30 GO) . 13472 A Vizepräsidentin Renger 13472 B Zusatztagesordnungspunkt 15: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN: Radioaktive Bestrahlung von Lebensmitteln (Drucksachen 11/1745, 11/4421) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über mit ionisierenden Strahlen behandelte Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile (Drucksachen 11/4081 Nr. 2.14, 11/4186, 11/5104) Frau Saibold GRÜNE 13472 D Frau Limbach CDU/CSU 13473 C Frau Dr. Götte SPD 13473 D Frau Würfel FDP 13474 C Chory, Staatssekretär BMJFFG 13475 B Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung) : Fragestunde — Drucksache 11/5641 vom 10. November 1989 — 13381 C Nächste Sitzung 13475 D Berichtigung 13476 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13477* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hinsken und Lattmann zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes (TOP 12a) 13477* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 13477* D Anlage 4 Nichterteilung eines Sichtvermerks für die Ehefrau des in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Mohamed Askcen Awan durch die deutsche Botschaft in Islamabad; Zustimmung zur Erteilung des Sichtvermerks durch die Ausländerbehörde in Osnabrück MdlAnfr 1, 2 — Drucksache 11/5641 — Dr. Emmerlich SPD SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 13478* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 13325 176. Sitzung Bonn, den 16. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    13476 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 Berichtigung 175. Sitzung, Seite IV linke Spalte: Bei Anlage 7 betrifft die Inhaltsangabe in den Zeilen 5 bis 7 Umschichtung der Mittel für die Magnetbahn „Transrapid" zugunsten der Bahn insbesondere ihres ICE-Netzes die Frage 11, die nicht von dem Abgeordneten Uelhoff (CDU/CSU), sondern von dem Abgeordneten Zierer (CDU/CSU) gestellt wurde. Bei der auf Seite 13319 bei Anlage 7 abgedruckten zweiten Frage handelt es sich um die Frage 11 des Abgeordneten Zierer und unten bei „zu Frage 11" um die entsprechende Antwort. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 17. 11. 89 * Antretter SPD 16. 11. 89 * Büchner (Speyer) SPD 17. 11. 89 * Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 17. 11. 89 * Conradi SPD 17.11.89 Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17. 11. 89 Frau Eid GRÜNE 17. 11. 89 Fellner CDU/CSU 17.11.89 Gallus FDP 16.11.89 Gerster (Mainz) CDU/CSU 17. 11. 89 Dr. Götz CDU/CSU 17. 11. 89 Graf SPD 17.11.89 Dr. Haack SPD 17. 11. 89 Haack (Extertal) SPD 17. 11. 89 Dr. Haussmann FDP 17. 11. 89 Hedrich CDU/CSU 17.11.89 Heimann SPD 17.11.89 Kastning SPD 17.11.89 Frau Kelly GRÜNE 17. 11. 89 Klein (Dieburg) SPD 17. 11. 89 Klose SPD 16.11.89 Dr. Kreile CDU/CSU 17. 11. 89 Lennartz SPD 16.11.89 Lenzer CDU/CSU 17. 11. 89 * Frau Luuk SPD 17. 11. 89 Frau Dr. Niehuis SPD 17. 11. 89 Paintner FDP 17. 11.89 Rappe (Hildesheim) SPD 16. 11. 89 Reddemann CDU/CSU 17. 11. 89 * Frau Rock GRÜNE 17. 11. 89 Schäfer (Mainz) FDP 16. 11. 89 Dr. Scheer SPD 17. 11. 89 * Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 17. 11. 89 Schröer (Mülheim) SPD 17. 11. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 17. 11. 89 Seehofer CDU/CSU 17. 11.89 Dr. Soell SPD 17. 11. 89* * Dr. Todenhöfer CDU/CSU 17. 11. 89 Toetemeyer SPD 16.11.89 Frau Trenz GRÜNE 17. 11. 89 Verheugen SPD 17.11.89 Volmer GRÜNE 17.11.89 Vosen SPD 16.11.89 Dr. Wieczorek SPD 17. 11. 89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 17. 11. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hinsken und Lattmann (beide CDU/CSU) zur Abstimmung Ober den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes (TOP 12 a) Mit dem Gesetz wird zwar ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gemacht, weil der Revierausgleich und der Erschwerniszuschlag für niederflüchtige Kohle im wesentlichen über die Haushalte und den Selbstbehalt des Kohlebergbaus abgedeckt wird, aber es reicht bei weitem nicht aus. Aus der Sicht der Bürger und der Wirtschaft revierferner Länder ist u. a. insbesondere anzumerken: - dem CO2-Problem wird nicht Rechnung getragen - der „Kohlepfennig" ist zu hoch; die Abnahmeschritte sind viel zu klein - die Plafondierung des Ölausgleichs wurde nicht durchgesetzt; damit bleibt der Beitrag der Kraftwirtschaft zu gering - eine stärkere regionale Spreizung des Kohlepfennigs ist unterblieben, d. h. die Revierländer übernehmen nicht in erforderlichem Ausmaß die notwendige regionalpolitische Eigenverantwortung - der Konsens über den Einsatz von Kernenergie und Kohle bleibt von den SPD-geführten Regierungen der Revierländer aufgekündigt. Aus diesen Gründen können wir dem Gesetz nicht zustimmen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. November 1989 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Viertes Gesetz zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes Gesetz zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes Gesetz über den Beruf der Orthoptistin und des Orthoptisten (Orthoptistengesetz - OrthoptG) ... Gesetz zur Änderung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte Gesetz zu dem Abkommen vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Gesetz zum Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zum Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen Gesetz zu der Erklärung vom 11. Dezember 1986 zu dem Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride 13478* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1989 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarats Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Das vorliegende Änderungsgesetz sieht in § 1 unverändert vor, daß sämtliche Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom Deutschen Bundestag aus seiner Mitte gewählt werden. Der Bundesrat bedauert, daß der Deutsche Bundestag ihm nach wie vor eine Beteiligung in den Versammlungen des Europarates, der Westeuropäischen Union und auch in der Interparlamentarischen Union verwehrt und sich damit überzeugenden rechtlichen und fachlichen Gründen verschließt. Der Bundesrat erinnert an seine Entschließung vom 28. Juli 1950 (BR-Drucksache 602/50) sowie an den Gesetzentwurf der Bundesregierung (BR-Drucksache 467/57) und an seinen im wesentlichen Bleichlautenden Gesetzentwurf (BR-Drucksache 453/65), die eine Beteiligung auch des Bundesrates in der Versammlung des Europarates vorsahen. Die Beteiligung der Gesetzgebungsorgane des Bundes an der internationalen Zusammenarbeit muß nach Auffassung des Bundesrates im Einvernehmen zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat geregelt werden. Der Bundesrat ist davon überzeugt, daß eine Regelung gefunden werden kann, die den Interessen von Bundestag und Bundesrat gerecht wird. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 8. November 1989 ihren Antrag Zur politischen Entwicklung in Polen — Drucksache 11/ 5195 — zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachfolgenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/2201 Drucksache 11/2619 Drucksache 11/4174 Drucksache 11/4644 Drucksache 11/5064 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/554 Drucksache 11/1677 Drucksache 11/3407 Drucksache 11/3802 Drucksache 11/3898 Drucksache 11/4611 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/3021 Nr. 2.3 Drucksache 11/4680 Nr. 2.4 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/3703 Nr. 2.10, 2.12-2.19, 2.21-2.25 Drucksache 11/3831 Nr. 11 Drucksache 11/4680 Nr. 2.10, 2.11 Drucksache 11/4758 Nr. 2.13-2.29 Drucksache 11/4874 Nr. 2.1 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/5051 Nr. 45-50 Drucksache 11/5145 Nr. 3.34 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/4680 Nr. 2.14 Anlage 4 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Emmerlich (SPD) (Drucksache 11/5641 Fragen 1 und 2) Aus welchen Gründen ist der Antrag von Frau T. A., verheiratet mit dem seit 1976 in der Bundesrepublik Deutschland lebenden und seit 1988 eine Aufenthaltsberechtigung innehabenden M. A. A., auf Erteilung eines Sichtvermerks von der deutschen Botschaft in Islamabad bis heute nicht beschieden worden? Trifft es zu, daß die Ausländerbehörde der Stadt Osnabrück bereits mit Schreiben vom 21. Juni 1988 und erneut mit Schreiben vom 13. Juli 1988 die Zustimmung zur Erteilung des Sichtvermerks erteilt hatte? Zu Frage 1: Die Botschaft Islamabad hat bisher keinen Sichtvermerk ausgestellt, da nach ihren Erkenntnissen der erhebliche Verdacht besteht, daß der pakistanische Ehemann der Antragstellerin seine Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet durch strafbare Handlungen erlangt hat. Er hat trotz fortbestehender Ehe mit der Antragstellerin und unter Vorlage gefälschter pakistanischer Scheidungsdokumente eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Nach der dadurch erlangten Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland hat er sich wieder von der deutschen Ehefrau scheiden lassen, um dann unter Vorlage einer neuen jedoch gefälschten pakistanischen Heiratsurkunde die Antragstellerin im Wege des Ehegattennachzuges in die Bundesrepublik Deutschland nachziehen zu lassen. Zu Frage 2: Mit Schreiben vom 21. 6. 1988 stimmte die Ausländerbehörde der Stadt Osnabrück der SichtvermerksErteilung für die Dauer eines Monats zu. Das Schreiben vom 13. 7.1988 stellt die Antwort der Ausländerbehörde auf die Bitte der Botschaft Islamabad dar, die geschilderten Verdachtsmomente zu überprüfen. Sie konnten durch die Ausländerbehörde damals nicht bestätigt werden, so daß die Botschaft weitere Ermittlungen vor Ort anstellen mußte. Die zuletzt gewonnenen Erkenntnisse der Botschaft, die unter anderem den Verdacht auf Bigamie und Betrug bestätigen, wurden der Ausländerbehörde Osnabrück am 31. 10. 1989 zur abschließenden Stellungnahme übersandt, die noch nicht vorliegt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute, nur acht Tage nach meinem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, geht es erneut um Deutschland. Die historischen Ereignisse in der DDR und insbesondere in Berlin haben das Gesicht Deutschlands und Europas verändert. Man kann sagen: In diesen Tagen schaut die Welt auf unser Vaterland.
    Das war auch während meines offiziellen Besuchs in der Volksrepublik Polen vom 9. bis 14. November in besonderem Maße spürbar. Alle Gesprächspartner haben immer wieder nach dem zukünftigen Weg der Deutschen gefragt. Sie haben diskutiert und darüber nachgedacht, welche Folgen sich aus dieser Entwicklung auch für ihr Land, für Polen, ergeben könnten.
    Beides, unser Verhältnis zu Polen und die Entwicklung in der DDR, hat direkt miteinander zu tun, nicht nur wegen der engen Nachbarschaft der Deutschen und Polen im Herzen Europas, sondern vor allem auch wegen des unbestreitbaren Zusammenhangs: Wären Polen und Ungarn — zusammen mit der Sowjetunion — nicht mit tiefgreifenden Reformen in Politik, in Wirtschaft und Gesellschaft vorangegangen, hätte die jetzige Entwicklung in der DDR nicht heranreifen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich habe in Warschau betont: 1980, auf der Danziger Lenin-Werft, ging es um Ziele, die auch die Deutschen in der DDR betreffen: um Freiheit, um Men-



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    schenwürde, um Menschenrechte, um Selbstbestimmung.
    Genauso gilt: Ohne den Erfolg der Reformen in Polen wird auch die Umgestaltung in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas, nicht zuletzt in der DDR, in Schwierigkeiten geraten. Der Erfolg in Polen liegt im gesamteuropäischen, liegt im deutschen Interesse.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Gerade deshalb habe ich für alle Polen die zentrale Botschaft mitgenommen: „Wir ermutigen Sie auf Ihrem Wege." — „Sie gehen diesen schwierigen Weg, der Ihnen Anstrengungen und Opfer abverlangen wird, nicht allein. " — „Sie können sich auf Ihre Freunde in der Bundesrepublik Deutschland und im Westen insgesamt verlassen. " — „Polen braucht Europa — aber Europa braucht auch ein freies und stabiles Polen."

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Als erster Regierungschef eines EG- bzw. NATO-Mitgliedstaates, der Polen nach dem Amtsantritt seiner neuen Regierung besuchte, habe ich — in voller Übereinstimmung mit unseren Partnern — diese Botschaft auch im Namen unserer Freunde und Partner überbracht. Ich bin sicher, daß das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EG am kommenden Samstag in Paris diese Unterstützung deutlich werden läßt.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mein Besuch in Polen fand 50 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges statt, der so unendlich viel Leid über die Menschen gebracht hat, zuerst und vor allem auch über das polnische Volk. Mit den Kränzen, die ich an verschiedenen Orten und Mahnmalen niederlegte, habe ich die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft geehrt.
    Das dunkelste, das schrecklichste Kapitel in der deutschen Geschichte wurde in Auschwitz und Birkenau geschrieben. Ich habe dort ins Besucherbuch eingetragen:
    Die Mahnung dieses Ortes darf nicht vergessen werden. Den Angehörigen vieler Völker, insbesondere den europäischen Juden, wurde hier in deutschem Namen unsagbares Leid zugefügt. Hier geloben wir erneut, alles zu tun, damit das Leben, die Würde, das Recht und die Freiheit jedes Menschen, gleich, zu welchem Gott er sich bekennt, welchem Volk er angehört und welcher Abstammung er ist, auf dieser Erde unverletzt bleiben.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, an diesem Ort und bei anderen Begegnungen ist mir immer wieder klargeworden, was viele von Ihnen genauso empfinden: Es darf nichts verschwiegen, verdrängt oder vergessen werden. Es kommt jetzt vor allem auch darauf an, für die Gestaltung einer friedlichen Zukunft die richtigen, die wesentlichen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Ganz in diesem Sinne hat der heutige Papst als Kardinal 1977 in Mainz gesagt: „Wir wollen nicht vergessen, was uns trennt, aber wir
    wollen vor allem an das erinnern, was uns verbindet. "
    Wir wollen Verständigung und Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk. Dies ist unser historischer Auftrag. Das ist der Wunsch, das ist die Sehnsucht der Menschen in beiden Ländern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Den deutsch-polnischen Ausgleich voranzubringen, ist ein Gebot von Moral und Vernunft. Zugleich geht es um unsere Verantwortung für Gegenwart und Zukunft des ganzen Europa.
    Noch nie in der Nachkriegszeit hat es mit Polen in so wenigen Tagen einen so dichten Dialog auf höchster politischer Ebene gegeben wie in diesen Tagen. Mit Staatspräsident Jaruzelski habe ich ein dreieinhalbstündiges, ungewöhnlich intensives Gespräch geführt. Es war geprägt vom Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben unserer Länder und Völker. Staatspräsident Jaruzelski ist nach seinem eigenen Bekunden davon überzeugt, daß mein Besuch in Kürze einen spürbaren Durchbruch im Prozeß der Verständigung zwischen unseren beiden Staaten bewirken kann. Er ist sich sicher, daß jetzt gute Voraussetzungen geschaffen sind für eine Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen, und zwar nicht erst in ferner Zukunft.
    Mit meinem Gastgeber, Ministerpräsident Mazowiecki, habe ich über viele Stunden sprechen können.
    Die sieben Bundesminister in meiner Begleitung haben mit ihren polnischen Partnern eine Fülle von Fachgesprächen geführt, über die sie nach dem Wunsch des Hauses in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages selbst berichten werden.
    Der Ministerpräsident und ich hatten uns vorgenommen, mit diesem Besuch einen Durchbruch in unseren Beziehungen zu erzielen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was wird denn mit den Zwangsarbeitern?)

    Bereits mit den elf Abkommen und Übereinkünften, die jetzt in Warschau unterzeichnet wurden, ist dieses Ziel erreicht. Dabei zählt auch die Tatsache, daß seit Mitte der 70er Jahre zwischen uns und der Volksrepublik Polen keine nennenswerten Verträge und Vereinbarungen mehr abgeschlossen wurden. Alte Stolpersteine — wie die Frage der Ortsbezeichnungen, wie die Einbeziehung Berlins, wie Probleme beim Recht der Staatsangehörigkeit — sind nunmehr endgültig ausgeräumt. Ich denke, die Tür für eine zukunftsgewandte Zusammenarbeit auf allen Gebieten ist weit aufgestoßen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Erstens. Mit dem Abkommen über Jugendaustausch schaffen wir endlich die Grundlage für die Begegnung von vielen Tausenden junger Deutschen und Polen jährlich. Das Abkommen steht allen offen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, von ihrer religiösen Überzeugung. Jugendaustausch — das wissen wir nicht zuletzt aus den Erfahrungen



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    bei der deutsch-französischen Verständigung — braucht auch eine vernünftige Infrastruktur. Deshalb werden wir unser besonderes Augenmerk darauf richten, gemeinsam in Polen mehr Jugendherbergen und Jugendbegegnungsstätten zu errichten.
    Ich bitte alle, die es angeht — die Bundesländer, die Gemeinden, die Städte, die Kreise, die Kirchen und Verbände —, auch ihrerseits Schwerpunkte in der Begegnung der jungen Generation beider Länder zu setzen. Nichts, meine Damen und Herren, kann den Frieden und die gute Nachbarschaft unserer Völker zuverlässiger verbürgen als die Begegnung der jungen Generation.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Zweitens. Das Abkommen über Umweltschutz hat für Polen und für uns erstrangige Bedeutung. Jeder Besucher von industriellen Ballungsgebieten in Polen kann dies aus eigener Erfahrung bezeugen. Bundesminister Töpfer war vor Ort und hat als Pilotprojekt der Zusammenarbeit ein modernes Feuerungsverfahren für Kraftwerke angeboten, das Schadstoffemissionen drastisch verringert und zugleich den Brennstoff optimal nutzt. Dies ist angesichts der Tatsache, daß Kohle Hauptenergieträger und zugleich Hauptexportgut Polens ist, auch ein Vorhaben von erstrangiger volkswirtschaftlicher Bedeutung.
    Drittens. Unsere wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit steht nunmehr auf fester vertraglicher Grundlage. Frau Bundesminister Lehr hat ein erstes Ressortabkommen über die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen und im Bereich der medizinischen Wissenschaft unterzeichnet. Enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von AIDS und im Bereich der Gentechnik für Pflanzen und Tiere ist verabredet.
    Viertens. Das Abkommen über die Errichtung von Kulturinstituten war längst überfällig. Deutsche und Polen, die einen so unverwechselbaren Beitrag zum kulturellen Erbe Europas geleistet haben, werden nun auch im Bereich der Sprache, der Literatur, der Musik und der bildenden Kunst besser zusammenarbeiten und einander auch näherkommen können.
    Fünftens. Von unmittelbar praktischer und, wie ich denke, auch vielfach existentieller Bedeutung für viele Bürger beider Länder ist die Wiederaufnahme des Rechtshilfeverkehrs in Zivil- und Strafsachen. Ich würdige dies zugleich — ich möchte dies betonen — als einen Ausdruck der Tatsache, daß Polen heute entschlossene Schritte zu einem modernen Rechtsstaat geht — mit allen Konsequenzen, auch für die innere Verfassung des Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sechstens möchte ich den Vertrag über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen hervorheben. Mit ihm ist die rechtliche Voraussetzung gegeben, daß die Bundesregierung Investitionen in Polen garantiert. Dies wiederum ist unerläßliche Vorbedingung für ein stärkeres Engagement unserer Wirtschaft, insbesondere in der Form von Gemeinschaftsunternehmen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Siebtens. Die Entschädigung für Zwangsarbeiter fehlt!)

