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ID1113201000

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    Plenarprotokoll 11/132 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 132. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9729 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992) (Drucksache 11/4124) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Drucksache 11/4125) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Altersversorgung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären (Drucksache 11/4142) Dr. Blüm CDU/CSU 9729 C Dreßler SPD 9734 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 9738 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 9741 D Günther CDU/CSU 9745 A Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 9749 C Heinrich FDP 9751 D Frau Unruh GRÜNE 9754 C Heyenn SPD 9756 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 9759 C Bernrath SPD 9761 D Richter FDP 9764 A Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 9765D Wüppesahl fraktionslos 9767 A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 9771 C Nächste Sitzung 9771 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 9773* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 9773* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1989 9729 132. Sitzung Bonn, den 10. März 1989 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 10. 03. 89 * Austermann CDU/CSU 10. 03. 89 Bohl CDU/CSU 10. 03. 89 Böhm (Melsungen) CDU/CSU 10. 03. 89 ** Brandt SPD 10. 03. 89 Breuer CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. von Bülow SPD 10. 03. 89 Catenhusen SPD 10. 03. 89 Egert SPD 10. 03. 89 Ehrbar CDU/CSU 10. 03. 89 Engelsberger CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Faltlhauser CDU/CSU 10. 03. 89 Francke (Hamburg) CDU/CSU 10. 03. 89 Gattermann FDP 10. 03. 89 Dr. Gautier SPD 10. 03. 89 Dr. Geißler CDU/CSU 10. 03. 89 Genscher FDP 10. 03. 89 Dr. Göhner CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Götz CDU/CSU 10. 03. 89 Graf SPD 10. 03. 89 Dr. Hauchler SPD 10. 03. 89 Dr. Hauff SPD 10. 03. 89 Heistermann SPD 10. 03. 89 Herkenrath CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Hüsch CDU/CSU 10. 03. 89 Ibrügger SPD 10. 03. 89 Dr. Kappes CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Klejdzinski SPD 10. 03. 89 * Koltzsch SPD 10. 03. 89 Koschnick SPD 10. 03. 89 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Kreile CDU/CSU 10. 03. 89 Dr.-Ing. Laermann FDP 10. 03. 89 Lennartz SPD 10. 03. 89 Link (Diepholz) CDU/CSU 10. 03. 89 Meneses Vogl GRÜNE 10. 03. 89 Meyer SPD 10. 03. 89 Dr. Meyer zu Bentrup CDU/CSU 10. 03. 89 Mischnick FDP 10. 03. 89 Dr. Mitzscherling SPD 10. 03. 89 Dr. Müller CDU/CSU 10. 03. 89 ** Müller (Düsseldorf) SPD 10. 03. 89 Müller (Schweinfurt) SPD 10. 03. 89 Niegel CDU/CSU 10. 03. 89 * Dr. Niese SPD 10. 03. 89 Pfuhl SPD 10. 03. 89 Reuschenbach SPD 10. 03. 89 Rixe SPD 10. 03. 89 Dr. Scheer SPD 10. 03. 89 * Schmidt (München) SPD 10. 03. 89 ** Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Schoppe GRÜNE 10. 03. 89 Frhr. von Schorlemer CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Schöfberger SPD 10. 03. 89 Schreiber CDU/CSU 10. 03. 89 Schröer (Mülheim) SPD 10. 03. 89 Frau Dr. Skarpelis-Sperk SPD 10. 03. 89 Stratmann GRÜNE 10. 03. 89 Frau Dr. Timm SPD 10. 03. 89 Frau Trenz GRÜNE 10. 03. 89 Vahlberg SPD 10. 03. 89 Dr. Vogel SPD 10. 03. 89 Dr. Vondran CDU/CSU 10. 03. 89 Wilz CDU/CSU 10. 03. 89 Wischnewski SPD 10. 03. 89 Würzbach CDU/CSU 10. 03. 89 Zierer CDU/CSU 10. 03. 89 * Dr. Zimmermann CDU/CSU 10. 03. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 23. Februar 1989 ihren Antrag Initiativen zum Verbot der Herstellung und Lagerung chemischer Waffen und der Verhinderung ihrer Wetterverbreitung - Drucksache 11/3639 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuß Drucksache 11/3664 Drucksache 11/3808 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 10/5325 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/1030 Drucksache 11/2096 Drucksache 11/2097 Drucksache 11/2734 Drucksache 11/3069 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/3882 Nr. 3.4, 3.6-3.9, 3.11-3.21 Drucksache 11/3927 Nr. 3.3, 3.4 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/2089 Nr. 27 Drucksache 11/3558 Nr. 3.36 Drucksache 11/2724 Nr. 21-23 Drucksache 11/2899 Nr. 3.20-3.26 Drucksache 11/3021 Nr. 2.10 Drucksache 11/3831 Nr. 21- 23 Drucksache 11/2465 Nr. 2.21 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/4019 Nr. 2.44 9774* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1989 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 24. Februar 1989 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Jahresabschluß der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1987 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Jahresabschluß ist vom Bundesminister für Verkehr im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt worden. Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 24. Februar 1989 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1988 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Nachtrag zum Wirtschaftsplan im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Beide Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zeiten, in denen Zuwächse — nach dem Motto „Allen wohl und niemand weh" — verteilt werden konnten, sind auch in der Rentenversicherung vorbei. Das, verehrter Herr Kollege Rudolf Dreßler, wissen und wußten alle, die sich seriös mit dieser Materie beschäftigen, seit vielen, vielen Jahren, seit Mitte der '70er Jahre. Der Konsolidierungsbedarf ist eigentlich von niemandem ernsthaft bestritten worden.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Nachdem Sie 500 Milliarden herausgenommen haben!)

