Rede:
ID1113503500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 10
    1. Herr: 1
    2. Kollege,: 1
    3. diesen: 1
    4. Begriff: 1
    5. nehmen: 1
    6. Sie: 1
    7. bitte: 1
    8. lieber: 1
    9. wieder: 1
    10. zurück.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/135 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 135. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. März 1989 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 12: Aktuelle Stunde betr. politische Reaktion auf den Hungerstreik von Gefangenen aus der Rote-Armee-Fraktion und anderen Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9961 B Dr. Laufs CDU/CSU 9962 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 9963 A Wolfgramm (Göttingen) FDP 9963 D Engelhard, Bundesminister BMJ 9963 D Dr. Schmude SPD 9964 B Seesing CDU/CSU 9965 B Dr. Penner SPD 9965 D Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 9966 C Frau Nickels GRÜNE 9967 D Geis CDU/CSU 9968 B Wüppesahl fraktionslos (zur GO) . . . 9969 A Wüppesahl fraktionslos 9969 D Dr. de With SPD 9970 C Eylmann CDU/CSU 9971 B Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt (Drucksache 11/2375) Schreiner SPD 9972 C Frau Hasselfeldt CDU/CSU 9975 C Frau Frieß GRÜNE 9977 C Heinrich FDP 9979 B Heyenn SPD 9982 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 9985 C Vennegerts GRÜNE 9989 B Doss CDU/CSU 9990 C Dr. Ehrenberg SPD 9992 C Scharrenbroich CDU/CSU 9994 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär, BMWi 9996 C Vizepräsident Cronenberg 9994 B Nächste Sitzung 9997 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9999* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 9999* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1989 9961 135. Sitzung Bonn, den 17. März 1989 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Adler SPD 17.03.89 Dr. Ahrens SPD 17.03.89 * Dr. Apel SPD 17.03.89 Austermann CDU/CSU 17.03.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 17.03.89 Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 17.03.89 Böhm (Melsungen) CDU/CSU 17.03.89 * * Dr. Briefs GRÜNE 17.03.89 Frau Conrad SPD 17.03.89 Diller SPD 17.03.89 Dreßler SPD 17.03.89 Egert SPD 17.03.89 Frau Eid GRÜNE 17.03.89 *** Gansel SPD 17.03.89 Gattermann FDP 17.03.89 Dr. Gautier SPD 17.03.89 Frau Geiger CDU/CSU 17.03.89 *** Genscher FDP 17.03.89 Glos CDU/CSU 17.03.89 Dr. Glotz SPD 17.03.89 Dr. Götz CDU/CSU 17.03.89 Dr. Hauff SPD 17.03.89 Haungs CDU/CSU 17.03.89 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 17.03.89 Dr. Haussmann FDP 17.03.89 Häfner GRÜNE 17.03.89 Frau Hämmerle SPD 17.03.89 Heimann SPD 17.03.89 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 17.03.89 Dr. Holtz SPD 17.03.89 *** Hoss GRÜNE 17.03.89 Ibrügger SPD 17.03.89 Irmer FDP 17.03.89 *** Jung (Düsseldorf) SPD 17.03.89 Kirschner SPD 17.03.89 Kittelmann CDU/CSU 17.03.89 ** Klein (Dieburg) SPD 17.03.89 Klein (München) CDU/CSU 17.03.89 Dr. Kohl CDU/CSU 17.03.89 Koltzsch SPD 17.03.89 Koschnick SPD 17.03.89 Kroll-Schlüter CDU/CSU 17.03.89 Lambinus SPD 17.03.89 Lutz SPD 17.03.89 Frau Luuk SPD 17.03.89 * Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 17.03.89 Meneses Vogl GRÜNE 17.03.89 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 17.03.89 Meyer SPD 17.03.89 Mischnick FDP 17.03.89 Dr. Mitzscherling SPD 17.03.89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller CDU/CSU 17.03.89 * Peter (Kassel) SPD 17.03.89 Dr. Pinger CDU/CSU 17.03.89 Reddemann CDU/CSU 17.03.89 * Repnik CDU/CSU 17.03.89 *** Reuschenbach SPD 17.03.89 Frau Roitzsch CDU/CSU 17.03.89 (Quickborn) Schmidt (Salzgitter) SPD 17.03.89 *** Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 