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    Plenarprotokoll 11/173 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 173. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Czaja 13009A Erweiterung der Tagesordnung 13009 A Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 20. April 1989 zu dem Protokoll zu dem Europäischen Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen (Drucksache 11/5319) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 160 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1985 über Arbeitsstatistiken (Drucksache 11/5316) c) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Pick, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksache 11/5483) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksache 11/5585) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofes (Drucksache 11/5584) 13009B Tagesordnungspunkt 4: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hensel, Dr. Lippelt (Hannover) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Doppelstaatsangehörigkeit für Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 11/5275) Dr. Kohl, Bundeskanzler 13010 B Dr. Vogel SPD 13018 C Dr. Dregger CDU/CSU 13026 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13030 C Mischnick FDP 13034 A Momper, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 13037 C Dr. Bötsch CDU/CSU 13040 B Büchler (Hof) SPD 13042 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB 13044 B Dr. Knabe GRÜNE 13046A Genscher, Bundesminister AA 13048 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 13052 A Hoppe FDP 13054 C Reddemann CDU/CSU 13055 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 Gansel SPD 13057 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13059 A Jahn (Marburg) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 13059B Dr. Ehmke (Bonn) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 13063 A Dr. Haack SPD (Erklärung nach § 31 GO) 13063 C Namentliche Abstimmungen . 13060A, 13063 A Ergebnisse 13061 B, 13064 C Tagesordnungspunkt 5: Beratungen ohne Aussprache a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Jahresbericht der Kommission über die Durchführung der Richtlinie des Rates über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub (Drucksachen 11/2266 Nr. 2.25, 11/4810) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien 81/602/EWG und 88/146/EWG hinsichtlich des Verbots von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung und von Stoffen mit thyreostatischer Wirkung (Drucksachen 11/4534 Nr. 2.18, 11/5305) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare elektromedizinische Geräte (Drucksachen 11/4161 Nr. 2.18, 11/5445) d) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses: Übersicht 14 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 11/5481) 13060B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. die Haltung der Bundesregierung zur gerichtlichen Feststellung über die Unzulässigkeit des Betriebs der Atomanlage in Hanau Kleinert (Marburg) GRÜNE 13077 B Schmidbauer CDU/CSU 13078 C Reuter SPD 13079 C Frau Dr. Segall FDP 13080 B Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 13081A Harries CDU/CSU 13081 C Stahl (Kempen) SPD 13082 C Baum FDP 13083 C Dr. Kübler SPD 13084 A Dr. Friedrich CDU/CSU 13085 A Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 13085 C Schäfer (Offenburg) SPD 13087 C Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 13088 C Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde — Drucksache 11/5528 vom 3. November 1989 — Gespräche mit der Autoindustrie über die Verringerung des Benzinverbrauchs und die Einführung von „Flottenverbrauchswerten" MdlAnfr 3 Dr. Kübler SPD Antw PStSekr Grüner BMU 13063 D ZusFr Dr. Kübler SPD 13064 A Auswirkung des Binnenmarktes ab 1993 auf den Arzneimittelsektor; Harmonisierung des Arzneimittelrechts MdlAnfr 11, 12 Kirschner SPD Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 13066B, 13067 A ZusFr Kirschner SPD 13066D, 13067 B Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes mit dem Ziel der Zahlung einer ruhegehaltsfähigen Zulage bei Wahrnehmung höherwertiger Tätigkeiten MdlAnfr 17 Steiner SPD Antw PStSekr Spranger BMI 13067 D ZusFr Steiner SPD 13068 A Aufhebung der Visumspflicht für die Einreise ungarischer Staatsangehöriger in die Bundesrepublik Deutschland MdlAnfr 22 Dr. Wulff CDU/CSU Antw PStSekr Spranger BMI 13068 C ZusFr Dr. Wulff CDU/CSU 13068 D Vergabe von Jagdrechten für Grundeigentum der Bundesrepublik Deutschland MdlAnfr 23 Dr. Wulff CDU/CSU Antw PStSekr Carstens BMF 13069B ZusFr Dr. Wulff CDU/CSU 13069 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 III Manöverschäden durch die Bundeswehr und die NATO-Verbündeten im Bundesgebiet von 1976 bis 1988 MdlAnfr 25 Dr. Kübler SPD Antw PStSekr Carstens BMF 13069 D ZusFr Dr. Kübler SPD 13070 A Ausklammerung der Schadstufe 1 bei der Waldschadenserhebung 1989 MdlAnfr 26, 27 Dr. Knabe GRÜNE Antw PStSekr Gallus BML 13070C, 13070 D ZusFr Dr. Knabe GRÜNE 13071A, 13072A ZusFr Kreuzeder GRÜNE 13072 B ZusFr Frau Flinner GRÜNE 13072 D ZusFr Frau Saibold GRÜNE 13073A, 13073 B ZusFr Oostergetelo SPD 13073 C ZusFr Frau Wollny GRÜNE 13073 D ZusFr Brauer GRÜNE 13074 A ZusFr Hüser GRÜNE 13074B, 13074 C ZusFr Frau Hensel GRÜNE 13074 D Erhöhung des Reports für Getreide MdlAnfr 28 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 13075 A ZusFr Eigen CDU/CSU 13075 B ZusFr Oostergetelo SPD 13075 D Behinderung des Imports von Agrarprodukten in die USA MdlAnfr 29 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 13076 A ZusFr Eigen CDU/CSU 13076 A Umsetzung der EG-Verordnung zur Einführung vorübergehender landwirtschaftlicher Einkommensbeihilfen MdlAnfr 30 Oostergetelo SPD Antw PStSekr Gallus BML 13076 C ZusFr Oostergetelo SPD 13076D Nächste Sitzung 13089 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13091* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/5589 des Abgeordneten Sauer (Salzgitter) und weiterer Abgeordneter der CDU/CSU 13091* B Anlage 3 Erklärung nach § 31 Ahs 1 GO des Abgeordneten Dr. Kappes (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/5589 13092 * B Anlage 4 Trassenführung der neuen Eisenbahnstrecke Köln—Rhein/Main MdlAnfr 1, 2 — Drs 11/5528 — Dr. Weng (Gerlingen) FDP SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV 13092* C Anlage 5 Aufbereitung der Uranerze aus Menzenschwand und Ellweiler in der CSSR; Menge der freigesetzten radioaktiven Isotope MdlAnfr 4 — Drs 11/5528 — Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE SchrAntw PStSekr Grüner BMU 13092* D Anlage 6 Verschärfung der Wärmeschutzverordnung für Neubauten MdlAnfr 5 — Drs 11/5528 — Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE SchrAntw PStSekr Echternach BMBau 13093* A Anlage 7 Stand der Beratungen zum neuen Umwelthaftungsrecht MdlAnfr 7 — Drs 11/5528 — Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Jahn BMJ 13093* B Anlage 8 Aushöhlung der Auflagen von Bundeswirtschaftsminister Dr. Haussmann für die Fusion Daimler-Benz/MBB durch Verschiebung von Aufträgen und „Ausschlachtung" der zu verkaufenden Teile von MBB MdlAnfr 8, 9 — Drs 11/5528 — Dr. Jens SPD SchrAntw PStSekr Dr. Riedl BMWi 13093* C Anlage 9 Zurverfügungstellung einer Waschmaschine an die nach Namibia abgestellten Grenzschutzbeamten MdlAnfr 18 — Drs 11/5528 — Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI 13094* B IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 Anlage 10 Unterwanderung des Bundesgrenzschutzes durch Mitglieder der „Republikaner" MdlAnfr 20, 21 — Drs 11/5528 — Duve SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI 13094* C Anlage 11 Verlängerung der Laufzeit des § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung MdlAnfr 24 — Drs 11/5528 — Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Carstens BMF 13095* A Anlage 12 Änderung des § 37 (2) SGB V zur Aufhebung der Beschränkung der ärztlichen Behandlung durch die Krankenkassen im Zusammenhang mit der häuslichen Krankenpflege MdlAnfr 31 — Drs 11/5528 — Frau Schmidt (Nürnberg) SPD SchrAntw PStSekr Seehofer BMA 13095* B Anlage 13 Anteil der von Lohnpfändungen bedrohten Arbeitslosen MdlAnfr 32 — Drs 11/5528 — Dr. Müller CDU/CSU SchrAntw PStSekr Seehofer BMA 13095* D Anlage 14 Nichtausschöpfung der Möglichkeiten für Knochenmarkübertragungen wegen Personalmangels MdlAnfr 33 — Drs 11/5528 — Frau Walz FDP SchrAntw PStSekr Seehofer BMA 13096* B Anlage 15 Beförderungspraxis bei der Bundeswehrverwaltung MdlAnfr 34, 35 — Drs 11/5528 — Heistermann SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg 13096* C Anlage 16 Verbesserung der Beförderungsmöglichkeiten der Beamten der Bundeswehrverwaltung MdlAnfr 36 — Drs 11/5528 — Steiner SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg 13097* A Anlage 17 Vergabe einer Lizenz zur Fertigung von G3-Gewehren durch die bundeseigene Firma Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen im Iran; Rückflüsse aus dieser Lizenz an den Bundeshaushalt bis Ende der 70er Jahre; Vereinbarkeit mit Art. 26 Abs. 1 GG und Endverbleibsregelung MdlAnfr 37, 38 — Drs 11/5528 — Frau Vennegerts GRÜNE SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg 13097* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 13009 173. Sitzung Bonn, den 8. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 10. 11. 89 Böhm (Melsungen) CDU/CSU 10. 11. 89 * Büchner (Speyer) SPD 10. 11. 89 ** Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 10. 11. 89 ** Clemens CDU/CSU 8. 11. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 10. 11. 89 Frau Eid GRÜNE 10. 11. 89 Dr. Geißler CDU/CSU 10. 11. 89 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 10. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 10. 11. 89 * Dr. Hüsch CDU/CSU 8. 11. 89 Klein (Dieburg) SPD 10. 11. 89 Linsmeier CDU/CSU 10. 11. 89 Lintner CDU/CSU 10. 11. 89 Lowack CDU/CSU 10. 11. 89 Frau Luuk SPD 10. 11. 89 Paintner FDP 10. 11. 89 Frau Rock GRÜNE 10. 11. 89 Dr. Schmude SPD 10. 11. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 10. 11. 89 Steiner SPD 10. 11. 89 * Frau Dr. Timm SPD 10. 11. 89 Toetemeyer SPD 10. 11.89 Vahlberg SPD 8. 11. 89 Verheugen SPD 10. 11. 89 Volmer GRÜNE 10. 11. 89 Dr. Warnke CDU/CSU 8. 11. 89 Weiß (Kaiserslautern) CDU/CSU 10. 11. 89 Wüppesahl fraktionslos 10. 11. 89 Zierer CDU/CSU 8. 11. 89 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/5589 der Abgeordneten Sauer (Salzgitter), Dr. Czaja, Frau Dempwolf, Ehrbar, Dr. Friedmann, Dr. Götz, Hauser (Esslingen), Hinsken, Frau Hoffmann (Soltau), Graf Huyn, Jäger, Dr. Jenninger, Kalisch, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Müller, Nelle, Niegel, Dr. Rose, Rossmanith, Sauter (Epfendorf), von Schmude, Werner (Ulm), Wilz, Windelen, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Wittmann (alle CDU/CSU). Der frei organisierte Teil Deutschlands, die Bundesrepublik Deutschland, hat die Mitverantwortung für alle Positionen ganz Deutschlands. Sie hat nach dem Grundgesetz auch die nationale und staatliche Einheit Deutschlands zu wahren. Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine für alle Staatsorgane verbindlichen Entscheidungen ständig die Beachtung der Mitverantwortung für ganz Deutschland gefordert und festgestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland weder im Grundlagenvertrag noch in den Ostverträgen sich verpflichtet hat, etwas zur Wahrung aller Positio- Anlagen zum Stenographischen Bericht nen ganz Deutschlands zu unterlassen. Wir stehen selbstverständlich auch politisch in Treue zu ganz Deutschland und zur deutschen Geschichte. Wir stehen zu den eindeutigen gemeinsamen Willensbekundungen aller rechtmäßig geschlossenen Verträge. Die Ostverträge sind nach ihrem Wortlaut und den begleitenden Dokumenten konkretisierte Gewaltverzichtsverträge und keine Verträge zur Gebietsübertragung oder Teilung. Auch die Vertragspartner haben sich verpflichtet, sie nicht als Ersatz oder Präjudizierung für die ausstehenden Friedensvertragsregelungen und auch nicht als Anerkennung von Grenzen, Gebietsübertragungen oder Teilungen zu behandeln. Wir bestehen gegenüber allen Pressionen von Politikern, die fremde Maximalforderungen und überhaupt nicht mehr berechtigte Positionen Deutschlands vertreten, und gegenüber nicht zulässigen ausländischen Forderungen auf diesen Verpflichtungen aller Vertragspartner und auf unserer Mitverantwortung, alle Positionen und Rechte ganz Deutschlands offenzuhalten. Ausgehend von der Rechtslage müssen wir in ehrlichem Dialog einen Weg zum Ausgleich in einem Friedensvertrag und damit die Strukturelemente für einen gemeinsamen freiheitlichen und föderalen gesamteuropäischen Staatenbund suchen. Bundesaußenminister Scheel hat auf Fragen der Länder am 9. Februar 1972 vor dem Bundesrat namens der Bundesregierung erklärt, auch der Warschauer Vertrag habe keine Gebietsübertragung oder Grenzen anerkannt, die Rechtslage Deutschlands nicht verändert und als Kronzeugen dafür die eindeutigen Erklärungen Gromykos bei den Moskauer Verhandlungen im Juli 1970 gegenüber der deutschen Delegation über die Ausgestaltung der Ostverträge ausschließlich als Gewaltverzichtsverträge zitiert. Die Verbündeten haben in einem von der Bundesregierung bestätigten und der polnischen Regierung vor Unterzeichnung des Warschauer Vertrages bekannten Notenwechsel an der Fortgeltung des Londoner Abkommens und der Berliner Vierererklärung vom 5. Juni 1945 festgehalten. Darin werden - ohnehin seit 1930 keine Rechtstitel zur Gebietsübertragung darstellende - Annexionen in Deutschland mit Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 vor friedensvertraglichen Regelungen ausdrücklich verworfen. In Art. IV des Warschauer Vertrages nimmt die VR Polen die Unberührtheit des Deutschlandvertrages hin. Art. 7 dieses besten Vertrages Adenauers verpflichtet daran festzuhalten, daß erst bei frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelungen die Grenzen Deutschlands festgelegt werden. Die Denkschrift der Bundesregierung Brandt/Scheel zu den Ostverträgen an den Bundestag hält ausdrücklich daran fest. Daran und an ihren Erklärungen in Karlsruhe hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung ausdrücklich festgehalten, als es in ständiger Rechtssprechung bis 21. Oktober 1987 alle Staatsorgane zur Wahrung des Gebietsstandes Deutschlands von 1937 bis zu friedensvertraglichen Regelungen und freier Selbstbestimmung verpflichtete. 13092* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 Es gibt kein völkerrechtlich wirksames Dokument zur Abtrennung von 108 000 Quadratkilometern von Deutschland. Das will nur das von Anfang an nichtige Geheimabkommen Stalins mit dem Lubliner Komitee vom Juli 1944. Daher hält die britische Regierung nach der öffentlichen Erklärung des britischen Botschafters am 23. Mai 1986 in Essen an dem rechtlichen Fortbestand Deutschlands von 1937 fest. Sogenannte Politische Erklärungen an der staats- und völkerrechtlichen Lage vorbei können daran nichts ändern. Wir stehen zum bedingungslosen Gewaltverzicht gegenüber Polen. Bis zur Stunde besteht Deutschland rechtlich im Gebietsstand von 1937 nach Staats- und Völkerrecht fort. Daran hat die Lagebeschreibung (so Scheel) des Warschauer Vertrages nichts geändert. Die Beachtung aller gemeinsamen eindeutigen Willensbekundungen verpflichtet uns, Gebietsansprüche an Polen, die über den weiterhin unveränderten Gebietsstand von 1937 hinausgehen, nicht zu erheben, aber auch Polen keine Grenzanerkennungsansprüche und Ansprüche auf Anerkennung von Gebietsübertragung vor friedensvertraglichen Verhandlungen uns gegenüber — zum Schaden Deutschlands — zu stellen. Wir wollen normalisieren und einen tragbaren Ausgleich aushandeln. Niemand darf und soll unterdrückt oder gar vertrieben werden. Wir tragen auch die Mitverantwortung für die Menschenrechte der Deutschen und Nichtdeutschen. Zu ihrer Verwirklichung müssen nach Ankündigungen Taten folgen. Wir wollen auf Grund freier Verträge einen dauerhaften Ausgleich mit Polen, wir stehen dabei für berechtigte Interessen ganz Deutschlands und für Achtung der Würde, der Existenz und der Entfaltung der Polen in einem freien polnischen Staatswesen in noch auszuhandelnden gesicherten Grenzen. Vor allem aber wollen wir einen gemeinsamen Wiederaufbau, Schulter an Schulter, der Unrecht und Gegensätze überwindet. Anlage 3 Erklärung nach § 31 Abs. 1 GO des Abgeordneten Dr. Kappes (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/5589 Dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP kann ich nicht zustimmen, weil er in hohem Maße unterschiedliche Interpretationen zuläßt und zu Mißdeutungen geradezu einlädt. Bei aller Notwendigkeit von Kompromissen und notfalls auch von Formelkompromissen in der Politik erweckt der Antrag bei mir den Eindruck von Augenwischerei. Viele, die ihm scheinbar zustimmen, meinen in Wirklichkeit anderes. Die Glaubwürdigkeit der Politik erfordert aber gerade in unserer Zeit klare Aussagen. Ich bin einverstanden, soweit es sich darum handelt, bestehende Verträge einzuhalten, auf Gewalt zu verzichten und das Heimatrecht auch der Polen in den von ihnen verwalteten deutschen Ostgebieten anzuerkennen. Hingegen sehe ich mich außerstande, Aussagen mitzutragen, die nach meinem Verständnis über den Warschauer Vertrag als Gewaltverzichtsvertrag hinausgehen und offensichtlich von anderen auch so gemeint sind. Nicht nur rechtlich, sondern auch politisch fühle ich mich nicht zu Erklärungen befugt, die bei der Aushandlung eines späteren Friedensvertrages mit dem gesamten deutschen Volk politisch als bindende Vorausleistungen verstanden werden könnten. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) (FDP) (Drucksache 11/5528 Fragen 1 und 2): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine wie auch immer geartete Kopplung der Entscheidung über die Trassenführung der Deutschen Bundesbahn-Neubaustrecke Köln/ Rhein—Main an Überlegungen bezüglich der Magnetschnellbahn TRANSRAPID nicht sachgerecht ist? Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine schnellstmögliche Entscheidung über die Trassenführung der Deutschen Bundesbahn-Neubaustrecke Köln/Rhein—Main sinnvoll ist, und wann wird die Bundesregierung diese Entscheidung treffen? Zu Frage 1: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Neubaustrecke Köln—Rhein/Main auf alle Fälle gebaut werden muß, um das Eisenbahnnetz der Zukunft zu komplettieren. Zu Frage 2: Ja, baldmöglichst. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) (DIE GRÜNEN) (Drucksache 11/5528 Frage 4): Welche Mengen Uranerz sollen aus Menzenschwand und Ellweiler in der CSSR aufbereitet werden, und welche Mengen an radioaktiven Isotopen werden dabei frei werden? Das Land Baden-Württemberg hat mit dem Betreiber der Uranerzgrube Menzenschwand, der Gewerkschaft Brunhilde, eine Vereinbarung geschlossen, wonach die Gewerkschaft Brunhilde ihre bergbaulichen Maßnahmen in Menzenschwand im Rahmen der Uranaufsuchung bis zum 31. Dezember 1990 beendet. Ein Bestandteil dieser Vereinbarung ist eine Regelung über die Entnahme der durch die Untersuchungsarbeiten bereits freigelegten Erzmengen. Die Entfernung dieses Erzes soll sicherstellen, daß von der Grube auch nach deren Stillegung keine radioaktiven Gefahren für die Bevölkerung in der Umgebung aus- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 13093* gehen können. Die Menge des noch abzutransportierenden Erzes wird ausschließlich durch diese Zielsetzung bestimmt. Dieses Erz wird in der Tschechoslowakei aufbereitet werden. Die Gewerkschaft Brunhilde hat ihr Erzlager in der Urananlage Ellweiler inzwischen geräumt. Der Lagerbestand von ca. 1 600 t Uranerz ist in die Tschechoslowakei zur Aufbereitung verbracht worden. Die Freisetzung von Radionukliden bei der Aufbereitung von Uranerz wird im wesentlichen durch Radon-222 über den Luftpfad und Radium-226 über den Wasserpfad bestimmt. Beim Wasserpfad kann die Freisetzung von Radium durch Wasseraufbereitung verhindert werden. Über den Luftpfad muß mit einer Freisetzung von einigen Prozent des im Erz enthaltenen Radons gerechnet werden. Angaben aus der Tschechoslowakei zu den Freisetzungen bei der dortigen Uranerzaufbereitung liegen nicht vor. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Echternach auf die Frage des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) (DIE GRÜNEN) (Drucksache 11/5528 Frage 5): Bis wann wird die Bundesregierung die Wärmeschutzverordnung für Neubauten verschärfen, wie sie es im BMFT-Journal vom Oktober 1989 empfiehlt, und denkt sie dabei die Werte auf die Höhe der schwedischen Baunormen zu heben? Im BMFT-Journal vom Oktober 1989 empfiehlt nicht die Bundesregierung, die Wärmeschutzverordnung für Neubauten zu verschärfen, es wird vielmehr über ein im Auftrag des BMFT erstattetes Gutachten berichtet, das unter anderem zu einer entsprechenden Empfehlung kommt. Unabhängig hiervon prüft die Bundesregierung zur Zeit, wie sie in ihrer Antwort auf eine Frage des Abgeordneten Baum bereits am 9. Oktober 1989 (Drucksache 11/5382) ausgeführt hat, auf welche Weise Maßnahmen im Gebäudebereich zur Schadstoffentlastung der Luft beitragen können. In diesem Zusammenhang werden auch Möglichkeiten untersucht, die Wärmeschutzverordnung für Neubauten zu novellieren. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. In sie werden auch die Ergebnisse des im BMFT-Journal angesprochenen Gutachtens mit einbezogen. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Jahn auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/5528 Frage 7): Wie ist der derzeitige Stand der Beratungen zum neuen Umwelthaftungsrecht, und bis wann ist mit einer Regierungsvorlage zu rechnen? Das Bundeskabinett hat bekanntlich am 24. Mai 1989 Eckwerte für ein Umwelthaftungsgesetz und den Diskussionsentwurf eines solchen Gesetzes zur Kenntnis genommen. Es hat den Bundesminister der Justiz beauftragt, auf dieser Grundlage in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den anderen beteiligten Bundesministern einen Entwurf für ein Umwelthaftungsgesetz zu erstellen. Das Bundesministerium der Justiz hat den Diskussionsentwurf in der Zwischenzeit mit den übrigen Bundesressorts erörtert. Er ist dann an die Länder und Verbände versandt worden. Die Stellungnahmen von Ländern und Verbänden gehen wegen der Schwierigkeit der Materie langsamer ein als zunächst erwartet. Zu welchem Zeitpunkt mit einer Regierungsvorlage zu rechnen ist, kann daher exakt noch nicht gesagt werden. Die Bundesregierung bleibt fest entschlossen, eine Regierungsvorlage so schnell wie möglich zu beschließen und dafür Sorge zu tragen, daß dieses wichtige Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Riedl auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Jens (SPD) (Drucksache 11/5528 Fragen 8 und 9) : Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Auflagen von Bundesminister Dr. Hausmann bei der Mammutfusion DaimlerBenz/MBB durch Verschiebung von Aufträgen, dazu gehört z. B. die Vergabe eines Entwicklungsauftrages für eine Infrarotkamera an Telefunken System-Technik, Hamburg, sowie der Auftrag für den Raketenwerfer „RAM" an die Mütter von MBB bzw. AEG und nicht mehr an MBB-Marinetechnik in Bremen, wie ursprünglich vorgesehen, ausgehöhlt werden? Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen, daß auf diese Art und Weise die nach den Auflagen zu verkaufenden Teile des MBB-Konzerns vorher von der Muttergesellschaft Daimler-Benz/MBB „ausgeschlachtet" und wirtschaftlich unattraktiv gemacht werden? Zu Frage 8: Die Vermutung, die vom Bundesminister für Wirtschaft anläßlich der Genehmigung der Beteiligung von Daimler-Benz an der Firma MBB festgelegten Auflagen zum Verkauf u. a. der marinetechnischen Bereiche der Firmen MBB und AEG würden durch Verschiebung von Aufträgen unterlaufen, trifft nicht zu. Aus diesem Anlaß hat der Bundesminister der Verteidigung weder erteilte Aufträge verlagert, noch Entscheidungen zur künftigen Auftragsvergabe revidiert. Im Rahmen des deutsch-französischen Gemeinschaftsvorhabens „Kleinfluggerät für Zielortung" (KZO) läuft derzeit die Ausschreibung für eine Infrarotkamera. Hierzu haben die Firmen bzw. Firmengemeinschaften MBB/Thomson, Leitz/Rafael, Eltro/ SAT, Zeiss/TRT und GEC Angebote eingereicht, die von den beiden für das KZO-Programm vorgesehenen Hauptauftragnehmern MBB und Matra getrennt ausgewertet werden. Für das deutsch-amerikanische Flugkörper-Abwehrsystem „Rolling Airframe Missile " (RAM) ist die 13094* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 US-Navy federführend. Sie schloß vor kurzem mit der Firma Translant Inc., Kalifornien/USA, einen ersten Vertrag über die Fertigung von Abschußanlagen. Der industrielle Vertragspartner ist ein Gemeinschaftsunternehmen der an dem Vorhaben hauptbeteiligten Unternehmen General Dynamics, MBB, BGT, Diehl und TST und unterhält in München eine Zweigstelle. Zu Frage 9: Der Bundesminister für Wirtschaft hat in seiner Entscheidung vom 6. September 1989 verfügt, daß mit der Überwachung der Einhaltung der Veräußerungsauflagen eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu beauftragen ist. Dieser Auftrag ist inzwischen von den Unternehmen mit Zustimmung des Bundesministers für Wirtschaft erteilt worden. Bei der Veräußerung der Unternehmensteile aus der Telefunken System-Technik GmbH und der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH wird dabei insbesondere überwacht, daß sich die Veräußerung auf alle den Unternehmensteilen zugeordneten Aktiva und Passiva, Forderungen und Verbindlichkeiten, Lieferbeziehungen und Projekte sowie auf Anteile an Gemeinschaftsunternehmen und Kooperationen, die den Unternehmensteilen zugeordnet sind, erstreckt. Hierzu gehören auch Aufträge und Auftragsoptionen des Bundesministers der Verteidigung, die vor einer Entflechtung erteilt wurden. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD) (Drucksache 11/5528 Frage 18): Trifft es zu, daß noch immer geprüft wird, ob den nach Namibia entsandten Grenzschutzbeamten, die dort seit September unter schwierigsten Umständen im Rahmen des UNTAG-Polizeikontingents Dienst tun, nunmehr nach mehr als einem Monat eine Waschmaschine zur Verfügung gestellt werden kann, und wenn ja, hat die Dauer ihren Grund in einer — gegebenenfalls in welcher — besonderen Schwierigkeit und Kompliziertheit der auf den ersten Blick einfach erscheinenden Frage? Nein! Der „UNTAG" (United Nations Transition Assistance Group) in Namibia wurden Haushaltsmittel zur Anschaffung von 2 Waschmaschinen und 5 Kühlschränken zur Verfügung gestellt, mit der Maßgabe, diese Haushaltsgeräte vornehmlich zur Ausstattung der Unterkünfte der in Namibia diensttuenden Beamten des Bundesgrenzschutzes zu verwenden. Der Bewilligung der Mittel ist ein entsprechendes Ersuchen des „UNTAG " -Hauptquartiers in Windhoek vorausgegangen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Duve (SPD) (Drucksache 11/5528 Fragen 20 und 21): Trifft es zu, daß an einer Ausbildungseinheit des Bundesgrenzschutzes in Lübeck Beamte nicht nur Mitglieder in der Partei „Die Republikaner" sind, sondern sogar Parteifunktionen wahrnehmen und an ihrem Arbeitsplatz Werbung für diese rechtsradikale Gruppierung machen (Zeitschrift „Tempo", Oktoberheft), und wie bewertet die Bundesregierung dies? Was will die Bundesregierung unternehmen, um den Bundesgrenzschutz vor dem Verdacht in Schutz zu nehmen, Mitglieder der „Republikaner" könnten versuchen, den Bundesgrenzschutz zu unterwandern? Zu Frage 20: Nach Kenntnis der Bundesregierung ist ein Angehöriger der Grenzschutzschule in Lübeck Vorsitzender des Kreisverbandes Lübeck der Partei „Die Republikaner". Es handelt sich um einen Polizeivollzugsbeamten, der als Innendienstleiter eines Fachbereiches der Grenzschutzschule eingesetzt ist. Der Bundesregierung ist außerdem bekannt, daß ein Angehöriger der Grenzschutzausbildungsabteilung Küste 1 in Lübeck Mitglied des Bundesvorstandes und stellvertretender Landesvorsitzender des Landesverbandes Schleswig-Holstein der Partei „Die Republikaner" ist. Dabei handelt es sich um einen Polizeivollzugsbeamten des gehobenen Dienstes, der gegenwärtig weder als Ausbilder noch als Lehrer eingesetzt wird. Dieser Beamte hat nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahre 1988 in Pausen- und Kollegengesprächen um Unterstützungsunterschriften für die Landtagswahlen 1988 in Schleswig-Holstein auf entsprechenden Formularen der Partei „Die Republikaner" geworben. Diese Sammlung der Unterschriften erfolgte teils in der häuslichen Wohnung, teilweise auch außerhalb der Dienstzeit in der Unterkunft der Grenzschutzausbildungsabteilung Küste 1. Nach Aufklärung des Sachverhalts wurde das Verhalten des Beamten ausdrücklich schriftlich mißbilligt. Das Einbringen von Werbematerial politischer Organisationen in Standorte des Bundesgrenzschutzes und sonstige Werbung für politische Parteien im Rahmen dienstlicher Tätigkeit sind ausdrücklich untersagt. Durch Dienstaufsicht wird darauf hingewirkt, daß die aus dem in Artikel 33 Absätze 4 und 5 des Grundgesetzes verankerten Dienst- und Treueverhältnis abgeleiteten beamtenrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Dies gilt insbesondere für die Verpflichtung aus § 53 des Bundesbeamtengesetzes, wonach jeder Beamte bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren hat, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben. Zu Frage 21: Die Bundesregierung hat keinen Zweifel, daß der Bundesgrenzschutz — wie die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt — uneingeschränkt auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Deshalb sieht sie keinen Anlaß zu der Annahme, der Bundes- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 13095* grenzschutz sei für radikale oder extremistische politische Zielsetzungen anfällig. Bei den Angehörigen des Bundesgrenzschutzes finden sich Auffassungen und politische Vorstellungen wie auch sonst in der Bevölkerung. Die Auseinandersetzung mit radikalen und extremistischen Tendenzen ist eine gesamtpolitische Aufgabe, insbesondere der demokratischen Parteien. Im Bereich der Polizeien des Bundes und der Länder hat die umfassende Vermittlung politischer Bildung bei der Aus- und Fortbildung besonderes Gewicht; die Inhalte sind an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes ausgerichtet. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Carstens auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/5528 Frage 24): Wird die Bundesregierung die Laufzeit von § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung über den jetzigen Zeitraum hinaus verlängern, und bis wann ist mit einer entsprechenden Initiative auf dem Verordnungswege zu rechnen? Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Verlängerung der Laufzeit des § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung über den 31. Dezember 1991 hinaus vorzuschlagen. Durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 ist die Ermächtigungsvorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. 1 EStG, auf der § 82 a der EStDV beruht, befristet worden auf vor dem 1. Januar 1992 abgeschlossene Maßnahmen. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: Das Angebot an energiesparenden Maßnahmen im Sinne des § 82 a EStDV ist nach dem derzeitigen Stand der Entwicklung und als Folge wirtschaftlicher Konkurrenz reichhaltig. Diese Maßnahmen sind auch ohne einkommensteuerliche Vergünstigungen wirtschaftlich. Darüber hinaus hat sich in der Bevölkerung das Bewußtsein für energiesparendes Verhalten gebildet, so daß eine unbegrenzte weitere Förderung entbehrlich ist. Sie könnte zudem zu ungerechtfertigten Mitnahmeeffekten führen und widerspräche schließlich auch der angestrebten Steuervereinfachung . . . Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Seehofer auf die Frage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD) (Drucksache 11/5528 Frage 31): Beabsichtigt die Bundesregierung eine Änderung oder Ergänzung des § 37 (2) SGB V, durch die es den Krankenkassen untersagt werden soll, in ihrer Satzung Umfang und Dauer der Leistung häuslicher Krankenpflege zur Sicherung des Zieles der ärztlichen Behandlung zu beschränken, und falls nein, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung statt dessen ergreifen, damit zukünftig verhindert wird, daß todkranke Menschen aus der Solidargemeinschaft als Pflegefälle ausgeschlossen werden? Die häusliche Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung war und ist eine Satzungsleistung der Krankenkassen. Nach dem Gesundheits-Reformgesetz gehen die Aufwendungen für diese Leistungen aber nicht mehr in den Finanzausgleich der Krankenversicherung der Rentner ein. Deshalb hat eine Reihe von Krankenkassen die Dauer dieser Leistung beschränkt. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat an die Krankenkassen appelliert, diese Beschränkungen im Interesse ihrer Versicherten rückgängig zu machen. Inzwischen hat eine Krankenkasse entsprechend reagiert, zahlreiche weitere Kassen haben von einer einschränkenden Satzungsregelung abgesehen. Ergänzend wird geprüft, die entsprechenden Ausgaben — ggf. auch rückwirkend — wieder ausgleichsfähig zu machen. Dagegen beabsichtigt die Bundesregierung nicht, in die Satzungsautonomie der Krankenkassen einzugreifen. Im übrigen werden kranke Versicherte durch die vorgenannten Satzungsregelungen nicht „aus der Solidargemeinschaft ausgeschlossen" . Versicherte, die nach dem zeitlichen Auslaufen der häuslichen Krankenpflege auf eine medizinische Behandlung angewiesen sind, erhalten diese — im Regelfall im Wege der kassenärztlichen Versorgung — von ihrer Krankenkasse. Darüber hinaus erhalten Schwerpflegebedürftige nun die neuen Leistungen der häuslichen Pflegehilfe, seit 1. Januar dieses Jahres für bis zu 4 Wochen im Jahr bei Urlaub oder Verhinderung der Pflegeperson, ab 1991 zusätzlich bis zu 25 Pflegeeinsätze von je 1 Stunde für den Kalendermonat oder eine Geldleistung von 400 DM im Monat. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Seehofer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Müller (CDU/CSU) (Drucksache 11/5528 Frage 32): Ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch der Anteil der von Lohnpfändungen Bedrohten unter den Arbeitslosen ist? Die Bundesregierung besitzt keine Erkenntnisse darüber, wie viele der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Arbeitslosen im Falle einer Beschäftigungsaufnahme mit Lohnpfändungen durch ihre Gläubiger zu rechnen hätten. Soweit es sich bei diesen Arbeitslosen um Empfänger von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe handelt, ergeben sich gewisse Anhaltspunkte aus der Zahl der Pfändungen dieser Lohnersatzleistungen. Diese betrug im zweiten Quartal 1989 37 035 oder — bezogen auf alle Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe — 2,7 %. Für das dritte Quartal 1989 lauten die entsprechenden Zahlen 34 814 oder 2,6%. Diese Daten allein lassen zwar keine konkreten Rückschlüsse darauf zu, inwieweit sich die zugrundeliegenden Zahlungsverpflichtungen der Arbeitslosen auf die Aufnahme und Ausübung einer neuen Beschäftigung auswirken, jedoch dürfte die Vermutung 13096* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 nicht unbegründet sein, daß die Wiedereingliederungschance überschuldeter Arbeitsloser gemindert ist. Arbeitsverhältnisse kommen z. T. deshalb nicht zustande, weil — das durch die Beschäftigung erzielte zusätzliche Einkommen ganz oder teilweise gepfändet wird und deshalb kein Anreiz zur Arbeitsaufnahme besteht, — Arbeitgeber die aufwendigen zusätzlichen Arbeiten scheuen, die sich bei Lohnpfändungen ergeben. Außerdem gelingt es häufig nicht, stabile Arbeitsverhältnisse zu begründen, weil die Arbeitsstelle aufgegeben wird, sobald Gläubiger eine Lohnpfändung vornehmen. Die Bundesregierung hält eine stärkere Erforschung der Grundlagen der Problematik für geboten. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat eine entsprechende Sonderuntersuchung veranlaßt. Wichtige Erkenntnisse dürften sich auch aus dem vom Bundesminister der Justiz und Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit initiierten Forschungsprojekt „Überschuldungssituation und Schuldnerberatung in der Bundesrepublik Deutschland" ergeben, dessen erster Teil Mitte 1990 vorliegt. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Schuldnerberatung der Gemeinden, Kirchen und Wohlfahrtsverbände zu. Für die Beratungstätigkeit in diesem Bereich können auch Mittel des Bundesprogramms „Maßnahmen für besondere beeinträchtigte Arbeitslose" (250-Mio-Programm) eingesetzt werden. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Seehofer auf die Frage der Abgeordneten Frau Walz (FDP) (Drucksache 11/5528 Frage 33): Ist der Bundesregierung bekannt, daß Kliniken mit entsprechenden Fachabteilungen von ihren Möglichkeiten zu Knochenmarkübertragungen nicht voll Gebrauch machen können, weil es an Personal fehlt? Die Bedeutung der Knochenmarktransplantation und die besonderen Anforderungen an das pflegende Personal sind von der Bundesregierung frühzeitig erkannt worden. 1986 wurde ein Modellprogramm zur Förderung der Knochenmarktransplantation an 10 verschiedenen Kliniken begonnen. Im Gesamtbetrag von rund 7 Millionen DM wurden Ärzte und zusätzliches Pflegepersonal sowie die benötigten Geräte gefördert. Das Programm konnte inzwischen in die Regelfinanzierung übernommen werden. Die Durchführung der Knochenmarktransplantation ist nur mit besonders einsatzbereitem und qualifiziertem Personal möglich. Trotz zunehmender Probleme bei der Gewinnung qualifizierter Krankenschwestern ist nach Auskunft der zuständigen Fachgesellschaft bisher keine Knochenmarktransplantation daran gescheitert, daß die erforderliche Pflege nicht hätte sichergestellt werden können. Dies liegt auch am besonderen Engagement des in den Stationen tätigen Personals. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Fragen des Abgeordneten Heistermann (SPD) (Drucksache 11/5528 Fragen 34 und 35): Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Beamte der Bundeswehrverwaltung nach Übertragung höherwertiger Aufgaben mehr als zwei Jahre auf die ihnen zustehende Beförderung warten müssen? Welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung vorgesehen, um diese seit Jahren bestehende Ungerechtigkeit zu beseitigen? Zu Frage 34: Die Wartezeiten für die Beförderung in das 2. oder ein höheres Beförderungsamt im Kapitelbereich 1404 — Bundeswehrverwaltung — sind in den einzelnen Besoldungsgruppen unterschiedlich lang. Nach den Ergebnissen des Jahres 1988 lagen die durchschnittlichen Wartezeiten zwischen 5 und 20 Monaten und erreichten nur bei BesGr A 16 die Dauer von 2 Jahren. Die Wartezeiten sind bedauerlich, liegen aber noch im zumutbaren Rahmen. Zu Frage 35: Die Bundesregierung hat dem Beförderungsstau im Bereich der Wehrverwaltung bereits entgegengewirkt. Neben den 300 Hebungen im Haushaltsjahr 1986 hat die im Haushalt 1988 beschlossene schrittweise Strukturbereinigung für den mittleren und gehobenen Dienst mit insgesamt 1 353 Hebungen einen erheblichen Fortschritt gebracht. Die Strukturbereinigung wird 1990 mit 313 Hebungen abgeschlossen. Nach Abschluß dieser Maßnahmen sind die gesetzlichen Obergrenzen nach § 26 BBesG zu rund 95 % ausgeschöpft. Eine weitere Entlastung brachten die für den mittleren und gehobenen Dienst neu bewilligten Planstellen der Haushalte 1986 bis 1989. Für den Haushalt 1990 sind weitere Planstellenverbesserungen vorgesehen. Ob für 1991 weitere neue Planstellen ausgebracht werden können, wird die Bundesregierung mit dem Haushaltsentwurf 1991 entscheiden. Weitere Planstellenhebungen im Rahmen der Obergrenzen nach § 26 BBesG können nur in Betracht gezogen werden, wenn gleichzeitig die Zahl der Angestellten auf Beamtenplanstellen abgebaut wird. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 13097* Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage des Abgeordneten Steiner (SPD) (Drucksache 11/5528 Frage 36) : Warum ist die Bundesregierung in Kenntnis der unzumutbaren Beförderungswarteschlangen bei den Beamten der Bundeswehrverwaltung im mittleren, gehobenen und höheren Dienst nicht bereit, die Obergrenzen des gesetzlichen Stellenkegels voll auszuschöpfen? Der Bundesregierung ist die Beförderungssituation der Beamten der Bundeswehrverwaltung bekannt. Sie ist daher auch bereit, die sich aus der Ausschöpfung der Obergrenzen des Planstellenkegels ergebenden Beförderungsmöglichkeiten für diese Beamten zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung hat im Jahre 1986 begonnen, die Struktur im mittleren und gehobenen Dienst der Bundeswehrverwaltung mit 300 Planstellenhebungen zu verbessern. In den Jahren 1987 und 1988 konnte sie die Strukturverbesserungen für den einfachen Dienst mit über 100 Planstellenhebungen abschließen. Sie hat die Verbesserungen im mittleren und gehobenen Dienst im Haushalt 1988 mit rund 1 350 Planstellenhebungen fortgesetzt, die sich in drei Jahresschritten bis in den Haushalt 1990 auswirken. Die Obergrenzen nach § 26 BBesG sind nunmehr zu rund 95 % ausgeschöpft. Die Bundesregierung beabsichtigt, diese Strukturverbesserungen in den Folgejahren konsequent fortzusetzen und dann auch den höheren Dienst in der Bundeswehrverwaltung einzubeziehen. Weitere Planstellenhebungen im Rahmen der gesetzlichen Obergrenzen können in Betracht gezogen werden, wenn gleichzeitig die Zahl der Angestellten auf Beamtenplanstellen abgebaut wird. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Fragen der Abgeordneten Frau Vennegerts (DIE GRÜNEN) (Drucksache 11/5528 Fragen 37 und 38): Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß Unterlagen über die Art der an den Iran vergebenen Lizenz zur Fertigung des G3-Gewehres „nur noch teilweise vorhanden" sein sollen, obwohl beispielsweise die Anlage zur G3-Fertigung von der bundeseigenen Firma Fritz Werner im Iran errichtet und die Lizenz zur Herstellung des Schnellfeuergewehrs von der Bundesregierung selbst vergeben wurde? Gemäß welcher gesetzlich relevanten Vorgabe und mit welchen real wirksamen Kontrollinstrumenten beabsichtigt die Bundesregierung, indirekte Endverbleibsregelungen bei Lizenzvergaben im Kleinwaffenbereich zu überwachen (vgl. Drucksache 11/5399), wenn der Endverbleib gemäß den gesetzlich unrelevanten politischen Grundsätzen von 1982 lediglich „anzustreben" ist und „ausschließlich der Verantwortung des Exportlandes„ unterliegt (vgl. Drucksache 11/1336)? Zu Frage 37: Die Entwicklung des Gewehres G3, dessen Einführung in und Beschaffung für die Bundeswehr sowie die Mehrzahl der Lizenzvergaben für dieses Gewehr — einschließlich der Lizenzvergabe an den Iran — erfolgte in den 60er Jahren. Nach über 20 Jahren gibt es nur noch wenige Akten und Wissensträger aus damaliger Zeit, die für eine Beantwortung der z. T. sehr spezifischen Fragen hätten herangezogen werden können, wie sie in der Kleinen Anfrage vom 15. August 1989 gestellt worden sind. Zufällig noch vorhandene Restakten hätten in den fraglichen Bereichen nur Aussagen zugelassen, deren Richtigkeit und Vollständigkeit hier nicht mehr nachprüfbar wären. Auf diesen Umstand bezieht sich die Aussage, daß „aufgrund nur teilweise vorhandener Unterlagen keine zuverlässigen Angaben mehr gemacht werden können". Dies trifft auch auf die in der Frage enthaltene Aussage zu, die Bundesregierung hätte die Lizenz zur Herstellung des Gewehres G3 im Iran vergeben. Zu Frage 38: Die Endverbleibserklärung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Erteilung jeder Ausfuhrgenehmigung. Bei festgestellten Verstößen gegen den vereinbarten Endverbleib kann die Ausfuhrgenehmigung nachträglich aufgehoben werden oder können beantragte neue Ausfuhrgenehmigungen für die betreffende Lizenzproduktion versagt werden. Da bei Lizenzvergaben ins Ausland in der Regel über eine lange Zeit noch genehmigungspflichtige Zulieferungen erfolgen, liegt es im eigenen Interesse des ausländischen Lizenznehmers aus obigen Gründen den vereinbarten Endverbleib einzuhalten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freie Selbstbestimmung für alle Deutschen, das war, ist und bleibt das Herzstück unserer Deutschlandpolitik. Freie Selbstbestimmung, das war, ist und bleibt auch der Wunsch, ja die Sehnsucht unserer Landsleute in der DDR.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Wer von uns ist nicht angerührt und bewegt angesichts der Bilder der vielen Hunderttausenden friedlich versammelten Menschen in Berlin, in Leipzig oder in Dresden, in Schwerin, in Plauen und in anderen Städten der DDR? Sie rufen: „Wir sind das Volk! " und ich bin sicher, ihre Rufe werden nicht mehr verhallen.
    Unsere Landsleute, die täglich für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen, legen Zeugnis ab von einem Freiheitswillen, der auch nach 40 Jahren Diktatur nicht erloschen ist. Sie schreiben damit vor den Augen der Welt ein neues Kapitel im Buch der Geschichte unseres Vaterlandes, dessen freiheitliche Traditionen weder durch Krieg noch durch Gewalt und Diktatur zerstört werden konnten.
    Wir alle stehen ebenso unter dem bewegenden Eindruck der Fluchtwelle aus der DDR, ein im Europa unserer Tage beispielloser, bedrückender Vorgang. Eigentlich sollten die Bilder, wie wir sie aus Ungarn, der CSSR und Polen, aber auch bei der Ankunft der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland gesehen haben und immer noch sehen, im Europa unserer Vorstellung der Vergangenheit angehören.
    Die Flucht von Zehntausenden vor allem jüngerer Menschen aus der DDR in den freien Teil Deutschlands ist vor aller Welt eine „Abstimmung mit den Füßen" , ein unübersehbares Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit, zu einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die den Menschen einen gerechten Anteil an den Früchten ihrer Arbeit sichert. Sie ist zugleich eine eindeutige Absage an ein politisches System, das die grundlegenden Rechte des einzelnen, seine Freiheit und sein persönliches Wohlergehen mißachtet.
    Diese Ereignisse haben der ganzen Welt vor Augen geführt, daß die Teilung unseres Vaterlandes widernatürlich ist, daß Mauer und Stacheldraht auf Dauer keinen Bestand haben können.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Diese Bilder haben deutlich gemacht, daß sich die deutsche Frage nicht erledigt hat, weil sich die Menschen in Deutschland mit dem bestehenden Zustand nicht abfinden werden.
    Unsere Landsleute in der DDR verlangen die Achtung ihrer bürgerlichen und politischen Grundfreiheiten. Sie bestehen auf ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Sie schweigen nicht länger zu dem Zwangssystem der Einparteiherrschaft.
    Wir, meine Damen und Herren, und mit uns alle in Europa sind Zeugen eines großen Umbruchs. Im Westen Europas bereiten sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft durch fortschreitende Integration auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor. Durch den großen europäischen Binnenmarkt, den wir bis 31. Dezember 1992 vollenden wollen, wird Westeuropa mit über 320 Millionen Menschen zum größten Wirtschaftsraum der Welt. Aber er wird nicht nur der Wirtschaft, sondern — das hoffen und das wollen wir — vor allem der politischen Entwicklung und Einigung Europas neue Impulse geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Im Osten unseres Kontinents, in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, vollzieht sich in mehreren Staaten ein grundlegender Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems. Mit der von Generalsekretär Gorbatschow eingeleiteten Politik der Umgestaltung verbindet sich erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine begründete Hoffnung auf die Überwindung des Ost-West-Konflikts.
    Auch wenn wir erst am Anfang einer solchen Entwicklung stehen und niemand von uns die Risiken eines Scheiterns und der sich daraus ergebenden Ge-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    fahren übersehen oder unterschätzen darf: es gibt jetzt eine Perspektive für einen wirklichen Wandel in ganz Europa, eine wirkliche Chance für eine europäische Friedensordnung, für ein Europa der Freiheit und der Selbstbestimmung.
    Wir erleben alle mit großer Sympathie und Anteilnahme, wie Ungarn wieder zur Republik geworden ist, wie es dort in Kürze, in wenigen Monaten, erstmals nach vielen Jahrzehnten freie Wahlen geben wird,