    Ich möchte noch einmal herausstellen, daß es auch das Ziel sein muß, solidarische Absicherung, Zusatz- und Eigenvorsorge besser als bisher aufeinander abzustimmen. Die Liberalen haben ihre Zielvorstellungen zur Alterssicherung in der liberalen Sozialpolitik in den 32 Thesen 1979 festgelegt. Lieber Rudolf Dreßler, bei allem Respekt für die Notwendigkeit der Ausführungen, die Sie hier heute morgen gemacht haben: Das Jahr 1979 liegt vor dem Jahr 1984.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir forderten damals, daß die Lasten, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben, auf Beitragzahler, Steuerzahler und Rentner verteilt werden sollten, wir forderten damals nettoähnliche Anpassungen, wir verlangten damals flexiblen Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand sowohl in der Form vorgezogener Altersrente — dann aber ohne zusätzliche Belastung der Solidargemeinschaft — als auch im Rahmen von Teilrente und Teilzeitarbeit. Die Liberalen haben damals entsprechende Bewertungen der für Lohnersatzzeiten, z. B. Arbeitslosigkeit, gezahlten Beiträge auch bei den Leistungen der Rentenversicherung verlangt. Deckungsgleichheit für diesen Bereich habe ich von diesem Pult zigmal verlangt.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Nur die Beamten nicht angetastet!)




    Cronenberg (Arnsberg)

    — Aber, gnädige Frau Unruh, auch dies haben wir getan. Dieser Punkt der Kritik ist Ihnen leider nicht verblieben.
    Man höre und staune: Auch damals haben wir drei Jahre Kindererziehungszeiten verlangt, und die Abschaffung der unsinnigen Halbbelegung war eine Forderung der Liberalen 1979. Last but not least: Einen „verläßlichen, angemessenen Bundeszuschuß", so hieß es, haben wir verlangt. Mit allem Freimut sei darauf hingewiesen, daß diesen verläßlichen und angemessen hohen Bundeszuschuß durchzusetzen in der eigenen Fraktion fast so schwierig war wie beim Finanzminister. Es ist sehr, sehr schwer — auch das mögen die Kollegen der SPD berücksichtigen —2,3 Milliarden DM beim Finanzminister loszueisen. Ich möchte aber auch nicht verhehlen, daß die Einbeziehung der Kindererziehungszeiten in den Bundeszuschuß nicht meinen uneingeschränkten Beifall findet. Ich nehme an, das wird niemanden, der die Materie kennt, überraschen.
    Meine Damen und Herren, bei der Verabschiedung der 32 Thesen 1979 hätte jedenfalls ich es mir nicht träumen lassen, daß ich zehn Jahre später das Vergnügen haben würde, gemeinsam mit den Kollegen der Union und der SPD einen Großteil unserer liberalen Forderungen als Rentenreformgesetz in den Bundestag einbringen zu dürfen.

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: So biegsam sind die Sozialdemokraten! — Zuruf des Abg. Andres [SPD])

    Dies ist um so erstaunlicher, Herr Kollege Andres, als sowohl der damalige Oppositionssprecher und jetzige Arbeitsminister Norbert Blüm als auch die verantwortlichen Sozialpolitiker der SPD, insbesondere mein Freund Eugen Glombig, mit uns mehr als kritisch ins Gericht gegangen sind, als wir es wagten, das für sakrosankt erklärte System der bruttolohnbezogenen Anpassung in Frage zu stellen.
    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage das heute morgen hier nicht aus Rechthaberei, ich sage das auch nicht, um etwa die Konsensstimmung zu stören, sondern ich sage dies, um zu beweisen, daß das ständige Wiederholen gut begründeter Positionen auch bei den konkurrierenden Parteien seinen Eindruck nicht verfehlt. Im Gegensatz zu manchen Veröffentlichungen gibt es — so zeigt dieses Beispiel — also nicht nur Betonköpfe, die immer auf den politischen Gegner eindreschen, sondern es gibt in diesem Parlament durchaus Männer und Frauen, die bereit sind, Argumente zu prüfen, abzuwägen und auch zu übernehmen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Abzudynamisieren!)

    In der Politik, Frau Kollegin Unruh, ist im Gegensatz zur Schule Abschreiben nicht nur nicht verboten, sondern geradezu erwünscht; ich möchte es Ihnen persönlich sogar empfehlen.

    (Beifall bei der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Habt ihr prima gemacht!)

    Dies zeigt, daß wir auch in der Sozialpolitik Vorreiterrollen übernehmen können und, wenn es nottut, nicht vor unbequemen Vorschlägen zurückschrecken.
    An der Notwendigkeit der Rentenreform besteht überhaupt kein Zweifel. Norbert Blüm und Rudolf Dreßler haben das noch einmal begründet. Aber die notwendigen Maßnahmen müssen auch rechtzeitig im Interesse der nächsten Rentner- und Aktivgeneration auf den Weg gebracht werden, und das geschieht heute. Bei der Rentenreform dürfen wir weder auf den nächsten Wahltag schielen, noch ist parteitaktische Profilierung angezeigt.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Doch! Ich schiele auf den nächsten Wahltag! Wir sind gewählte Politiker!)

