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ID1115607100

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    Plenarprotokoll 11/156 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 156. Sitzung Bonn, Dienstag, den 5. September 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 11715A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/5000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1990 bis 1993 (Drucksache 11/5001) Dr. Vogel SPD 11715B Rühe CDU/CSU 11723 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 11733 C Mischnick FDP 11736 C Dr. Kohl, Bundeskanzler 11739C Dr. Schmude SPD 11750A Lintner CDU/CSU 11754 B Frau Frieß GRÜNE 11756 C Hoppe FDP 11758C Büchler (Hof) SPD 11760B Dr. Knabe GRÜNE 11762 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . . 11763 C Kühbacher SPD 11765C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . . 11769A Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 11772 B Dr. Rose CDU/CSU 11773 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 11776D Dr. Hauchler SPD 11778C Wilz CDU/CSU 11781C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 11783 B Frau Seiler-Albring FDP 11784 C Müntefering SPD 11786 D Pesch CDU/CSU 11788D Frau Teubner GRÜNE 11791C Dr. Hitschler FDP 11792 D Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau . 11794B Conradi SPD 11797D Frau Odendahl SPD 11799C Frau Männle CDU/CSU 11803 A Wetzel GRÜNE 11804 D Neuhausen FDP 11806A Daweke CDU/CSU 11806D Möllemann, Bundesminister BMBW . . . 11807D Oostergetelo SPD 11810B Eigen CDU/CSU 11814 D Frau Flinner GRÜNE 11817 C Bredehorn FDP 11819 A Daubertshäuser SPD 11821 C Fischer (Hamburg) CDU/CSU 11824 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1989 Frau Rock GRÜNE 11826 D Zywietz FDP 11828B Haar SPD 11831A Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) (Drucksache 11/5124) 11821B Nächste Sitzung 11832D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . .11833* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1989 11715 156. Sitzung Bonn, den 5. September 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 07. 09. 89* Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Büchner (Speyer) SPD 07. 09. 89* Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 05. 09. 89 Eich GRÜNE 07.09.89 Frau Eid GRÜNE 07. 09. 89 * * * Frau Fischer CDU/CSU 07. 09. 89* * * Frau Garbe GRÜNE 05. 09. 89 Frau Geiger CDU/CSU 07. 09. 89* * * Genscher FDP 07.09.89 Haack (Extertal) SPD 05. 09. 89 Heimann SPD 05.09.89 Frau Hensel GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Holtz SPD 07. 09. 89* * * Frau Hürland-Büning CDU/CSU 07. 09. 89 Dr. Hüsch CDU/CSU 05. 09. 89 Hüser GRÜNE 05.09.89 Ibrügger SPD 05. 09. 89 * * Jaunich SPD 05.09.89 Klein (Dieburg) SPD 07. 09. 89 Dr. Klejdzinski SPD 07. 09. 89 * * * Dr. Kreile CDU/CSU 07. 09. 89 Kreuzeder GRÜNE 05.09.89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 07. 09. 89 Frau Luuk SPD 07. 09. 89* * * Lüder FDP 07.09.89 Magin CDU/CSU 07.09.89 Meyer SPD 05.09.89 Dr. Müller CDU/CSU 07. 09. 89 * Frau Nickels GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Nöbel SPD 07. 09. 89 Poß SPD 05.09.89 Regenspurger CDU/CSU 07.09.89 Frau Saibold GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Scheer SPD 07. 09. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Dr. Stercken CDU/CSU 07. 09. 89 * * * Stratmann GRÜNE 05.09.89 Such GRÜNE 05.09.89 Tietjen SPD 07.09.89 Vahlberg SPD 07.09.89 Frau Dr. Vollmer GRÜNE 05. 09. 89 Westphal SPD 07.09.89 Wolfgramm (Göttingen) FDP 07. 09. 89* * * Dr. Wulff CDU/CSU 07. 09. 89* * * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung * * * für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
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    Rede von Hans Büchler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Überraschend kommt doch noch eine deutschlandpolitische Diskussionsrunde zustande; ich begrüße das. Ich hatte eigentlich
    erwartet, daß es nach Rühe noch etwas rüder wird durch Herrn Lintner.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Na, was soll das denn?)