    Lassen Sie mich auch an dieser Stelle an alle Unternehmen und an alle Unternehmer in unseren Ländern appellieren: Nutzen Sie möglichst rasch die Chancen des neuen Vertrages. Tragen Sie mit technischem Wissen und kaufmännischem Können dazu bei, Polen in einer entscheidenden Phase seiner Reformpolitik zu unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, am letzten Tag meines Besuches haben Ministerpräsident Mazowiecki und ich eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Es ist, wie ich denke, ein wegweisendes Dokument zur umfassenden Regelung unserer Beziehungen auf allen Gebieten, wie wir, die Bundesrepublik Deutschland, es bisher noch mit keinem anderen Land vereinbart haben. Diese Gemeinsame Erklärung ist das Kursbuch deutsch-polnischer Zusammenarbeit für die nächsten Jahre bis hin zur Schwelle dieses Jahrtausends. Sie verdient ausführlichere Kommentierung, als dies in einer Regierungserklärung möglich ist. Aber auch ein kurzer Überblick läßt ermessen, welche Fülle bislang offener und zum Teil seit langem belastender Fragen nunmehr entschieden ist, welche Chancen der Zusammenarbeit neu erschlossen wurden, welche bedeutenden Zukunftsperspektiven sich auf allen Gebieten für unsere Völker eröffnen.
    Ich will einige wichtige Punkte hervorheben.
    Erstens. Der Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 ist und bleibt festes Fundament der deutsch-polnischen Beziehungen. Er wird auch in Zukunft nach Buchstaben und Geist erfüllt.
    Wir wollen auch Ernst machen mit Art. 3, der beiden Ländern aufgibt, ihre Beziehungen voll zu normalisieren und umfassend zu entwickeln. Die Gemeinsame Erklärung ist ein ganz wesentlicher Schritt zur Erfüllung unserer Vertragspflicht.
    Zweitens. Teil des neuen Kapitels in der Geschichte der Deutschen und der Polen muß die umfassende Begegnung der Völker, der Menschen sein. So haben der Ministerpräsident und ich nicht nur regelmäßige Begegnungen auf höchster politischer Ebene vereinbart; so haben nicht nur die Außenminister ständige Konsultationen und die Fachminister vertiefte Kontakte verabredet, sondern wir plädieren auch für die Verstärkung der Parlamentskontakte und für möglichst viele Begegnungen von Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung, insbesondere der jungen Generation.
    Bei meinen Gesprächen im Senat und im Sejm wurde von den dortigen Kollegen — ich darf das so formulieren — der besonders dringliche und herzliche Wunsch vorgetragen, den ich hier im Plenum des Bundestages gerne weitergebe: Alle Fraktionen und der Bundestag als Ganzes mögen besonders intensive Beziehungen zu ihnen pflegen. Darüber hinaus hat man mir sehr nachdrücklich folgende Bitte vorgetragen: „Wir sind erst seit einigen Monaten im Amt; wir möchten an euren Erfahrungen partizipieren. " Ich gebe diese Botschaft gerne weiter. Sie entspricht sicherlich



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    unser aller Meinung und wird auch erwidert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Die Kirchen, die Parteien, die Gewerkschaften und die Stiftungen, die ich besonders hervorheben möchte, alle gesellschaftlichen Organisationen und Verbände und — ich wiederhole noch einmal — nicht zuletzt die Städte und Gemeinden sind aufgefordert, an diesem Werk mitzuarbeiten.
    Drittens. Ein Hauptkapitel der Erklärung ist der wirtschaftlich-finanziellen Zusammenarbeit gewidmet. Wir wollen unseren Worten Taten folgen lassen, die sich im internationalen Vergleich sehr wohl sehen lassen können.
    Meine Damen und Herren, die polnische Wirtschaftsreform kann nur gelingen, wenn binnenwirtschaftliche Anstrengungen — und das erfordert dort das Engagement eines jeden einzelnen — auch mit internationaler Zusammenarbeit Hand in Hand gehen. Wir sind angesichts drängender Probleme — gerade jetzt, vor Beginn der Winterzeit — bereit, sofort zu helfen. Wir machen unsere Zusagen nicht davon abhängig, daß Polen vorher mit dem Internationalen Währungsfonds ein Anpassungsprogramm und ein Beistands-Kreditabkommen vereinbart und daß es weitere Umschuldungsvereinbarungen abschließt.
    Natürlich muß beides schnell erreicht werden. Ich habe mit Premierministerin Thatcher, Präsident Bush und Staatspräsident Mitterrand in diesen Tagen darüber gesprochen. Ich hoffe, daß es uns durch gemeinsame Bemühungen gelingt, den Wunsch der Polen zu erfüllen, die jetzt laufenden Verhandlungen noch im Dezember abzuschließen. Angesichts der Gesetzgebung — es sind einschneidende gesetzliche Bestimmungen, die in Polen zum 1. Januar in Kraft treten sollen — ist es dringend notwendig, daß die Verantwortlichen, die ich eben angesprochen habe, und viele andere sich bereit finden, das bei solchen Verhandlungen übliche Zeitmaß abzukürzen und so schnell wie möglich handlungsfähig zu werden. Ich glaube, das ist eine wichtige Hilfe für Polen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Wir selbst werden in allen Bereichen, in denen wir Verantwortung tragen, mitwirken: im Internationalen Währungsfonds, in der Weltbank, im Pariser Club der staatlichen Gläubiger und nicht zuletzt in der von der Europäischen Gemeinschaft koordinierten Gruppe der 24 westlichen Länder.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Schwerpunkt des deutschen Hilfsprogramms sind neue Hermes-Bürgschaften, für die wir einen Rahmen von 3 Milliarden DM bis Ende 1992 vorsehen — selbstverständlich strikt projektgebunden. Ich lege auch hier und heute Wert auf die Feststellung, daß es der Wunsch der polnischen Seite ist, daß dies als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden wird und daß der Begriff „strikt projektgebunden" ganz genauso aufgefaßt wird, wie ich ihn hier verwende.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es war auch ein dringender Wunsch nicht nur von unserer sondern auch von der polnischen Seite, zur Auswahl und Prüfung geeigneter Projekte ein Gremium von Fachleuten zu schaffen, damit sich Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
    Ich will noch einmal sagen: Das hat nichts mit Bevormundung zu tun. Es war die polnische Seite, die nachdrücklich immer wieder gefordert hat, daß sie von Erfahrungen, die wir im Umgang mit anderen Ländern gemacht haben, profitieren will. Es ist eine ausgesprochen positive Entwicklung, daß hier eine völlige Übereinstimmung im Blick auf die Vergabe von Krediten gefunden wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden auch im Einvernehmen mit unseren polnischen Partnern überall dort, wo dies gewünscht wird, Polen zusätzlich beraten, insbesondere auch bei der konzeptionellen und praktischen Bewältigung des Übergangs von der zentralen Planwirtschaft zur marktwirtschaftlichen Entwicklung.
    Meine Damen und Herren, ich will hier auch sagen: Ich messe der personalen Hilfe für Polen aus der Bundesrepublik Deutschland, aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft und von überall her, wo sich Fachleute finden, eine ganz große Bedeutung bei. Es ist einer der Hauptwünsche des polnischen Ministerpräsidenten, den er immer wieder erwähnt hat, daß Polen bei der Einschätzung der zukünftigen Entwicklung Beratung braucht. Ich glaube, daß es im Blick auf die Zusammenarbeit beider Seiten sehr gut wäre, wenn wir hierfür die entsprechende Zahl von Persönlichkeiten gewinnen könnten.
    Wir sind ferner bereit, einen substantiellen Beitrag von 500 Millionen DM für ein abgestimmtes internationales Programm zur Stabilisierung der polnischen Währung zu leisten, wie es Präsident Bush Anfang Oktober vorgeschlagen hat. Diese Summe ist Teil der 3 Milliarden DM, die ich eben erwähnt habe. Ich hoffe — auch das will ich hier aussprechen —, daß die vielen unter unseren Freunden und Partnern, die sich in den letzten Monaten auch international zur Hilfe für Polen bekannt haben, ihren Worten auch Taten folgen lassen, damit die erforderliche Summe möglichst bald erreicht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Der sogenannte Jumbo-Kredit, eine ungute Hinterlassenschaft der 70er Jahre, wird abschließend geregelt: Alle rückständigen Forderungen — rund 760 Millionen DM — werden erlassen, und alle künftigen Forderungen in Höhe von rund 570 Millionen DM werden bei Fälligkeit in Zloty erbracht und für Projekte gemeinsamen Interesses in Polen eingesetzt.
    Wir werden zusätzlich Kapitalanlagen in Polen garantieren. Bei alledem gilt: Qualität vor Quantität. Es kommt zukünftig auf die Güte und nicht auf die Größenordnung eines Projekts an. Ich hoffe sehr, daß insbesondere der mittelständische Bereich in der Bundesrepublik Deutschland sich in Polen engagieren wird. Auf alle Fälle ist es unsere Pflicht, die Einzelprojekte mit größter Sorgfalt zu prüfen.