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    wie in Polen ein nichtkommunistischer Ministerpräsident gewählt werden konnte, der jetzt vor der schweren Aufgabe steht, sein Land in eine neue, in eine bessere Zukunft zu führen.
    Morgen werde ich nach Polen reisen, um zusammen mit Ministerpräsident Mazowiecki die Fundamente — wie wir hoffen — für eine gemeinsame Zukunft des deutschen und polnischen Volkes auszubauen. Wir sind beide entschlossen, die neuen Chancen für einen Durchbruch in den deutsch-polnischen Beziehungen beherzt zu ergreifen. Die Zeit ist reif für eine Verständigung, ja, für eine dauerhafte Aussöhnung zwischen unseren beiden Völkern. Wir schulden ein solches Werk des Friedens gerade den jungen Menschen, die in guter Nachbarschaft und Freundschaft miteinander leben wollen. Ich fühle mich dieser Aufgabe ganz persönlich verpflichtet. Wir wollen alles tun, um gemeinsam auf diesem Weg voranzukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß wir auf beiden Seiten ehrlich mit den dunklen Kapiteln unserer Geschichte umgehen. Wir wollen nichts von alledem verschweigen, verdrängen oder vergessen,

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was sagen Sie denn zu den Zwangsarbeitern?)

    aber es kommt darauf an, für die Gestaltung einer friedlichen Zukunft die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.

