Rede:
ID1112900400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. die: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Frau: 1
    7. Professor: 1
    8. Wisniewski.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/129 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Februar 1989 Inhalt: Tagesordnungspunkt 16: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verleihung einer kommunalen Ehrenbürgerschaft an Verfolgte des Nationalsozialismus zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Verbesserung der Situation der Sinti und Roma (Drucksachen 11/1395, 11/224, 11/2196) Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 9489 B, 9491 A Schröer (Mülheim) SPD 9489 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9492 A Lüder FDP 9493 A Schröer (Mülheim) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 9494 A Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil, Dr. Hornhues, Dr. Pinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hoppe, Frau Dr. HammBrücher, Dr. Feldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für Namibia und alle seine Bürger (Drucksache 11/3934) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Toetemeyer, Verheugen, Dr. Ehmke (Bonn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Unabhängigkeit für Namibia (Drucksache 11/3996) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Förderung des Unabhängigkeitsprozesses in Namibia (Drucksache 11/4039) Klein, Bundesminister BMZ 9494 D Toetemeyer SPD 9496 D Dr. Hornhues CDU/CSU 9499 C Frau Eid GRÜNE 9501 C Irmer FDP 9503 D Schäfer, Staatsminister AA 9505 D Verheugen SPD 9507 D Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 9510 B Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1989 (Drucksache 11/4027) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes (Rentenanpassungsbericht 1988) Gutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Juli 1989 und zu den Vorausberechnungen der Bundesre- II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Februar 1989 gierung über die Entwicklung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung (Drucksache 11/3735) Dr. Blüm, Bundesminister BMA 9512 A Heyenn SPD 9513 A Müller (Wesseling) CDU/CSU 9514 C Frau Unruh GRÜNE 9515 C Heinrich FDP 9516 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. die Haltung der Bundesregierung zu Behauptungen in der Presse über das amerikanische NSA-System (Nationale Sicherheits-Agentur) Frau Beer GRÜNE 9517 B, 9524 D Lamers CDU/CSU 9518 A Dr. de With SPD 9518 C Dr. Hirsch FDP 9519 C Schäfer, Staatsminister AA 9520 C Dr. Nöbel SPD 9521 D Dr. Olderog CDU/CSU 9522 D Heimann SPD 9523 C Schwarz CDU/CSU 9524 B Lüder FDP 9525 A Becker (Nienberge) SPD 9526 A Nächste Sitzung 9526 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9527* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 9527* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Februar 1989 9489 129. Sitzung Bonn, den 24. Februar 1989 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 24. 02. 89 * Dr. Apel SPD 24. 02. 89 Austermann CDU/CSU 24.02.89 Bahr SPD 24.02.89 Bohlsen CDU/CSU 24.02.89 Dr. Briefs GRÜNE 24. 02. 89 Clemens CDU/CSU 24. 02. 89 Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 24. 02. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 24. 02. 89 Egert SPD 24. 02. 89 Erler SPD 24. 02. 89 Eylmann CDU/CSU 24. 02. 89 Francke (Hamburg) CDU/CSU 24. 02. 89 ** Frau Fuchs (Verl) SPD 24. 02. 89 Gallus FDP 24. 02. 89 Dr. Geißler CDU/CSU 24. 02. 89 Genscher FDP 24. 02. 89 Dr. Glotz SPD 24. 02. 89 Dr. Götz CDU/CSU 24. 02. 89 Dr. Haack SPD 24. 02. 89 Frau Hasselfeldt CDU/CSU 24. 02. 89 Dr. Hauchler SPD 24. 02. 89 Dr. Hauff SPD 24. 02. 89 Frau Hämmerle SPD 24. 02. 89 Heimann SPD 24. 02. 89 Horn SPD 24. 02. 89 Dr. Hüsch CDU/CSU 24. 02. 