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    Meine Damen und Herren, diese weitreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Hilfsmaßnahmen für Polen haben wir uns sehr genau überlegt. Wir haben uns dabei von der Erwägung leiten lassen, daß der Erfolg der polnischen Reformen, gerade weil er auch in unserem eigenen Interesse liegt, einen hohen Einsatz wert ist und daß wir damit zugleich im Sinne einer innerwestlichen Lastenteilung einen substantiellen Beitrag zu den politischen Zukunftsaufgaben leisten, die unser Bündnis beim Gipfeltreffen Ende Mai dieses Jahres erneut bekräftigt hat.
    Ich will das noch einmal unterstreichen: Ich bin schon der Auffassung, daß das was wir als NATO-Mitgliedstaat, als Teil der EG hier für Polen leisten, auch im gesamteuropäischen Auftrag geschieht. Diese Unterstützung für Polen trägt zu einer Stabilisierung der Gesamtentwicklung bei. Diese Leistung sollten unsere westlichen Freunde gelegentlich bei anderen Diskussionen — wie beispielsweise burdensharing — sehr wohl berücksichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Viertens. Für uns von zentraler Bedeutung war, ist und bleibt die Sicherung der Rechte unserer Landsleute. Hier ist mit der Gemeinsamen Erklärung in der Tat der Durchbruch erreicht, auf den wir und insbesondere auch die Betroffenen seit Jahrzehnten gewartet haben.
    Bereits im Januar 1989 hatte das abschließende Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens mit seinen Bestimmungen über die kulturellen Rechte von Minderheiten Neuland betreten. Dann folgte in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Mazowiecki die Wende in der polnischen Nationalitätenpolitik.
    Wir haben jetzt in der Gemeinsamen Erklärung festgeschrieben:
    Beide Seiten ermöglichen es Personen und Bevölkerungsgruppen, die deutscher beziehungsweise polnischer Abstammung sind oder die sich zur Sprache, Kultur oder Tradition der anderen Seite bekennen, ihre kulturelle Identität zu wahren und zu entfalten.
    Der menschenrechtliche Standard der UN-Menschenrechtserklärung, des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie der KSZE-Dokumente wird auf Gegenseitigkeit verbürgt, das Prinzip von Gruppenrechten anerkannt. Darüber hinaus sind seit langem gewünschte Einzelregelungen festgeschrieben:
    Deutscher Sprachunterricht gleichmäßig in allen Landesteilen Polens;
    Möglichkeit zur Herstellung, Verbreitung und Einfuhr von Publikationen in deutscher Sprache;
    Gründung von Vereinigungen zur Pflege von deutscher Sprache, Kultur und Tradition.
    Damit geht auch endlich ein langgehegter Wunsch der deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in Erfüllung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Mit Dankbarkeit stelle ich auch fest, daß es nunmehr den zuständigen Trägerorganisationen beider Länder möglich ist, die Gräber der Kriegstoten zu pflegen und zu erhalten.
    Fünftens. In einem Europa gewidmeten Kapitel bekennen sich beide Seiten zu dem Ziel, die Trennung Europas zu überwinden und einen Kontinent des Friedens und der Zusammenarbeit — eine europäische Friedensordnung oder ein gemeinsames europäisches Haus — zu schaffen.
    Insbesondere bekennen wir uns auch mit Polen zu den Menschenrechten und ihrem Vorrang in der internationalen und der Innenpolitik, zum Selbstbestimmungsrecht der Völker und zum Recht jedes Staates, das eigene politische und soziale System frei zu wählen.
    Sechstens. Zu Anfang und am Ende der Gemeinsamen Erklärung sind die großen Ziele unserer Politik und zugleich der tiefe und langgehegte Wunsch beider Völker aufgezeigt, durch Verständigung und Versöhnung die Wunden der Vergangenheit zu heilen, das gegenseitige Vertrauen zu festigen und gemeinsam eine bessere Zukunft zu bauen.
    Seit vielen Jahren wurden diese Ziele immer wieder beschworen. Jetzt sind sie erstmals in einem feierlichen Dokument festgeschrieben. Ministerpräsident Mazowiecki und ich wissen dabei sehr wohl, daß man Versöhnung nicht von Staats wegen verordnen und daß Vertrauen, auch Vertrauen zwischen den Völkern, nur allmählich wachsen kann.
    So werden, meine Damen und Herren, auch die deutsch-polnischen Beziehungen heute und morgen von widersprüchlichen Gefühlen vieler Menschen, nicht zuletzt auf Grund ihrer persönlichen Erfahrungen, in beiden Ländern begleitet sein. Gerade sie möchte ich an die großen Persönlichkeiten der vergangenen vier Jahrzehnte erinnern, die immer wieder mutig für den Ausgleich eingetreten sind.
    Stellvertretend für viele nenne ich Stefan Kardinal Wyszynski. Er hat das Wort der polnischen Bischöfe aus dem Jahr 1965 an ihre deutschen Amtsbrüder — „wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung" — angeregt. Er wurde damals für dieses Wort vielfach angefeindet, und doch hat sich dieser Schritt als richtig und als wegweisend erwiesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    In ihrer Antwort baten die deutschen katholischen Bischöfe ihrerseits um Verzeihung. Es gibt ähnliche Dokumente von großer Innigkeit und Intensität seitens der evangelischen Kirchen.
    In diesem Geist des Friedens sind Ministerpräsident Mazowiecki und ich — und mit uns viele Deutsche und Polen — uns in Kreisau begegnet: an einem Ort, der an die besseren Kapitel deutscher Geschichte erinnert; an einem Ort, der für den deutschen Widerstand gegen Hitler steht. Ein Gottesdienst unter freiem Himmel, zelebriert vom Oppelner Bischof Nos-sol, mitgestaltet auch von Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Deutschland, bildete den feierlichen Rahmen.



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    Viele Tausende von Menschen aus Ober- und Niederschlesien, viele Landsleute waren angereist. Millionen von Menschen in beiden Ländern waren Zeugen des Geschehens am Fernsehschirm. Die meisten, so denke ich, werden empfunden haben, daß hier versucht wurde, im Geist der Versöhnung über Gräben Brücken in die Zukunft zu bauen.
    In Kreisau sind sich Deutsche und Polen neu begegnet. So haben Ministerpräsident Mazowiecki und ich noch an Ort und Stelle vereinbart, das frühere Gutshaus der Grafen von Moltke zu einer internationalen Begegnungsstätte auszubauen, bei der die Chance besteht, daß die Jugend Europas und vor allem die Jugend Polens und Deutschlands zusammenkommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Mit diesen umfassenden und weitreichenden Ergebnissen verknüpfen wir beide, der polnische Ministerpräsident und ich, die Hoffnung, daß wir ein weiteres Stück vorangekommen sind, auf dem Weg zu einer gemeinsamen, einer friedlichen, einer freundschaftlichen Zukunft unserer Völker und vor allem zu guter Nachbarschaft.
    Dieses Ziel ist durch die aktuellen Ereignisse in der DDR weder geschmälert noch gar zweitrangig geworden. Im Gegenteil: Es hat an Bedeutung gewonnen.
    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der Nacht vom 9. auf den 10. November hat sich die Lage der Nation im geteilten Deutschland grundlegend verändert. Nach über 28 Jahren hat der Freiheitswille unserer Landsleute in Ost-Berlin und in der DDR die Mauer und die Sperren, die uns voneinander trennten, friedlich überwunden. Vor den Blikken der Weltöffentlichkeit feierten die Menschen in Deutschland am vergangenen Wochenende nach fast drei Jahrzehnten der Trennung ein Fest des Wiedersehens, der Zusammengehörigkeit und der Einheit.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Im Mittelpunkt des Geschehens stand und steht Berlin. Vor aller Welt präsentiert sich diese Stadt mit ihren großartigen Menschen als d i e Stadt der Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Die Berlinerinnen und Berliner haben in einer uns alle bewegenden Weise bekundet, daß sie in ein und derselben Stadt leben, daß sie zusammengehören und zusammenkommen wollen.
    Wir empfinden in diesen Tagen in erster Linie Freude und Genugtuung darüber, daß die friedliche Kraft der Freiheit Grenzen zu überwinden und ein unbeschwertes Zusammenkommen von Familien, Freunden und Landsleuten zu ermöglichen vermag. Wir können stolz darauf sein, wie herzlich unsere Landsleute hier in der Bundesrepublik Deutschland empfangen wurden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Ich glaube, es ist angemessen, auch in dieser Stunde nicht die Opfer von Mauer und Stacheldraht, von Schießbefehl und Selbstschußanlagen zu vergessen. Die tiefen Wunden, die ein von den Menschen abgelehntes Regime geschlagen hat, sind noch lange nicht verheilt. Mauer und Grenzbefestigung sind Sinnbild für anmaßenden Machtwillen, für ideologische Verblendung. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen müssen auch jene zutiefst beschämen, die insgeheim oder öffentlich ihren Frieden mit der Mauer gemacht hatten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der FDP und Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, bei aller Freude über die neugewonnene Bewegungsfreiheit unserer Landsleute in der DDR dürfen wir nicht vergessen: Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Wir sind noch lange nicht am Ziel: Das Recht aller Deutschen auf Selbstbestimmung ist noch nicht verwirklicht; der Auftrag des Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, ist noch nicht erfüllt. Wir müssen bei aller Freude — dies will ich betonen — weiter besonnen bleiben und mit kühlem Verstand überlegt handeln.
    Gefragt sind jetzt Augenmaß und auch politische Phantasie. Zunächst geht es darum, daß die Welle der Sympathie, der Hilfsbereitschaft und der Solidarität nicht verebbt, die die Menschen am vergangenen Wochenende in Berlin und überall dort getragen hat, wohin unsere Landsleute gekommen sind. Es gilt, auch in der vor uns liegenden Zeit unseren Landsleuten in der DDR die dringend benötigte Unterstützung für die Neugestaltung in ihrer Heimat zu geben.
    Die Menschen in der DDR sind auf unsere Hilfe angewiesen. Eine Reihe von Maßnahmen können und müssen wir sofort — und, wo nötig, einseitig — ergreifen. In vielen anderen Bereichen kommt es jedoch entscheidend auch auf die Mitwirkung der DDR an:
    Die Ausreisewelle der vergangenen Wochen hat innerhalb der DDR zu einer Reihe von akuten Versorgungsengpässen geführt. Ich denke beispielsweise an die medizinische Versorgung und Betreuung der Bevölkerung.
    Die Bundesregierung hat bereits vor einigen Tagen die unentgeltliche Entsendung dringend benötigter Dialyseteams angeboten. Sie ist darüber hinaus bereit, bei der schwierigen Lage im Gesundheitswesen der DDR konkrete Hilfe zu gewähren.
    Unsere Angebote reichen von kurzfristig möglicher Unterstützung bei der Behebung personeller Engpässe und von Lücken in der Arzneimittelversorgung bis zur mittel- und langfristigen Zusammenarbeit in zahlreichen medizinischen Bereichen.
    Jeden Tag — auch das will ich hier einmal besonders hervorheben — melden sich Ärzte, Zahnärzte und medizinisches Fachpersonal, die Patienten in der DDR helfen wollen. Die Bundesregierung ist zu unverzüglichen Gesprächen über die Voraussetzungen für einen Einsatz von Ärzten und anderen medizinischen Hilfskräften aus der Bundesrepublik Deutschland im Gesundheitswesen der DDR bereit. Wir werden



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    selbstverständlich überall dort helfen, wo wir helfen können.
    Meine Damen und Herren, das gleiche gilt auch dort, wo wir von uns aus einen praktischen Beitrag dazu leisten können, daß unsere Landsleute ihre neugewonnene Reisefreiheit auch tatsächlich wahrnehmen können.
    Auch die Städtepartnerschaften erhalten ein ganz neues Gewicht. Sie können und müssen dazu genutzt werden, jetzt nicht nur Amtsinhaber zusammenzuführen, sondern Menschen aus allen Bereichen der Bevölkerung.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Wir alle empfinden große Freude darüber, daß Mauer und Stacheldraht jetzt wirklich durchlässig geworden sind. Der Reise- und Besucherverkehr hinüber und herüber ist damit ganz erheblich erleichtert worden. Es kommt jetzt darauf an, daß die zahlreichen neu geschaffenen Übergänge möglichst rasch für eine dauerhafte Öffnung hergerichtet werden.
    Wir sind — wie bisher — zur Zusammenarbeit mit der DDR bereit. Wir alle wissen beispielsweise, daß das Begrüßungsgeld allein keine tragfähige Lösung der Devisenprobleme sein kann, die sich aus der neugewonnenen Reisefreiheit und damit auch aus der neuen Dimension des Reiseverkehrs ergeben. Dieses Thema berührt uns beide. Wir werden sehr rasch und in Kürze darüber mit der DDR zu sprechen haben. Meine Absicht ist, möglichst bald eine Lösung für die allernächste Zeit zu erreichen. Ich gehe davon aus, daß uns die DDR-Führung in den bevorstehenden Gesprächen ihre Vorschläge übermitteln wird.
    Die DDR selbst wird hier einen erheblichen Beitrag zu leisten haben. Sie erzielt aus dem innerdeutschen Reiseverkehr Deviseneinnahmen und wird einen Teil dieser Einnahmen — das gilt vor allem für jene aus dem Zwangsumtausch — unmittelbar zum Nutzen der Menschen aufwenden müssen, um sie mit angemessenen Reisedevisen ausstatten zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was sind Sie bereit zu leisten? Keine einzige konkrete Vorstellung hat er!)