    Das ist nicht eingetreten; das begrüßen wir. Ich bin überhaupt erfreut, daß in der letzten Zeit anscheinend wieder eine bestimmte Bewegung zwischen den großen Parteien vorhanden ist, in der Deutschlandpolitik etwas gemeinsam zu gestalten.

    (Lintner [CDU/CSU]: Sie kommen also auf uns zu?)

    — Nein, das würde ich glatt abstreiten; denn genau das Gegenteil ist der Fall. Herr Lintner, Sie haben, so meine ich, richtig signalisiert, daß Sie bereit sind, über das hinauszudenken, was Sie bisher vertreten haben. Das können wir als Sozialdemokraten nur begrüßen.
    Die erste Stufe war: Sie haben unsere sozialliberale Politik akzeptiert. Nun denken Sie darüber nach, was danach werden soll. Ich meine, daß wir Sozialdemokraten in den letzten Monaten und Jahren bestimmt genug an Vorschlägen für Diskussionen eingebracht haben, um die Deutschlandpolitik weiter zu entwikkeln.

    (Zuruf der Abg. Frau Friess [GRÜNE])

    — Es tut mir leid, gnädige Frau, aber auf Ihren Beitrag kann ich heute leider nicht eingehen. Das war mir einfach zu kompliziert, zu unverständlich und abseits jeder Realität, so daß ich mich also wirklich nicht damit beschäftigen kann.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Ich möchte ein paar Worte zu der Grenzdiskussion sagen, Herr Lintner, weil Sie das noch einmal aufgeworfen haben. Es geht um die leidige Diskussion über die polnische Westgrenze. Ganz klar ist das anscheinend bei Ihnen immer noch nicht. Wer Europa bauen will, wer auch den Deutschen in diesem Haus Europa ein gemeinsames Zuhause, in welcher Staatsform auch immer, geben möchte, der muß sich über eines klar sein: Die Polen brauchen ein gesichertes Zuhause. Die Westgrenze der Polen darf nicht mehr angetastet werden,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    wenn wir in Zukunft Europa bauen wollen. Herr Lintner, die Sozialdemokratie hat hier weit vorangedacht. Sie sollten dem schön langsam folgen. Sie wissen, welche Diskussionen wir im Rahmen unserer deutschlandpolitischen Debatte zur Lage der Nation hier geführt haben.

    (Lintner [CDU/CSU]: Lesen Sie Brandt nach! 1972!)

    Wir als Sozialdemokraten stehen — darüber gibt es gar keinen Zweifel — für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen auch in der DDR ein. Wir als Sozialdemokraten stehen für das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen in der ganzen Welt ein, warum denn auch nicht für die in der DDR. Wer daran zweifelt, hat die Sozialdemokratie nicht begriffen. Das brauchen sie aber nicht zu begreifen. Dazu sind sie ja nicht da. Nur muß klar sein: Selbstverständlich ist das



    Büchler (Hof)

    für uns ein Auftrag, den wir mit Sicherheit nicht vernachlässigen werden.
    Die DDR-Bürger müssen eines Tages entscheiden, in welcher Art und Weise sie ihren Staat oder mit uns zusammen zu organisieren haben. Das ist doch der erste Punkt, über den sich die politischen Parteien hier im Bundestag allgemein einig sein müssen, bevor wir vielleicht eine neue Deutschlandpolitik, wenn es denn nötig ist, auch miteinander, diskutieren sollten.
    Ich habe das nach den langen Diskussionen deutlich gemacht. Die Innerdeutsche Arbeitsgruppe der SPD verfolgt seit Jahren einen klaren Kurs. Natürlich haben wir auch unsere Diskussionen. Aber der Kurs ist klar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