    (Zurufe von der SPD: Eben! — Das unterstreichen Sie einmal ganz dick!)

    — Meine Damen und Herren, was Frieden und Ausgleich betrifft, was unseren Friedenswillen und unsere Erkenntnis, daß wir aus der Geschichte lernen müssen, betrifft,

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Ich sage nur: Annaberg!)

    brauchen wir, meine politischen Freunde und ich, von niemandem Nachhilfeunterricht, auch von Ihnen nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jahn [Marburg] [SPD]: Na, na!)

    Aus dieser Überzeugung gehen wir auch gemeinsam nach Kreisau. Dieser Ort war eines der Zentren des Widerstandes gegen Hitler.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Gehen Sie auch nach Auschwitz?)

    Er stand und steht für jenes andere, bessere Deutschland, dessen unverlierbares Erbe die Bundesrepublik Deutschland hüten und an künftige Generationen weitergeben will.
    Ich bin sicher, daß die Chancen für das Gelingen einer Aussöhnung zwischen beiden Völkern infolge der großen politischen Veränderungen in Polen heute besser sind als jemals zuvor in den letzten Jahrzehnten.
    Die Grundlagen der Politik der Bundesregierung sind klar: Im Europa der Zukunft muß es vor allem um Selbstbestimmung und um Menschenrechte gehen, um Volkssouveränität, nicht um Grenzen oder um Hoheitsgebiete, wie ich schon vor über vier Jahren vor dem Deutschen Bundestag gesagt habe. Denn, so habe ich damals erklärt, nicht souveräne Staaten, sondern souveräne Völker werden den Bau Europas dereinst vollenden.
    Ganz in diesem Sinne heißt es in der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 — ich zitiere — :
    Mit der Forderung auf Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts erhebt die Bundesrepublik Deutschland keinen Gebiets- oder Grenzänderungsanspruch.
    Wir können und wir wollen keine Rechtspositionen verändern. Es bleibt bei den bekannten Staats- und völkerrechtlichen Grundlagen unserer Deutschland- und Ostpolitik, und dazu gehört selbstverständlich auch, daß wir an Buchstaben und Geist des Warschauer Vertrages in allen seinen Teilen festhalten.
    In diesem Vertrag bekräftigen die Bundesrepublik Deutschland und Polen unter anderem — ich zitiere — „die Unverletzlichkeit ihrer bestehenden Grenzen jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich gegenseitig zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität. Sie erklären, daß sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden"
    Gleichzeitig stellen in diesem Vertrag beide Seiten fest — auch dies darf nicht verschwiegen werden —, dieser Vertrag berühre — ich zitiere — „nicht die von den Parteien früher geschlossenen oder sie betreffenden zweiseitigen oder mehrseitigen internationalen Vereinbarungen". Meine Damen und Herren, jeder von uns in diesem Hause weiß, was dies bedeutet, weiß, daß wir noch keinen Friedensvertrag haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Machen Sie doch einen, wenn das Ihre einzige Ausrede ist!)

    Unser Ziel ist eine europäische Friedensordnung, die nicht von einzelnen Mächten diktiert, sondern von den Völkern Europas in freier Selbstbestimmung eigenhändig gestaltet wird. Dies war schon die Vision Konrad Adenauers. Das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung ist in der Charta der Vereinten Nationen anerkannt. Wer unsere Forderung nach Verwirklichung dieses Rechts auch für alle Deutschen als „Revanchismus" diffamiert, der stellt sich also in Wahr-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    heit gegen dieses Grund-Gesetz der Völkergemeinschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das ist ein mentaler Vorbehalt!)

    Meine Damen und Herren, gerade weil wir geltendes Recht nicht als „Formelkram" abtun — wir haben allen Grund dazu, dem Recht verpflichtet zu bleiben —, wissen wir um unsere Verantwortung für den Frieden Europas und für das Wohl seiner Menschen sowie um unsere Pflicht, jede Chance der Aussöhnung beherzt zu ergreifen. In diesem Sinne habe ich schon 1985 in meinem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland hier erklärt:
    In den Gebieten jenseits der polnischen Westgrenze leben heute polnische Familien, denen diese Landschaften in zwei Generationen zur Heimat geworden sind. Wir werden dies achten und nicht in Frage stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wir wollen den Teufelskreis von Haß und Gewalt, von Unrecht und Vertreibung durchbrechen und neue Brücken der Verständigung und Aussöhnung, der guten Nachbarschaft und der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen bauen. Das kann nur gelingen, wenn die Rechte der dort lebenden Deutschen auf Wahrung ihrer sprachlichen und kulturellen Identität gewährleistet werden. Was wir auf diesem Gebiet jetzt mit Polen vereinbart haben, ist ein entscheidender Schritt zur Beendigung der Diskriminierung unserer dort lebenden Landsleute.

    (Beifall bei CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wir wollen und wir werden alle Chancen nutzen, um unseren Beitrag für ein Gelingen der Reformprozesse im östlichen Teil Europas zu leisten. Diese Reformprozesse sind unmittelbar mit unserem nationalen Anliegen verknüpft: mit unserer Forderung nach Freiheit, Menschenrechten und Selbstbestimmung für alle Deutschen.
    In unserer Gemeinsamen Erklärung vom 13. Juni dieses Jahres haben Generalsekretär Gorbatschow und ich wesentliche Bauelemente eines Europas des Friedens und der Zusammenarbeit beim Namen genannt:
    Die uneingeschränkte Achtung der Integrität und der Sicherheit jedes Staates. Jeder hat das Recht, das eigene politische und soziale System frei zu wählen. Die uneingeschränkte Achtung der Grundsätze und Normen des Völkerrechts, insbesondere Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.
    Das darf nicht ein bloßes Bekenntnis bleiben. Das Recht aller Völker, ihr politisches und gesellschaftliches System selbst zu wählen, muß für alle Menschen und Völker in Mittel-, Ost- und Südosteuropa gelten, selbstverständlich auch für die Deutschen in der DDR.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Die Ausstrahlungskraft der Freiheit, die Anziehungskraft der rechtsstaatlichen Demokratie und der elementare Wunsch der Völker nach Selbstbestimmung erzeugen eine historisch zu nennende Dynamik, die sich heute in ganz Europa Bahn bricht. Die Zeit arbeitet für — und nicht gegen — die Sache der Freiheit.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben allen Grund, an unseren freiheitlichen Zielen in der Deutschlandpolitik festzuhalten. Weniger denn je haben wir Grund zur Resignation, und weniger denn je haben wir Grund, uns auf Dauer mit der Zweistaatlichkeit Deutschlands abzufinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gerade die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben insbesondere unsere klare und feste Haltung in der Frage der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit für jedermann erkennbar bestätigt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Die Deutschen in der DDR sind und bleiben unsere Landsleute, die wir auf gar keinen Fall als Ausländer behandeln wollen und als Ausländer behandeln dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Und wie behandeln Sie die Ausländer?)

    Alle Empfehlungen, den politischen Status quo als endgültig anzuerkennen, haben sich als kurzlebig, als kurzsichtig erwiesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Denn sie haben ein Grundgesetz menschlicher Existenz, das Streben des Menschen nach Freiheit, ignoriert.
    Freiheit und Selbstbestimmung sind auch tragende Elemente der KSZE-Beschlüsse, die zum Maßstab für die West-Ost-Beziehungen wurden. Der KSZE-Prozeß zeigt die Richtung, in der Veränderungen notwendig sind. Was in der Sowjetunion geschehen ist und weiter geschieht, besonders aber die zum Teil dramatischen Veränderungen in Ungarn und Polen, können und — das ist meine Überzeugung — werden nicht ohne Auswirkungen in den anderen Staaten des Warschauer Pakts bleiben.
    Sie haben natürlich auch Konsequenzen für die DDR. Die Menschen dort fragen jetzt offen und immer drängender, warum nicht auch bei ihnen endlich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen eingeleitet werden. Sie sind es leid, gegängelt zu werden. Sie wollen nicht länger von politischer Mitbestimmung und Mitverantwortung ausgeschlossen sein. Sie wollen nicht unter persönlichen und wirtschaftlichen Bedingungen leben müssen, die ein von ihnen nicht gewolltes politisches System ihnen auf erlegt, ein System, das ihnen sowohl persönliche Freiheit als auch einen gerechten Lohn ihrer täglichen Arbeit vorenthält.
    Unsere Landsleute in der DDR wollen endlich selbst frei entscheiden können. Sie wollen Selbstbestimmung, und das heißt zunächst einmal: endlich frei selbst zum Ausdruck bringen können, welchen Weg



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    sie in die Zukunft gehen wollen. Es kommt darauf an, eine demokratische Willensbildung in der DDR zu ermöglichen. Dazu gehören unbedingt Meinungs- und Pressefreiheit, freie Bildung von Vereinen, Gewerkschaftsfreiheit, Parteienpluralismus und schließlich und selbstverständlich freie, gleiche und geheime Wahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])

    Die Fluchtbewegung aus der DDR, die uns alle aufrüttelt und die Aufmerksamkeit der Welt findet, ist ein Symptom für das Grundproblem der DDR: Die politische Führung dort ist nicht frei gewählt, und deshalb können sich viele unserer Landsleute mit diesem Staat nicht identifizieren.
    Das Politbüro der SED kann sich in seinen Entscheidungen nicht auf eine in freier Wahl zustande gekommene Zustimmung der Bürger berufen. Nach allem, was wir jetzt jeden Tag erleben, ist deutlich: Die Menschen in der DDR werden sich mit dem Machtmonopol der SED nicht abfinden, und sie werden sich auch mit dem bloßen Austausch von Führungspersonen und dem Rücktritt einiger im Führungskader nicht begnügen. Der neue SED-Generalsekretär wird sich daran messen lassen müssen, ob er das Tor zu tiefgreifenden Reformen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft wirklich öffnet. Dafür ist es höchste Zeit!
    Die Bilder und die Äußerungen der Flüchtlinge, die in großer Zahl zu uns kommen, haben mehr als alles andere deutlich gemacht, um was es geht: um Freiheit. Diese überwiegend jungen Leute sind ja nicht ahnungs- und willenlose Menschen, die verderblichen Sirenengesängen des Kapitalismus gefolgt wären. Es sind selbstbewußte, tüchtige Leute, die oft genug schweren Herzens ihre Heimat, ihre Freunde und Familien verlassen haben, um im freien Teil Deutschlands in einer freiheitlichen Demokratie ein neues Leben zu beginnen. Sie wissen: Nur wo Freiheit herrscht, ist auch sozialer Fortschritt möglich.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in diesem Jahr haben bisher über 200 000 — das sind die neuesten Zahlen — Übersiedler die DDR verlassen. Wir nehmen sie in unserer Mitte als Deutsche unter Deutschen auf. Und ich bin sicher, daß die Bereitschaft zu helfen, die die Bürger der Bundesrepublik Deutschland bisher in so eindrucksvoller Weise gezeigt haben, auch andauern wird, bis diese Landsleute bei uns ihren Platz gefunden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Dies muß selbstverständlich genauso auch für die Aussiedler gelten, die aus der Sowjetunion und anderen Staaten des Warschauer Pakts zu uns kommen.
    Ich weiß auch, daß sich manche bei uns schwertun mit den Neuankommenden. Es ist ja auch nicht zu leugnen, daß der Zustrom so vieler in einigen Bereichen Probleme schafft oder verschärft, wie beispielsweise die Diskussion über die Versorgung mit Wohnraum zeigt. Andererseits, meine Damen und Herren, sollten wir uns immer wieder bewußt machen, daß es unter den sehr viel schwierigeren Bedingungen der späten 40er und frühen 50er Jahre möglich war, viel,
    viel mehr Flüchtlingen und Vertriebenen, die damals kamen, Brot, Obdach und Arbeit zu geben.
    Der Vergleich mit der damaligen Zeit, der Vergleich der Schwierigkeiten unserer Republik damals und heute zeigt, daß wir das Problem lösen können, wenn wir das gemeinsam wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Opel [SPD])

    Die materiellen Voraussetzungen heute sind viel besser. Was uns oft fehlt, das sind der Optimismus und die Lebensbejahung der Gründergeneration unserer Republik —

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Ja, da sind Sie unschlagbar!)

    jener Generation, der wir ein Leben in Frieden und Freiheit, in Wohlstand und einem hohen Maß an sozialer Gerechtigkeit ganz entscheidend verdanken.
    Meine Damen und Herren, nicht die materiellen Fragen stehen heute im Vordergrund. Sie sind nach meiner festen Überzeugung prinzipiell lösbar — wenn auch nicht über Nacht. Entscheidend ist die Bereitschaft des einzelnen, im Bewußtsein seiner Verantwortung für den Nächsten und für das Ganze mitzudenken und mitzutun.
    Es geht hier um eine Aufgabe von nationalem Rang, über die es eigentlich keinen Streit geben sollte. Ich darf als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland auch heute von dieser Stelle aus an alle appellieren, die in Bund, Ländern und Gemeinden, in allen Bereichen unserer Gesellschaft, unseres Staates Verantwortung tragen: Vereinigen wir unsere Kräfte zum Wohl unserer Landsleute!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Hüser [GRÜNE])

    — Ich habe es Ihnen hier ja schon einmal gesagt: Sie sind hier unter dem Signum des Friedens eingezogen, und in dieser schwierigen Lage unseres Landes sitzen Sie hier mit dem Ausdruck des Zynismus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei den GRÜNEN)

    Ich will all jenen danken, die in dieser Zeit spontane Hilfsbereitschaft, auch als ein Zeichen der Ermutigung, gezeigt haben.
    Ich will an dieser Stelle auch den besonderen Dank der Bundesregierung für die Haltung der ungarischen Regierung zum Ausdruck bringen,

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    die den Flüchtlingen aus der DDR durch ihre an den Grundsätzen der Menschlichkeit und des Völkerrechts ausgerichteten Entscheidungen geholfen hat.
    Ich schließe in diesen Dank ausdrücklich die österreichische Regierung und die österreichischen Behörden ein, die ohne viel Aufhebens wirklich alles getan haben, um unseren Landsleuten zu helfen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Ich finde, wir sollten in diesen Dank — neben den offiziellen Stellen — die vielen, vielen einschließen,



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    die in Ungarn, in Österreich, in Polen, in der Tschechoslowakei unseren Landsleuten in schwierigsten Situationen selbstlos geholfen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

    Wir alle wissen, daß ein Massenexodus aus der DDR weder im Interesse der Menschen im Deutschland liegt, noch das Ziel einer vernünftigen Deutschlandpolitik sein kann. Unsere besondere Achtung und Sympathie gehören genauso jenen, die in der DDR bleiben und darauf hoffen, daß sich die Verhältnisse jetzt auch dort zum Besseren verändern.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang auch eindringlich davor warnen, sich hier bei uns als Richter über jene aufspielen zu wollen, die sich dafür entschieden haben, aus der DDR zu uns zu kommen, oder über jene, die sich entschieden haben, dort zu bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    In beiden Fällen verdienen sie unsere Sympathie und auch unser Verständnis. Ziel unserer Politik, meine Damen und Herren, muß es sein, zu einer Entwicklung in der DDR beizutragen, die den Wünschen der Menschen dort entspricht,

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    d. h., ihnen zu Freiheit und Selbstbestimmung zu verhelfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, angesichts mancher Diskussionen möchte ich auch sagen: Wir können und wollen dabei keine Patentrezepte anbieten.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Unsere Landsleute in der DDR wissen, was sie wollen. Sie wollen aus eigener Verantwortung handeln. Sie zeigen — jeder kann dies beobachten — ein neues, ein kraftvolles Selbstbewußtsein. Sie sprechen in einer offenen und klaren Sprache über ihre Wünsche, über ihre Befindlichkeit und über ihre Forderungen. Es stimmt nicht mehr — wie immer gesagt wurde —, daß sie sich am liebsten in private Nischen zurückziehen und von Politik nichts wissen wollen. Sie brauchen überhaupt keine Vormünder. Sie wollen selber entscheiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Was wir tun können, ist vor allem, daß wir sie ermutigen und in der Hoffnung bestärken, daß sich auch in der DDR ein Prozeß demokratischer Veränderungen in absehbarer Zeit vollziehen wird. Wir sollten und müssen einen solchen Prozeß, wenn er beginnt, aktiv fördern. Dazu sind wir, wenn nötig, auch mit eigenen Anstrengungen bereit.
    Die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um den Prozeß einer Öffnung in der DDR zum Wohle unserer Landsleute zu unterstützen. Sie bleibt deshalb entschlossen, in ihrer bisherigen Politik der praktischen Zusammenarbeit mit der DDR
    im Interesse der Menschen auf beiden Seiten fortzufahren. Bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bemühen wir uns um dauerhafte und weitreichende Verbesserungen für die Menschen in der DDR.
    Der Umweltschutz ist hierfür ein gutes Beispiel. Er hat für die Menschen in beiden Staaten in Deutschland große Bedeutung. Es geht dabei gleichermaßen um die Verbesserung der Lebensbedingungen von heute und um das Wohl künftiger Generationen.
    Wir haben bereits in diesem Jahr mit der DDR konkrete Projekte zur Luft- und Gewässerreinhaltung vereinbart.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Lassen Sie doch Schöneberg schließen! Das wird da drüben sehr gewünscht!)

