Herr Doss wird gebeten, in der amtlichen Statistik nachzulesen und, wenn Sie dann noch wollen, auch beim Sachverständigenrat, der Ihnen in diesem Gutachten in der Arbeitsmarktpolitik bei der Vollbeschäftigung die ärgste Zielverfehlung der Wirtschafts- und Finanzpolitik bescheinigt.
Meine Damen und Herren, das so hochgelobte Wirtschaftswachstum, das war 1988 ein stolzes Ergebnis.
— Aber ja, ich hätte gern ein viel größeres. Sie sollten nämlich wissen, Herr Heinrich — wahrscheinlich tun Sie es nicht, sonst würden Sie sich nicht so damit brüsten — , daß die stolzen 3,4 % unterhalb des Durchschnitts der OECD liegen. Dort wurden nämlich 4 erreicht.
Die gesamten 80er Jahren durch
lag die Bundesrepublik mit ihrer Wachstumsrate unterhalb des OECD-Durchschnitts.
— Aber ich bitte Sie. Sie haben uns in den 70er Jahren gescholten, weil wir in der OECD im Wirtschaftswachstum und bei der Beschäftigung unbestritten eine Lokomotivrolle gehabt haben.
Auch das stimmt bei Ihren Zahlen nicht, Herr Doss. Von 1976 bis 1980 ist die Zahl der Beschäftigten um 1,1 Millionen gestiegen, auf Grund der von Ihnen so geschmähten Investitions- und Arbeitsmarktprogramme.
Wenn Sie diese Zahlen endlich zur Kenntnis nehmen würden, dann, Herr Doss, kämen wir vielleicht auch dazu, darüber zu reden, wie man tatsächlich zu mehr Beschäftigung kommen kann.
Sie haben unter anderem gesagt, es sei beabsichtigt, die Betriebe mehr in die Lage zu versetzen, Neueinstellungen vorzunehmen. Ich würde gern um Ihre Mithilfe werben, die Steuerpolitik so zu differenzieren, daß Investitionen begünstigt und Finanzanlagen benachteiligt werden, aber nicht umgekehrt, wie Sie es mit der Steuerreform tun. Das ist der wichtigste Grund.
Das zweite, was ich dieser Regierung am meisten vorwerfe, ist: Sie haben sich vor dem Hintergrund Ihrer Wahlergebnisse in Berlin und in Hessen mit sehr rechts außen angesiedelten Parolen auf die Problematik der Aussiedler und Asylanten eingeschossen. Dabei übersehen Sie völlig — davon spricht kein Mensch — , daß Ihre Politik dazu geführt hat, daß wir 1988 einen Kapitaltransfer — 1982, als wir regierten, hat Herr Stoltenberg bei 4 Milliarden DM dazu „Kapitalflucht" gesagt — von 120 Milliarden DM gehabt haben.
9994 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17, März 1989
Dr. Ehrenberg
Das hat mit Zahlungsbilanzüberschüssen nur wenig zu tun, denn, lieber Herr Vogt, der Leistungsbilanzüberschuß betrug 85 Milliarden DM, nicht 120 Milliarden DM. Mindestens diese 35 Milliarden DM hätten hier bei einer besseren Steuerpolitik beschäftigungswirksam angelegt werden können.
Aber die Bundesregierung macht nicht diese Kapitalflucht in Höhe von 120 Milliarden DM zum öffentlichen Thema, sondern Sie machen statt dessen die Leistungen des Fremdrentengesetzes zum öffentlichen Thema.
Ich würde Ihnen nach den Wahlergebnissen in Berlin und Hessen — die das Ergebnis Ihrer Politik sind; sieben Jahre Massenarbeitslosigkeit verursachen einen Ruck nach rechts, den Sie jetzt bestätigt bekommen haben — : Fangen Sie an, hiergegen konkret etwas zu tun. Der einzig vernünftige Beitrag bestünde darin, die Beschäftigungslage mit einer expansiven Finanzpolitik und einer auf Wirtschaftswachstum abgestellten Steuerpolitik zu verbessern. Das wäre auch der einzig vernünftige Beitrag zur Aussiedlerproblematik, der — wenn das richtig gemacht würde — hier einen großen Beschäftigungsschub auslösen könnte. Voraussetzung ist allerdings, daß Sie gewillt sind, das Richtige zu tun. Sie könnten unsere moralische Verpflichtung mit der ökonomischen Zweckmäßigkeit verbinden, wenn Sie nicht falschem Verteilungsdenken mit einem Drücken der Lohnquote und anderem nachhängen würden.
Herzlichen Dank.