    — Es kann hier vorgetragen werden, was will, es findet nie Ihre Zustimmung. Aber das ist das Wesen Ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die bestehende Zusammenarbeit mit der DDR, insbesondere im Bereich des Umweltschutzes, wollen wir intensivieren. Bereits eingeleitete und vorbereitete Projekte werden wir selbstverständlich fortführen. So werden zur Zeit elf Umweltschutzprojekte abschließend geprüft. Wir betrachten sie deshalb als so wichtig, weil sie die Umwelt auf beiden Seiten entlasten.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was ist mit Schönberg?)

    Auch in anderen Bereichen liegt uns an Verbesserungen, die den Menschen hüben wie drüben unmittelbar zugute kommen. Ich denke dabei vor allem auch
    an eine schnelle Verbesserung des innerdeutschen Telefonverkehrs.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich gehe auch davon aus, daß nach Bildung der neuen Regierung in der DDR Ende dieser Woche auf der Ebene der Fachressorts möglichst schnell die notwendigen Kontakte aufgenommen werden. Im übrigen — auch das will ich anmerken — muß jetzt die DDR-Führung endlich den Weg dafür frei machen, daß die beim Bonner Besuch von Generalsekretär Honecker beschlossene Gemeinsame Wirtschaftskommission ihre Arbeit aufnimmt. Bisher ist das daran gescheitert, daß die für uns unabdingbare Einbeziehung West-Berlins von der DDR abgelehnt wurde. Ich hoffe, daß die DDR ihre Haltung in dieser zentralen Frage bald ändert. Berlin darf aus der Entwicklung nicht ausgeklammert werden. Ich bin in dieser Frage zu keinerlei Kompromiß bereit.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Entscheidend ist und bleibt ein grundlegender Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems in der DDR. Ich bekräftige hiermit erneut: Wenn ein solcher Wandel jetzt verbindlich und unumkehrbar in Gang gesetzt wird, sind wir auch zu einer völlig neuen Dimension der Hilfe und Zusammenarbeit bereit.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Keine konkreten Vorstellungen! — Zuruf von der SPD: Was heißt das?)

    Wir wollen niemandem unsere Vorstellungen aufdrängen. Aber niemand kann bestreiten, daß sich der Sozialismus als ein einziger Fehlschlag erwiesen hat.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich wiederhole, was ich vor einer Woche von dieser Stelle aus erklärt habe: ,,... wir wollen nicht unhaltbar gewordene Zustände stabilisieren . . .

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    ohne eine grundlegende Reform des Wirtschaftssystems, ohne den Abbau bürokratischer Planwirtschaft und den Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung" wird „wirtschaftliche Hilfe letztlich vergeblich" bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Menschen in der DDR haben Anspruch auf eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die ihnen einen gerechten Anteil an den Früchten ihrer Arbeit sichert. Planwirtschaft ist Bevormundung. Marktwirtschaft bedeutet Entscheidungsfreiheit, persönliche Selbstbestimmung und die Chance zum Wohlstand.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung am 11. November 1989, am vergangenen Samstag, die Führung der DDR aufgerufen, das Tor zu einem grundlegenden Wandel in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu öffnen. Reisefreiheit ist ein erster, wenn auch ein sehr wichtiger Schritt. Aber es geht um mehr, wenn die berechtigten Wünsche und Erwartungen



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    der Menschen in der DDR endlich erfüllt werden sollen. Sie wollen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie wollen die ganze Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Es geht um Meinungs- und Informationsfreiheit. Wer in den Westen reisen darf, der muß auch zu Hause westliche Zeitungen lesen können. Es geht um eine freie Presse, die ohne Eingriffe von Staat und Partei allein in journalistischer Verantwortung berichtet und kommentiert. Es geht um freie Gewerkschaften, die die Interessen der Arbeitnehmer frei von staatlicher und parteiamtlicher Weisung wahrnehmen können.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bravo!)

    Und es geht insbesondere um die Gründung von unabhängigen Parteien, die sich in freien, gleichen und geheimen Wahlen der souveränen Entscheidung des Wählers stellen und diese Entscheidung ohne Vorbehalt akzeptieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Dies alles, meine Damen und Herren, heißt, daß der ausschließliche Führungsanspruch, daß das Machtmonopol einer einzigen Partei der Vergangenheit angehören muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Es bedeutet auch, daß mit der unseligen Vergangenheit politischer Strafverfolgung in der DDR aufgeräumt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Letztlich — ich betone dies — kann dies nur durch eine umfassende Revision des Strafrechts geschehen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr richtig!)

    Deshalb kann die Amnestie vom 27. Oktober 1989, die wir begrüßen, die aber nur Flüchtlinge betrifft, nur ein erster Schritt sein. Sie muß aus Gründen der Gerechtigkeit rasch auf andere Personen ausgedehnt werden, die im Zusammenhang mit Flucht oder Übersiedlungsvorhaben belangt oder inhaftiert wurden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Die DDR-Führung sollte jetzt auch rasch die Begegnungsmöglichkeiten der Menschen in beiden Richtungen grundlegend erleichtern. Besuchsreisen aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR müssen spontan und ohne bürokratischen Aufwand möglich sein. Ziel muß eine visafreie Einreise in die DDR sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Außerdem kann die DDR durch eine umgehende Abschaffung ihrer Einfuhrgebühren bei der Mitnahme im Reiseverkehr dazu beitragen, daß vermehrt private und mitmenschliche Hilfe den Menschen in der DDR schnell und wirksam zugute kommt. Ich glaube, auch angesichts der bevorstehenden Weihnachtszeit wäre
    dies ein wichtiger Schritt für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze haben wir eine neue Dimension des Reiseverkehrs aus der DDR erhalten, die auch uns in der Bundesrepublik Deutschland vor neue Aufgaben stellt. Die Reisewelle am vergangenen Wochenende hat in eindrucksvoller Weise gezeigt, daß die große Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger bereit ist, gute Gastgeber zu sein.
    Ich möchte auch von dieser Stelle aus allen danken, die spontan mit ihrer Hilfe und Unterstützung dazu beigetragen haben, daß für viele aus der DDR diese erste Reise in ihrem Leben über die innerdeutsche Grenze zu einem unvergeßlichen Erlebnis wurde. Ich schließe in diesen Dank die Kirchen und die karitativen Einrichtungen ebenso ein wie die vielen Mitarbeiter in den kommunalen und staatlichen Behörden, in den Geschäften und all jene, die einfach bereit waren, mitzutun und mit offenem Herzen die Besucher aus der DDR zu empfangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    In seiner Sitzung vom 11. November hat das Bundeskabinett mein Angebot, einen grundlegenden Wandel in der DDR umfassend zu unterstützen, noch einmal nachdrücklich bekräftigt. Wir sind zu einer Hilfe bereit, die vor allem auch den Menschen direkt zugute kommt. Ich habe darüber auch eingehend mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Krenz am Telefon gesprochen und ihm vorgeschlagen, daß Bundesminister Seiters noch in dieser Woche zu vorbereitenden Gesprächen nach Ost-Berlin reist. Auf ausdrücklichen Wunsch von Herrn Krenz soll dies nicht in dieser Woche, sondern erst zu Beginn der kommenden Woche — nach Abschluß der Regierungsbildung in der DDR — geschehen. Das Treffen wird am kommenden Montag, dem 20. November, stattfinden.
    Bundesminister Seiters wird sowohl mit dem Staatsratsvorsitzenden Krenz als auch mit dem neu gewählten Ministerpräsidenten Modrow zusammentreffen. Vorgestern hat er mit anderen Vertretern der Bundesregierung und mit einem Repräsentanten des Berliner Senats über Gesprächsinhalte beraten.
    Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit überhaupt sagen: Ich halte es für ganz selbstverständlich — dazu bedarf es keinerlei öffentlicher Aufforderung — , daß wir in dieser besonderen Situation möglichst eng mit dem Berliner Senat zusammenarbeiten. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Wenn jeder der in Berlin Verantwortlichen weiß, wie pflegliche Umgangsformen aussehen sollten, dann wird es überhaupt keine Probleme geben.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung zu den jetzt bevorstehenden Gesprächen machen. Ich brauche hier nicht zu sagen, daß dies ungewöhnlich wichtige Gespräche sind, und zwar für beide Seiten; denn wir haben ein Interesse am Erfolg des Reformprozesses in der DDR. Deswegen werden wir — ich formuliere das einmal so — keine Zeit und keine Mühe scheuen, um diese Gespräche intensiv zu führen. Wenn ein erstes Gespräch nicht zum Erfolg führt, wird von unserer Seite ohne Zweifel die Bereitschaft bestehen, weitere Gespräche zu führen.
    Wir wollen bei den Gesprächen in Ost-Berlin erfahren, wie das Reformprogramm der DDR-Führung tatsächlich aussieht, welche konkreten Schritte sie sich vorgenommen hat, wie sich der angekündigte Wandel vollziehen soll und wie damit die Erwartungen der Menschen in der DDR erfüllt werden. Es geht uns — und auch mir — vor allem darum zu erfahren, wie sich die DDR-Führung die Durchführung der angekündigten freien Wahlen im einzelnen vorstellt, ob sie dafür einen angemessenen Zeitraum vorsieht, der für die Bürger akzeptabel ist, ob dies ein Termin ist, der auch eine vernünftige Vorbereitung eines solchen zentralen Ereignisses ermöglicht. Die Fragen, die hier entstehen, kann jeder von uns selbst beantworten.
    Der Staatsratsvorsitzende und ich haben vereinbart, in ständigem Kontakt miteinander zu bleiben und, wenn erforderlich, sofort miteinander Verbindung aufzunehmen. Das war — direkt und indirekt — in den letzten Tagen praktisch durchgehend der Fall.
    Wir haben vereinbart, daß wir uns auch bald persönlich in der DDR treffen — außerhalb von Ost-Berlin. Bei uns bestand Einigkeit, daß diese Entwicklung auf beiden Seiten — ich wiederhole es noch einmal — mit Besonnenheit und Augenmaß vonstatten gehen muß.
    Meine Damen und Herren, auch zu diesem Gespräch will ich sagen: Mein Wunsch ist, daß wir uns möglichst bald nach dem Treffen zwischen Herrn Seiters und den Verantwortlichen in der DDR persönlich treffen. Der Termin selbst ist jetzt einfach noch nicht zu fixieren. Ich habe auch den Eindruck, daß die Führung der DDR im Augenblick zunächst einmal daran interessiert ist, die Vorgespräche zu führen und dann erst diesen Termin zu bestimmen.
    Ich will hier noch sagen: Ich werde alles tun, um zu einem frühestmöglichen, vernünftigen Zeitpunkt dieses Gespräch oder — wenn sich daraus weiteres ergibt — diese Gespräche zu führen.
    Meine Damen und Herren, die Welle der Übersiedlungen aus der DDR scheint abzuebben. Offenbar hat die Öffnung der Grenzen den Menschen in der DDR Hoffnung gemacht,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    daß nun die weiteren notwendigen Reformen zügig in Angriff genommen werden. Neben den politischen Reformen muß es in nächster Zeit insbesondere auch darum gehen, die materiellen Lebensbedingungen für die Menschen in der DDR umfassend zu verbessern, damit sie sich in ihrer angestammten Heimat wohlfühlen und sie nicht verlassen. Auch dies war ein Thema bei unserer telefonischen Unterhaltung.
    Bei der Unterstützung des Wandels in der DDR geht es um eine nationale Verantwortung. Es geht aber auch um eine Aufgabe von europäischer Dimension. So wie sich der Wandel in Polen, in Ungarn und in der Sowjetunion auf die DDR auswirkt, so haben auch Erfolg oder Mißerfolg der Reformen in der DDR Rückwirkungen auf die übrigen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts. Alle Europäer sind gefordert, und das gilt ganz besonders auch für unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Ich habe deshalb Staatspräsident Mitterrand, dem Präsidenten des Europäischen Rates, vorgeschlagen, dieses Thema zu einem zentralen Thema beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EG Anfang Dezember in Straßburg zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Und ich begrüße es sehr, daß wir bereits am kommenden Samstagabend ein erstes informelles Vorgespräch, einen informellen Gipfel, in Paris haben werden.
    Ich empfinde es auch als einen positiven Schritt, daß der EG-Kommission in Kürze ein Mandat für Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EG und der DDR erteilt werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Frau Premierministerin Thatcher, Präsident Bush und Staatspräsident Mitterrand haben mir gegenüber ihre besondere Freude über die jüngste Entwicklung in Deutschland geäußert, ihre Bewunderung vor allem auch zum Ausdruck gebracht für die Friedfertigkeit, mit der die Menschen in der DDR diese Reformen durchsetzen. Und sie haben mir und uns ihre Glückwünsche für diesen Erfolg unserer Politik ausgesprochen und ihre weitere Unterstützung zugesagt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich habe mich natürlich über diese Glückwünsche gefreut; denn sie sind ja berechtigt. Und sie machen deutlich, daß unsere Politik auch in diesem Feld besonders erfolgreich war.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Das ist alles sehr peinlich!)