17.03.89 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 17.03.89 Frhr. von Schorlemer CDU/CSU 17.03.89*** Schütz SPD 17.03.89 Dr. Sperling SPD 17.03.89 Dr. Stercken CDU/CSU 17.03.89 *** Stratmann GRÜNE 17.03.89 Frau Terborg SPD 17.03.89 Tillmann CDU/CSU 17.03.89 Timm FDP 17.03.89 Frau Dr. Timm SPD 17.03.89*** Dr. Unland CDU/CSU 17.03.89 * Voigt (Frankfurt) SPD 17.03.89 Vosen SPD 17.03.89 Dr. Warnke CDU/CSU 17.03.89 Wartenberg (Berlin) SPD 17.03.89 Frau Dr. Wilms CDU/CSU 17.03.89 Wissmann CDU/CSU 17.03.89 Würtz SPD 17.03.89 Würzbach CDU/CSU 17.03.89 Zeitler SPD 17.03.89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 17.03.89 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. März 1989 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen: Gesetz zu dem Protokoll vom 26. November 1976 zum Abkommen vom 22. November 1950 über die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters Gesetz zu dem Übereinkommen vom 18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen Entwicklungsbank Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/2013 Drucksache 11/3088 Drucksache 11/3127 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/3995 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/2153 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/1993 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/2099 10000* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1989 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/3909 Nr. 2 Drucksache 11/2580 Nr. 11 Drucksache 11/3021 Nr. 2.4 Drucksache 11/3636 Nr. 2.2 Drucksache 11/3882 Nr. 3.10, 3.28 Drucksache 11/4019 Nr. 2.4-2.9, 2.11-2.17 Drucksache 11/4081 Nr. 2.6 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/3558 Nr. 3.39 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/839 Nr. 3 Drucksache 11/2899 Nr. 3.32
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ottmar Schreiner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute morgen die Möglichkeit, die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt zu erörtern und vielleicht auch eine Bilanz der bisherigen Bemühungen der Bundesregierung zu ziehen, der Situation auf dem Arbeitsmarkt Herr zu werden.
    Wenn man die Arbeitsmarktsituation nach sechs Jahren Kohl-Regierung zu bilanzieren versucht, fallen vier Sachverhalte ins Auge.
    Erstens. Die Zahl der registrierten Arbeislosen bleibt seit 1983 auf einem Niveau von 2,2 bis 2,3 Millionen im Jahresdurchschnitt stabil, und dies trotz wirtschaftlichen Aufschwungs, hoher privatwirtschaftlicher Gewinne, der höchsten Exportrate seit Bestehen der Bundesrepublik, arbeitsplatzschaffender bzw. erhaltender Arbeitszeitverkürzungen, teilweise gegen den erbitterten Widerstand der Bundesregierung von den Gewerkschaften durchgesetzt, massiver Manipulationen seitens der Bundesregierung an den Arbeitslosenstatistiken und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen auch unter starker Beteiligung von Bundesländern, Städten und Gemeinden mit einem Entlastungseffekt von ca. 450 000 potentiell Arbeitslosen.
    Der zweite Faktor, der auffällt: Laut Jahresgutachten des Sachverständigenrats betrug der Zuwachs der Zahl der Erwerbstätigen in dem Zeitraum 1982 bis 1988 etwa 380 000; die Selbstständigen eingerechnet. Der Zuwachs der Zahl der Arbeitslosen war deutlich über 500 000. Das heißt, wenn es jemals eine Strategie gab, die Strategie der Bundesregierung: „Hohe Gewinne gleich hohe Investitionen gleich Abbau von Arbeitslosigkeit" ist in der Vergangenheit und in der Gegenwart kläglich gescheitert.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das war das Rezept von Helmut Schmidt in einer Rede in Erlangen!)

    Sie ist zur arbeitsmarktpolitischen Lebenslüge der Koalition geworden.
    Der dritte Punkt. Es fällt auf, daß die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist. Zum Beispiel hat sich seit 1982 die Zahl der Langzeitarbeitslosen bis 1988 auf über 700 000 entwickelt. Das entspricht mehr als einem Drittel aller Arbeitslosen. Diese Zahl hat sich in der Zeit Ihrer Regierung verdoppelt. Damit konzentriert sich die Massenarbeitslosigkeit immer mehr auf einen bestimmten Teil der Erwerbsbevölkerung, der systematisch aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt wird.



    Schreiner
    In diesem Zusammenhang eine aktuelle Anmerkung. Es ist geradezu ein Gipfel der politischen Geschmacklosigkeit, wenn auf der einen Seite in den Koalitionsfraktionen beschlossen wird, für Gut- und Höchstverdienende die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen einzurichten, und auf der anderen Seite völlig die Tatsache vergessen wird, daß es mehr als 1,4 Millionen Jugendliche in den Haushalten der Arbeitslosen gibt und die Einkommenslage dieser Haushalte von Ihrer Steuerreform nicht im geringsten profitiert hat, daß diese Haushalte vielmehr zusätzlich über die Erhöhung der Verbrauchsteuern bluten müssen. Es ist ein Zeugnis des Verlustes jeglicher sozialer Wahrnehmungsfähigkeit und des Verlustes jeglicher Sensibilität für soziale Gerechtigkeit.

    (Zander [SPD]: Sehr wahr!)

    Diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben, wenn sie jemals ein solches besessen haben, ihr soziales Gewissen völlig verloren.

    (Beifall bei der SPD)

    Was viertens auffällt: Die systematische Ausgrenzung eines bestimmten Teils der Bevölkerung aus dem Erwerbsleben hat besondere Gründe. Die Arbeitslosigkeit spaltet diese Republik in wachsendem Maße in Armenhäuser und Wohlstandsinseln. Darauf ist zuletzt im Berufsbildungsbericht der Bundesregierung vor wenigen Tagen noch einmal hingewiesen worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl ein anderes Land, von dem Sie reden!)

    Dort heißt es wörtlich, daß die Berufsbildung für mögliche Chancengleichheit zu sorgen habe, das Zahlenwerk aber deutlich mache, daß die Berufs- und Lebenschancen des einzelnen Jugendlichen zunehmend von der regionalen Wirtschaftsstruktur, die immer stärker auseinanderfällt, geprägt würden.
    Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit konzentriert sich in Regionen mit starkem strukturellem Wandel: an der norddeutschen Küste mitsamt den großen Städten Hamburg und Bremen, im Ruhrgebiet, im Saarland und in einigen anderen Regionen. Die Beschäftigungsverluste bei den traditionellen Altindustrien können von diesen Regionen aus eigenen Kräften nicht mehr aufgefangen werden.
    Ich erinnere noch einmal daran: Wir sind in einem verfassungswidrigen Zustand. Laut Art. 106 des Grundgesetzes hat jede staatliche Politik für annähernd gleiche Lebensverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik zu sorgen. Die Bundesregierung läßt diese Entwicklung nicht nur treiben, nein, sie verschärft sie noch.
    Wir haben Dutzende von Beispielen, wo die Arbeitslosigkeit z. B. in den westdeutschen, nordrheinwestfälischen Großstädten mehr als zwei- oder dreimal so hoch gestiegen ist wie in bestimmten süddeutschen oder südwestdeutschen Städten.

    (Fuchtel [CDU/CSU]: Warum?)