    Ich habe dafür immer gesprochen, da gibt es gar keinen Zweifel. Wirtschaftshilfe für die DDR — Herr Lintner, Sie haben davon gesprochen — ist doch nichts Neues, seit fünf Jahren sagen wir das. Sie muß gebunden sein im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe, die Produktion erzeugt und den Menschen etwas bringt. Da kann es ohne Reformen nicht abgehen. Ich sage noch einmal: Wie die Deutschen eines Tages wieder zusammenleben werden und in welcher Form, darüber müssen die DDR-Bürger mit uns zusammen bestimmen.
    Ich möchte etwas zu den aktuellen Problemen sagen, die jetzt anstehen. Sie wissen, ich war auch in Prag und habe mit den Menschen in der Botschaft geredet.

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Wir auch!)

    — Keine Frage. Es ist unsere Pflicht als Abgeordnete, mit den Menschen zu reden, möglichst ohne Fernsehkamera, wenn es denn geht.

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: So haben wir es gemacht!)

    — Ja, ich auch. Denn das andere hilft den Menschen nicht.
    Ich möchte, an die DDR gerichtet, sagen: Wenn Bürger dieses Land verlassen wollen und diesen beschwerlichen Weg gehen, sei es über Ungarn oder über unsere Botschaften, dann soll doch die DDR-Führung so einsichtig sein, daß die Bürger nicht mehr zurück müssen, die unbedingt nicht in das Land zurück wollen; sondern sie soll sie ziehen lassen. Es gibt für keinen Staat ein Recht auf Menschen. Wir sind uns wohl in dieser Frage einig.

    (Beifall des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE] — Zuruf von der CDU/CSU: KSZEBeschlüsse!)

    Ich möchte jetzt ein Wort zum KSZE-Prozeß sagen, weil da eigentlich in den letzten Jahren etwas nicht so recht deutlich geworden ist. Herr Schmude hat heute früh davon gesprochen, wie schwierig es war, den Prozeß auf den Weg zu bringen; es gab Sondersitzungen usw. Ich denke, es ist eine historische Leistung der Sozialdemokratie und der Liberalen, daß dieser Prozeß auf den Weg gebracht worden ist,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    und zwar — ich will das nicht wiederholen — gegen Ihren stärksten Widerstand. Die Ostverträge, die Verträge, die sich daraus entwickelt haben, und natürlich der KSZE-Prozeß haben diese Bewegung in den osteuropäischen Staaten erst möglich gemacht. Daß Gorbatschow gekommen ist, hat das beschleunigt. Das muß man alles im Zusammenhang sehen. Es ist nicht Ihr Verdienst, daß es so gekommen ist, sondern das ist ein Verdienst der sozialliberalen Koalition, ist unsere ureigene Politik im richtig verstandenen Sinne. Nicht die Grenzen waren das Entscheidende bei der Diskussion; sie können so bestehenbleiben, wenn sie denn durch den Korb III, den wir dort festgemacht haben, durchlässiger werden. Das ist eine Politik, die uns jetzt natürlich weiterhilft. Wenn Sie sich dazu bekennen, dann ist das eine gute Sache. Ich denke auch, daß sich dem kein osteuropäisches Land entziehen kann.
    Wir diskutieren immer — auch das möchte ich in diesem Rahmen sagen — über die stalinistischen Staaten, die da noch übriggeblieben sind: DDR, Tschechoslowakei und natürlich Rumänien und Kuba. Ich bitte dringend darum, die Tschechoslowakei etwas differenzierter zu sehen und auch dort das Gespräch zu suchen, damit in der Tschechoslowakei ein Reformprozeß auf den Weg gebracht wird. Ich denke, das lohnt sich; das sind zumindest meine Erfahrungen. Ich habe das Gefühl, daß die Tschechoslowakei nicht der Fußkranke der Perestroika sein will, sondern, so meine ich, nur noch Schwierigkeiten hat, diese Perestroika umzusetzen. Sie sagen, sie hätten 87 Gesetze in dieser Richtung gemacht. Das Vertrauen aber — das habe ich ihnen auch gesagt — kann nur geschaffen werden, wenn sie selbst Vertrauen schaffen. Man kann es nicht herandiskutieren, sondern das Vertrauen muß von innen heraus kommen.
    Ich begrüße auch sehr das Wort — Herr Hoppe hat es, glaube ich, gesagt — , daß Deutschland die Brücke zwischen Osten und Westen werden soll. Das ist eine Perspektive, die wir gemeinsam anstreben können, über die meines Erachtens mit Sicherheit auch mit den osteuropäischen Staaten Einvernehmen hergestellt werden kann.
    Sie haben den Einzelplan 27 angesprochen. Das war nun das Thema, das heute leider nicht stattgefunden hat. Frau Minister, Sie kennen unsere kritischen Anmerkungen zu dem Haushalt, der immer mehr zum Vertriebenenhaushalt wird. Man muß — das muß ich leider sagen — offensiv mit den Vertriebenenverbänden diskutieren. Sie müssen von ihren unmöglichen Positionen herunterkommen. Sie müssen zurückkehren zu einer offenen Diskussion der Belange, die jetzt anstehen, die sich aus dem Öffnungsprozeß im Osten ergeben. Die osteuropäischen Völker dürfen nicht durch die Vertriebenenpolitik verunsichert werden, Das ist einer der Kernpunkte. Von den Vertriebenen denkt ja auch niemand daran, wieder dorthin zurückzugehen. Da ist ein Funktionärs-Club beieinander, der mit viel Geld aus dem innerdeutschen Ministerium Politik macht, ohne die Bedürfnisse der Men-