    Ich wünsche mir, daß jeder von uns, daß wir alle das Allgemeinwohl für wichtiger als das Parteiwohl halten. Die Rentenreform wird auch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, im weiteren Verfahren kein Spaziergang sein. Die einen wollen Besitzstände erhalten, die anderen wollen eine Einheitsrente. Beides ist falsch.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das stimmt ja gar nicht!)

    Gefragt ist die Renovierung der Rentenversicherung, und das beitrags- und leistungsbezogene Umlagesystem muß für die Zukunft wetterfest gemacht werden.

    (Günther [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Frau Unruh [GRÜNE]: Für alle!)

    Ohne eine erfolgreiche Wirtschaft ist sozialer Fortschritt nicht möglich. Immer rascher steigende Sozialausgaben und damit immer höhere Abgaben gefährden die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, und damit ist auch die Beschäftigung in den Betrieben gefährdet. Ohne eine leistungsfähige Wirtschaft, ohne Wachstum, verehrte Kollegen von den GRÜNEN,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Was für ein Wachstum?)

    sind auch soziale Leistungen nicht zu bezahlen. Dies sei Ihnen, Frau Unruh, als Kritiker des Wachstums ins Stammbuch geschrieben.
    Wir, die FDP-Fraktion, stimmen dem Konsens zu. Ich bin froh über dieses Ergebnis und sage dies auch all denjenigen aus der Union und aus der SPD und auch all denjenigen aus der eigenen Fraktion, die mich immer davor gewarnt haben, viel Zeit und Geduld in dieses — Ihrer Meinung nach unsinnige — Unterfangen zu investieren. Ich war auch deshalb in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zum Konsens zu leisten, weil ich die verhandelnden Kollegen aus den anderen Fraktionen seit vielen Jahren kannte, und ich wußte, daß Norbert Blüm und Rudolf Dreßler, Günther Heyenn und Horst Günther, Horst Seehofer und Jürgen Egert, der heute morgen nicht hier ist, und auch mein Kollege Ulrich Heinrich, der sich so schnell in die Materie eingearbeitet hat,

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Ein richtiger Stammtisch, Herr Cronenberg!)

    mit viel gutem Willen, Frau Kollegin, an diese Arbeit herangegangen sind. Ich wußte, daß sie den redlichen Versuch unternehmen wollten, zum Konsens zu kommen, und sich dabei bewußt waren, welche Grenzen der Umsetzung von Parteiprogrammen gesetzt sind.



    Cronenberg (Arnsberg)

    Aber unabhängig davon hat der Konsens seinen eigenen Wert; denn eine breite Akzeptanz auf der politischen Ebene für das beitrags- und leistungsbezogene Rentensystem fördert das Vertrauen in das System. So gesehen ist die breite Zustimmung der Fraktionen ein Beitrag zur Stabilisierung des Systems an sich.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Man muß darauf hinweisen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns nicht in der dritten, sondern in der ersten Lesung befinden. Wir müssen das so gut begonnene gemeinsame Werk auch gut zu Ende führen. Dabei — ich sage das in aller Eindringlichkeit an alle — darf sich niemand die Rosinen aus diesem Kuchen herauspicken. Auf gut sauerländisch heißt es hier und muß es auch heißen: mitgegangen, mitgefangen.

    (Heiterkeit — Urbaniak [SPD]: Julius, hoffentlich nicht verfangen!)

    Das sei selbstkritisch auch der eigenen Fraktion gesagt, die den Verzicht auf die vorgesehene Senkung des Beitragssatzes um 0,2 % nicht gerade mit Begeisterung akzeptiert hat.
    Es versteht sich auch von selbst, daß die eigenen Positionen, die sich nicht haben durchsetzen lassen, nicht aus der politischen Programmatik gestrichen werden. Selbstverständlich werden alle diese Positionen weiter vertreten, aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, damit darf das Konsensergebnis nicht in Frage gestellt werden.

    (Günther [CDU/CSU]: Sehr gut! — Seehofer [CDU/CSU]: Auch nicht um 75 %!)

    — Lieber Kollege Seehofer, eine solche sinnvolle und notwendige Forderung kann ja in anderem Zusammenhang als im Zusammenhang mit der Rentenversicherung die Zustimmung auch der CSU finden.
    Die auf uns zukommenden Belastungen müssen von allen, Steuerzahlern, Beitragszahlern und Rentnern, gemeinsam getragen werden. Mit der maßvollen Steigerung der Beitragssätze, der deutlichen Erhöhung des Bundeszuschusses und der Einbeziehung der Rentensteigerungen haben wir erreicht, daß alle den notwendigen und, so meine ich, auch zu verkraftenden Beitrag erbringen. Um Mißverständnisse von vornherein auszuschließen, sei noch einmal klar und deutlich betont: Die Renten werden nicht gekürzt; sie werden in einer Reihe von Fällen sogar verbessert.
    Allerdings: In dem Umfang, in dem Kinder und Enkel als Beitragszahler verstärkt zur Kasse gebeten werden, steigen die Renten langsamer. Die gegenseitige Verknüpfung von Beitragssatz, Renten und Bundeszuschuß trägt zur Stabilisierung der Rentenversicherung bei.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Was machen Sie denn mit den Kinderlosen?)