    Dies hängt mit den hohen Beschäftigungsverlusten im Bereich der sogenannten Altindustrien zusammen. — Wenn Sie „Warum?" fragen, kann ich Ihnen dafür gute Beispiele geben. Nach der Kohlerunde 1987 werden allein im Saarland weitere 5 000 Arbeitsplätze im Bergbau unmittelbar und wird mindestens die gleiche Größenordnung in den Zulieferbereichen indirekt abgebaut. Die Bundesregierung laviert in der Frage der weiteren Zukunft etwa der deutschen Steinkohle seit Jahr und Tag und auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt

    (Andres [SPD]: Wie immer!)

    dahin. Es gibt handfeste Anzeichen, daß die 1987 beschlossenen Opfer, die wiederum die Notstandsregionen in besonderem Maße treffen, nicht für sich bleiben werden, sondern daß in diesen Regionen weiter mit massiven Arbeitsplatzverlusten, insbesondere im deutschen Steinkohlebergbau, zu rechnen ist, ohne daß es erkennbare Strategien der Bundesregierung gibt, wie dieser Situation mit dem Aufbau von Ersatzarbeitsplätzen abgeholfen werden könnte.

    (Kolb [CDU/CSU]: Ist da die Region nicht auch schuld?)

    Die zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit führt dazu, daß immer mehr Menschen in materielle Not geraten. Mehr als ein Drittel der Langzeitarbeitslosen hat keinen Anspruch auf Lohnersatzleistungen. Sie erleiden psychosoziale und gesundheitliche Krisen. Arbeitslosigkeit macht krank und zerstört soziale Strukturen.
    Einige Regionen bluten auf Grund der immer stärkeren Sozialhilfelasten völlig aus. In Köln beispielsweise stiegen die Sozialhilfeausgaben von 130 Millionen DM im Jahre 1982 auf über 270 Millionen DM jetzt, in Hattingen von 6 Millionen DM im Jahre 1980 auf jetzt annähernd 14 Millionen DM; die Beispiele lassen sich fortsetzen. In diesen Regionen unterbleiben auf Grund massiv gestiegener Sozialhilfekosten die notwendigen Investitionen, während die Kommunalfinanzen in anderen Regionen von der guten Gewinnlage der Unternehmen profitieren, so daß ungerechtfertigt große Steuerkraftunterschiede zwischen Städten und Gemeinden gleicher Funktion und Größenordnung existieren und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Bundesrepublik — im Gegensatz zu dem Verfassungsgebot — immer stärker auseinanderläuft. Ich betone noch einmal: Sie spalten die Bundesrepublik in verfassungswidriger Weise in wohlhabende und arme Regionen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wir spalten?)

    Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit ist regional differenziert zu betrachten. Neben Hannover, Hamburg, Bremen, Köln und anderen Städten sind insbesondere die Regionen mit einem starken Strukturwandel Zentren der Langzeitarbeitslosigkeit: das Ruhrgebiet, das Saarland, die Küste. Während in diesen Gebieten das Beschäftigungsniveau immer noch — und zum Teil erheblich — unter dem von 1980 liegt und fast 40 % der Arbeitslosen dort Dauerarbeitslose sind, gibt es Beschäftigungsgewinne in anderen Regionen. Eklatant kann das Problem vor allem an der Zunahme der Zahl von Arbeitslosen, die länger als zwei Jahre arbeitslos sind, dargelegt werden: Waren es Ende 1982 in Hannover 1 800 Personen, so sind es heute bereits über 10 000 Personen. In Dortmund waren es 1980 2 000 Personen; heute sind es über 11 000. In Oberhausen stieg ihre Zahl im gleichen Zeitraum von 800 auf 5 100 Personen. Das heißt, diejenigen