89 Ibrügger SPD 24. 02. 89 Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU 24. 02. 89 Jaunich SPD 24. 02. 89 Jung (Düsseldorf) SPD 24. 02. 89 Kalisch CDU/CSU 24. 02. 89 Kastning SPD 24. 02. 89 Frau Kelly GRÜNE 24. 02. 89 Kirschner SPD 24. 02. 89 Dr. Kreile CDU/CSU 24. 02. 89 Link (Diepholz) CDU/CSU 24. 02. 89 Louven CDU/CSU 24. 02. 89 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 24. 02. 89 Meyer SPD 24. 02. 89 Dr. Mitzscherling SPD 24. 02. 89 Dr. Müller CDU/CSU 24. 02. 89 * Dr. Probst CDU/CSU 24. 02. 89 Reschke SPD 24. 02. 89 Reuschenbach SPD 24. 02. 89 Ronneburger FDP 24. 02. 89 ** Dr. Rose CDU/CSU 24. 02. 89 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Roth (Gießen) CDU/CSU 24. 02. 89 Frau Rust GRÜNE 24. 02. 89 Rühe CDU/CSU 24. 02. 89 Schmidt (München) SPD 24. 02. 89 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 24. 02. 89 Dr. Schmude SPD 24. 02. 89 Schreiber CDU/CSU 24. 02. 89 Steiner SPD 24. 02. 89 Stiegler SPD 24. 02. 89 Dr. Voigt (Northeim) CDU/CSU 24. 02. 89 Dr. Vondran CDU/CSU 24. 02. 89 Vosen SPD 24. 02. 89 Frau Wieczorek-Zeul SPD 24. 02. 89 Frau Will-Feld CDU/CSU 24. 02. 89 Wischnewski SPD 24. 02. 89 Wissmann CDU/CSU 24. 02. 89 Wittich SPD 24. 02. 89 Würzbach CDU/CSU 24. 02. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/1674 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksachen 11/1760, 11/1761 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/2032 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/2724 Nr. 11-20 Drucksache 11/2899 Nr. 3.10, 3.12-3.19 Drucksache 11/3021 Nr. 2.6-2.9 Drucksache 11/3117 Nr. 2.3, 2.6-2.10 Drucksache 11/3200 Nr. 2.10, 2.12-2.30 Drucksache 11/3311 Nr. 2.10-2.18 Drucksache 11/3558 Nr. 3.13-3.35 Drucksache 11/3636 Nr. 2.11-2.14 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/3311 Nr. 2.19 Drucksache 11/3831 Nr. 26 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/2198 Nr. 2.12
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Thomas Schröer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Verfolgten des NS-Regimes auf Antrag die Ehrenbürgerschaft ihrer Gemeinde zu verleihen, ist gut gemeint und in seiner Absicht ehrenwert. Aber er weist den falschen Weg, die Erinnerung an Verfolgte und Bedrängte, an „tausendjährige" Schrecken auch vor Ort wachzuhalten.
    Politisch Verantwortliche müssen die Konsequenzen ihres Handelns bedenken, zumal dann, wenn es um einzelne Menschen geht. Das soll sagen: Die bestgemeinte Absicht kann sich für die Betroffenen ins Gegenteil verkehren. Die Wirklichkeit unserer Gesellschaft ist Ihnen, Frau Vollmer, so gut bekannt wie mir. Würden Sie wirklich einem Zwangssterilisierten, einem sogenannten Asozialen, einem verfolgten Homosexuellen zuraten, unter Hinweis auf erlittenes Unrecht einen Antrag auf Ehrenbürgerschaft zu stellen? Würden Sie ihm zuraten, einen solchen Antrag zu stellen, wenn er in einer Kleinstadt lebt, wo jeder jeden kennt? Einen Antrag, der dann in Amtsstuben und Ratsgremien durchgehechelt und schließlich, nachsichtig belächelt, öffentlich diskutiert wird? Wer Süffisanz ertragen muß, fühlt sich erniedrigt. Erniedrigung verletzt häufig mehr als körperlicher Schmerz.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Nichtachtung verletzt auch!)

    Wir wollen diese Erfahrungen niemandem zumuten. Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht folgen.



    Schröer (Mülheim)

    Meine Damen und Herren, ich denke, uns stünde auch gut an, Scheu davor zu haben, Menschen dazu zu nötigen, per Antragsvordruck mehr als das aus ihrer Erinnerung hervorzuholen, was sie selbst noch ertragen können.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Genau das ist aber in den jetzigen Fragebögen der Fall!)

    — Dazu komme ich gleich; das ist ein anderer Punkt. Ich bin zunächst bei Ihrem Antrag.