    Wie Rudolf Dreßler richtig ausgeführt hat, versuchen wir mit dieser Automatik, die Renten und die Rentendiskussion aus der Tagespolitik herauszuhalten. Ich hoffe, daß uns das auch gelingen wird.
    Ein wichtiger unserer Programmatik entsprechender Punkt ist die Anpassung der Altersgrenzen. Wir alle wissen um die demographischen Probleme. Während wir 1960 noch 16 Millionen Jugendliche unter 20 Jahren und fast 9 Millionen ältere Mitbürger über 60 Jahre hatten, werden es im Jahre 2000 noch etwa 12 Millionen Jugendliche und mehr als 14,7 Millionen ältere Mitbürger sein. Die derzeitigen Prognosen der demographischen Entwicklung signalisieren einen weiteren Zuwachs der Zahl der älteren Mitbürger und einen deutlichen Rückgang bei den Jugendlichen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Wie ist das denn mit den Beamten?)

    — Frau Kollegin Unruh, auch Ihre dauernden Zwischenrufe und Ihre Hinweise auf die Beamten werden Sie nicht davon befreien, einem Entschließungsantrag zuzustimmen, den die drei Fraktionen hier gemeinsam vorgelegt haben. Dann wird das von Ihnen gewünschte Ziel perfekt erreicht.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Aber Prognosen können auch anders verlaufen. Ich will hier nur die Stichworte EG-Binnenwanderung und Aussiedler nennen. Wohlwissend, daß letzteres ein Reizthema ist, möchte ich nicht auf den Hinweis verzichten, daß die Altersstruktur der zu uns kommenden Aussiedler für die Rentenversicherung positiv und nicht negativ ist, wie uns immer darzustellen versucht wird.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Einer der Gründe für die notwendige Anpassung ist die erfreuliche Verlängerung der Lebenserwartung, allerdings mit der Konsequenz, daß die Rentenlaufzeiten eben steigen. Späterer Berufseintritt ist eine Folge verlängerter und — so hoffe ich — auch verbesserter Ausbildung. Denn gerade unser rohstoffarmes und exportorientiertes Land lebt davon, daß es bestens qualifizierte und bestens ausgebildete Fachkräfte hat: Facharbeiter, Handwerker, Ingenieure, um nur einige zu nennen. Je besser unsere Arbeitnehmer ausgebildet sind, desto wettbewerbsfähiger sind wir im internationalen Wettbewerb. Diese Menschen müssen — auch um ihrer Selbstverwirklichung willen — auch länger arbeiten können, damit wir uns im internationalen Wettbewerb durchsetzen.

    (Beifall bei der FDP)

    In der Diskussion um die Anhebung der vorgezogenen Altersgrenzen kann aber auch das Thema Verkürzung der Arbeitszeit nicht ausgespart werden. Verehrte Kollegen, es ist nicht daran zu rütteln: Von immer längerem Urlaub, immer kürzerer Wochenarbeitszeit, immer stärker abnehmender Lebensarbeitszeit werden keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.

    (Beifall des Abg. Heinrich [FDP] — Urbaniak [SPD]: Mehr Verdienste der Unternehmer!)

    Die wettbewerbliche Attraktivität der deutschen Wirtschaft, Kollege Urbaniak, leidet auch, wenn Investitionen durch eine Maschinensteuer, vornehm Wertschöpfungsabgabe genannt, belastet werden.

    (Beifall des Abg. Heinrich [FDP] — Andres [SPD]: Exportweltmeister!)




    Cronenberg (Arnsberg)

    Bei den Beratungen über den Zeitpunkt der notwendigen Anhebung vorgezogener Altersgrenzen hat auch die unterschiedliche Einschätzung der Beschäftigungslage eine gewisse Rolle gespielt; mit Recht ist darauf hingewiesen worden. Die Prognosen sind zugegebenermaßen schwer. Dennoch ist und war eine definitive Festlegung notwendig — ich will die Argumente noch einmal wiederholen — , damit sich der einzelne unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes darauf einstellen kann, damit sich der Betrieb darauf einstellen kann, entsprechende Arbeitsplätze vorsehen kann und dies bei der Weiterbildung und Rehabilitation entsprechend berücksichtigen kann, damit die künftige Entwicklung der Rentenversicherung zuverlässig absehbar ist — das ist für den Rentenanpassungsbericht notwendig — , damit die Rentenversicherung langfristig entlastet wird und damit auch die strukrurellen Arbeitsmarktprobleme, also auch die Probleme des unbestritten immer stärker werdenden Facharbeitermangels, bewältigt werden können.
    Der guten Ordnung halber sei daran erinnert, daß z. B. in den Vereinigten Staaten diese Maßnahmen schon beschlossen sind. Dort gibt es übrigens eine Lebensarbeitszeitverlängerung auf 67 Jahre.
    Die Summe aller Maßnahmen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wird nach meiner Einschätzung für den vorgesehenen überschaubaren Zeitraum eine ausreichende Finanzierung und Stabilisierung unserer Rentenversicherung sicherstellen. Für weite Teile unserer Bevölkerung ist nach 40 Jahren Frieden und oft mehreren Erbschaften — viele Jugendliche erben ein Haus oder mehrere Häuser oder Eigentumswohnungen — ein erheblicher Wohlstand und ein hoher Lebensstandard erreicht worden.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: In welcher Welt leben Sie? — Andres [SPD]: Reden Sie von Ihren Kindern? — Urbaniak [SPD]: Aber die Arbeitslosen sind doch nicht gemeint!)

    — Ich habe von erheblichen Teilen unserer Bevölkerung gesprochen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen doch nicht leugnen, daß Sie in einem Land leben, in dem es einen erfreulich hohen Wohlstand, zu dem wir alle beigetragen haben, gibt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist doch unsinnig, dieses Land herunterreden oder schlecht machen zu wollen. Freuen Sie sich doch mit uns gemeinsam, daß es den meisten Menschen gut geht!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Urbaniak [SPD]: Die Malocher haben das geschafft!)