    Büchler (Hof)

    schen diesseits und jenseits der Grenzen zu berücksichtigen.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

    Deswegen muß man einmal darüber reden. Wir werden entsprechende Umschichtungsanträge stellen.
    Uns Sozialdemokraten liegt auch sehr viel daran, Frau Minister, daß die Kulturgüter in der DDR nicht verlorengehen, daß man auch hier einen Weg der Zusammenarbeit mit der DDR sucht und dazu beiträgt, daß dies auch bei den neuen Überlegungen in der Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten berücksichtigt wird.
    Wir wissen natürlich, daß der Besuchsverkehr, so sehr er zu begrüßen ist, erhebliche Mankos aufweist, die beseitigt werden müssen. Wir müssen den Menschen helfen, die bei uns den Besucherstrom betreuen — das sind nur wenige Prozent —, und wir dürfen den DDR-Bürgern nicht das Gefühl geben, daß sie bei uns sozusagen als Bittsteller auftreten. Das heißt: Es ist in Zukunft wirklich darüber zu sprechen, wie man einen Geldverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR schafft. Das ist — das weiß ich — ein schwieriges Kapitel, aber wir sollten es in Angriff nehmen. Das gehört zur Weiterentwicklung der Deutschlandpolitik, genauso wie es dazugehört, daß wir uns mit der DDR intensiver über wirtschaftspolitische Fragen unterhalten, darüber, wie denn nun von uns aus Hilfe bei einer Umgestaltung der DDR im Sinne einer größeren Effektivität der Wirtschaft zugunsten der Menschen geleistet werden kann. Sie kennen unsere Vorschläge; ich sage es noch einmal. Wir haben wirklich auch die Grundlagen für eine Diskussion einer neuen Deutschlandpolitik.
    Von den Regierungsparteien brauche ich die FDP in diesem Fall nicht anzusprechen, weil sie diese Politik mit uns zusammen begründet hat. Sie hinkt jetzt ein bißchen nach, ist sehr konservativ geworden, treibt sie also nicht entsprechend voran. Da hilft auch nicht, daß Sie jetzt auf Ihren Gesprächspartner in der DDR hinweisen, daß von dort aus scheinbar Reformbewegungen kommen. Das begrüße ich sehr, das sollten Sie auch unterstützen. Ich glaube schon, daß es hilft, wenn die liberale Partei dort drüben bestimmte — so werden sie wohl drüben gedeutet werden — Ansinnen an die SED stellt. Das muß auf anderen Gebieten natürlich auch unsere Aufgabe sein, darüber gibt es gar keinen Zweifel, und das wollen wir auch tun. Ansonsten haben Sie natürlich genau wie die Union die Deutschlandpolitik so festgeschrieben, wie sie von der sozialliberalen Koalition hinterlassen worden ist.
    Die historische Bedeutung des KSZE-Prozesses und der Verträge sei davon nicht berührt. Manche können sich von alten Vorstellungen eben nicht lösen und müssen angeschubst werden, damit eine entsprechende Entwicklung stattfinden kann.
    Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei hat 1984 ein Programm vorgelegt, das Beachtung gefunden hat. Darin sind die Grundlagen der Deutschlandpolitik für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion festgelegt. Daran gibt es nichts zu kritisieren, nichts zu rütteln.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Das ist die falsche Optik!)