    Die finanziellen Beiträge der Bundesregierung fließen eben nicht an die DDR, sondern ausschließlich an Unternehmen im Bundesgebiet, die dorthin Anlagen zur Durchführung von Pilotprojekten liefern.
    Das Geld kommt also auch unserer Wirtschaft zugute, und zugleich helfen wir damit bei der Lösung massiver Umweltprobleme in der DDR. So wird z. B. die für Hamburg und die Nordsee schwerwiegende Quecksilberbelastung der Elbe um etwa ein Drittel reduziert.
    Verhandlungen über Maßnahmen zur Verminderung der Luftschadstoffe und Maßnahmen auf dem Gebiete des Naturschutzes sind angelaufen. Gespräche über den Strahlenschutz haben erfreuliche Fortschritte in der praktischen Zusammenarbeit erbracht. Nach jahrelangen Schwierigkeiten zeigt sich die DDR jetzt auch zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs bereit.
    Wir werden auch die Chancen, meine Damen und Herren, die das Kulturabkommen von 1986 eröffnet hat, zielstrebig nutzen. Wechselseitige Ausstellungen, Konzerte, Theatergastspiele und Begegnungen von Wissenschaftlern wecken große Aufmerksamkeit und Interesse für den jeweils anderen Teil Deutschlands. Sie tragen zu dem Bewußtsein auch der kulturellen Verbundenheit und der gemeinsamen Geschichte bei und geben vielfältige Anstöße zur Auseinandersetzung mit den Fragen unserer Zeit.
    Die bisherige Bilanz ist positiv. Besonders erfreulich in den innerdeutschen Kulturbeziehungen ist die in diesem Sommer erfolgreich abgeschlossene Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter. Zahlreiche Städte und Museen diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze verfügen jetzt wieder über ihr angestammtes Archivgut, ihre Gemälde, ihre wissenschaftlichen Sammlungen und Bibliotheken. Das Beispiel zeigt: Mit gutem Willen und sachbezogener Arbeit ist ein Interessenausgleich möglich, auch und gerade in einer Zeit der Veränderungen, wie sie sich jetzt in der DDR abzeichnen.
    Von ganz großer Bedeutung ist auch die Verbesserung der Kontakte zwischen den Hochschulen. Meine Damen und Herren, es sollte und müßte gelingen, die Zahl der Hochschulpartnerschaften und wissenschaftlichen Einzelkontakte auszubauen, besonders aber die wechselseitigen Arbeitsaufenthalte von jungen Wissenschaftlern zu steigern.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Natürlich — auch das gehört zu diesem Bericht — gibt es ebenfalls im Kulturbereich nach wie vor Defizite. Das gilt vor allem für die Volks- und Laienkunst und für die Begegnung von Auszubildenden und Schülern. Wir werden auch weiterhin alles versuchen, daß die Führung der DDR in diesem Bereich ihre spurbare Zurückhaltung aufgibt.
    Dies gilt in gleicher Weise für den Breiten- und Jugendsport. Die DDR verschließt sich nach wie vor den vielfältigen Möglichkeiten, die es hier gibt. Die Bundesregierung wird sich weiterhin darum bemühen, den innerdeutschen Sportkalender über die Daten des reinen Spitzensports hinaus zu erweitern.
    Ein zentrales Anliegen unserer Politik für den Zusammenhalt der Nation bleiben die menschlichen Begegnungen. Dazu dient vor allem der Reiseverkehr, bei dem es 1989 eine weiterhin positive Entwicklung gegeben hat. Jeder sechste Erwachsene unterhalb des Rentenalters in der DDR konnte im vergangenen Jahr zu uns reisen.
    Dieser Verbesserung der Kontakte dienen auch die Städtepartnerschaften. Zwischen Städten in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sind bereits mehr als 60 solcher Partnerschaften vereinbart oder angebahnt worden. Sie eröffnen vielfältige Möglichkeiten, Menschen zueinanderzubringen und persönliche Kontakte zu knüpfen.
    Ganz wichtig ist schließlich der Jugendaustausch, der sich trotz mancher Schwierigkeiten langsam weiterentwickelt.
    Vergessen wir nicht: Mehr als die Hälfte der Deutschen in Ost und West ist nach dem Krieg geboren und kennt den jeweils anderen Teil Deutschlands nicht aus eigener Anschauung. Überdies ist in der DDR seit dem Bau der Mauer eine ganze Generation herangewachsen, die auf Grund der einschneidenden Reisebestimmungen der DDR bisher kaum Gelegenheit hatte, die Bundesrepublik Deutschland zu besuchen, Land und Leute hier kennenzulernen.
    Es ist ein unbestreitbarer Erfolg unserer Deutschlandpolitik, daß inzwischen ein nennenswerter Teil — auch jüngerer — Menschen aus der DDR zu uns zu Besuch kommen, die Lebenswirklichkeit der beiden Staaten miteinander vergleichen und nicht zuletzt auch die Informationen der DDR-Medien einer kritischen Prüfung unterziehen konnte. Das alles dient dem Zusammenhalt unserer Nation.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die neue DDR-Führung ist jetzt entschlossen, eine neue Reiseregelung zu erlassen, die auf die bisher noch bestehenden Beschränkungen weitgehend verzichtet. Sie will damit allem Anschein nach der Tatsache Rechnung tragen, daß die fehlende Freizügigkeit ein ganz wesentlicher Anlaß zur Unzufriedenheit der Menschen und in vielen Fällen auch ein wichtiger Grund für den Wunsch war, die DDR ganz zu verlassen.
    Für eine abschließende Bewertung der Neuregelung, deren Entwurf soeben veröffentlicht wurde und jetzt zur Diskussion steht, ist es noch zu früh. Prüfstein wird auch hier die Praxis, die Wirklichkeit sein. Vor allem wird es darauf ankommen, ob die Neuregelung
    und deren Handhabung den Wünschen und den Erwartungen unserer Landsleute tatsächlich entsprechen. Wenn sie zu wirklicher Reisefreiheit führt, werden auch diejenigen zu uns kommen können, die bisher nicht kommen konnten, weil sie hier keine Verwandten oder Bekannten haben. Wir würden damit eine neue Dimension des Reiseverkehrs erhalten, die auch uns in der Bundesrepublik Deutschland vor neue Aufgaben stellt.
    Wir können nicht alle Lasten übernehmen, aber wir müssen und werden uns bemühen, denen, die zu uns kommen, gute Gastgeber zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Warum nicht alle Lasten?)

    — Ihr einziger Beitrag — neben dem vorhin erwähnten Zynismus — sind Maximalforderungen. Das ist das, was Sie in diesen Jahren hier beigetragen haben.
    Für eine Übergangszeit wird die Bundesregierung im Zusammenwirken mit Kirchen und karitativen Einrichtungen versuchen, Unterbringungsmöglichkeiten für solche Besucher zur Verfügung zu stellen, die keine privaten Unterkünfte finden. Zur finanziellen Seite werden Überlegungen angestellt werden müssen. Über dieses Thema ist natürlich auch noch mit der Regierung der DDR zu sprechen.
    Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, daß die DDR ihrerseits aus dem innerdeutschen Reiseverkehr, insbesondere durch den Mindestumtausch, erhebliche Deviseneinnahmen erzielt. Kein anderer Staat des Warschauer Pakts verfügt laufend über derartige Deviseneinnahmen. Es wäre deshalb nicht mehr als recht und billig,

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Den Zwangsumtausch ganz abzuschaffen!)

    wenn die Führung der DDR einen erheblichen Teil dieser Einnahmen unmittelbar zum Nutzen unserer Landsleute aufwenden und sie auch mit angemessenen Reisedevisen ausstatten würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Abschaffen!)

    Langfristig, meine Damen und Herren, wird die DDR auf jeden Fall dafür sorgen müssen, daß die Menschen mit eigenem Geld reisen können. Das wird nur bei einer erheblichen Verstärkung der wirtschaftlichen Leistungskraft der DDR möglich sein. Wir sind bereit, durch Zusammenarbeit dabei zu helfen.
    Aber die DDR muß selber durch Reformen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diese Zusammenarbeit auch tatsächlich Früchte tragen kann. Dazu gehören insbesondere ein Abbau zahlreicher Maßnahmen, die den innerdeutschen Handel behindern und erschweren, eine Erweiterung der wirtschaftlichen Kooperation auf allen Ebenen, die Zulassung von Direktkontakten zwischen Betrieben beider Seiten und vor allem die Schaffung einer fortschrittlichen Jointventure-Gesetzgebung.
    Im innerdeutschen Handel scheint der Abwärtstrend der letzten Jahre erfreulicherweise gebrochen



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    zu sein. Für 1989 dürfte wieder ein Gesamtumsatz von 15 Milliarden Verrechnungseinheiten erreicht werden. Es muß jedoch, meine Damen und Herren, das Bestreben beider Seiten bleiben, diesen Handel nach Struktur und Niveau in einer Weise zu entwickeln, wie es zwischen zwei hochindustrialisierten Partnern angemessen wäre.
    Gerade angesichts der dringend notwendigen Reformen in der DDR auch im wirtschaftlichen Bereich sehe ich auf den innerdeutschen Handel neue Aufgaben und neue Entwicklungen zukommen. Im Zusammenhang mit einer breit angelegten wirtschaftlichen Zusammenarbeit können von hier wesentliche Anstöße für eine weitere Entwicklung unserer Beziehungen ausgehen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält an ihrem Kurs in der Deutschlandpolitik fest. Sie geht dabei unverändert von den bekannten staats- und völkerrechtlichen Grundlagen aus. Insbesondere hält sie an dem in der Präambel unseres Grundgesetzes verankerten Ziel fest, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dabei ist uns die Reihenfolge der Ziele unserer Politik durch das Grundgesetz vorgegeben. Voraussetzung für die Wiedervereinigung in Freiheit ist die freie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch alle Deutschen.
    Unsere Landsleute haben keine Belehrungen nötig, von welcher Seite auch immer. Sie wissen selbst am besten, was sie wollen. Und ich bin sicher: Wenn sie die Chance erhalten, werden sie sich für Freiheit und Einheit entscheiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Und für Sozialismus!)

    Für uns in der Bundesrepublik Deutschland ist es eine selbstverständliche nationale Pflicht, bei unseren Nachbarn und Partnern in der Welt für das Recht aller Deutschen auf Selbstbestimmung zu werben. Denn ein Votum aller Deutschen für die Einheit ihres Vaterlandes wird niemand in Ost und West ignorieren können. Wir alle, meine Damen und Herren, schulden Staatspräsident Mitterrand großen Dank dafür, daß er sich am vergangenen Freitag genau in diesem Sinne zum Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen bekannt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Wir haben in vielen Bereichen — gerade in den letzten Jahren — beachtliche Fortschritte erzielt. Aber, meine Damen und Herren, wir sind uns auch bewußt, daß es sich dabei nur um Schritte zu weitergesteckten Zielen handeln kann.
    In nahezu allen Bereichen der innerdeutschen Beziehungen sind die Möglichkeiten für die von den Menschen dringend gewünschten Verbesserungen noch lange nicht ausgeschöpft. Es gibt ein breites Feld der Zusammenarbeit, der Öffnung und der gemeinsamen Anstrengungen, das bislang brachlag.
    Wenn die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland wirklich eine neue Qualität bekommen sollen, dann müssen jetzt dafür die notwendigen Voraussetzungen in der DDR selbst geschaffen werden. Es geht um einen wirklich offenen Austausch von Informationen und Meinungen, um einen raschen und umfassenden Abbau der Beschränkungen im Reiseverkehr, um die Abschaffung jeglicher Zensur und um mehr Austausch und Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft, der Hochschulen und der beruflichen Bildung. Es geht um effektive und weitreichende gemeinsame Anstrengungen in allen Bereichen des Umweltschutzes, der von den Menschen in beiden Staaten in Deutschland als eine der wichtigsten Aufgaben für die Erhaltung einer lebenswerten Zukunft angesehen wird.
    Bei all diesen Aufgaben, meine Damen und Herren, gilt die Feststellung: So wie die gegenwärtigen Probleme ihre Ursachen allein in der DDR haben, so können auch nur dort die Voraussetzungen für ihre Lösung geschaffen werden. In dieser Situation können deshalb weder globale wirtschaftliche Hilfen noch gar Sanktionen von unserer Seite weiterhelfen. Es liegt letztlich an der Führung der DDR, den Menschen dort eine lebenswerte Perspektive zu bieten. Nur so können auch jene, die jetzt noch mit dem Schritt der Obersiedlung ringen, zum Bleiben in ihrer Heimat bewogen werden.
    Meine Damen und Herren, es darf dabei nicht nur an Symptomen kuriert werden. Es müssen sich sichtbare und spürbare Reformen vollziehen, die den Menschen politische Mitbestimmung, Achtung der Menschenrechte und vor allem eine konkrete Hoffnung auf bessere materielle Lebensbedingungen bringen. Ein Wandel ist überfällig. Das sagen uns die Ereignisse der letzten Tage und Wochen. Sie widerlegen all jene Stimmen, die uns in der Vergangenheit einreden wollten, daß nicht eine Veränderung hin zu mehr Freiheit zu mehr Stabilität führe, sondern die Zementierung der bestehenden Verhältnisse. Diese Auffassung hat sich eindeutig als falsch erwiesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir erleben jetzt, daß nur rasche und umfassende Reformen weiterhelfen können. Wir in der Bundesrepublik Deutschland können nur versuchen, diese Entwicklung zu fördern. Das erfordert den Dialog mit allen politischen Kräften in der DDR, auch jenen, die jetzt dort politische Verantwortung tragen. Ich erkläre gegenüber der neuen DDR-Führung meine Bereitschaft, einen Weg des Wandels zu stützen, wenn sie zu Reformen bereit ist. Kosmetische Korrekturen genügen nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Echte politische Reformen!)

    Meine Damen und Herren, wir wollen nicht unhaltbar gewordene Zustände stabilisieren. Aber wir sind zu umfassender Hilfe bereit, wenn eine grundlegende Reform der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR verbindlich festgelegt wird. Die SED muß auf ihr Machtmonopol verzichten, muß unabhängige Parteien zulassen und freie Wahlen verbindlich zusichern. Unter dieser Voraussetzung bin ich auch



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    bereit, über eine völlig neue Dimension unserer wirtschaftlichen Hilfe zu sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Dabei ist auch klar, daß ohne eine grundlegende Reform des Wirtschaftssystems, ohne den Abbau bürokratischer Planwirtschaft und den Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung wirtschaftliche Hilfe letztlich vergeblich sein wird.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das heißt: Hilfe zu Ihren Bedingungen!)

    Einen grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Wandel in der DDR zu fördern ist unsere nationale Aufgabe.
    Darüber hinaus haben alle freien Staaten des Westens ein Interesse daran, daß der Prozeß des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels in Mittel-, Ost- und Südosteuropa voranschreitet. Deshalb sind auch alle in der westlichen Staatengemeinschaft — namentlich die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und unsere Partner in der Atlantischen Allianz — aufgerufen, diesen Prozeß durch Kooperationsbereitschaft zu fördern.
    Reisefreiheit, Freizügigkeit und Zusammenarbeit werden — davon bin ich überzeugt — dazu führen, daß die Teilung Europas überwunden wird. Damit wären auch die Tage der Mauer in Berlin gezählt. Dieses abstoßende Symbol der Unmenschlichkeit muß verschwinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, das freie Berlin bleibt in jedem Fall ein Prüfstein für die Verständigungsbereitschaft und den guten Willen der DDR — ebenso wie der Sowjetunion und ihrer anderen Bündnispartner. Die Bindungen dieser Stadt zur Bundesrepublik Deutschland, ihre Außenvertretung durch die Bundesrepublik Deutschland, und die volle Einbeziehung Berlins in alle Entwicklungen und Vereinbarungen im West-Ost-Verhältnis muß ohne Wenn und Aber gewährleistet sein. Bis in die allerjüngste Vergangenheit mußte immer wieder viel Energie aufgewendet werden, um mit Berlin zusammenhängende Probleme zu lösen. Diese Energie ließe sich viel konstruktiver für eine Zusammenarbeit zum Wohle der Menschen in Deutschland und in Europa nutzen.
    Für die Bundesregierung — ich habe dies wiederholt erklärt, ich will es auch heute wiederholen — wird es keine Deutschlandpolitik ohne Berlin oder um Berlin herum geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Freiheit und Lebensfähigkeit des westlichen Teils der Stadt zu wahren und seine Anziehungs- und Ausstrahlungskraft zu fördern bleibt eine unserer wesentlichen Aufgaben.
    Hierzu tragen das Engagement der drei westlichen Schutzmächte ebenso bei wie eine dynamische Entwicklung der Bindungen zwischen Berlin und dem Bund. Im Interesse der Stadt müssen diese Bindungen auch bei allen Kontakten des Senats mit der DDR beachtet werden.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Bei allen Kontakten zu den Amerikanern sollte man nicht um den Bürgermeister herum verhandeln!)

