Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liest man einmal die Protokolle der Reden nach, die anläßlich der Einbringung des Rentenanpassungsgesetzes 1988, also fast vor einem Jahr, gehalten wurden, so wird deutlich, daß damals die Frage „Konsens oder nicht?" im Mittelpunkt gestanden hat. Heute sind wir, so glaube ich, ein sehr gutes Stück weitergekommen. Befürchtungen, Bedenken, die damals vorhanden waren, haben sich im Rahmen von sachbezogenen Verhandlungen verflüchtigt. Dies ist gut so. Denn das Vertrauen in die Rentenversicherung, in dieses über 100jährige Unternehmen, ist nur dann zu erhalten, wenn sie den geänderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten angepaßt wird und dafür eine breite Akzeptanz vorhanden ist. Die Anpassung der Rentenversicherung an die künftigen Aufgaben und Belastungen ist kein Face-lifting, sondern eine notwendige Sanierung eines in einzelnen Teilen etwas altersschwach gewordenen, aber im großen und ganzen erhaltenswerten Systems.
Wenn das Rentenreformgesetz zum 1. Januar 1992 in Kraft treten wird, dann wird es keine Rentendebatten in dieser traditionellen oder, anders gesagt, ritualisierten Form mehr geben, denn Rentenanpassungen werden dann per Rechtsverordnung festgelegt. Ich bezweifle allerdings, ob dies das Ende der Diskussion um Renten und um Alterssicherung sein wird. Dies ist ein viel zu wichtiges, den einzelnen Bürgern und unser gesamtes Gemeinwesen berührendes Thema, als daß man es allein der jeweiligen Bundesregierung überlassen kann. Es wird deshalb aus der politischen Diskussion und Auseinandersetzung nicht verschwinden.
Effektiv werden die Renten — hierzu zählt auch die Altershilfe für Landwirte — zum 1. Juli 1989 um 2,4 % ansteigen. Eine solche Erhöhung trägt — so steht es in der Ausführung des Sozialbeirats — dem Grundsatz gleichgewichtiger Entwicklung von Renten und verfügbarem Einkommen Rechnung. Der Sozialbeirat weist in seinem Gutachten auch darauf hin, daß im Durchschnitt des gesamten Kalenderjahres 1989 die Zunahme des Rentenzahlbetrags 2,7 % beträgt und damit über der von manchen prognostizierten Inflationsrate liegt. Über den Wert derartiger Prognosen, das wissen wir allerdings, kann man in diesem Hause ein Lied singen.
Der Rentenanpassungsbericht macht aber auch deutlich, daß Handlungsbedarf für eine umfassende Reform besteht und daß ein paar Schönheitspflästerchen nicht genügen, damit die Rente in neuem Glanz erstrahlen kann.
Wenn wir die Sorgen der Bürger ernst nehmen, dann müssen wir auf eine ausgewogene Lastenverteilung hinwirken. Wir müssen dem Bürger aber auch klarmachen, daß auch nach der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung auf die beiden anderen Beine der Altersversorgung, nämlich die betriebliche und private Vorsorge, nicht verzichtet werden kann.
Wir müssen uns weiterhin immer bewußt sein, daß eine florierende Wirtschaft die beste Voraussetzung für den Erhalt unserer sozialen Sicherung ist; das gilt gerade auch beim Zusammenwachsen der Völker und Volkswirtschaften. Im künftigen europäischen Binnenmarkt müssen wir darauf achten, daß nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen Staaten der alte Grundsatz beherzigt wird: Nur was zuvor erwirtschaftet worden ist, kann auch verteilt werden.
Jetzt und künftig muß die Devise lauten: Ein stabiles Rentensystem hat Vorfahrt vor Rentensteigerung.