    Da steht auch drin, die Kommunisten bleiben unsere Gegner. Wie kämen wir auch zu etwas anderem. Es haben genug Sozialdemokraten unter der SED gelitten. Die SPD tritt für ihre Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ein. Das machen wir in der DDR-Politik selbstverständlich auch. Da gibt es Diskussionen über den besseren Weg und anderes mehr.
    Ich kann sagen, daß die Fraktion einen klaren Kurs zur Weiterentwicklung der Deutschlandpolitik steuert. Das gilt vor allem für das Selbstbestimmungsrecht, das wir für die DDR-Bürger einfordern. Ganz klar ist auch — das haben wir nun unterschrieben — : Wir wollen die DDR nicht destabilisieren. Das ist auch von Ihren Sprechern bestätigt worden. Aber natürlich liegt uns überhaupt nichts daran, die SED zu stabilisieren, niemand denkt daran. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir brauchen drüben einen konkreten Partner, mit dem wir reden können.

    (Lintner [CDU/CSU]: Wie halten Sie es denn mit der Präambel des Grundgesetzes?)

    — Ich habe dazu deutlich gesagt, daß die Präambel des Grundgesetzes genauso wie der Brief zur deutschen Einheit einen Teil unserer Politik darstellt. Wir haben das alles miteinander schon zehnmal durchgekaut.

    (Lintner [CDU/CSU]: Es sagt jeder aus Ihren Reihen etwas anderes!)

    Unsere Position ist eindeutig. Ich will jetzt nicht Ihre rechten Positionen verschiedenster Art heranziehen, die man hier auch diskutieren könnte, und bei manchen Positionen, die bei uns vielleicht nicht haarscharf in das Konzept hineingepaßt haben, gegenrechnen. Wir sind doch frei gewählte Abgeordnete, und wenn einer einmal einen Gedanken hat, kann er den auch äußern. Nur so kann eine fruchtbare Diskussion stattfinden.
    Herr Lintner, wir Sozialdemokraten haben nicht zu warten, bis irgendein Komitee Richtlinien herausgibt. Vielmehr denken wir sozialdemokratisch, und so machen wir sozialdemokratische Deutschlandpolitik. Die hat nur ein Ziel: den Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu dienen.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wilhelm Knabe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tausende Menschen aus der DDR stehen an Ungarns Westgrenze, Hunderte warten in den Ständigen Vertretungen in Prag und in Ost-Berlin, und Millionen erhoffen sich in der DDR andere Zustände oder haben schon völlig resigniert. Im Westen haben sich viele aus friedenspolitischen Gründen für eine volle Anerkennung der DDR ausgesprochen. Aber so haben wir heute auch das Recht, der DDR zu



    Dr. Knabe
    sagen: Die Anerkennung aus dem Westen kann niemals die Anerkennung durch die eigenen Bürger und Bürgerinnen ersetzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wer die eigene Verfassung ignoriert, Wahlen manipuliert, Bevormundungen mit Sozialismus verwechselt, und trotz lautem Friedensgerede die Militarisierung der Gesellschaft forciert, kann nicht auf die Loyalität seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger hoffen.