    Aber es ist auch nicht zu leugnen — das betrifft alle Parteien — , daß zwischen Bevölkerung und Politik bzw. Politikern eine tiefe Vertrauenskrise besteht. Die Gründe sind vielfältiger Natur. Ein Grund ist, daß man nicht immer ehrlich genug miteinander umgeht und sich nicht traut, Notwendiges und Unpopuläres offen auszusprechen.
    Deswegen gestatten Sie mir an dieser Stelle ein paar Bemerkungen: Unser umlagefinanziertes Rentensystem wird auch in Zukunft die maßgebliche Basis für die Alterssicherung bilden. Wer aber den hohen, in den aktivsten Jahren erreichten Lebensstandard auch im Alter sichern will, muß zusätzliche Vorsorge treffen, muß um zusätzliches Alterseinkommen bemüht sein. Hierbei spielen Betriebsrenten, Direktversicherungen und Eigenvorsorge eine wichtige Rolle.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deswegen sind wir aufgefordert, die Rahmenbedingungen für Direktversicherungen und für Eigenvorsorge günstiger zu gestalten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Massenarbeitslosigkeit!)

    Im besonderen gilt dies, Kollege Urbaniak, für die Betriebsrenten, bei denen wir schon seit mehreren Jahren bedauernd feststellen, daß sich der ursprünglich positive Trend ins Gegenteil verkehrt. Versorgungswerke werden geschlossen; Neugründungen finden nicht mehr statt. Hier besteht Handlungsbedarf.

    (Urbaniak [SPD]: Sehen Sie sich einmal das Beispiel AEG an! Das hat es ausgelöst!)

    — Das ist ein Trauerspiel gewesen, Herr Urbaniak. Ich bin gerne bereit, den Unsinn, daß der Pensionssicherungsverein alles, auch Überversorgung, abdeckt, mit Ihnen gemeinsam zu ändern. Wir werden Ihnen die Möglichkeit geben, uns Ihre Unterstützung für ein solches Projekt zu geben.
    Meine Damen und Herren, es bleibt noch viel zu tun. Ich möchte Sie abschließend auffordern, bei den anstehenden, sicherlich auch kontroversen Beratungen die gleiche Offenheit und die gleiche Fairneß zu zeigen, wie dies bei den bisherigen Beratungen der Fall war. Denn das, was wir heute vorgelegt haben, stellt, wie der Präsident des Bundessozialgerichts erklärt hat, ein sehr ausgewogenes, in sich geschlossenes Konzept dar und bildet eine ausgezeichnete Grundlage zur Lösung der Probleme der Alterssicherung über das Jahr 2000 hinaus.
    Für die gezeigte Kompromißbereitschaft und Flexibilität möchte ich noch einmal dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm sowie den Kollegen Dreßler, Heyenn, Egert, Günther, Seehofer und Heinrich sehr herzlich danken. Ich würde etwas versäumen, wenn ich an dieser Stelle nicht auch meinem Mitarbeiter Herrn Irlenkaeuser, der mich immer so gut gefüttert hat, daß ich allen Diskussionen bestens gewachsen war

    (Reimann [SPD]: Hat er auch diese Rede aufgeschrieben?)

    — das hat er nicht aufgeschrieben, nein — , ein herzliches Dankeschön sagen würde. Ich hoffe weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Marieluise Beck-Oberdorf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erstens stelle ich fest: Wie Herr Cronenberg soeben noch einmal sehr deutlich



    Frau Beck-Oberdorf
    dargelegt hat, ist diese Rentenreform in einer reinen Männerrunde ausgehandelt worden. Ich werde Ihnen darlegen, daß die Ergebnisse in der Tat damit auch etwas zu tun haben. Die Frauen kommen bei dieser Rentenrunde schlecht weg. Das ist eben immer so, wenn man die Männer unter sich läßt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweitens. Herr Dreßler, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, hätte ich mir doch überlegt, was ich denn nun falsch gemacht habe. Denn daß Sie nun Lob von allen Seiten bekommen, sowohl von der FDP als auch von Herrn Blüm, das müßte Sie in der Tat doch etwas stutzig machen.
    Die Debatte um die Rente wird hier ja sehr schnell auf den Kampf um Prozente, Anrechnungsmodelle, Laufzeiten und Schwankungsreserven verkürzt. Uns GRÜNEN geht es aber um sehr viel mehr. Es geht um die Frage, wie mit dem Alter in dieser Gesellschaft umgegangen wird. Es geht um die Frage, was für Rechte, was für Lebensräume alten Menschen eingeräumt werden sollten, d. h. auch, ob wir Jungen uns darauf verständigen können, daß wir nie und nimmer von „Alterslast" oder von „Altersberg" reden und dementsprechend auch nicht versuchen, die Kosten für die Alten möglichst niedrig zu halten. Ausgangspunkt für die Debatte um die Versorgung der Alten muß deswegen die Frage sein: Was braucht ein Mensch, um in Würde alt zu sein? und nicht etwa: Was glauben wir für die Alten ausgeben zu können?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Chance, im Alter in Würde zu leben, hat viel mit unseren gesellschaftspolitischen Entscheidungen zu tun: mit unserer Wohnungspolitik, mit Bildungs- und kulturellen Angeboten, ja, selbst mit solchen Fragen wie Schönheitsidealen, wo nur die der Jungen und nicht die der Alten gelten.
    Aber das alles hat auch mit Geld zu tun. Würdevolles und vor allem aktives Leben im Alter ist kaum möglich, wenn man arm ist; denn Armut schneidet vom Leben ab. Wenn jede Busfahrkarte zum finanziellen Problem wird, können auch keine sozialen Kontakte gepflegt werden. Wenn die Kinokarte nicht mehr ins Budget paß oder wenn das Gläschen Wein im Gasthaus zur finanziellen Hürde wird, von Ausflügen und Reisen ganz zu schweigen, dann eben beginnt das elende Leben in Einsamkeit und Isolation.
    Die Hauptfrage, an der sich diese Reform messen lassen muß, ist also, ob sie geeignet ist, die Armut im Alter zu beseitigen, und das, meine Damen und Herren, leistet sie nicht. Diese Reform kann es auch gar nicht leisten. Denn sie hält am System der lohn- und beitragsbezogenen Rente fest.