    Wir sind unseren Partnern und Freunden in der Gemeinschaft besonders dankbar. Wir wissen, daß wir auch weiterhin ihren Rückhalt brauchen; denn — das sage ich auch an dieser Stelle und angesichts der politischen Entwicklung — wir sind und bleiben Teil der westlichen Wertegemeinschaft. Und wir wissen, daß die Lösung der deutschen Frage und die Überwindung der Teilung Europas in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.
    Deshalb, meine Damen und Herren, wäre es auch ein verhängnisvoller Irrtum — und das sage ich auch in vielen Diskussionen dieser Tage in der Bundesrepublik — , es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, die westeuropäische Integration im Blick auf die Ent-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    wicklungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zu verlangsamen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Genau das ist nötig! Das muß offenbleiben!)

    Wir wollen, daß die Europäische Gemeinschaft für alle demokratischen Staaten Europas offenbleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, daß das Ziel der Gemeinschaft die Europäische Union bleibt.
    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freiheit war, ist und bleibt der Kern der deutschen Frage. Das heißt vor allem: Unsere Landsleute in der DDR müssen selbst entscheiden können, welchen Weg in die Zukunft sie gehen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Richtig!)

    Sie haben dabei keinerlei Belehrungen — von welcher Seite auch immer — nötig.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie wissen selbst am besten, was sie wollen. Das gilt auch für die Frage der deutschen Einheit, die Frage der Wiedervereinigung.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Wer unsere Landsleute nicht bevormunden möchte, der sollte ihnen jetzt auch nicht einreden, das Beste sei die staatliche Teilung unseres Vaterlandes.

    (Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn Selbstbesinnung, wenn Selbstbestimmung von uns — —

    (Duve [SPD]: Selbstbesinnung!)

    — Beides gehört zusammen, Herr Kollege.
    Wenn Selbstbesinnung, die zur Selbstbestimmung führt, einen Sinn macht, dann gilt es, diese Entscheidung zu respektieren.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Wir werden jede Entscheidung, die die Menschen in der DDR in freier Selbstbestimmung treffen, selbstverständlich respektieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält an ihrem deutschlandpolitischen Kurs fest.

    (Zuruf von der SPD: Das ist schlimm genug!)

    Es war und ist und bleibt ein erfolgreicher Kurs. Er dient den Menschen und nicht irgendeiner Ideologie. Wir sind entschlossen, unsere bisherige Politik des Dialogs und der praktischen Zusammenarbeit mit der DDR im Interesse der Menschen auf beiden Seiten fortzusetzen.
    Die vor uns liegenden Probleme bedeuten eine große Herausforderung. Sie erfordern Tatkraft und
    Phantasie, Behutsamkeit und Geduld. Wir kennen unsere Pflicht.

    (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies sind in der Tat bewegende Tage. Sie handeln ja auch von dem tiefgreifendsten Umbruch, den unser Teil der Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfährt. Verwunderlich wäre es gewesen, hätten die Winde der Veränderung um Deutschland einen Bogen gemacht.
    Die Deutschen in der DDR, ermutigt durch Gorbatschows Vorhaben der Perestroika — bei weitem noch nicht gesichert, wie wir alle wissen sollten — , ermutigt nicht nur durch die demokratischen Prozesse in Polen und Ungarn, auch herausgefordert durch die schlimmen Übergriffe von Sicherheitskräften gegen junge Menschen Anfang Oktober, gegen jugendliche Demonstranten, vor allem in Ost-Berlin, zusätzlich beeinflußt durch den Massenexodus wiederum überwiegend junger Menschen, haben auf machtvollen Kundgebungen, durch Demonstrationen und mit dem Ruf „Wir sind das Volk! " auf ihr Recht gepocht.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Sie setzten in wenigen Wochen durch, daß eine wohl noch nicht befriedigende, aber eine neue Informationspolitik eingeführt wurde, daß dem bisher verweigerten Recht auf Besuche und Reisen Rechnung getragen wird. Die politische Führung wurde umbesetzt. Und Mitglieder der Einheitspartei erzwangen, daß durch einen Parteitag noch in diesem Jahr sich andeutende weitere wichtige Veränderungen auf den Weg gebracht werden, was jenen Teil des politischen Spektrums angeht.
    Wichtiger noch: Man kann schon heute bei einer vernünftigen Zwischenbilanz feststellen: Der Führungsanspruch der einen Partei läßt sich nicht mehr aufrechterhalten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Daraus folgt logisch, daß Art. 1 der Verfassung der DDR vor Wahlen gestrichen werden muß.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Politischer Pluralismus bricht sich Bahn. Freie Wahlen werden im nächsten Jahr in der DDR auf der Tagesordnung stehen.
    Jemand, der ein Jahrzehnt lang Verantwortung in Berlin getragen hat, in nicht immer ganz einfachen Situationen, dem geht das besonders nahe, was sich in der alten deutschen Hauptstadt abspielt. Ich gebe offen zu: Ich habe meiner Tränen kaum Herr werden



    Brandt
    können. Aber dann so viel Fröhlichkeit, so wenig Verkrampftheit, so wenig Aggression, das läßt hoffen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Die Pfiffe vor dem Rathaus am letzten Freitag — ich habe früher übrigens auch schon welche hören müssen — habe ich nicht gern gehört; ich habe sie wirklich nicht gern gehört.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Doch Pöbel war das nicht, wie ich hier und da gelesen habe.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Es waren sehr viele Landsleute aus dem anderen Teil der Stadt dabei.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Man kann sich das Volk schlecht aussuchen! — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich kritisiere nichts, sondern ich frage uns miteinander über diesen konkreten Anlaß hinaus, ob unsere politische Sprache der veränderten Gemütslage der Nation hinreichend gerecht wird,

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    ob man zumal mit überzogener Selbstsicherheit dem gerecht wird, was neu auf uns zukommt.

    (Zustimmung der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

    Denn wir müssen uns alle miteinander sagen, daß Überheblichkeit ebensowenig angebracht ist wie die Attitüde der beleidigten Leberwurst.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Gescheitert, Herr Bundeskanzler, sind übrigens in meinem Verständnis und dem Verständnis vieler meiner Freunde im bisherigen östlichen Machtblock nicht die Vision, nicht die Grundwerte einer freiheitlichen Sozialdemokratie, sondern das kommunistische Herrschaftssystem und dessen Entsprechung in Form bürokratischer Mißwirtschaft.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die Bürokratie und der Apparat!)