    Schreiner
    Regionen, in denen der strukturelle Wandel in besonderem Maße greift, bezahlen die beschäftigungspolitische Untätigkeit der Bundesregierung damit, daß sie in wachsendem Maße ausbluten und zu Notstandsregionen zu verkommen drohen.
    Wenn man versucht, die Tatenlosigkeit der Bundesregierung auf diesem Feld zu bewerten — ich wiederhole: Sie spalten die Republik in arm und reich —, ergibt sich folgendes. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit hat für die Bundesregierung in der Vergangenheit erkennbar nie eine wesentliche Rolle gespielt. Ihre soziale Botschaft war: Die Starken werden sich durchsetzen, die Schwächeren mögen sehen, wie sie zurechtkommen. Ihrer Politik ist ein soziales Gewissen völlig fremd.
    Ein besonders eklatantes Beispiel für die Behandlung des Themas Arbeitslosigkeit durch die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen ist die Art und Weise, wie Sie mit der Initiative der Evangelischen Kirche Deutschlands zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit umgesprungen sind. Sie haben mit uns gemeinsam vor einem dreiviertel Jahr — das waren zumindest die Fraktionen der Regierungskoalition — beteuert, daß auf diesem Feld zwingender Handlungsbedarf besteht. Bis zum heutigen Tag, rund eineinhalb Jahre nachdem über die Initiative der Evangelischen Kirche zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Deutschen Bundestag gesprochen worden ist, ist nicht das Geringste geschehen. Sie haben sich ständig aus der Behandlung des Themas herausgestohlen und davor gedrückt.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Sie haben nicht ein einziges Mal versucht, mit uns auf diesem Feld etwas Konstruktives hinzubekommen. Es gab die erklärte Aussage der Regierungsfraktionen im Ausschuß. Ich frage die Regierungsfraktionen: Von wem lassen Sie sich eigentlich erpressen?

    (Kolb [CDU/CSU]: Wie bitte?)

    Warum haben Sie bisher Ihr Wort nicht gehalten, mit uns gemeinsam Initiativen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit im Deutschen Bundestag einzubringen?

    (Beifall bei der SPD)

    Welches sind die Gründe dafür, daß Sie nach einem dreiviertel Jahr einen fortgesetzten Wortbruch begehen?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer in der Bundesregierung hindert Sie eigentlich daran, Ihren Fraktionswillen durchzusetzen? Wer hindert Sie eigentlich daran, Ihr eigenes Wort, das Sie uns und den Langzeitarbeitslosen gegeben hatten, zu halten? Sind Sie nur willenlose Hampelmänner, die von der Regierung vorgeführt werden, oder haben Sie einen eigenen Willen, der sich politisch auch durchsetzen kann?

    (Zustimmung bei der SPD — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege, diesen Begriff nehmen Sie bitte lieber wieder zurück.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ottmar Schreiner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Das ist doch in der Tat die Frage. Wenn die Fraktionen den Langzeitarbeitslosen das Wort gegeben haben, sie wollten in diesem Hause gemeinsam etwas tun, und sich nach über einem Jahr Behandlung dieses Themas überhaupt nichts bewegt, dann muß doch die Frage erlaubt sein,

    (Kolb [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn eigentlich!)

    was eigentlich diese Fraktionen überhaupt noch bewegen können oder ob sie nur noch ein willenloses Anhängsel der Regierungsbürokratie sind. Es muß doch erlaubt sein, diese Frage zu stellen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich will Ihnen noch eines zur politischen Bewertung sagen, Herr Bundesminister. Wir haben handfeste Beweise und Anhaltspunkte — das kann man nachlesen — , daß die Wahlergebnisse z. B. der Republikaner in Berlin — und nicht nur in Berlin — zum erheblichen Teil auf das Konto arbeitsloser Jugendlicher gehen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

    Das heißt, Sie haben einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen verzweifeltem Wahlhandeln von verzweifelten Jugendlichen und dem Aufkommen, dem Heraufdämmern eines neuen Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ich sage Ihnen: Die Republikaner, die NPD und andere radikale Strömungen sind im wesentlichen auch eine böse Frucht der Arbeitslosigkeit.

    (Kolb [CDU/CSU]: Die reden so wie Sie, in der gleichen Tonlage wie Sie!)

    Sie züchten die Schlangen auf diesem Feld dadurch selbst, daß Sie dieser Entwicklung in den vergangenen Jahren völlig tatenlos gegenübergetreten sind.
    Es gibt eine Fülle von konkreten Beispielen, die zeigen, daß Sie durch Ihre Politik wesentlich mit dazu beigetragen haben, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr Haß und Angst auf Ausländer und Aussiedler projizieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Durch eine Sprache wie die Ihre!)