    (Beifall bei den GRÜNEN) Reformen sind überfällig.

    Doch wir sind hier im Westen. Was können wir hier tun? Es ist sehr bescheiden: zuerst ein Willkommen all denen, die hier eingetroffen sind. Wir wissen, ihr fehlt zu Hause in euren Gemeinden, in Kirchen und in Betrieben, und eure Freunde werden euch hier fehlen. Wir können hier nur helfen, das Beste aus dem Schlechten der Flucht zu machen, können materiell helfen; aber eines müßt ihr selbst tun: euch in den gesellschaftlichen Prozeß einmischen. Hier kann man Einfluß nehmen: in Bürgerinitiativen, in Gewerkschaften und Parteien, auch wenn das nicht immer Zuckerlecken ist. Wer aus Verzweiflung über die Ohnmacht fehlender Mitbestimmung hierher kam, kann sich hier in die Politik einbringen. Auch die GRÜNEN brauchen eure Erfahrung, eure Einmischung, ich möchte sagen: Wir brauchen sie dringend.

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Nach der Rede bestimmt!)

    Ein Grund der allgemeinen Unzufriedenheit in der DDR ist die katastrophale Lage der Umwelt und die Unterdrückung gesellschaftlichen Engagements für ihre Rettung, sobald „mensch" Aufklärung verlangt oder Kritik an Planungen übt.
    Hat man die Bürgerinnen beim Atomkraftwerk Stendal gehört? War ein Protest gegen das Reinst-Silizium-Werk bei Dresden möglich? Das Bittere am Umweltabkommen ist, daß die Bundesregierung bei ihrer Abmachung mit der DDR für die Arbeitspläne zwar Industrievertreter zugelassen hat, aber entgegen den Forderungen der GRÜNEN keine der Umweltverbände oder der Umweltgruppen aus der Bundesrepublik und der DDR. Mit einer solchen Haltung hat man die Menschen dort entmutigt; das muß man ändern.
    Wir beantragen, Mittel aus den Zuwendungen für Vertriebenenverbände an westdeutsche Umweltverbände und Kirchen umzuleiten, damit diese mit ihren Partnern in der DDR Umweltseminare organisieren und dringend benötigte Informationen und Anleitungen zum ökologischen Handeln beschaffen können.
    Das bisherige Umweltabkommen hat wenig gebracht: Die Umweltsituation ist nicht besser geworden. An Stelle von Einsparmaßnahmen für Energie gibt es Kooperationen in der Atomtechnologie und bundesdeutsche Unterstützung für den AKW-Ausbau in der DDR. Die Werra-Weser-Versalzung ist nicht bereinigt, die Elbe-Sanierung steckt immer noch in den Kinderschuhen. Aber als größte Sorge der Bewohner und Bewohnerinnen der DDR höre ich: Ihr schickt uns euren Giftmüll zu all den Umweltbelastungen, die wir schon jetzt haben. Das ist ein Versagen des Bun-
    des und der Länder; eine Müllvermeidungs-Politik hat bei uns nicht stattgefunden, weil man den Überfluß ja in die DDR „entsorgen" kann.
    Die GRÜNEN haben einen Antrag für Umweltfonds und Umweltswing zur Luftreinhaltung im grenznahen Bereich bereits eingereicht. Wir werden das in den diesen Haushalt erneut einbringen. Aber wir wissen: auch diese 2 Milliarden DM für konkrete Projekte können an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen, wenn diese keine Möglichkeit haben, an der Planung und Abwicklung beteiligt zu sein. Das fordern wir von der Bundesregierung und der Regierung der DDR. Deutsch-deutsche Politik muß sich der neuen Herausforderung stellen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)