    Stalin noch nachträglich einen Sozialisten nennen zu wollen wäre ähnlich absurd, wie aus Hitler einen verirrten deutschen Freiheitskämpfer zu machen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Doch vielerorts zeichnet sich auch im anderen Teil Deutschlands eine Renaissance freiheitlicher Sozialdemokratie ab.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Nicht nur!)

    Ich habe das besonders deutlich am Freitagabend gespürt, als ich mit meinem Parteivorsitzenden im anderen Teil Berlins mit den Freunden von der Sozialdemokratischen Partei in der Deutschen Demokratischen Republik beisammen war.
    Ich war und bleibe der Meinung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß Europa nicht Einförmigkeit braucht und nicht Einfarbigkeit braucht, nein, in Europa — das gilt heute für die Europäische Gemeinschaft, und es muß morgen für das größere Europa gelten — muß Platz sein für alle relevanten Strömungen der europäischen Demokratie,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    für linke und rechte, liberale und konservative, christliche und soziale Demokraten.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Und was ist mit den GRÜNEN?)

    Meine Damen und Herren, über den Tag hinaus handelt der Prozeß, den wir erleben — geschichtlich wird es einmal so gewertet werden — , vom Zusammenwachsen der Teile Europas, nicht von heute auf morgen, aber wohl zu einem wesentlichen Teil noch in dem Jahrzehnt, das vor uns liegt. Falsch wäre es — da berühren sich meine Gedanken sehr stark mit den vom Bundeskanzler vorgetragenen — , ganz falsch wäre es, aus einer mißverstandenen europäischen Perspektive ableiten zu wollen, wir bräuchten uns um die Europäische Gemeinschaft nicht mehr so viel Mühe zu geben. Das Gegenteil ist richtig.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Hierin stimmen die deutschen Sozialdemokraten mit der die Bundesregierung tragenden Koalition überein. Die hiervon abweichende Stellungnahme von Mrs. Thatcher, der britischen Premierministerin, ist abwegig.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stercken [CDU/CSU])

    Für unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft ist es gerade jetzt wichtig, zu wissen, daß wir auf breiter Basis in diesem Bundestag und in unserem Volk entschlossen sind, am Ausbau der Gemeinschaft unvermindert und unverdrossen mitzuwirken mit allem, was die Bundesrepublik Deutschland darstellt und was sie zu leisten vermag.
    Was freilich jetzt hinzukommen muß, ist eine aktivere Ostpolitik der Europäischen Gemeinschaft.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Ich finde es ja gut, daß der französische Staatspräsident zu dem Treffen am Samstag eingeladen hat, gut auch wegen des Zeitpunkts. Es wäre ja noch schöner, wenn die Europäer nicht ihre Meinung klärten, bevor die beiden ganz Großen auf ihrem Schiff in der Nähe von Malta zusammentreffen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Die Staats- und Regierungschefs sollten in Paris gut zuhören, wenn ihnen Jacques Delors vorträgt, was sich die Kommission zu dem Thema, das ich eben nenne, hat einfallen lassen. Es kann sich jetzt nicht darum handeln, denke ich, einen Gesamtplan zu entwickeln für Hilfe und Zusammenarbeit mit allen zentral- und osteuropäischen Staaten, mit allen, die sich auf dem Weg der Neuorientierung befinden. Denn die tatsächlichen Gegebenheiten — ich denke, wir wissen das hier miteinander — unterscheiden sich erheb-



    Brandt
    lich von Staat zu Staat, deshalb auch die unterschiedlich zu entwickelnden Formen und Intensitäten der vor uns liegenden Zusammenarbeit.
    Unbestritten aber sollte sein, daß die Bereitschaft zu im Niveau angehobener Zusammenarbeit, d. h. einer solchen, die über einen Handelsvertrag hinausreicht, auch die DDR einbezöge. Dies entspräche im übrigen einer zusätzlichen, uns hilfreichen Einbettung der deutschen Dinge in die gerade für uns so wichtigen Europäischen Zusammenhänge.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU])

    Ich meine auch, daß wir beginnen müssen, konkreter zu werden, in Brüssel und anderswo, mit Blick auf die 90er Jahre — und die haben wir ja rasch erreicht —, wie die Elemente gesamteuropäischer Politik zusammengefügt werden können.
    Element eins: was aus den Wiener Verhandlungen heraus wächst; das jetzt mögliche System europäischer Friedenssicherung. Ich bin entschieden der Meinung, daß wir in den nächsten Jahren — nicht erst Ende der 90er Jahre — eine gesamteuropäische Umweltschutzorganisation brauchen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN, der CDU/CSU und der FPD)

    Die Gemeinschaft hat sich ja lange Zeit gelassen mit ihrer Umweltbehörde. Jetzt ist es soweit. Ripa di Meana, der zuständige Kommissar, hat vorgeschlagen, die sollte man nach Berlin tun. Das könnte gut passen, denn der Ort wäre auch für die andere Dimension der europäischen umweltpolitischen Zusammenarbeit gut geeignet, denke ich mir.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

    Also europäische Friedensordnung, europäische Ökologiepolitik und dann drittens gefächert unterschiedliche Formen von Assoziierungen bis hin zu neuen Mitgliedschaften. Das wird sich in den 90er Jahren in erheblichem Maße klären, denke ich mir.
    Zu Polen, Herr Bundeskanzler, wird sich mein Freund Hans Koschnick noch in einem eigenen Beitrag äußern, aber sicher sind wir auch hier nicht auseinander, wenn wir sagen: Polen bleibt für uns Deutsche ein europäischer Partner von ganz besonderem Rang,

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    aus historischen Gründen ebenso wie wegen der Chancen jetziger und künftiger Zusammenarbeit; und das dem polnischen Volk zugefügte unermeßliche Leid kommt noch immer hinzu.
    Die schon in früheren Jahren angestrebte Aussöhnung, die ja nie durch irgendein Regierungsdokument oder durch irgendeinen Druck auf den Knopf erreicht wird, bleibt eine ganz wichtige Aufgabe nicht nur der deutschen Politik, sondern unseres Volkes im ganzen. Wie könnte die sozialdemokratische Seite dieses Hauses — aber ich denke, das gilt etwa auch für die Kollegen von der grünen Fraktion —, wie könnte zumal die sozialdemokratische Seite etwas dagegen haben, wenn die gute Nachbarschaft, von der die Rede war, durch den Kanzlerbesuch erheblich nähergerückt ist?
    Sogar der lange Text der gemeinsamen Erklärung liest sich gut.

    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Die eine oder andere Panne hat nicht verhindert, hat nicht verhindern können, daß der Besuch ein Erfolg wurde.

    (Beifall bei der SPD, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Das ist doch der deutschen Sache wegen zu begrüßen, und warum sollte ich daran herumkritteln wollen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das macht der Vogel dann!)

    Daß über die Rechte und Möglichkeiten der deutschen Minderheit jetzt etwas vereinbart werden konnte, was mit den voraufgegangenen polnischen Regierungen nicht möglich war, könnte auch uns alle zufrieden stimmen.
    Helmut Kohl wird vermutlich der Aussage zustimmen — wenn auch vielleicht nicht gleich öffentlich —, daß es Termine gibt, die vom Liegenlassen nicht besser werden,

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch nicht billiger.


    (Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN — Beifall der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

    Aber trotzdem, mich beeindruckt die Großzügigkeit der getroffenen Vereinbarungen, und ich stimme zu: Davon könnten sich andere wahrscheinlich eine Scheibe abschneiden.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    In der leidigen Grenzfrage wäre Bundeskanzler Kohl meines Erachtens gut beraten gewesen, hätte er sich stärker mit dem Text angefreundet, den der Bundestag hier beschlossen hat,

    (Beifall bei der SPD)

    oder auch mit jenem Text, für den der Bundesaußenminister auf der Berliner Kundgebung am vergangenen Freitag sehr starken Beifall bekommen hat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)

    Meine verehrten Kollegen, aus meiner Sicht geht es überhaupt nicht darum, geht es wirklich nicht darum, ob man die nach 1945 getroffene Grenzregelung für gerecht hält. Ich habe sie nicht für gerecht gehalten und habe das auch schwarz auf weiß festgehalten. Aber dem wäre ja, sobald man dieses Argument brächte, sehr viel anderes entgegengehalten worden — und würde es immer noch.
    Was die heutige Lage angeht: Natürlich kann die Bundesregierung Verpflichtungen nur für die Bundesrepublik Deutschland eingehen. Doch ich war schon 1970 der Meinung — und diese meine Meinung hat sich nicht geändert — : Niemand, auch nicht noch so tüchtige Juristen, kann uns daran hindern, unser



    Brandt
    Wort auch für den Fall zu geben, daß wir, was immer an uns liegt, an einer friedensvertraglichen Gesamtregelung mitzuwirken hätten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)

    Und ich kann nur hinzufügen: Hoffentlich wird nicht noch einmal eine Fußangel daraus, daß dies Nachfolgern vorbehalten bleibt.
    Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, neu und wiederholt stellt sich die Frage nach der deutschen Einheit. Offensichtlich halten die Landsleute in der DDR das Thema Wahlen jetzt für das vorrangige, und das kann ich verstehen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Keiner von uns wird dem widersprechen wollen. Ich habe, wie mancher hier weiß, auch wenn er es nicht immer richtig eingeordnet hat, was ich bedaure, seit vielen Jahren mein Problem mit dem „Wieder" bei der Vereinigung, weil ich überzeugt war und bin: Dies suggeriert, als könnte etwas wieder so werden, wie es einmal war.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Nein, das „Wieder" bezieht sich auf die Einheit!)

    Und außerdem steht es nicht im Grundgesetz, Herr Kollege Dregger.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Aber im Deutschlandvertrag!)