    Ist jedem von uns bewußt, daß wir mit Formularen, die aus solchen Anträgen entstehen, Menschen, die Schreckliches erlebt haben, erneut weh tun, daß wir womöglich in intimste Bereiche ihres Lebens eindringen? Frauen und Männer, die von ihren Peinigern gezwungen worden sind, sich vor ihnen psychisch und physisch zu entblößen — und das im Wortsinn —, dürfen uns achtungsvolle Behutsamkeit abfordern.
    Ich habe jetzt die verfassungsrechtliche Problematik Ihres Antrages, die Sie ja kennen, bewußt außer acht gelassen. Mir kommt es darauf an, zu verdeutlichen, daß viele der Menschen, über die wir reden, auch heute noch häufig nur Achselzucken, schamlose Neugier, aber auch unverhohlene Diskriminierung erfahren.
    Sicher ist richtig: Unsere Gesellschaft hat das Barbarische abgestreift. Aber wir erleben noch immer
    — wenn auch in subtileren Formen — die Diskriminierung von sozialen Gruppen. Daß dies so ist, belastet uns, belastet uns zumal in den Augen der Opfer von damals. Ich sage: Ohne dieses Bekenntnis eigener Schuld wird es uns nicht möglich sein, ihnen aufrecht zu begegnen.
    Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, daß sich alle Fraktionen in der uns vorliegenden Beschlußempfehlung dazu bekannt haben — jetzt zitiere ich — ,
    daß wir gesellschaftlicher Diskriminierung einzelner oder einzelner Gruppen — wo und in welcher Form auch immer sie erkennbar wird — mit Entschiedenheit entgegentreten.
    Nur, machen wir uns nichts vor. Ein solcher Beschluß des Bundestages verändert wenig in den Köpfen und Herzen der Menschen. Aber er setzt Maßstäbe für unser eigenes politisches Handeln.
    Dies gilt auch für die Anerkennung der ethnischen Minderheiten der Sinti und Roma, für ihre Anerkennung als deutsche Volksgruppen mit eigener Sprache und kultureller Identität. Ihre Geschichte ist unverzichtbarer Bestandteil unserer eigenen Geschichte.
    Das Ziel der NS-Schergen war es, diese Volksgruppen auszurotten. Es gehört zu den Peinlichkeiten der Nachkriegsgeschichte, daß es Jahrzehnte gedauert hat, bis ein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland
    — es war Helmut Schmidt — öffentlich erklärte, daß die Verbrechen des NS-Regimes an Sinti und Roma aus der nazistischen Rassenideologie resultierten und als Völkermord anzusehen seien. Ich bekräftige: Sie waren Völkermord.
    Dies zuzugestehen, ist vielen schwergefallen, auch wegen einer unverständlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Vorurteilen Vorwände lieferte. Eine veränderte Rechtsprechung hat
    die Diskriminierung von Sinti und Roma und ihre Ausgrenzung nicht behoben. Bis in die jüngsten Tage erleben wir Beispiele dafür, daß Sinti und Roma von Behörden, Richtern, Medien und Politikern wie „Fremde im eigenen Hause" behandelt werden.
    Wir schämen uns darüber.
    Meine Damen und Herren, um so unverständlicher ist uns, daß die Koalitionsfraktionen unseren Antrag abgelehnt haben, allen Sinti und Roma, denen nach 1945 der deutsche Paß entzogen wurde, die deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen. Wir fordern, daß Sinti und Roma, die sich ohne Staatsbürgerschaft oder mit ungeklärter Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, einen Fremdenpaß ausgestellt bekommen. Mehr noch: Wir brauchen eine europäische Regelung, wonach jedem Sinti und Roma, der in einem westeuropäischen Land ansässig ist, ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis auch in allen anderen westeuropäischen Ländern zuerteilt wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn wir es mit der sogenannten Wiedergutmachung ernst meinen, dann ist dies eine Bringschuld. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit den übrigen europäischen Staaten hierüber Gespräche zu führen.
    Nebenbei bemerkt: Bevor die Bundesregierung diese Gespräche führt, sollte sie aus ihrem eigenen Sprachgebrauch den Begriff „Zigeuner" tilgen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich empfinde es nur mehr als peinlich, daß noch in einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesfinanzminister vom 17. Februar 1989 an den Innenausschuß wiederholt die Bezeichnung „Zigeuner" für die Volksgruppen der Sinti und Roma verwandt wird. Alle Ehre beginnt damit, daß man jemanden bei seinem Namen nennt. „Zigeuner" ist nicht deren Name. Sie heißen „Sinti" und „Roma".
