Rede von
Dagmar
Luuk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß die Zusicherung des Staatsministers, sich dafür einzusetzen, daß wir mehr Mittel für die humanitäre Hilfe bekommen, sich auch umsetzen läßt, weil ich davon ausgehe, daß das, was hier über die Situation im Irak und die weitere Verfolgung und die jetzt noch intensiver durchgeführte Zwangsumsiedlung berichtet wurde, ganz sicherlich nicht dazu angetan ist, den Rückkehrwillen derer, die in den Lagern in der Türkei sitzen, irgendwie zu fördern.
Aber den 36 000 Menschen, die dort in den Lagern sitzen, muß geholfen werden, wenn wir das Problem zwar nicht wegschieben, aber auch nicht bereit sind, sie alle zu uns zu holen, was ja auch nicht Ziel sein kann. Das heißt: Wenn wir im Zusammenhang mit der Lösung von Flüchtlingsproblemen von Regionalisierung sprechen, dann müssen wir etwas tun, um den Menschen in der Region, in der sie sich jetzt befinden, zu helfen. In den drei Lagern Djarbarkir, Muş und Mardin leben die Menschen, genau wie die Kollegin Beer ausgeführt hat, unter katastrophalen Bedingungen. Aber noch mehr macht mir Sorge, daß sie keinen Schutz des Hohen Flüchtlingskommissars haben wegen der Ausklammerung der nichteuropäischen Flüchtlinge auf Grund der Vertragslage, wie die Türkei sie eingegangen ist. Das bedeutet, daß sie auch nicht geschützt würden, wenn sie in eine Rückführung einwilligten, und es bedeutet auch — und das, meine ich, muß man sich besonders vor Augen halten — , daß die Menschen in diesen Lagern tatenlos sitzen. Sie haben keine Möglichkeit zu arbeiten, die Kinder gehen nicht in die Schule, sie können die Lager nicht verlassen, sie haben überhaupt keine Perspektive, und sie können in der gegenwärtigen Situation auch nicht an eine Zukunft glauben. Wer Menschen in einer derartigen Passivität über mehr als zwei, drei oder vier Jahre hält, muß wissen, daß er diese Menschen kaputtmacht, selbst wenn er sie vor dem unmittelbaren Tod gerettet hat.
Ich bin der Auffassung, daß wir hier aufgefordert sind, der Türkei zu helfen, aber vor allen Dingen den Menschen in diesen Lagern zu helfen, eine Perspektive zu entwickeln, die ihnen zwischenzeitlich ein Leben in den Lagern möglich macht, oder auch eine Perspektive, daß sie in die Dörfer zurückkehren, aus denen sie gekommen sind. Denn die wenigen, die zurückgegangen sind, hatten keine Möglichkeit, dorthin zurückzugehen, woher sie stammten, sondern sie sind nur in neue Internierungslager gebracht worden.
Ich meine, daß man sich schon noch einmal das Grauen vor Augen führen muß, dem diese Menschen entflohen sind. Denn wenn man an Mesopotamien denkt, dann denkt man an die erste agrarische Hochkultur der Welt. Davon haben wir alle schon in der Bibel gehört. Aber wenn man heute durch diese Gegend fährt, findet man dort nur Dörfer für die zwangsevakuierten Kurden, Dörfer, die dort in diese Täler gebaut worden sind. Davor und dahinter sind die plattgewalzten traditionellen Siedlungen. So kann man es dem Bericht einer Gruppe entnehmen, die sich dort umgesehen hat. Die Provinzstadt Dukan ist genauso gnadenlos evakuiert worden wie über 5 000 andere Dörfer und Städte und mit ihnen eine ganze Million Menschen in Irakisch-Kurdistan — das Ergebnis der über zwölfjährigen strategischen Arabisierung des Landes, wo demographisch, geographisch, kulturell und politisch nichts mehr an Kurdistan erinnern soll.
Ein Militärbefehl hat darüber hinaus auch das systematische Abbrennen aller Berge angeordnet. Ich meine, daß uns besonders betroffen machen muß, daß dort uralte und ganz langsam wachsende Steineichen sowie Mandel- und Granatapfelbäume, die seit Generationen nur sehr mühselig in Terrassen angesiedelt werden können, nicht mehr vorhanden sind. In den Tälern sieht man heute nur noch das Glimmen der strohgedeckten Lehmhütten innerhalb der ausgelöschten Dörfer und der Schwärze der verbrannten Erde. Das alles soll geschehen sein, um die kurdische Guerilla zu verhindern; aber es ging darum, den Bauern, den Menschen, die dort lebten, dauerhaft jegliche Existenzgrundlage zu nehmen. Die ökologischen Folgen, die damit verbunden sind, wurden ebenfalls ignoriert. Allein die Machterhaltung in Bagdad hat dieses unmenschliche Handeln bestimmt.
Ich meine, daß der Einsatz von chemischen Kampfstoffen nicht mehr geleugnet werden kann, weil es genügend Beweise dafür gibt. Aber all das, was heute vorgetragen worden ist und was man eigentlich nur wiederholen kann — und damit wird es nicht weniger schrecklich, auch wenn man sich daran gewöhnt —, muß uns dazu aufrufen, daß wir wenigstens in dem kleinen, begrenzten Rahmen, in dem wir tätig werden können, denjenigen, die wir erreichen, Hilfe zukommen zu lassen.