    Das Grundgesetz fordert uns auf, für Selbstbestimmung und Einheit in Freiheit und für Europa — das haben viele vergessen; schon 1949 — zu wirken.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Ich gebe zu, ich habe auf den anderen, an vergangene Vorstellungen erinnernden Begriff hingewiesen. Ich habe in diesem Zusammenhang gelegentlich sogar von einer Lebenslüge gesprochen. Ich kann nur davon abraten, hiergegen den „Zitaterich" in Anspruch zu nehmen; dabei kommt nichts heraus. Da sollte man miteinander so seriös wie möglich prüfen, was denn jetzt möglich ist.
    Ich stehe zu dem, was ich — nicht an dieser Stelle; denn wir waren an einer anderen Stelle, nicht weit von hier — in meinem ersten Bericht zur Lage der Nation im Januar 1970 festgehalten habe, mit für mich auch heute noch eindeutigen deutschlandpolitischen Orientierungen, damals, am Beginn unserer Art von Vertrags- und Entspannungspolitik, d. h. mit dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Streben nach nationaler Einheit, dem erreichbaren Maß an nationaler Einheit und Freiheit im Rahmen einer europäischen Friedensordnung.
    Was wir erleben , meine Damen und Herren, das hat nun zu einem nicht unerheblichen Teil zu tun mit dem Heranwachsen einer Einheit von unten. — Ich zögere jetzt ein bißchen, weil es so aufgefaßt werden könnte, als halte ich das Volk für etwas, was unten ist — im
    Verhältnis zu uns. Aber ich meine: von der Basis her, wie es im Neudeutschen heißt. Die Einheit wächst von den Menschen her, auf eine Weise, die so kaum jemand vorausgesehen hat.
    Die zweite Kategorie der hiermit verbundenen Gedanken handelt vom Verhältnis zwischen den beiden Staaten. Da kann ich — zusätzlich zu dem, was in der Regierungserklärung vorgetragen wurde — nur freundlich und dringend raten, abklopfen zu lassen, was der Staatsratsvorsitzende der DDR in seiner Rede am 10. November, also am letzten Freitag, über unterschiedliche Formen gemischter Kommissionen vorgetragen hat. Die eine, die schon einmal vereinbart war — und bei der übrigens ein Kollege, der jetzt im Berliner Senat sitzt, dafür gesorgt hat, daß es ein deutscher Standpunkt war, Berlin müsse dazugehören —, war die Wirtschaftskommission. Der Staatsratsvorsitzende hat andere gemischte Kommissionen angesprochen. Ich weiß nicht, ob das alles vernünftig ist. Aber ich würde es abklopfen lassen, sehen, was drinsteckt. Ich begrüße sehr, was über ärztliche Hilfe gesagt worden ist. In manchen Gebieten des Gesundheitswesens gibt es drüben Engpässe. Der Hartmannbund ist mit seiner Stellungnahme heute früh, glaube ich, ein bißchen zu optimistisch.

    (Duve [SPD]: Sehr wahr!)

    Ich würde der Regierung auch dazu raten, bestehende deutsch- deutsche Institutionen und Vereinbarungen daraufhin zu überprüfen, ob sie neu entwicklungsfähig sind. Da der Bundeskanzler von einem Sachverständigengremium in bezug auf wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Polen gesprochen hat, sage ich, auch auf die DDR bezogen, könnte es ein Vorteil sein,

    (Bundeskanzler Dr. Kohl: Das wollen wir auch!)

    wenn möglichst ideologiefrei erfahrene Frauen oder Männer aus der Industrie, aus der Bankenwelt und aus der praxisbezogenen Wissenschaft miteinander berieten; meistens haben sie den Kopf noch ein bißchen freier als diejenigen, die jeden Tag ihrem politischen Geschäft nachgehen müssen. — Also, das ist die zweite Kategorie.
    Die dritte ist dann die, die von der staatlichen Einheit oder von der Neuvereinigung handeln würde, wenn die Menschen in der DDR dies in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts so wollen. Ich würde keine Option ausschließen, keine Option abweisen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    Und ich füge hinzu, bei allem Respekt vor den Statusmächten, auch nach Jahrzehnten, die vergangen sind: das ist ja wohl nicht denkbar, daß wir noch einmal wie Ende der 50er Jahre eine Situation bekommen, wo die Vier etwas verhandeln und irgendwelche Deutschen an Katzentischen Platz nehmen;

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    das ja wohl nicht.
    Übrigens, Einheit besteht ja auch nicht nur aus den großen Dingen. Zur Einheit gehört auch die Freizü-



    Brandt
    gigkeit für frühere Flüchtlinge aus der DDR einschließlich der von den bisherigen DDR-Regierungen Ausgebürgerten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Da der Bundeskanzler zu Recht von der vielen Hilfe für Nachbarn gesprochen hat, die aus dem anderen Teil Deutschlands übergesiedelt sind, füge ich hinzu: ich finde, viele Mitarbeiter der karitativen Organisationen verdienen von uns ein Wort der Anerkennung.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Viele haben um die Uhr herum gearbeitet. Ich gebe den Verantwortlichen in Bund und Ländern den Rat, ob nicht hier und da als ein kleiner Ausgleich auch mal ein paar Tage Dienstbefreiung für die möglich wären, die so um die Uhr herum tätig gewesen sind und es sind.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Eine letzte Erwägung, wenn ich darf. Mir ist ganz unvergessen, Herr Bundeskanzler, wie Ludwig Erhard, der damalige Bundeskanzler — nein, lassen Sie mich den Satz anders anfangen. Es ist erstens unvergessen, wie es einen bedeutenden, auf seine Weise großen Bundeskanzler dieser Republik, nämlich Konrad Adenauer, die Mehrheit gekostet hat, daß er nicht zur angemessenen Reaktion auf die Vorgänge in der DDR fand. Das hat ihn die Mehrheit bei der Bundestagswahl 1961 gekostet; aber es war sein Problem, nicht so sehr das unsere. Wir wären damals sicher gern schon ein bißchen stärker geworden. Und dann habe ich danach nicht vergessen, wie sich Bundeskanzler Ludwig Erhard, als es um die Folgen der Mauer und um den Versuch ging, die besonders unmenschlichen Folgen der Mauer abbauen zu helfen, leicht dazu durchgerungen hat, den Berliner Bürgermeister, der dann auch Vorsitzender seiner Partei wurde, und den Vorsitzenden des Gesamtdeutschen Ausschusses, wie wir damals sagten, der auch nicht zur Regierung gehörte, an den Kabinettstisch zu bitten, wenn über Fragen von nationaler Verantwortung zu sprechen war.
    Jetzt lasse ich andere Situationen außen vor. Ich könnte da ja auch sagen: Wer hat es vergessen, daß Helmut Schmidt, als er Bundeskanzler war, bei kritischen Situationen alle an einen Tisch — ich hätte fast gesagt: runden Tisch — gebeten hatte? Aber die Form des Tisches ist wirklich schnuppe.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Damals war jeder einzelne Mensch wichtig, und wir haben es uns alle miteinander nicht leichtgemacht.
    Daß aber jetzt in einem so ungeheuer wichtigen, vielleicht entscheidenden Abschnitt deutscher Geschichte das organisierte Zusammenwirken aller Kräfte nicht nötig sein sollte, das würden viele Menschen in unserer Bundesrepublik nicht verstehen, und sie hätten recht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Es geht einmal darum, was wir für die DDR, d. h. für die Menschen in der DDR, tun können. Das ist zunächst eine Sache der beiden Regierungen — ohne sie
    auf eine Stufe stellen zu wollen. Aber Sie werden doch die Opposition nicht ausschließen wollen, wenn es um dieses Thema geht. Man wird das in Wirklichkeit auch nicht können, weil Deutschland, die deutschen Themen dieser Tage keine Kabinettsache mehr sind.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)

    Es kommt manches hinzu, was außerhalb des engeren politischen Spektrums liegt. Ich habe, als ich gestern abend aus Brüssel zurückkam, mit großem Respekt gelesen, was Kurt Biedenkopf und Georg Leber gemeinsam an Gedanken über eine Solidaritätsstiftung des deutschen Volkes zu Papier gebracht haben. Ich denke, das sollte man aufmerksam prüfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe positiv vermerkt, daß manche Anregungen des Vorsitzenden meiner Partei in den praktischen Teil, auf die DDR bezogen, eingeflossen sind, vermutlich mit beeinflußt durch Gespräche, die Bundesminister Seiters zu diesen Themen schon geführt hat. Ich begrüße dies.
    Herr Bundeskanzler, Sie sagen gelegentlich — das ist auch wohl so —, daß Sie Geschichte studiert haben. Da dies so ist, können Sie nicht bei der Meinung bleiben, der runde Tisch sei besetzt durch Situationen, in denen eine Diktatur abgelöst wird.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hier ist der runde Tisch für alle!)

    Die Tradition des runden Tisches geht in das 6. Jahrhundert zurück, nämlich auf den König Artus.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wer die Geschichte dieses Jahrhunderts verfolgt hat — ich bin nun ein bißchen älter und habe das mehr präsent — , der weiß, welche entscheidende Rolle die Round-table-Konferenzen z. B. des britischen Weltreiches gespielt haben: Indien ist durch Verhandlungen am Round-table ein selbständiges Land geworden; dann kam Gandhi dazu. Die Labour Party, die nicht an der Regierung war, wurde eingeladen, kam aber nicht immer.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    — Ich bin auch nicht sicher, ob die Sozis immer kommen. — Aber dies ist doch vernünftig.
    Mißverstehen Sie mich bitte nicht: Ich bin gegen künstliche Gemeinsamkeit. Ich sage dieses als einer, der sich, als die Gemeinsamkeit leider nicht möglich war, mit den Ostverträgen, mit Helsinki, mit dem Nichtverbreitungsvertrag mit einer sehr knappen Mehrheit hat helfen müssen. Solche Situationen gibt es.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Aber das ist doch nicht ideal. Wenn es geht, ist es doch ein Vorteil — das habe ich vorhin am Beispiel Europa klargemacht — , wenn man sich auf eine breite Zustimmung, in diesem Fall vor allem des Deutschen Bundestages, stützen kann. Was heute ansteht, erlaubt und erfordert wohl auch weithin gemeinsame Antworten. Für Parteipatriotismus, überzogenen Par-



    Brandt
    teipatriotismus bleibt jetzt objektiv nicht soviel Raum, sondern die Interessen unseres Volkes gebieten ein hohes Maß an nationaler Gesamtverantwortung und Solidarität.
    Danke schön.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)