    Meine Damen und Herren, wir bleiben auch bei unserer Auffassung, daß in den Beirat für den Wiedergutmachungsdispositionsfonds ein Vertreter des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma zu berufen ist. Auch diesem Anliegen sind die Koalitionsfraktionen nicht gefolgt. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, daß wir der Beschlußempfehlung des Innenausschusses nur hinsichtlich des Punktes A zustimmen werden. Den Punkt B müssen wir ablehnen.
    Ich bitte deshalb, Frau Präsidentin, über die Punkte A und B getrennt abstimmen zu lassen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine bedrückende Erfahrung der letzten Monate ansprechen. Die Ausführung der vom Bundestag beschlossenen sogenannten Härterichtlinien für die vergessenen Opfer des NS-Regimes wächst sich zunehmend zu einem Skandal aus. Von den im Haushalt des Bundestags veranschlagten 300 Millionen DM sind in 1988 nur 5,9 Millionen DM tatsächlich abgeflossen. Es mehren sich die Beschwerden über ein von uns Sozialdemokraten nicht gewolltes bürokratisches Prüfverfahren und über das Problem der Anrechnung von Leistungen aus diesem Fonds auf Sozialhilfeleistungen. Auch die Anrechnung des Famileineinkom-



    Schröer (Mülheim)

    mens ist ein Ärgernis, das wir nicht länger hinzunehmen gewillt sind.
    Wir wollten eine unbürokratische Lösung. Damit haben wir uns nicht durchsetzen können. Was wir heute erneut fordern, ist mehr Sensibilität für Menschen, die wahrlich genug gelitten haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wiedergutmachung darf sich nicht in der Ausgabe von Antragsformularen erschöpfen. Der Deutsche Bundestag ist gefordert, hierzu Fakten zu setzen, mit denen er sich auf die Seite der Bedrängten und Verfolgten stellt, um endlich einzulösen, was uns Gustav Heinemann — unvergessen — als Vermächtnis mit auf den Weg gegeben hat, nämlich daß sich die demokratische Qualität eines Staates daran erweist, wie er mit seinen Minderheiten umgeht.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Wisniewski.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Roswitha Wisniewski


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die dem Deutschen Bundestag heute vorliegende Beschlußempfehlung trifft Aussagen über die Bemühungen der Kommunen, die Schrecken des nationalsozialistischen Unrechts nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und über Verfolgung und Wiedergutmachung gegenüber Sinti und Roma. Sie wurde von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP gemeinsam erarbeitet und im Ausschuß verabschiedet. Ich verstehe nicht, Herr Schröer, wieso diese Gemeinsamkeit eben aufgekündigt wurde. Im Gegenteil, ich fand, daß die Gemeinsamkeit ein bemerkenswerter Vorgang ist, der zeigt, wie breit letztlich doch der Konsens in grundlegenden Fragen in unserer Gesellschaft ist.
    Die Entschließung, die auf der Grundlage der Anträge von SPD und GRÜNEN erarbeitet wurde, bekräftigt einmal mehr die Absicht, das vergangene dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte nicht durch Schweigen zu verdrängen, sondern in angemessener Weise Erinnerung und Trauer wachzuhalten. Sie erkennt die Bemühungen, die viele Städte und Gemeinden in dieser Hinsicht unternommen haben, dankbar an.
    Die Dokumentation von Ulrike Puvogel „Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" legt davon ein beeindruckendes Zeugnis ab. Es steht zu hoffen und es ist dringend zu wünschen, daß die Bürger unseres Volkes in dieser wichtigen Form der inneren Bewältigung nationalsozialistischen Unrechts auch über den 50. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht hinaus, auf den hin, wie gesagt, die Entschließung ursprünglich mit konzipiert war, fortfahren werden. Deshalb haben wir den Text unverändert gelassen.