    Auch insoweit sind Sie durch Ihr arbeitsmarktpolitisches Versagen an dem drohenden Zerfall der politischen Stabilität in der zweiten deutschen Demokratie mitschuldig geworden.

    (Sehr richtig! bei den GRÜNEN)

    Ich sage Ihnen ein weiteres Beispiel. Sie haben durch die neunte AFG-Novelle drastische Einsparungen bei dem einzigen Instrument vorgenommen, das in den vergangenen Jahren der Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit gedient hat,

    (Reimann [SPD]: An den Qualifizierungsmaßnahmen!)

    an den Qualifizierungsmaßnahmen, an den AB-Maßnahmen. Sie haben deshalb gekürzt, weil Sie Luft haben wollten für zusätzliches Geld, Sprachförderung für Aussiedler, wohlwissend, daß in diesem Jahr Ihre eigenen Kalkulationen im Bereich der Sprachförderung um mindestens 1 Milliarde DM zu knapp liegen. Das heißt, Sie spielen die eine notleidende



    Schreiner
    Gruppe gegen die andere Gruppe aus. Die Sprachförderung für Aussiedler ist eine verdammte Pflicht und Schuldigkeit der gesamten staatlichen Gemeinschaft, aber nicht der Beitragszahler der Bundesanstalt für Arbeit, der Arbeitnehmer.

    (Kolb [CDU/CSU]: Und der Arbeitgeber!) Das ist der wesentliche Unterschied.


    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Auch wir sind sehr dafür, die Integrationsbemühungen für die Aussiedler, die sich für unser Land entschieden haben, fortzusetzen. Es darf aber nicht einseitig auf dem Buckel der Arbeitnehmerschaft ausgetragen werden. Auch hier haben Sie Anhaltspunkte dafür geliefert, daß sich Haß und Ängste entwickeln können, die ihren politischen Niederschlag auch bei den Wahlen gefunden haben.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wissen Sie eigentlich genau, wer die Beiträge bezahlt? Die werden hälftig bezahlt!)

    Wir sagen: Die gegenwärtige Situation bedarf einer doppelten Antwort. Sie bedarf erstens der Bekämpfung der Ursachen von Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit in den notleidenden Regionen. Wir brauchen ausreichende, starke, bundesweit organisierte investive Sonderprogramme für die Notstandsregionen, für die Krisenregionen. Wir brauchen auch die Förderung und Konzentration von Forschungsvorhaben. In diesen Regionen verhält es sich zur Zeit genau umgekehrt.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wo leben Sie eigentlich, Herr Kollege?)

    Wenn wir auf Dauer Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit in den Krisengebieten abbremsen wollen, müssen wir an die Ursachen herangehen. Dann müssen wir dort Ersatzarbeitsplätze schaffen, wo auf Grund des zunehmenden Beschäftigungsverlustes in den traditionellen Altindustrien enorme Beschäftigungsdefizite entstanden sind.
    Der zweite Punkt. Wenn man die Folgen von Massenarbeitslosigkeit bekämpfen will, braucht man die Wiederherstellung der traditionellen arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Wir brauchen darüber hinaus arbeitsmarktpolitische Sonderprogramme, die auf die besonderen Bedürfnisse insbesondere der Langzeitarbeitslosen zugeschnitten sind — über die herkömmlichen Instrumente hinaus.

    (Kolb [CDU/CSU]: Welche Arbeitsplätze hat Nordrhein-Westfalen oder das Saarland geschaffen?)

    Sie sind zu beidem nicht mehr in der Lage, weder zur Bekämpfung der Ursachen noch zur Bekämpfung der Folgen. Ihre Koalition befindet sich in der Agonie, in der Auflösung. Sie sollten das deutsche Volk vor Ihrer weiteren Regierungstätigkeit verschonen und eine demokratische Auszeit beantragen.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kolb [CDU/CSU]: Sie sollten nicht schreien, sondern reden!)