    (Dreßler [SPD]: Das ist richtig! — Weitere Zurufe von der SPD: Jawohl!)

    Einer der vielen Lieblingssprüche unseres verehrten Sozialministers ist ja der von der Rente als Alterslohn für Lebensleistung. Nun haben Hunderttausende von alten Menschen, insbesondere Frauen, Renten zwischen 300 und 500 DM. Haben die also in ihrem Leben nichts geleistet? Oder wie ist es mit den Arbeiterinnen, die trotz jahrzehntelanger Arbeit Renten unterhalb der Sozialhilfe haben? Wie steht es mit
    deren Leistung? Oder wie ist es mit der Frau, die als Putzfrau — vielleicht neben der Pflege der Kinder oder der Schwiegermutter — nur das Zubrot erarbeitet hat? Sie alle bekommen keine ausreichende Rente, weil Leistung bei uns anders definiert ist, weil sich unser Rentensystem an der lebenslangen Erwerbstätigkeit, also eigentlich am männlichen Normalarbeitnehmer mit 45 Verdienstjahren, orientiert.

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch barer Unsinn!)

    Aber Frauen haben Brüche in ihren sogenannten Erwerbsbiographien. Oft waren sie gar nicht sozialversicherungspflichtig tätig. Sie haben unverschämt niedrige Löhne. Sie sind oft Jahre aus dem Beruf herausgegangen, um die Kinder zu betreuen, und die Quittung bekommen sie im Alter. Denn dieses Leben bezahlen sie obendrein oft mit Armut. Solange das System der Rente von der vollen Erwerbsbiographie als Normalfall ausgeht, wird es Armut im Alter geben, insbesondere für Frauen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es ist geradezu infam, wenn gerade von seiten der CDU und der FDP das hohe Lied der Teilzeitbeschäftigung und der flexiblen Arbeitsverhältnisse gesungen wird — und Sie betreiben diesen wirtschaftspolitischen Kurs — , während Sie gleichzeitig im sozialen Sicherungssystem keinerlei Anstalten machen, sich von der Fiktion der Vollerwerbstätigkeit zu lösen.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN — Dr. Probst [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist barer Unsinn!)

    Hier richtet sich mein Zorn auch gegen Sie von der SPD. Sie wissen, daß das Normalarbeitsverhältnis allerorten aufgeweicht wird. Sie wissen, daß Frauen keine geschlossenen Erwerbsbiographien haben, sonst hätten Sie auf dem Münsteraner Parteitag nicht die soziale Mindestsicherung gefordert. Aber Ihre Parteitagsbeschlüsse scheinen Sie selbst ja nicht zu interessieren.

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Sie sehen das alles nur durch Ihre verklärte Brille!)

    So haben Sie gemeinsam mit Herrn Blüm an einem Rentensystem festgehalten, das die Armut im Alter fortschreibt.
    Daran ändert auch die Rente nach Mindesteinkommen nichts, die in diesem Entwurf fortgeschrieben wird. Der Anspruch gilt nur für Frauen, die wenigstens 35 Versicherungsjahre aufzuweisen haben.

    (Reimann [SPD]: Für 75 %!)

    Das heißt, der Korb ist noch höher gehängt worden. Selbst die Frauen — Frauen sind zumeist betroffen — die die Aufstockung in voller Höhe bekommen, werden trotzdem häufig noch unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegen. Die Rente nach Mindesteinkommen kann aber auch bei 653 DM liegen, wenn z. B. nur 25 aufstockungsfähige Jahre vorliegen. Das werden Sie doch wohl nicht Beseitigung von Altersarmut nennen wollen, Herr Dreßler.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Frau Beck-Oberdorf
    Die Grundzüge des vorliegenen Rentenkompromisses, der genau wie die sogenannte Gesundheitsstrukturreform eine Sparreform ist, werden langfristig eher noch zur Verschärfung der Armut im Alter führen. Ich werde das belegen.
    Erstens. Mit der Absenkung des Nettorentenniveaus auf etwa 70 % nach 45 Versicherungsjahren kann von einer Lebensstandardsicherung nicht mehr gesprochen werden. Der Anteil derjenigen, die ein Leben lang durchschnittlich verdienen, ist gering. Zumindest ein Vierteil von ihnen erreicht nicht einmal 40 Versicherungsjahre. So liegen 90 % der Frauen unterhalb dieses Modellfalles, der als Meßlatte angelegt wird.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Ja, derzeit!)

