Rede von
Norbert
Geis
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage nach dem Sinn staatlichen Strafens, nach den Strafzwecken und nach dem Strafvollzug stellt sich immer wieder neu. Obwohl wir 1977 nach jahrzehntelanger Diskussion das Strafvollzugsgesetz erhalten haben, ist die Diskussion um den richtigen Weg im Strafvollzug längst noch nicht zu Ende gekommen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983 hat diese Diskussion neu entfacht.
Nun gibt es viele übereinstimmende Momente in der Diskussion, z. B., daß wir den Täter-Opfer-Ausgleich im Ansatz genauso wollen wie Sie, Frau Nikkels. Es gibt sicherlich auch eine Übereinstimmung darüber, daß die Strafrechtspflege eine entscheidende Rolle in unserem Gemeinschaftswesen spielen muß. Daß sie die Aufgabe hat, den Bürger zu schützen, ihm die Möglichkeit zu geben, sich in seinen Rechten frei zu entfalten, ihm überhaupt erst den Spielraum zu eröffnen, innerhalb dessen er seine Freiheit nach den Gesetzen entfalten kann, über diese Frage besteht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, bereits Streit.
Ich meine, daß ich mich hier auf wenige grundsätzliche Streitpunkte beschränken sollte, weil das ganze Spektrum in einer zehnminütigen Rede natürlich nicht erörtert werden kann.
Wir sind uns einig, wir müßten uns einig sein in der Frage, daß derjenige, der gegen unsere Ordnung verstößt, von der Polizei zu verfolgen ist, daß er von den Staatsanwälten anzuklagen ist und daß Gerichte diese Verletzung unseres Gemeinschaftswesens mit den dafür vorgesehenen Strafen zu ahnden haben.
Aber schon in dem Punkt, wie der Vollzug auszurichten sei, unterscheiden wir uns erneut. Schon in der Frage unterscheiden wir uns, ob der Vollzug mit der Strafrechtspflege überhaupt zusammen zu sehen ist, ob er mit der Strafrechtspflege eine Einheit darstellt, ob also Verfolgung, Urteil und Vollzug zusammengehören oder ob hier nicht eine Trennung vorzunehmen ist. Wir sagen: Der Vollzug muß dem Urteil folgen, weil die Strafrechtspflege sonst eine zwar teure, aber doch ziemlich lächerliche und nutzlose Veranstaltung wäre.
Viele, Sie von den GRÜNEN, aber auch andere, versuchen, wie ich schon erwähnt habe, einen Trennungsstrich zwischen der Strafverfolgung durch die Polizei und dem Urteil einerseits und dem Vollzug andererseits zu ziehen. Sie versuchen insbesondere, den Vollzug von den Überlegungen des Gerichtes zur Tat, zur Persönlichkeit des Täters und zur Schwere der Schuld abzukoppeln. Insbesondere scheint sich ein Unterschied darin aufzutun — jedenfalls zwischen Ihnen und uns — , daß wir nicht nur auf die Resozialisierung, auf die Behandlung setzen, sondern daß wir sagen, daß der Strafvollzug seinen Sinn und Zweck auch darin finden muß, die Bevölkerung vor weiteren Straftaten zu schützen. Hier scheint mir ein erheblicher Differenzpunkt zwischen Ihrer und unserer Auffassung zu sein.
Dabei meine ich, daß Ihre Auffassung gegen das geltende Gesetz verstößt, weil § 2 des Strafvollzugsgesetzes in seiner heutigen Fassung zwei Aufgaben vorsieht: einmal die Behandlung, also die Resozialisierung, zum anderen aber auch den Schutz der Bürger vor weiteren Straftaten. Diese innere Sicherheit kann der Bürger auch verlangen, dafür zahlt er Steuern, und schließlich kann sich nicht jeder eine eigene Schutztruppe leisten. Es geht im Strafvollzug also zunächst einmal um ein Zweifaches: um die Behandlung des Täters, um die Resozialisierung, aber auch um den Schutz des Bürgers.
Nun stellt sich die Frage, ob noch weitere Strafzwecke in den Strafvollzug einfließen sollten. Ich habe schon erwähnt: Natürlich kommt auch hier das Moment des Täter-Opfer-Ausgleichs, in dem wir im Ansatz übereinstimmen. Aber ich meine, daß Ihr Versuch, den Strafvollzug völlig von dem Urteil und dem Schuldspruch abzukoppeln, mißlingen muß; denn jeder Täter weiß, warum er ins Gefängnis kommt, weil er nämlich schuldhaft gehandelt hat. Die Strafe kommt schließlich nicht wie eine Urgewalt oder wie ein Naturereignis über den Täter, sondern deshalb, weil am Anfang seiner Tat seine freie Entscheidung steht. Er weiß, wenn sich die Gefängnismauern hinter ihm schließen, warum er ins Gefängnis kommt, weil er nämlich schuldhaft gehandelt hat.