    Nur sie gewährleisten, daß die Stadt an der Entwicklung des freien Teils Deutschlands wie in den vergangenen Jahren voll teilhat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat die jüngsten Verbesserungen im Berliner Reise- und Besucherverkehr nachdrücklich begrüßt; sie standen seit langem auf der „Wunschliste" von Bundesregierung und Senat. Nicht nur für die Berliner, sondern generell bei Reisen in die DDR gibt es freilich noch erheblichen Nachholbedarf: Vor allem der Mindestumtausch und die Einreiseverweigerungen für bestimmte Personengruppen passen nicht in diese Entwicklung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Genausowenig wie die 50-DM-Pauschale!)

    Die Entwicklungen in der DDR bedeuten auch für Berlin neue Herausforderungen. Der Westteil Berlins wird durch einen freieren Reiseverkehr verstärkt Anziehungspunkt und Anlaufstelle für viele Besucher, auch für viele Hilfesuchende aus der DDR und dem Ostteil der Stadt werden. In gewisser Hinsicht wird dies auch für die grenznahen Regionen in der Bundesrepublik Deutschland gelten, deren Förderung immer ein besonderes Anliegen der Bundesregierung war — und auch bleiben wird.
    Berlin wird dadurch aber wegen seiner besonderen Lage und Probleme möglicherweise vor Aufgaben gestellt sein, bei denen es unsere besondere Unterstützung braucht. Wir sind dazu bereit.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die deutsche Frage ist eine Frage von Freiheit und Selbstbestimmung. Bewahren wir, so schwer uns — und vor allem auch unseren Landsleuten in der DDR — dies fallen mag, die beharrliche Geduld, auf den Weg evolutionärer Veränderung zu setzen, an dessen Ende die volle Achtung der Menschenrechte und die freie Selbstbestimmung für alle Deutschen stehen müssen.
    Vergessen wir auch nicht, daß die Lösung der deutschen Frage nicht die Deutschen allein angeht. Übersehen wir nicht, daß sich ein Scheitern der Reformen in Polen und Ungarn auch auf die Chancen für einen Wandel in der DDR auswirken würde.
    Hüten wir uns vor der Annahme, eine Lösung der deutschen Frage mit einem Drehbuch und einem Terminkalender in der Hand vorherbestimmen zu können. Die Geschichte — das zeigen gerade die letzten zwölf Monate — hält sich nicht an Kursbücher. Historische Entwicklungen laufen nicht nach Fahrplänen ab. Die enormen Veränderungen im östlichen Teil unseres Kontinents belegen dies einmal mehr auf eindrucksvolle Weise.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Es kommt deshalb jetzt entscheidend darauf an, daß wir unseren Prinzipien treu bleiben:
    Freiheit und Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft bleiben die Grundpfeiler unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung.
    Die feste und dauerhafte Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im Atlantischen Bündnis und in der Wertegemeinschaft der freien Völker des Westens ist unwiderruflich. Sie folgt aus den bitteren Lehren unserer Geschichte und entspricht den Entscheidungen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat im Innern.
    Nur auf dieser Basis können wir ein verläßlicher Partner sein und erwarten, daß wir Fortschritte bei der Lösung der deutschen Frage und damit im Interesse der Menschen in Deutschland erreichen.
    Meine Damen und Herren, wir sind keine Wanderer zwischen Ost und West,

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Schade! Sehr schade!)

    und wir haben aus der Geschichte dieses Jahrhunderts gelernt.
    Wiedervereinigung und Westintegration, Deutschlandpolitik und Europapolitik sind wie zwei Seiten derselben Medaille. Sie bedingen einander. Ohne die Dynamik des westeuropäischen Einigungsprozesses würden heute die verkrusteten Strukturen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa nicht aufbrechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Schlimme Arroganz ist das!)

    Und ohne die feste Verankerung in der Wertegemeinschaft der freien Völker hätten wir nicht das Vertrauen unserer westlichen Partnerländer, die uns in unseren deutschlandpolitischen Bemühungen stets unterstützt haben. Ich danke hier stellvertretend vor allem dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand und Präsident George Bush, die dies in den letzten Tagen wieder deutlich ausgesprochen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die aktive Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Prozeß der europäischen Einigung bleibt ein tragendes Element unserer Politik. Heimat, Vaterland und Europa: dieser Dreiklang entspricht der Sehnsucht der Menschen nach Vertrautheit und Geborgenheit, nach Offenheit, nach Gemeinschaft und Freundschaft, auch im Verhältnis zu den Nachbarn.
    Die Zukunft Deutschlands liegt in einer übergreifenden Friedensordnung, die die Menschen und Völker unseres Kontinents in gemeinsamer Freiheit zusammenführt. Die europäische Dimension der deutschen Frage bedeutet für uns: nationale Einheit und europäische Einigung. Aus gutem Grund verpflichtet uns das Grundgesetz, unsere Verfassung, auf beides.
    Dabei sind wir uns sehr wohl bewußt, daß die Europäische Gemeinschaft nur ein Anfang und nicht das ganze Europa ist. Bei uns darf niemals die Erinnerung daran verblassen, daß Warschau und Budapest, daß
    Prag, daß Rostock, Leipzig und Dresden selbstverständlich zu diesem gemeinsamen Europa gehören.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Wir streben an — und das bleibt Ziel unserer Politik, wie Konrad Adenauer es einmal formuliert hat — : „In einem freien und geeinten Europa ein freies und geeintes Deutschland".

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten hat sich in Deutschland, hat sich im Herzen Europas mehr verändert als zuvor in Jahren oder in Jahrzehnten.
    Die Ursachen für diesen revolutionären Prozeß sind mannigfaltig und reichen weit zurück. Aber diejenigen, die jetzt Geschichte machen, ja, die bereits Geschichte gemacht haben, sind die Menschen in der DDR.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Ich beginne meine Rede deshalb mit einem Gruß an die Bürgerinnen und Bürger in der DDR, mit einem Gruß, der Verbundenheit, Hochachtung und Sympathie zum Ausdruck bringt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    In diesem Sinn grüße ich diejenigen, die seit Wochen in Leipzig und Dresden, in Schwerin, Rostock und Güstrow, in Magdeburg, Meiningen, Nordhausen und Plauen und an vielen anderen Orten und zuletzt am Wochenende in einer gewaltigen Kundgebung in Berlin zu Hunderttausenden mit dem Ruf „Wir sind das Volk" ihr Recht auf Mitsprache und auf Mitbestimmung einfordern.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Hier hat das Volk selber begonnen, den Grundprinzipien der Demokratie Geltung zu verschaffen,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das haben Sie spät entdeckt!)

    und zwar so elementar und so spontan, aber auch so unpathetisch, diszipliniert und besonnen wie selten auf deutschem Boden.

    (Beifall bei der SPD)

    Christa Wolf, die Autorin, Stefan Heym, der Autor, Friedrich Schorlemmer, der Pfarrer — sie haben für alle zum Ausdruck gebracht, worum es wirklich geht: darum, den Traum von Ernst Bloch Wirklichkeit werden zu lassen, endlich aufrecht gehen zu dürfen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

    Wir verfolgen das, was da geschieht, mit Bewunderung und tiefer Anteilnahme. Ich bin sicher, im Buch



    Dr. Vogel
    der wechselvollen Geschichte des Verhältnisses der Deutschen zur Demokratie ist in diesen Tagen ein neues Kapitel geschrieben worden, ein Kapitel, das an die besten Traditionen der demokratischen Bewegung von 1848 anknüpft.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir hier können denen, die das bewirkt haben, nur dankbar sein; sie haben mehr für die politische Kultur der Deutschen getan, als uns vielleicht im Augenblick bewußt ist. Sie haben das mit einer Würde und mit einer sprachlichen Kraft getan, die auch für uns Maßstäbe setzen sollte, jedenfalls in der heutigen Debatte,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    wenn es sein kann, auch in Zukunft.
    Ich grüße weiter die, die sich in Foren und anderen Reformgruppen zusammengeschlossen und entscheidend mitgeholfen haben, diese Volksbewegung in Gang zu setzen, die jetzt an Alternativen zu einem Gesellschaftssystem arbeiten, das in seiner Erstarrung den Menschen zuletzt die Luft zum Atmen nahm und sie in Scharen aus dem Lande trieb, und die damit den Menschen wieder Perspektiven geben und Mut machen, in ihrem Lande zu bleiben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Zu diesen Kräften gehört auch eine neue Partei, die Sozialdemokratische Partei in der DDR, die von mutigen Männern und Frauen am 7. Oktober 1989 aus eigenem Entschluß gegründet worden ist und der ich auch von dieser Stelle aus unsere Solidarität bekunde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wissen, diese Partei steht noch am Anfang, und Menschen, die sozialdemokratische Positionen vertreten, gibt es auch in anderen Foren und Gruppen. Aber es berührt und bewegt wohl nicht nur uns, daß es in einem Gebiet, das zu den Stammlanden der deutschen Sozialdemokratie gehört, jetzt, 43 Jahre nach der Zwangsvereinigung, wieder eine Sozialdemokratische Partei gibt;

    (Beifall bei der SPD)

    übrigens seit Anfang dieser Woche auch in Ost-Berlin, also dort, wo Sozialdemokraten der Zwangsvereinigung bis 1961 Widerstand geleistet haben.
    Ich denke weiter mit hoher Achtung an die Kirchen in der DDR, insbesondere an die Evangelische Kirche, und grüße ihre Repräsentanten und Angehörigen mit Dankbarkeit.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Diese Kirche war über Jahre hin die einzige Institution, die den Sorgen, Nöten und Bedürfnissen der Gesellschaft Ausdruck geben konnte und das auch tat. Sie hat in einer Zeit, in der die Gesellschaft selbst nahezu sprachlos war, den Raum geboten, in dem sich Menschen begegnen, ihr Bewußtsein entwickeln und beginnen konnten, sich zu artikulieren. Die Kräfte, die jetzt aus dem kirchlichen Raum herausgetreten sind,
    hätten sich anders kaum entfalten können. Auch dies ist eine neue Erfahrung auf deutschem Boden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich wende mich aber auch an die, die in der SED selbst inzwischen öffentlich Fehler einräumen und ebenfalls für Veränderungen eintreten, die sich der Diskussion stellen und die wollen, daß den vielen Worten auch Taten folgen. Ihre Rolle und ihre Bedeutung für die weitere Entwicklung dürfen wir nicht unterschätzen.
    Ich sagte, in der DDR vollziehe sich ein revolutionärer Prozeß. Dieser Prozeß hat die politische Realität der DDR bereits tiefgreifend verändert. Hunderttausende, ja, inzwischen wohl Millionen von Menschen auf den Straßen, Tausende, die sich zur Entwicklung neuer Perspektiven zusammenfinden, offener Widerspruch auch gegen die neue Führung, kritische Beurteilung der Vergangenheit, öffentliche Proteste gegen Übergriffe der Staatsorgane, Liveübertragungen von Demonstrationen, rückhaltlos offene Diskussion im Fernsehen und in anderen Massenmedien, aber auch in Volksversammlungen, Gründung einer Sozialdemokratischen Partei, reihenweise Ablösung von Führungspersonen, Zurückweisung eines von der DDR vorgelegten Gesetzentwurfs, erst gestern abend der Sturz der Regierung und vor allem die immer lauter werdende Forderung nach freien Wahlen — das ist schon jetzt eine neue DDR, eine andere als noch vor wenigen Monaten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Als eine DDR, die noch vor vier Wochen eine — —

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren, ich verstehe nicht, warum Sie bei der Erörterung solcher Themen glauben, sich in einer Art und Weise benehmen zu können, die vielleicht bei anderen Anlässen am Platze ist, aber nicht am heutigen Tage bei der Diskussion dieses Themas.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich sagte, dies ist eine neue DDR, eine andere als die, die vor vier Wochen in einer quälenden und bedrükkenden Zeremonie noch einmal und wohl zum letzten Male das Volk an der Führung vorbeiziehen ließ.

    (Bohl [CDU/CSU]: Sie sind ein Wendehals!)

    Es ist eine DDR, in der sich die Menschen — um ein Wort Erhard Epplers aus seiner großartigen Rede zum 17. Juni 1989 zu wiederholen, der Sie mit Recht, gerade Sie und alle, stürmisch Beifall geklatscht haben — in ihre eigenen Angelegenheiten eingemischt und ihre Sache selbst in die Hand genommen haben. Ein Land, in dem die politische Initiative, die Artikulation des politischen Willens bereits auf das Volk übergegangen ist und in dem sich das Volk wichtige Freiheiten selbst verschafft hat, die Meinungsfreiheit, die Demonstrationsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit zum Beispiel. Wir können das nur mit Bewunderung und mit großer Dank-



    Dr. Vogel
    barkeit gegenüber dem Volk konstatieren, das sich diese Freiheiten verschafft hat.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Die Zeit, in der solches geschieht, ist nicht die Zeit für Auseinandersetzungen der üblichen Art. Was wir hier sagen und austauschen, auch die Art und Weise, wie wir das hier — für jedermann auch drüben sichtbar und hörbar — begleiten, muß vor dem geschärften Urteil der Menschen in der DDR und ihrem neuen Selbstgefühl bestehen können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wendehals!)

    Deshalb konzentriere ich mich auf drei Fragen, nämlich erstens: Welche Ursachen haben diesen revolutionären Prozeß ermöglicht? Zweitens: Was ist jetzt wichtig? Drittens: Was können und was müssen wir jetzt tun?
    Zunächst zu den Ursachen. Die Klarheit über die Ursachen ist auch deshalb wichtig, weil diese Ursachen fortwirken und weil sich daraus wichtige Anhaltspunkte für die weitere Entwicklung ergeben. Den letzten Anstoß für das Aufbrechen der erstarrten Strukturen gab sicherlich die Tatsache, daß zunächst Hunderte, dann Tausende von Bürgerinnen und Bürgern der DDR im Juli, August und September ihrem Land den Rücken kehrten und in die Botschaften nach Budapest, Prag und Warschau flüchteten und daß es sich dabei ganz überwiegend um junge Menschen handelte. Das war eine Form des Protestes, die sich und zugleich dem Protest derer, die zu Hause für Veränderungen eintraten, weltweites Gehör verschaffte.
    In diesen Zusammenhang gehört die mutige Entscheidung der ungarischen Regierung, für die auch ich mich heute im Namen meiner Freundinnen und Freunde noch einmal ausdrücklich bedanke.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

    Für die Entscheidung nämlich, die Stacheldrahtsperren an der österreichisch-ungarischen Grenze beiseite zu räumen und die Menschen reisen zu lassen. Diese Entscheidung hat der Mauer und dem System, das sich nur noch mit ihrer Hilfe halten konnte, die Grundlage entzogen. Dies war das letzte Glied in der Kette.
    Andere Ursachen gingen voraus. So die Reformpolitik Gorbatschows in der Sowjetunion. Auf die Frage, warum in der DDR das Maß an Freiheit und Demokratie nicht möglich sein sollte, das in der Sowjetunion schon verwirklicht war, fand die damalige Führung der DDR keine Antwort mehr. Die Rechnung, man könne die Politik der Öffnung und des Umbaues aussitzen, sie werde sich von selbst erledigen, ging nicht auf. Im Gegenteil, bei seinem Besuch in OstBerlin am 6. und 7. Oktober 1989 hat Gorbatschow die Reformkräfte öffentlich ermutigt. Sein Satz „Wer zu spät kommt, den straft das Leben" hatte es in sich.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Das gilt auch für Sie! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das schreiben Sie sich einmal ins Stammbuch!)

    — Die Art und Weise Ihrer Begleitung läßt nicht Anteilnahme an den Geschehnissen, sondern selbstüberhebliche Rechthaberei in einem Moment erkennen, in der sie besonders verfehlt ist.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Das ist sehr billig!)