    Zweitens. Der Entwurf baut Momente des Solidarausgleichs ab. Zeiten von Erwerbslosigkeit und Langzeitkrankheit werden jetzt auch in der Rente zu Buche schlagen, weil Sie den Rentenanspruch auf 80 % für diese Zeiten senken. Die Bestrafung erfolgt also doppelt, erst während der Erwerbslosigkeit oder Krankheit — beide sind wahrlich unverschuldet und nicht freiwillig gewählt — und dann noch einmal im Alter. Das ist wieder einmal ein Bausteinchen des sogenannten Umbaus des Sozialstaats von Herrn Blüm nach dem Motto: freie Fahrt dem Starken, nur daß die SPD diesmal aktiv mit dabei war.
    Drittens. Die Heraufsetzung der Altersgrenze wird indirekt zu Rentenkürzungen für viele führen. Während heute die Gewerkschaften im Tausch für Arbeitszeitverkürzung Lohnzurückhaltung üben — dazu werden sie auch ständig aufgefordert —, während die Flexibilisierung im Tausch für Arbeitszeitverkürzung ständig vorangetrieben wird, wird durch die Ausdehnung der Lebensarbeitszeit dieser Gewinn am Ende wieder kassiert.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Auch da haben Sie mitgemacht. All diejenigen, die vor 65 in Rente gehen wollen, und all die, die in Rente gehen müssen, weil sie verbraucht und mürbe sind — durch die Art von Arbeitshetze, die unsere Betriebe und unsere Produktion bestimmen — , werden das mit hohen Renteneinbußen zu bezahlen haben. Stellen Sie sich vor: Eine Frau, die in der Regel sowieso schon eine Minirente hat, muß nun auch noch auf über 10 Rente verzichten, wenn sie mit 62 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen will. Ich werde darauf warten, Frau Schmidt, ob Sie nachher tatsächlich noch einmal behaupten wollen, diese Rentenreform sei zugunsten der Frauen ausgegangen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Viertens. Das Süssmuth-Bonbon — ich meine die Anrechnung von drei Kindererziehungsjahren — ist zum Genuß für das Jahr 2025 oder 2030 vorgesehen. Man mache sich das einmal klar. Herr Blüm sagt selber, daß er über das Jahr 2010 hinaus kaum etwas über die Entwicklung der Rentenkassen sagen kann. Das ist vermutlich auch realistisch. Nun kommt er daher und verspricht den Frauen für den Sankt-Nimmerleins-Tag einen Bonus für die Kindererziehung. Vermutlich wird man neben der Stiftung „Mutter und Kind" demnächst den Frauen auch noch mit den Rentenjahren kommen, wenn sie zum Austragen eines Kindes gebracht werden sollen.
    Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Der Gedanke der Anrechnung von Kindererziehung in der Rente ist grundsätzlich richtig. Denn endlich wird eine andere Leistungsidee mit aufgenommen. Er trägt der Tatsache Rechnung, daß fast jede Frau, die ein Kind hat, deswegen Unterbrechungen oder Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit hinnehmen mußte oder wollte.
    Aber der vorgelegte Vorschlag ist geradezu grotesk. Nicht nur, daß er die Frauen auf das Jahr 2030 vertröstet, sondern er gewährt die Anrechnung nur denen, die aus dem Beruf herausgegangen sind. Oft sind das Frauen, die sich das nur leisten können, weil sie z. B. einen gut verdienenden Ehemann haben und weil sie eben die Erwerbstätigkeit nicht aus finanzieller Not weiterführen müssen. Die Alleinerziehende aber, die gar nicht die Wahl hat zwischen Zu-Hause-Bleiben und Berufstätigkeit, die Frau, deren Ehemann so schlecht verdient, daß sie selbstverständlich auch verdienen muß, die wird mit ihren Versicherungsbeiträgen also die Erziehungsrente der Nachbarin zahlen und guckt obendrein selber bei ihrer Rente in die Röhre.
    Nein, dieses System ist schreiend ungerecht.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich kann nur hoffen, daß die Frauen und die Frauenverbände Ihnen das um die Ohren schlagen werden. Ganz abgesehen davon, daß es ja wohl vollkommen willkürlich und unmöglich ist, diese Regelung ab 1991 anlaufen zu lassen und die Frauen von heute außen vor zu lassen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

    Da hätten wir ja eine Neuauflage der TrümmerfrauenDiskussion. Sie scheinen offensichtlich nichts dazuzulernen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nun wird zur Begründung dieser Reform wieder einmal das Wörtchen Ausgewogenheit beschworen. Das haben wir heute ja des öfteren gehört. Jeder trage ein bißchen von der Last, ein Teil die Rentner und Rentnerinnen, ein Teil die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, ein Teil der Staat mit seinem Bundeszuschuß. Dabei wird elegant darüber hinweggemogelt, daß der Bund meilenweit davon entfernt ist, den Anteil in die Kasse hineinzugeben, den er die Versichertengemeinschaft für allgemeine Aufgaben zahlen läßt. Nur mit einem rechnerischen Trick, nämlich der Aufstockung um die Kindererziehungsbeiträge, kommen Sie auf 20 % Bundeszuschuß. Die Kosten der sogenannten Fremdleistungen liegen aber bei 30 %.

    (Dreßler [SPD]: Quatsch!)

    — Das sagt doch der VdR selbst, Herr Dreßler.

    (Dreßler [SPD]: Das sagt keiner vom VdR! Diese Angabe ist Quatsch!)