    Im Mittelpunkt der Entschließung steht die Erklärung, daß den Sinti und Roma und verwandten Gruppen schweres Unrecht zugefügt wurde, das als Völkermord anzusehen ist. Damit wird auf die Verfolgungen verwiesen, denen Sinti und Roma und verwandte Gruppen ebenso wie die jüdischen Mitbürgerinnen
    und Mitbürger wegen ihrer angeblichen rassischen Minderwertigkeit ausgesetzt waren.
    Die Fakten und Zahlen sind erschreckend. Sie seien, da wenig bekannt, kurz dokumentiert. Bereits 1933 verlangte das Rasse- und Siedlungsamt der SS in Berlin, wie es heißt, „Zigeuner und Zigeunermischlinge" zu sterilisieren. Die sogenannten Nürnberger Rassegesetze von 1935 stellten dann Sinti und Roma in der „gesetzlichen Verfolgung" mit den Juden gleich.
    Die Einweisungen von Sinti und Roma in die Konzentrationslager wurden seit 1936 durchgeführt. Als letzte Stufe wurde 1938 ein Erlaß zur Bekämpfung der — damals so genannten — „Zigeuner" in Kraft gesetzt.
    Seit Mai 1940 ließ Himmler deutsche Sinti und Roma in die Gettos und Konzentrationslager im östlichen Europa deportieren. Die genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt. Es heißt aber, daß von den 35 000 bis 40 000 erfaßten deutschen und österreichischen Sinti und Roma über 25 000 ermordert wurden.
    Im Frühjahr 1942 begann die systematische Verschleppung aus den besetzten europäischen Ländern. Schätzungen zufolge fielen dieser Verfolgung insgesamt etwa eine halbe Million Menschen zum Opfer. Alwin Meyer stellt dazu fest — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin — :
    Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Polen rund 20 000 Zigeuner, nach der Befreiung nur noch 6 000. 1927 wurden in der Slowakei 62 000 Zigeuner gezählt. In der gesamten Tschechoslowakei waren es 1952 nicht mehr als 16 200.
    Soweit diese wenig bekannten, erschütternden Zahlen. Sie machen verständlich, weshalb hier von Völkermord gesprochen werden muß.
    Der Deutsche Bundestag schließt sich mit seiner Erklärung und auf den mehrfach vorgetragenen Wunsch der Vertreter der Sinti und Roma hin ausdrücklich den vorangegangenen Verurteilungen dieses Völkermords durch die verschiedenen Bundesregierungen an. Zuletzt geschah das in den Antworten der Bundesregierung vom 21. Dezember 1982 — auf Drucksache 9/2360 nachzulesen — und vom 3. Mai 1985 — auf Drucksache 10/3292 nachzulesen — und schließlich in der Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl am 7. November 1985, zu finden im Plenarprotokoll 10/171.
    Es sind eine ganze Reihe von Maßnahmen begonnen worden, um Sinti und Roma bei ihren Bemühungen um ihre eigene Geschichte und Kultur zu unterstützen, aber auch um diese Geschichte besser bekanntzumachen und verstehen zu lernen. Dazu gehört vor allem der Aufbau eines Kulturzentrums in Heidelberg. Ebenfalls in Heidelberg ist der Aufbau einer Geschäftsstelle erfolgt, so daß dort das kulturelle und — wenn man so will — politische Zentrum der Sinti und Roma besteht bzw. entsteht.
    Da wir in dieser Entschließung an kommunale Dinge erinnern, sei erwähnt: Besondere Verdienste um den Aufbau der Geschäftsstelle und um den Aufbau des geplanten Zentrums hat die Stiftung der Firma Freudenberg in Weinheim. Es sei dies mit



    Frau Dr. Wisniewski
    Dankbarkeit vermerkt und anerkannt. Dies ist ein Stück Wiedergutmachung, das stellvertretend für alle Bürger der Bundesrepublik auf Grund von privater Initiative geleistet wurde.
    Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht es als ihre Verpflichtung an, in ihren Bemühungen fortzufahren, die materielle Wiedergutmachung an Sinti und Roma zu verbessern und alles zu tun, um wissenschafts- und kulturpolitisch daran mitzuwirken, das kulturelle Erbe der Sinti und Roma zu erfassen und zu erhalten und damit ein Stück Leben dieser verfolgten Menschen zu bewahren. Dies ist Ausdurck unserer Trauer und unserer Bestürzung über das Unrecht, das an diesen Menschen begangen wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)