    Mindestens ebenso wichtig war, daß die sowjetische Führung die Breschnew-Doktrin widerrief und damit die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Staaten des Warschauer Paktes wiederherstellte. Und daß Ungarn und Polen in Ausübung dieses wiedergewonnenen Selbstbestimmungsrechtes auf dem Weg der Demokratisierung beispielhaft und besonnen vorangingen. An dieser Stelle wird übrigens auch die Verkettung aller Reformprozesse sichtbar. Jeder Rückschlag, den der eine Prozeß erleidet, gefährdet, jeder Fortschritt, den ein Prozeß erzielt, befördert den anderen. Das gilt insbesondere im Verhältnis zur Sowjetunion. Deshalb müssen wir, deshalb muß der Westen insgesamt alle Reformprozesse nach besten Kräften unterstützen. Beispielsweise auch dadurch, daß die Abrüstungsverhandlungen sobald wie möglich zu konkreten Ergebnissen gebracht werden, die die Volkswirtschaft der Sowjetunion und die der anderen Staaten entlasten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    übrigens auch die Volkswirtschaften des Westens, auch unsere eigene.
    Aber die Gorbatschowsche Reformpolitik ist nicht vom Himmel gefallen. Die Ursachenkette, die die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß sich die Prozesse in der Sowjetunion, in Polen, in Ungarn, jetzt auch in der DDR entfalten können und sich in der ČSSR demnächst entfalten werden, reicht weiter zurück. Sie hat von der Politik ihren Ausgang genommen, die vor 20 Jahren von einer sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt ins Werk gesetzt worden ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn das ist inzwischen wohl unstreitig: Ohne die Ost- und Deutschlandpolitik, ohne die Enspannungspolitik hätte es die Verträge nicht gegeben. Ohne die Verträge wäre es nicht zur Helsinki-Konferenz und dem durch sie ausgelösten Prozeß gekommen. Und ohne Helsinki-Prozeß gäbe es auch keine Reformen und keine Reformprozesse.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Diese Entwicklung und die mit ihr verbundene Entspannung hat den Reformen überhaupt erst eine Chance eröffnet und sie Schritt für Schritt nach vornetreten lassen. Die Orthodoxen, die Hardliner, diejenigen, die nichts verändern wollten und wollen, hatten nicht in dieser Phase Konjunktur; sie hatten ihre Konjunktur in den Zeiten der Konfrontation und des Kalten Krieges — übrigens auf beiden Seiten, nicht nur auf einer.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Politik hat schon in der Vergangenheit Früchte getragen. Sie hat eine schrittweise Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und eine konkrete Zusammenarbeit auf
    Deutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989 13021
    Dr. Vogel
    vielen Gebieten bewirkt. Auch und gerade auf dem Gebiet der Friedenssicherung. Sie hat zur Erweiterung einzelner Freiheitsräume, zur Verbesserung der Reisemöglichkeiten und zu einer Vielzahl von persönlichen Kontakten über die deutsch-deutsche Grenze hinweg geführt. Das hat zur Bewahrung und Belebung der Geschichts-, Kultur-, Sprach- und Gefühlsgemeinschaft der Deutschen und damit zur Bewahrung des Wissens, daß wir über die Grenzen der beiden deutschen Staaten hinweg unverändert einer Nation angehören, mehr beigetragen als das, was diejenigen gesagt und gefordert haben, die sich dieser Politik über viele Jahre erbittert entgegengestellt haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Aus dieser Entwicklung ergibt sich, daß wir die Politik, die das möglich gemacht hat, jetzt nicht abbrechen dürfen, daß wir sie vielmehr fortsetzen müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Verhandlungen mit der SED!)

    Für die Abrüstungsverhandlungen sagte ich das schon. Für den Helsinki-Prozeß und für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung gilt das ebenso. Mit einer Sowjetunion, die auf die Breschnew-Doktrin verzichtet hat und ihre Kraft auf innere Reformen konzentriert, mit Staaten, die sich auf den Weg zur Demokratie begeben haben, sind Fortschritte auf diesem Wege leichter und schneller zu erreichen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Das bevorstehende Treffen zwischen Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow wird das erweisen.
    Wir sind überzeugt: Die Chance, Krieg in Europa für alle Zukunft unmöglich zu machen, ist heute größer denn je, größer als in den Jahren nach dem Kriege.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)

    Nicht Zögern und Zaudern, sondern Voranschreiten ist das Gebot der Stunde. Das gilt allerdings nicht nur in einer Richtung; es gilt auch in westlicher Richtung, z. B. hinsichtlich der Einschränkungen, denen auch unsere Souveränität immer noch unterliegt. Wir haben gerne gehört, daß sich die Repräsentanten der USA und Frankreichs und — etwas verhaltener — auch des Vereinigten Königreichs in den letzten Tagen erneut für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen ausgesprochen haben. Das muß sich dann aber auch in diesen Fragen bewähren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Was ist jetzt wichtig?

    (Jäger [CDU/CSU]: Ehrlichkeit wäre jetzt wichtig!)

    Wichtig ist vor allem, daß wir den Übersiedlerstrom
    aus der DDR, der immer noch anschwillt und der
    allein seit Öffnung der tschechoslowakischen Grenze
    in wenigen Tagen 35 000 Menschen zu uns gebracht hat, bald zum Versiegen bringen. Und zwar in erster Linie im Interesse der DDR und erst in zweiter Linie wegen der Probleme, die dieser Strom für uns mit sich bringt. Eine DDR, die ausblutet, eine DDR, deren Versorgungssysteme zusammenbrechen, deren Wirtschaft noch weiter verfällt, wird sich nicht schneller, sondern überhaupt nicht reformieren. Sie wird in Lethargie oder gar im Chaos versinken. Vielleicht spekulieren einige Orthodoxe im SED-Apparat sogar darauf, daß die Volksbewegung auf diese Weise geschwächt wird und sie dann noch einmal eine Chance haben, oder auch darauf, daß der Übersiedlerstrom bei uns soziale Spannungen verursachen und zu Konfrontationen, jedenfalls aber zum Erstarken rechtsextremer Kräfte führen könnte. So ganz abwegig ist eine solche Befürchtung oder Spekulation ja auch nicht.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das wollen wir doch nicht herbeireden!)

    Der Exodus kommt aber nur zum Stehen, wenn die Menschen in der DDR wieder eine lebenswerte Zukunftsperspektive sehen, wenn sie wieder Vertrauen fassen. Wenn sie glauben, daß es sich lohnt, in ihrer Heimat zu bleiben, daß sie dort in absehbarer Zeit in Freiheit und auch in dem Wohlstand leben können, den sie auf Grund ihrer Anstrengungen und ihrer Leistungen erwarten können.
    Das bedeutet politisch: Die SED muß ihren Wahrheitsanspruch und zugleich ihren Führungsanspruch aufgeben. Sie sollte beherzigen, was Rosa Luxemburg, auf die sich die SED ja oft genug berufen hat, gesagt hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ein guter Zeuge! — Jetzt wird es abenteuerlich! — Sie genieren sich gar nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich bedauere ein bißchen, daß das Fernsehen — vielleicht darf ich da eine Anregung geben — die hämischen Gesichter derer, die sich mit diesen Zwischenrufen hervortun, der Bevölkerung nicht immer ganz deutlich zeigt.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Rühe [CDU/ CSU]: Wir haben hier ein freies Fernsehen!)

    Sie sollten beherzigen, was Rosa Luxemburg — auf sie hat sich die SED oft genug berufen — so formuliert hat: Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, ohne freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. — Dies wäre eine Stelle, an der auch die Damen und Herren der Union Rosa Luxemburg Beifall geben könnten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)

    Das heißt: die Forderung nach freien Wahlen ist jetzt die zentrale Forderung. Zu ihrer Verwirklichung sollten sich alle gesellschaftlichen Kräfte der DDR bald an einem runden Tisch zusammensetzen, so wie das in Polen und in Ungarn geschehen ist. Alles, was dahinter zurückbleibt — so erfreulich auch die eine



    Dr. Vogel
    oder andere Maßnahme und der eine oder andere personelle Wechsel erscheint —, genügt nicht mehr. Wer weniger tut, setzt sich vielmehr dem Verdacht aus, es gehe nur um Zeitgewinn und Machterhalt. Die SED muß zur Kenntnis nehmen: Die Zeit, in der man dem Volk einen fremden Willen aufzwingen konnte, ist vorbei. Für einen politischen Führungsanspruch gibt es nur noch eine Legitimation, nämlich das Ergebnis freier Wahlen, und daraus folgt alles andere.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Für den wirtschaftlichen Bereich bedeutet das durchgreifende Reformen, breite Spielräume für individuelle Initiative und Kreativität im Rahmen eines gemischtwirtschaftlichen Systems und klarer gesellschaftlicher Vorgaben, die nicht von einer Zentrale verordnet, sondern in einem demokratischen Prozeß bestimmt und erarbeitet werden und in diesem Rahmen Selbstverantwortung der Unternehmen und Gewerkschaften, die nicht die Interessen der Staatsführung, sondern die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten.
    Auf diesen Feldern fällt die Entscheidung. Anderes tritt demgegenüber an Bedeutung zurück, auch die Frage der Staatlichkeit der DDR. So sehen es jedenfalls die reformerischen Kräfte der DDR, auf deren Forderungen wir auch in diesem Punkt achten sollten und nicht selektiv nur jeweils da, wo es dem einen oder anderen gefällt.
    In dem Aufruf des „Neuen Forums" vom 1. Oktober 1989 heißt es wörtlich — gerade Sie haben sich mit gutem Recht bei jeder Gelegenheit immer wieder genauso wie wir auf das „Neue Forum" berufen —:
    Für uns ist die Wiedervereinigung kein Thema, da wir von der Zweistaatlichkeit Deutschlands ausgehen und kein kapitalistisches Gesellschaftssystem anstreben.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir wollen Veränderungen hier in der DDR. — Bärbel Bohley, Herr Reich, das „Neue Forum".

    (Rühe [CDU/CSU]: Darüber sollen die Bürger entscheiden!)

    — Sie sind natürlich klüger als das „Neue Forum" , Herr Rühe, Sie selbstverständlich.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Vielleicht werden Sie auch noch Generalsekretär des „Neuen Forums".

    (Rühe [CDU/CSU]: Lassen Sie doch die Bürger darüber entscheiden, Herr Vogel!)

    In einem entsprechenden Text — ich werde Ihnen noch weitere interessante Texte zur Kenntnis bringen — des „Demokratischen Aufbruchs" wird gesagt:
    Das besondere Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland, begründet in der Einheit deutscher Geschichte und Kultur, wird durch den „Demokratischen Aufbruch" hoch bewertet. Auch stellt der „Demokratische Aufbruch" die freundschaftliche und familiäre Bindung von Millionen von Bürgern über die Grenze hinweg in Rechnung. Dennoch geht der „Demokratische Aufbruch"
    von der deutschen Zweistaatlichkeit aus. Die langfristige politische Lösung der damit zusammenhängenden Fragen kann nur im Rahmen einer europäischen Friedensordnung erfolgen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich trage Ihnen doch nur vor, was die treibenden politischen Kräfte der Reform zu dieser Frage sagen. Daß Sie mir nicht gern zuhören, kann ich noch verstehen. Aber daß Sie noch nicht einmal den Menschen zuhören, die jetzt in der DDR am aktivsten für Veränderungen eintreten, das wirft auf Sie ein schlechtes Licht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    In den Grundpositionen der SPD, der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, zu einem Parteiprogramm ist wörtlich ausgeführt:
    Anerkennung der derzeitigen Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge der schuldhaften Vergangenheit. Mögliche Veränderungen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung sollen damit nicht ausgeschlossen werden.
    Auch bei den großen Demonstrationen war bisher kein einziges Transparent zu sehen und keine Rede zu hören, die etwas davon Abweichendes verlangt hätte.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Im Einklang damit sage ich: Wer jetzt territoriale Fragen aufwirft und Diskussionen über die Grenzen von 1937 anfacht, der fördert die Reformprozesse nicht, sondern der stört und behindert die aktivsten Kräfte der Reform.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Es ist schlimm genug, daß sich die sogenannten Republikaner auf diesem Feld tummeln. Die demokratischen Kräfte dieses Landes sollten es nicht tun und sollten sich dafür zu schade sein.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das alles, Herr Bundeskanzler, gilt auch für die polnische Westgrenze. Herr Genscher hat dazu vor der UNO-Vollversammlung eine Aussage formuliert — zudem auf sehr persönliche Weise eindrucksvoll an den Außenminister des, wie er wörtlich sagte, neuen Polen gerichtet — , die in dieser Frage jeden Zweifel ausräumt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Sie, Herr Bundeskanzler — das sage ich jetzt in Anbetracht der Empfindlichkeit und der Bedeutung des Themas als Bitte — , sollten sich diese Formulierung uneingeschränkt zu eigen machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Antrag gibt dazu Gelegenheit. Wenn Sie aber in Warschau das wiederholen, was Sie dazu zuletzt vor dem Bund der Vertriebenen und leider, wenig abgewandelt, auch soeben gesagt haben,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Rechtslage!)




    Dr. Vogel
    dann wird auf Ihren Besuch, dem auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Sinne der deutsch-polnischen Verständigung vollen Erfolg wünschen,

    (Rühe [CDU/CSU]: Das merkt man!)

    ein schwerer Schatten fallen. In Polen erwartet man nämlich zu Recht keine verfassungsrechtlichen Deduktionen, sondern die verbindliche politische Aussage, daß die Deutschen die polnische Westgrenze ein für allemal als endgültig betrachten.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Ich erinnere mich an ein geschätztes Mitglied dieses Hohen Hauses, das diese Auffassung von dieser Stelle aus auch einmal vertreten und dann in einer Wahlkapitulation als irrig zurückgenommen hat. Ich sage: Auch das Verfassungsgerichtsurteil hindert Sie in keiner Weise daran, den politischen Willen, diese Grenze ein für allemal anzuerkennen, zum Ausdruck zu bringen.
    Im übrigen zu den Vorbehalten: Wenn am Ende dieses Jahrhunderts in Europa in Sachen Grenzen etwas vorzubehalten oder etwas zu verhandeln ist, dann die Aufhebung von Grenzen, nicht aber ihre Verschiebung auf diesem Kontinent!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Unsere Position in der Frage der deutschen Einheit ist unverändert. Sie beruht auf der uneingeschränkten Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts. Das Selbstbestimmungsrecht ist die zentrale Antwort auf die deutsche Frage. Deshalb ist es zunächst einmal Sache der Deutschen in der DDR, dann, wenn sie dazu imstande sind — wir hoffen, bald — , darüber zu befinden, für welche Form des Zusammenlebens mit uns sie sich entscheiden wollen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Für die deutsche Sozialdemokratie sage ich: Wie immer sich die Deutschen dort entscheiden werden, wir werden die Entscheidung respektieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP — Rühe [CDU/CSU]: Was wünschen Sie sich denn?)

    Mit den Reformkräften in der DDR sind wir dafür, daß diese Entscheidung so getroffen wird, daß sie den europäischen Einigungsprozeß nicht hemmt, sondern fördert. Unser Ziel bleibt es, die Einheit der Deutschen gemeinsam mit der Einheit Europas zu vollenden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Gerade deshalb ist die weitere europäische Entwicklung für uns wichtiger denn je. Diese Entwicklung muß sich an zwei Zielen orientieren, nämlich daran, daß der Integrationsprozeß der EG in Richtung auf die Europäische Union unvermindert voranschreitet, und daran, daß die EG gleichzeitig für die Zusammenarbeit mit den EFTA-Staaten und den Staaten Osteuropas und des östlichen Mitteleuropa offenbleibt, ja, sich für diese Zusammenarbeit noch weiter
    öffnet. In dieser historischen Situation könnte die Aufnahme Österreichs in die EG gerade jetzt ein ganz wichtiges Signal in die richtige Richtung geben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ein konkreter Schritt hin zur Einheit sollte sofort getan werden. Und das ist die Beseitigung von Stacheldraht und Sperranlagen an der deutsch-deutschen Grenze und die vollständige Öffnung der Mauer.

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Sie waren stets inhuman und deshalb zu Recht Gegenstand weltweiter Kritik. Jetzt sind sie vollends sinn- und funktionslos. Darum sage ich: Ein liberales Reisegesetz allein genügt nicht; vielmehr muß die deutsch-deutsche Grenze in den gleichen Zustand versetzt werden wie die ungarisch-österreichische Grenze, und das bald.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Die DDR würde sich damit auch immense Kosten ersparen und ihrer Wirtschaft voranhelfen.
    Das gleiche wäre übrigens auch der Fall, wenn, wie Christa Wolf das ausgedrückt hat, die Heerscharen des Staatssicherheitsdienstes so schnell wie möglich demobilisiert würden.

    (Beifall bei der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Den Verfassungsschutz brauchen wir auch nicht!)