    Der Bund hat sich Jahr für Jahr aus der Finanzierung der eigentlich ihm obliegenden sozialen Aufga-



    Frau Beck-Oberdorf
    ben zurückgezogen, und zwar sowohl zu Zeiten der CDU/CSU als auch zu Zeiten der SPD.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Natürlich, eine Steuerreform des Hauses Stoltenberg wie im vergangenen Jahr und sozialer Ausgleich, wie jetzt bei der Rente nötig, gehen nicht zusammen. Ich sage Ihnen: Wir hätten bei dieser Reform ohne weiteres die Möglichkeit zu einer Mindestsicherung im Alter gehabt, wenn der Bundeszuschuß auf den Anteil aufgestockt worden wäre, der auch aus den Kassen herausfließt, nämlich auf die 30 %.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das weiß auch die SPD, das wußte auch Herr Dreßler. Sie werden Rede und Antwort stehen müssen, warum Sie sich auf diesen Deal eingelassen haben, Herr Dreßler. Der Rentenarmut wird mit dieser Reform nicht zu Leibe gerückt. Im Gegenteil.
    Auf ganz sanfte Pfoten allerdings haben Sie sich bei zwei Gruppen begeben, die sich vor Armut im Alter nicht fürchten müssen, nämlich bei den Beamten und bei der Knappschaft. Daß die Idee der Grundsicherung nicht falsch ist, wissen ja die Beamten; sonst gäbe es bei ihnen nicht das System der Mindestsicherung, das einem Beamten nach fünf Dienstjahren eine grundständige Absicherung gewährt.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Nach zehn Jahren!)

    Was aber für Beamte recht ist, sollte für andere Alte billig sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das Niveau der Beamtenversorgung ist so hoch, daß sie 36 % ihres Einkommens in eine Rentenversicherung einzahlen müßten, wenn mit gleichen Maßstäben gemessen würde. Aber an diese Pfründe hat sich niemand herangetraut.

    (Zuruf von der SPD: Pfründe?)

    Daran ändert auch der windelweiche Vorschlag zur Angleichung nichts, der vorgelegt wurde. Wir werden ihn deswegen ablehnen.
    Eine wirkliche Reform der Alterssicherung hätte in der Tat bedeutet, daß neue Finanzierungsquellen erschlossen werden. Dazu gehören die Beamtenpensionen, dazu gehören die Selbständigen und die Unternehmensgewinne.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Sie werden ja nicht müde, den Leuten zu erzählen, daß die demographische Entwicklung die Hauptursache für die vorgesehenen Einschnitte sind.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

    Das klingt vordergründig auch plausibel. Was Sie dabei verschweigen, ist, daß die Misere der Rentenkassen durch die Massenerwerbslosigkeit herbeigeführt worden ist. Wenn Sie ein anderes Beschäftigungs- und Wirtschaftssystem anstreben würden, wenn Sie eine aktive Beschäftigungspolitik machen würden, hätten wir neue Spielräume und neue Finanzen, die in
    die Rentenkassen hineinfließen würden. Vorschläge dafür gibt es genug.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Gerade weil es nie mehr die geschlossenen Erwerbsbiographien geben wird, ist es Zeit, in Richtung einer Grundrente für alle zu gehen. Unser kleines Nachbarland Holland zeigt uns, daß das möglich ist. Langfristig brauchen wir die Umstellung auf ein neues System. Kurzfristig aber ist es unabdingbar, eine bedarfsorientierte Grundsicherung einzuführen. Es darf keinen alten Menschen geben, der mit weniger als 1 200 DM auskommen muß.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir dürfen alten Menschen nicht den oft entwürdigenden Gang zum Sozialamt zumuten, den sie häufig erst gar nicht antreten, weil sie ihre Kinder nicht belasten wollen. Das hat auch Ihr Kollege Fink verstanden. Aber Sie haben sich nicht bewegt, weder die CDU noch die SPD.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Für eine solche Reform, die sich dann auch wirklich so hätte nennen können, hätte es allerdings mehr als nur der Kosmetik bedurft:
    Erstens. Die Beamtenversorgung müßte wirklich harmonisiert werden.
    Zweitens. Der Bundeszuschuß muß so hoch sein, daß alle Fremdleistungen abgedeckt werden.
    Drittens. Die Versicherungspflicht muß auch auf Selbständige, Freiberufler und Hausfrauen ausgedehnt werden.
    Viertens. Zeiten der Pflege müssen zur Gewährung von Rentenansprüchen führen, die über die Berücksichtigungszeiten hinausgehen.
    Fünftens. Statt einer. Heraufsetzung der Regelaltersgrenze bessere Möglichkeiten des Teilrentenbezugs ohne Abschläge.

    (Reimann [SPD]: Wer soll das denn bezahlen?)

    Sechstens. Zeiten der Erwerbslosigkeit und Krankheit müssen als volle Beitragszeiten ohne Abschläge gewertet werden.
    Siebtens. Die überholte Trennung von Arbeiter-, Angestellten- und Knappschaftsversicherung ist aufzuheben, und ihre Leistungen sind anzugleichen; denn es geht um soziale Gerechtigkeit.
    Meine Damen und Herren, diese Reform, die keine ist, haben Sie durch Ihre Absprache ja quasi unter Dach und Fach. Aber wir gehen davon aus, daß die alten Menschen in dieser Gesellschaft streitbarer werden. Frau Unruh ist ein Beispiel dafür.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir setzen darauf, daß das Selbstbewußtsein der alten Menschen zunimmt, weil sie nicht mehr die Schuld bei sich suchen, wenn sie arm sind, sondern von uns jungen ihr Recht auf Teilhabe einklagen. Auf dieser Basis wird dann hier hoffentlich bald die nächste De-



    Frau Beck-Oberdorf
    batte stattfinden. Und dann wird eine wirkliche Reform gefragt sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)