: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Schiefheiten zurechtrücken. Das gilt vor allen Dingen für die Rede des jetzt nicht besonders aufmerksamen Abgeordneten Gerster. Vielleicht kann ihn ein Kollege eben mal anstoßen? —
Die erste ist die Behauptung, die GRÜNEN würden beim Chancenausgleich bevorzugt.
Sie haben das Gesetz so gemacht, daß die GRÜNEN unter dem Strich von allen Parteien am schlechtesten abschneiden. Das wissen Sie. Aber das ist gar nicht der Punkt, sondern der Punkt, den Sie verschweigen, ist, daß sich der Chancenausgleich auf die Steuervorteile bei Parteispenden bezieht und Sie natürlich mitrechnen müssen, was Sie durch diese Steuervorteile an indirekten Subventionen genießen. Dann sieht die Rechnung völlig anders aus.
Der zweite Punkt: In meinen Augen — lassen Sie mich das deutlich sagen — gänzlich unseriös und fast
schon unverschämt für die Aufgabe eines Gesetzgebers
ist die wiederholt vorgetragene Aufforderung an die GRÜNEN, wir sollten das, was Sie hier beschließen, für uns nicht gelten lassen.
Ich sage Ihnen deutlich: Wenn es kein Grundgesetz gäbe und Sie irgendeine Möglichkeit gefunden hätten, ein Gesetz zu machen, das nur Ihnen, den Altparteien, Geld zuschreibt und den GRÜNEN nicht, Sie hätten es gemacht.
Von uns zu verlangen, daß wir auf das Geld verzichten, und Sie sich selbst bedienen, das ist schlicht unmöglich, unmoralisch und undemokratisch.
— Selbstverständlich: Wir werden mit diesem Geld so umgehen wie mit unseren Diäten. Viele unserer Abgeordneten behalten nämlich nur einen Teil der Diäten und führen den oft sogar überwiegenden Teil sinnvollen ökologischen, demokratischen usw. Zwekken zu.
Und eines lassen Sie mich zur Rede von Herrn Gerster noch sagen: Es kommt offenbar eine merkwürdige Wut auf, wenn bei den GRÜNEN noch Vorstände über Unregelmäßigkeiten stolpern. Ich sage das in tiefem Ernst. Für Politiker anderer Parteien muß das allerdings anmuten wie eine Provokation und ein Märchen aus längst vergangenen demokratischen Zeiten. In der FDP wurde der Großmeister im Steuerhinterziehen sogar Bundesvorsitzender. Bei diesem Ausmaß an politischer und moralischer Verkommenheit
muß Sie das Funktionieren innerparteilicher Demokratie bei den GRÜNEN natürlich wütend machen.
Schließlich: Ich habe den Eindruck, es gibt für diejenigen Abgeordneten, die sich hier so freigiebig aus Steuergeldern bedienen wollen, nichts Ärgerlicheres und Schlimmeres, als daß sich auch die Steuerzahler einmal zu Wort melden und ihre Interessen vertreten. Sie haben ein merkwürdiges Bild von Demokratie. Als gute Demokraten müßten Sie sich eigentlich freuen, statt hier ständig die deutlichen Äußerungen vom Bund der Steuerzahler in den Dreck zu ziehen. Das möchte ich sehr deutlich sagen.
Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD haben hier, in seltener Eintracht übrigens — denn wenn es ums Geld geht, ums Abkassieren, dann sind Sie sich ja auch einig — einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem seine Verfassungswidrigkeit auf der Stirn geschrie-
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Häfner
ben steht. Da meine Kollegin Frau Vollmer auf diese Dinge schon eingegangen ist, will ich mich jetzt auf die politischen Fragen und auf die Landschaft, in der sich dieser Gesetzentwurf bewegt, beschränken.
Was hätte man unter einer Änderung des Parteiengesetzes nicht alles diskutieren können? Zum Beispiel die völlig überzogene Rolle der Parteien im demokratischen Staat, die oft schon — siehe z. B. Schleswig-Holstein — eher zu einer Bedrohung als zur Stärkung der Demokratie beitragen, oder Fragen der innerparteilichen Demokratie, der Listenaufstellung, aber auch die Frage, ob denn all die vielen Hochglanzbroschüren und Waschmittelplakate, ob all die in Wahlkampfzeiten den Bürgerinnen und Bürgern fast überfallartig aufgedrängten Plastiktüten mit Luftballons, Kugelschreibern, Spielkarten und anderem aus Steuermitteln finanziertem teuren Schnickschnack wirklich sein müssen.
Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, hier einmal anzusetzen, statt sich immer mehr Geld aus den Steuermitteln einzuverleiben? Weniger grenzenloses Geldausgeben für die Parteien würde zu einem Mehr an inhaltlicher, argumentativer Auseinandersetzung statt Mundtotmachen des Bürgers mit unerbetenen Plastikgeschenken führen. Weniger Geld für die politischen Parteien bedeutet ein Mehr an politischer Kultur.
Ich bin übrigens keineswegs grundsätzlich gegen öffentliche Parteienfinanzierung. Der Grundgedanke dabei war ja, daß nicht nur diejenigen Parteien, die eher das Kapital, das große Geld vertreten, in der Lage sein sollen, ausreichend und angemessen über ihre Ziele zu informieren, sondern auch jene Parteien, die eher die Arbeitnehmer vertreten oder die, wie das bei den GRÜNEN der Fall ist, diejenigen vertreten, die am wenigsten Macht, Geld und Stimme haben, die Interessen der Pflanzen und Tiere nämlich, der Frauen, der Nachdenklichen, der Friedliebenden, der Minderheiten und vor allem derer, die nach uns leben und die heute noch gar nicht real mitreden und mitstimmen können. Das war einmal der Grundgedanke der Parteienfinanzierung.
Aber was ist daraus geworden? Erst einmal hat man die allgemeine Wahlkampfkostenerstattung eingeführt. Aber statt, wie der Name es nahelegt, tatsächliche Kosten aus Wahlkämpfen zu erstatten, ist man dazu übergegangen, sich das Geld schon im voraus, auf Jahre im voraus, durch sogenannte Abschlagszahlungen zu genehmigen. Jeder Arbeitnehmer wäre froh, wenn er so sein Einkommen bekäme: für Jahre im voraus, im Blick auf mögliche künftige Leistungen. Aber Arbeitnehmer machen ja die Gesetze bei uns nicht, sondern das tun die politischen Parteien.
Ich will Ihnen — aus Zeitgründen muß ich das tun — die ursprünglich vorbereitete Auflistung ersparen, wie dieses Abkassierungsmodell weiterentwikkelt wurde und bei welchem Stand wir heute angekommen sind.
Doch dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, sieht man von A bis Z an, wie schludrig und mit welcher Begehrlichkeit er gemacht wurde.
Herr Conradi, da Sie das vorhin angesprochen haben: ich kann Ihnen schon sagen, wie diese zeitliche Koinzidenz kurz vor Weihnachten zustande kommt. Wir haben nämlich heute den letzten Sitzungstag in diesem Jahr. Es ist sehr deutlich, daß Sie nun schnellstmöglich noch in diesem Jahr trotz größter Bedenken auch der Sachverständigen die Entscheidung durchziehen wollen. Noch ein Wort zur Anhörung: fünf von sechs geladenen Sachverständigen haben diesem Gesetzentwurf widersprochen; es ist übrigens wohl deshalb zum erstenmal passiert, daß ich im Ausschuß vom Vorsitzenden gebeten wurde, die Sachverständigen nun nicht mehr Sachverständige zu nennen, sondern Anhörpersonen; offenbar hätte man den Sachverstand nachträglich dann doch lieber nicht im Bundestag gesehen.
— Ich war dabei, die ganze Zeit. Lügen Sie doch nicht hier!
— Herr Gerster, nur wenn Sie nicht da waren, können Sie so etwas behaupten. Wenn Sie ins Protokoll gukken, können Sie sich vergewissern. Ich stehe zu meiner Behauptung: Ich war die ganze Zeit dabei.
— Selbstverständlich, Herr Gerster. Fragen Sie den Vorsitzenden, fragen Sie die anderen Kollegen, die länger als Sie anwesend waren. — Herr Gerster, wir sollten in der politischen Auseinandersetzung bei der Wahrheit bleiben und nicht zu solchen primitiven Vorwürfen greifen.
— Alles in Ordnung.
Jedenfalls will man jetzt in größter Hektik, und zwar zu einer Zeit, in der sich in vielen Parteien die Nachdenklichen melden, in der sich auch in der SPD viele geäußert haben und gesagt haben, so hätten sie das nicht gewollt und sie hätten damit ihre Probleme,
diesen Gesetzentwurf in einer dem Thema weiß Gott nicht angemessenen Hektik hier über die Bühne bringen. Die Hektik ist natürlich nicht gesetzgeberisch gefordert, sondern die Hektik ist von der Begehrlichkeit der Schatzmeister gefordert, die schon im näch-
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sten Jahr in den Genuß der gewaltigen Zuzahlungen kommen wollen. Das ist der Hintergrund.