    Was können, was sollen wir tun? Das heißt zugleich: Was müssen wir unterlassen? Daß wir die Frage der Staatlichkeit nicht in den Vordergrund rücken sollten, habe ich schon gesagt. Es gibt aber auch keinen Anlaß zu vordergründigem Triumph in dem Sinne, daß wir in diesen Tagen unsere eigene gesellschaftliche Realität heiligsprechen. Diejenigen, die meinen, die neuen politischen Kräfte in der DDR wollten einfach die gesellschaftliche Realität der Bundesrepublik übernehmen, täuschen sich gründlich. Natürlich sieht man dort die Vorzüge unserer Ordnung; man sieht aber auch die Nachteile und Gefahren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Man kann nicht alles haben!)

    Wer sich auf diese neuen Kräfte, wer sich auf das „Neue Forum", den „Demokratischen Aufbruch" oder die SDP beruft, der beruft sich auf Kräfte, deren gesellschaftliche Vorstellungen und Forderungen auf einen ökologisch orientierten freiheitlichen und demokratischen Sozialismus, keinesfalls aber auf Gesellschaftsmodelle neokonservativer Prägung hinauslaufen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Deshalb ist dort wohl das Ende eines verknöcherten Systems eingeläutet, das sich zu Unrecht als sozialistisch bezeichnet,

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    nicht aber, wie manche hier meinen oder auch hoffen,
    das Ende der Sozialdemokratie, des demokratischen
    13024 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode — 173. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1989
    Dr. Vogel
    Sozialismus. Der erlebt dort, in der DDR, und in ganz Osteuropa jetzt, in diesen Monaten, seine Wiedergeburt, und das strahlt auf ganz Westeuropa aus.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/ CSU: Das war ja eine kabarettistische Einlage! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich hoffe, Sie finden sich wieder. Mir gefällt immer wieder der Vergleich zwischen der Schläfrigkeit dieser Herren und Damen bei Reden des Bundeskanzlers und ihrer lebhaften Aufregung jetzt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Offenbar gehen die anregenden politischen Gedanken eher von meiner Rede aus. Zu diesem Ergebnis muß man kommen.
    Im übrigen: Der Herr Bundeskanzler hat ja etwas sehr Zustimmenswertes gesagt. Er hat gesagt: Wir sollten die Menschen in der DDR und auch die Menschen in den anderen osteuropäischen Ländern nicht bevormunden. Es steht in krassem Widerspruch dazu, wenn Sie mit überheblicher Heiterkeit reagieren, wenn ich zitiere, was die gesellschaftlich aktivsten Kräfte drüben als ihren Willen ausgeben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nachdem diese Debatte hier auch die Menschen in der DDR verfolgen und dies alles mit anhören, werden sie jetzt ein bißchen besser und illusionsloser über Ihre Einstellung zu denen, die die Volksbewegung drüben vorangebracht haben, Bescheid wissen.

    (Beifall bei der SPD)

    Was können wir tun? Zunächst einmal die Gesprächskontakte gerade jetzt intakt halten, und zwar nach allen Seiten, auch zu denen, die offizielle Funktionen innehaben. Ich begrüße ausdrücklich, daß in einer kritischen Zeit Herr Kollege Mischnick mit einer großen Delegation der FDP drüben war und mit dem neuen Generalsekretär gesprochen hat. Wenn da und dort aus Ihren Reihen Kritik laut wurde: Wir halten diese Reise, wir halten dieses Gespräch für nützlich und unterstützen es.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Notwendig ist die Vertiefung der schon existierenden Zusammenarbeit auf kulturellem, ökologischem und wirtschaftlichem Gebiet, nicht im Sinne einer Belohnung oder gar eines Abkaufens von Reformmaßnahmen, sondern damit neue und zusätzliche Möglichkeiten, die sich aus dem wirtschaftlichen und politischen Umbruch ergeben — ergeben können, muß man sagen — rasch genutzt werden. Hier sind auch größte Anstrengungen gerechtfertigt.
    In den Bereich des Realisierbaren rücken jetzt auch institutionelle Fragen, etwa die nach einer europäischen Umwelt- oder Abrüstungsbehörde in Berlin. Oder sogar nach einzelnen, deutsch-deutschen Institutionen, beispielsweise wiederum auf dem Feld des Umweltschutzes, auf dem des Bank- und Kreditwesens, der Drogen- oder der AIDS-Bekämpfung. Vieles, was kürzlich noch utopisch erschien, sollte zumindest
    angesprochen und im voraus sorgfältig bedacht werden.
    Das alles könnte zu einer neuen Qualität des deutsch-deutschen Verhältnisses führen, bei der das Miteinander, ja ein Zusammenwachsen mehr und mehr an die Stelle des Nebeneinander tritt. Das könnte auch in Ergänzung und Weiterführung des Grundlagenvertrages zu zusätzlichen Vereinbarungen führen. Hingegen sehen wir zu Änderungen der rechtlichen Gegebenheiten oder praktischen Handhabung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit nach wie vor keine Veranlassung. Die SPD als Fraktion und als Partei haben dies auch zu keinem Zeitpunkt verlangt oder vorgeschlagen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Vordringlich ist die Bewältigung der Probleme, die sich mit der Einführung der vollen Reisefreiheit — sie wird kommen — ergeben. Die Menschen, die aus der DDR in die Bundesrepublik reisen wollen, müssen in den Stand gesetzt werden, bestimmte Beträge ihres eigenen Geldes in D-Mark umzutauschen. Als ersten Schritt schlagen wir vor — zu meiner Freude hat das drüben bereits ein positives Echo gefunden —, dafür die D-Mark-Guthaben zu verwenden, die sich aus dem Zwangsumtausch bei Reisen in die umgekehrte Richtung ansammeln, und dafür — das muß man dann aber hinzusagen — , die Forderung auf Aufhebung des Zwangsumtausches für längere Zeit zurückzustellen. Beides miteinander ist logisch unvereinbar.
    Ergänzend sollten wir das Volumen, das jetzt für das sogenannte Begrüßungsgeld aufgewendet wird, ebenfalls für den Umtausch verfügbar machen. Eine gemeinsame deutsch-deutsche Bank könnte hierfür und für die Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gute Dienste leisten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Skurrile Vorstellung!)

    Nicht minder aktuell ist die Bewältigung des Übersiedlerstroms. Daß er bislang bewältigt werden konnte, ist das Verdienst vieler Helferinnen und Helfer. Ich nenne nur das Rote Kreuz, die anderen Wohlfahrtsverbände, den Bundesgrenzschutz, die Polizei und die Bundeswehr, aber auch die Mitarbeiter unserer Botschaften, insbesondere der Botschaft in Prag, die zum Teil Übermenschliches geleistet haben. Ihnen allen gilt unser aufrichtiger Dank.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Bis der Übersiedlerstrom versiegt, wird selbst im günstigsten Fall noch einige Zeit vergehen. Nach Einführung der Reisefreiheit — da sollten wir uns keine Illusionen machen — wird er sogar noch einmal steigen. Das wird die Probleme, mit denen wir es heute schon zu tun haben, zusätzlich verstärken. Es wäre unredlich, das zu verschweigen. Noch unredlicher wäre es, den Zuwanderern nicht von vornherein zu sagen, daß es infolge der Wohnungsnot, die in der Bundesrepublik nicht erst heute herrscht, länger, wenn nicht lange dauern wird, bis sie aus Sammel- und Behelfsunterkünften in endgültige Wohnungen umziehen können. Wer einen anderen Anschein er-



    Dr. Vogel
    weckt, täuscht diese Menschen und hilft ihnen nicht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Das ist unsere Position in dieser Frage:

    Erstens. Die Übersiedler machen von einem Recht Gebrauch, das ihnen das Grundgesetz einräumt. Wir bitten sie zwar — ich tue das auch von dieser Stelle —, zu prüfen, ob es nicht jetzt schon ausreichende Gründe gibt, sich in der DDR für Veränderungen zu engagieren und deshalb dortzubleiben. Aber wir respektieren ihre Entscheidungen, und wir haben auch kein Recht, sie zu kritisieren. Keiner von uns wüßte, wie er sich in der gleichen Situation entscheiden würde. Das gehört immer dazu.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])

    Sie sind und bleiben willkommen. Und sie haben einen Anspruch darauf, ebenso, d. h. nicht schlechter, aber auch nicht besser als diejenigen behandelt zu werden, die in unserer Mitte in vergleichbarer Weise der Hilfe und Unterstützung bedürfen, also beispielsweise wie diejenigen, die hier schon lange auf eine Wohnung oder auf einen Arbeitsplatz warten.
    Meinen Respekt vor denen, die bleiben, die ihr Gemeinwesen in Freiheit erneuern wollen, habe ich vorhin schon zum Ausdruck gebracht. Ich wiederhole ihn an dieser Stelle. Hohen Respekt äußere ich übrigens auch vor denen, die einfach deswegen in der DDR bleiben, weil Kranke, Hilfsbedürftige oder andere Mitmenschen in schwere Bedrängnis kämen, wenn sie gehen würden. Auch dieser menschliche Gesichtspunkt verdient Anerkennung; das unterstreiche ich.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Die Lösung der sich daraus ergebenden Fragen kann nicht allein den Ländern und Gemeinden überlassen bleiben.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

    Der Bund muß seinen vollen Beitrag leisten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Tut er ja auch!)

    Das hat er bisher nicht im notwendigen Umfang getan.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Jäger [CDU/CSU]: Das ist unwahr, was Sie da sagen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Zu diesem Zweck bedarf es eines Gesamtkonzeptes, das außer den Übersiedlern auch alle anderen Kategorien von Zuwanderern umfaßt. Dieses Konzept muß u. a. klären — ich sage ausdrücklich: klären —, von welcher Zuwandererzahl — bei aller Schwierigkeit der Prognose — mittelfristig ausgegangen werden muß;

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Sie meinen auch die Asylanten?)

    ob angesichts des Übersiedlerstromes — auch das
    muß geklärt werden — auch diejenigen Zuwanderer
    weiter unbeschränkt in der Bundesrepublik aufgenommen oder hier belassen werden können, die darauf keinen verfassungsrechtlichen oder durch internationale Verträge gesicherten Anspruch haben;

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Deutlicher, Herr Vogel! — Jäger [CDU/CSU]: Wen meinen Sie? — Rühe [CDU/CSU]: Wen haben Sie soeben gemeint? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

    ob und in welchem Umfang Leistungen gewährt werden sollen, die sich von Leistungen unterscheiden, die den hier Ansässigen zustehen,

    (Jäger [CDU/CSU]: Werden Sie deutlicher!)

    und wie die Wohnungsversorgung sichergestellt werden soll und welche beschäftigungspolitischen Maßnahmen ergriffen werden müssen.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Klartext reden! — Gegenruf der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: War doch Klartext!)

    Drittens. Zur Lösung dieser Probleme, zur Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der DDR und auch zur Förderung der Reformprozesse in Polen und anderen Staaten des Warschauer Paktes sind — bei aller Unterstützung des Gedankens, daß auch die Europäische Gemeinschaft hier eine wichtige Aufgabe hat — öffentliche Mittel in einem Ausmaß erforderlich, das uns allen noch nicht genügend deutlich vor Augen steht. Allein die Behebung der Wohnungsnot, die sich schon in einem Zeitpunkt sichtbar verschärfte, in dem die Zuwanderung noch keine Rolle gespielt hat, erfordert wesentlich mehr Milliarden D-Mark, als Sie in Ihren schrittweisen Programmen — zuletzt gestern — veranschlagt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, jetzt rächt sich doppelt, daß eine sozial ungerechte Steuerreform die öffentlichen Finanzen so geschwächt hat,

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    daß die Deckungsmittel für das dringend Notwendige fehlen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist dummes Zeug!)

    Wahrscheinlich ist es jetzt zu spät, die am 1. Januar 1990 wirksam werdenden Steuersenkungen für Hochverdienende wenigstens noch auszusetzen. Aber für die neu angekündigten Steuersenkungsprogramme ist jetzt mit Sicherheit kein Raum mehr.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Gegenteil: Es sind zusätzliche Leistungen erforderlich, die von den Starken und nicht von den Schwachen erbracht werden müssen, und zwar bald.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie kommen mit Ihren Öko-Steuern!)

    Auch das darf nicht verschwiegen, auch das muß unserem Volk deutlich, klar und ehrlich gesagt werden.



    Dr. Vogel
    Was hier auf dem Spiele steht, geht weit über das hinaus, was uns sonst Tag für Tag beschäftigt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Allerdings!)

    Es geht um die Bewahrung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik, und es geht darum, daß wir tun, was in unseren Kräften steht, um den Demokratisierungs- und Reformprozessen zum Erfolg zu verhelfen. Wir — und übrigens auch der ganze Westen — müßten uns die bittersten Vorwürfe machen, wenn diese Prozesse scheitern, wenn es zu Chaos oder zu chinesischen Antworten käme, weil wir das uns Mögliche an Leistungen und Unterstützungen versäumt haben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Auch hier, auch in diesem Zusammenhang gilt der
    Gorbatschowsche Satz: „Wer zu spät kommt,"
    — nein: wer zu spät hilft — „den straft das Leben."

    (Zustimmung bei der SPD)

    Deshalb sind wir als Opposition bereit, an der Erarbeitung eines solchen Gesamtkonzeptes mitzuwirken
    — und zwar sofort, zusammen mit allen anderen gesellschaftlichen Kräften unseres Landes. Sie, Herr Bundeskanzler, sollten nach Ihrer Rückkehr aus Polen unverzüglich dazu die Initiative ergreifen.
    Kooperation, die hiermit für dieses wichtige Feld angeboten ist, ist mehr denn je ein Gebot in allen Fragen, die Berlin betreffen. Die Bedeutung dieser Stadt ist vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen noch gewachsen. Darin liegen für die Zukunft große Chancen. Aber zunächst muß Berlin hinsichtlich der Aufnahme von Übersiedlern und anderen Zuwanderern besondere Leistungen erbringen, die es aus eigener Kraft auf Dauer nicht bewältigen kann.
    Gleiches gilt übrigens für den Zustrom von polnischen Besuchern, die überwiegend ja nicht aus Mutwillen oder Geschäftssinn, sondern aus Not Habseligkeiten aller Art in Berlin verkaufen, um mit den erlösten D-Mark-Beträgen in ihrer Heimat einige Wochen und Monate halbwegs erträglich leben zu können. Das ist übrigens auch eine Folge der Maßnahmen, die gegen die Einreise von Polen nach Westdeutschland getroffen worden sind und die wegen des besonderen Status von Berlin dort nicht wirksam werden können und die — das füge ich für Menschen hinzu, für die Solidarität und Nächstenliebe keine Fremdwörter sind — aus Gründen der Mitmenschlichkeit wohl auch nicht wirksam werden sollten.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Eine zusätzliche Probe steht der Stadt bevor, sobald die Reisefreiheit in Kraft tritt. Schätzungen rechnen mit bis zu 200 000 Besuchern aus der DDR, von denen nicht ganz wenige in der Stadt bleiben werden. Berlin, meine sehr verehrten Damen und Herren, braucht deshalb dringender denn je die Hilfe des Bundes. Alle früheren Versprechungen und auch die heutige sind keinen Schuß Pulver wert, wenn sie in diesen Tagen und Wochen gegenüber der Stadt Berlin nicht eingelöst werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich appelliere deshalb an Sie, Herr Bundeskanzler, Ihren Groll über das Berliner Wahlergebnis zu vergessen und Berlin so zur Seite zu stehen, wie es der Regierende Bürgermeister und die Berliner Bevölkerung von Ihnen und der Bundesregierung zu Recht erwarten, ja fordern.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Die Lage der Nation im geteilten Europa und in dem mit ihm geteilten Deutschland war lange Gegenstand der Sorge, ja in den Zeiten des Kalten Krieges Gegenstand von Befürchtungen und Ängsten. Nach Jahren, in denen eine realistische Politik diese Lage zunächst stabilisiert und durch eine Vielzahl kleiner Schritte dem Zerfall der Nation entgegengewirkt hat, ist sie heute Gegenstand der Hoffnung und wachsender Zuversicht.
    Ob sich diese Hoffnung verwirklicht, ob es bald ebenso einfach sein wird, von Ost-Berlin nach Bonn wie von Budapest nach Wien oder von Köln nach Brüssel zu gelangen, ob Recht und Freiheit allen Deutschen in gleichem Maß zuteil werden, ob die Einigkeit oder gar Einheit der Deutschen in einem einigen und geeinten Europa endgültig an die Stelle der Trennung tritt, ob damit auch die Nachkriegszeit endgültig abgeschlossen wird, das liegt nicht nur in unserer Hand.
    Aber wir müssen dazu unseren vollen Beitrag leisten. Mit heißem Herzen und zugleich mit kühlem Verstand. Wo notwendig im Streit und wo möglich gemeinsam. Die deutsche Sozialdemokratie ist dazu bereit.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)