Rede von
Heinrich
Seesing
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir dürfen davon ausgehen, daß sich das bestehende Sanktionensystem des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung bewährt hat. Dennoch muß man sich immer wieder fragen, ob es neue Voraussetzungen oder auch neue Gedanken gibt, die das Sanktionensystem in Frage stellen und neue Entwicklungen erforderlich machen.
Die wichtigste Frage ist für mich immer die Frage nach dem Sinn der Strafe und dem Zweck des Strafrechts. Wenn heute in Teilen des politischen Spektrums laut über eine Änderung oder gar eine Einstellung des Strafvollzugs nachgedacht wird, so geschieht das wohl meist von der Ansicht her, daß die Gesellschaft nicht das Recht habe, die durch diese Gesellschaft irregeleiteten Menschen — das müßte man in Anführungszeichen sagen — z. B. einzusperren.
Ich habe eine andere Auffassung dazu. Es gibt vielerlei Gründe, warum Menschen straffällig werden. Sie liegen oft im einzelnen Menschen begründet; sie liegen oft auch im Umfeld des Straftäters. Sie können aber auch in der Änderung, sprich: Aufweichung von ethischen und rechtlichen Grundsätzen begründet sein. Das Reden etwa von „Gewalt gegen Sachen", von „Keine Gewalt gegen Menschen" oder von anderen zurechtgefeilten Phrasen zeigt solche Aufweichungen auf. Auch der schon einmal von den Landesministern geforderte Verzicht auf Verfolgung von Ladendiebstählen bis zu Werten von 100 DM kann ja wohl nicht zu einer Rechtsverbesserung beitragen. Ich wage auch zu bezweifeln, daß der labile Täter durch solche Verschonung auf den rechten Weg gebracht wird.
Ob nun das Strafensystem den möglichen Täter von Straftaten abhält, ist natürlich ebenfalls zweifelhaft.
Erst die Tatsache, daß ein Täter mit seiner Verfolgung und Überführung rechnen muß, kann eine abschrekkende Leistung des Sanktionensystems darstellen. Mich würde allerdings sehr interessieren, ob es neue Erkenntnisse der Wissenschaft zur Generalprävention der Strafe gibt.
Strafen haben aber nach meiner Auffassung nicht nur die Aufgabe der Abschreckung. Wichtiger wäre hier die tagtägliche Verkündigung eines Wertesystems, das vielen Menschen abhanden gekommen ist und das auch wir, wenn ich meine Beobachtungen zusammenfassen darf, oft auch aus parteipolitischen oder ideologischen Gründen in Frage stellen. Einmal lehnen wir es ab, einmal stimmen wir ihm zu, je nachdem, welchen politischen Erfolg wir uns davon versprechen. Ich stelle solche Tendenzen auch bei mir fest, was natürlich nicht gut ist. Ich will versuchen, das wieder zu ändern.
Strafen haben aber auch den Inhalt, eine Schuld wieder abzutragen, die Schuld einer Tat, durch die der Täter einzelne Menschen, eine Familie, vielleicht auch die ganze menschliche Gesellschaft getroffen hat. Ich möchte davor warnen, diesen Inhalt der Strafe als gering anzusehen.
Schließlich sollte für manche Täter, vielleicht sogar für viele, die Strafe ein Weg, eine Hilfe sein, neue Ansätze für ein Leben ohne Straftaten zu finden. Damit bin ich weit davon entfernt, in eine Resozialisierungseuphorie zu fallen. Es kommt halt auf die Form der Strafe und die Qualität des Strafvollzugs an.
Wir haben uns zu Recht daran gewöhnt, meine Damen und Herren, daß es unterschiedliche Strafen für unterschiedliche Vergehen und Verbrechen gibt. Wir haben uns aber, glaube ich, immer noch nicht daran gewöhnt, daß z. B. eine Autofahrt auf einer Landstraße mit Tempo 150 statt der höchstens erlaubten 100 km in der Stunde zum Mord wird, wenn der Fahrer einen anderen Menschen dabei tötet. Ich glaube, wir müssen auch anerkennen, daß viele Vergehen und Verbrechen nicht von einäugigen, unrasierten Gammlern, sondern von vorzüglich gekleideten Damen und Herren der sogenannten Gesellschaft begangen werden.
Es ist durchaus zu erwägen, mit welchen Strafen man solchen Tätern begegnen soll. Ich könnte mir denken, daß z. B. viele Umweltstörer und Umweltzerstörer in ihrem Handeln vorsichtiger werden, wenn sie statt einer geringen Ordnungsstrafe plötzlich vor der Gefahr stehen, in einer Justizvollzugsanstalt einsitzen zu müssen.
Ich sage es also nochmals: Wir brauchen die volle Breite des Sanktionensystems. Wir wollen es, wenn nötig, mit den Ländern gemeinsam sehr vorsichtig weiterentwickeln. Deswegen unterstützen CDU und CSU auch den Beschlußvorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages.