Herr Kollege Schily, darauf kann ich Ihnen eine ganz einfache Antwort geben. Wenn wir beide hier eine Mehrheit haben, dann machen wir das.
Nun komme ich zum Inhalt der Änderung des Parteiengesetzes.
Die Behauptung einer Wochenzeitung, das Parlament sei gegen Kritik immun, trifft nicht zu. Wir haben auf Grund der Anhörung und der öffentlichen Kritik eine ganze Reihe von Änderungen vorgenommen, wie meine Kollegen hier bereits berichtet haben. Damit sind nicht alle Einwände, damit ist nicht alle Kritik gegen dieses Gesetz ausgeräumt. Einige Einwände, einige Bedenken will ich hier nennen.
Viele von uns hätten lieber den Pauschalbetrag je Zweitstimme auf 6 DM oder 6,50 DM angehoben und die Sockelregelung eingearbeitet. Das war nicht möglich, weil eine Reihe von Bundesländern durch ihr Gesetz die Wahlkampfkostenerstattung von Landtagswahlen eingearbeitet und an die bundesgesetzliche Regelung angebunden hat. Dort wäre also automatisch mehr Geld ausgezahlt worden. Das wollten wir nicht.
Der Chancenausgleich, der bisher extrem ungerecht war, ist von allen Sachverständigen als verfassungsgemäß anerkannt worden. Ob die neue Regelung gerechter ist, wird sich zeigen. Der Verdacht einiger Professoren — Frau Dr. Vollmer, Sie haben den ja aufgenommen —, die Parteien könnten den Chancenausgleich manipulieren, ist wirklichkeitsfremd. Dann müßten Tausende von Ortsvereinskassierern und -kassiererinnen in einer großen streng geheimen Verschwörung zusammenarbeiten mit dem Ergebnis, daß sie entweder aus Beiträgen Spenden machen — dann verlieren sie Delegiertenstimmen — oder aus Spenden Beiträge machen; dann verlieren sie bares Geld. Ich finde, wir sollten einigen Professoren, die im Fach politische Wissenschaften über Parteien reden und schreiben, empfehlen, doch ab und zu einmal zu uns hereinzuschauen; das würde die Wirklichkeitsnähe stärken.
Gegen den Sockelbetrag gibt es nach wie vor Bedenken, einmal wegen seiner Höhe; darauf komme ich zurück. Zum anderen ist schwer zu erklären, warum die Notwendigkeit einer kleinen Partei, vor einer Wahl alle Wähler anzusprechen, eine kontinuierliche, vom Ergebnis unabhängige Sockelfinanzierung nur für die Bundestagswahl erfordert, nicht aber für die Europawahl. Wir haben zwar dieses Loch „Europawahl" ausdrücklich zugestopft, aber ich möchte hier sagen: Ich hätte es als sinnvoller empfunden, den Sockel auf Europawahl und Bundestagswahl aufzuteilen.
Wenn der Sockelbetrag nun aber einer kleinen Partei erlauben soll, vor einer Wahl im Bundesgebiet alle Wähler anzusprechen, dann ist überhaupt nicht einzusehen, daß Regionalparteien wie die CSU oder die CDU — die ja auch eine Regionalpartei ist, nämlich Bundesgebiet minus Bayern — diesen Sockelbetrag bekommen sollen.
— Sie müssen keine Angst haben, daß die SPD Baden-Württembergs sich als Sozialistische Partei der Badener und Schwaben konstituiert, nur um diesen Sockelbetrag einzukassieren.
Schließlich haben einige Mitglieder meiner Fraktion verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Grenze von 2 % der Zweitstimmen, unterhalb derer der Sockelbetrag nicht gewährt wird. Das Problem ist dieses: Der Sockelbetrag begünstigt die kleinen Parteien. Sie bekommen je Wählerstimme durch den Sokkelbetrag deutlich mehr als die großen Parteien. Geht man mit dem Sockel sehr weit nach unten, etwa auf 0,5 %, dann bekäme eine solche Partei mit dem Sokkelbetrag je Wählerstimme mehr als das Doppelte dessen, was die großen Parteien je Wählerstimme be-
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kommen. Das wäre verfassungsrechtlich wohl auch nicht unproblematisch.
Für mich als juristischen Laien — und ich habe da sehr gut zugehört — ist ganz schwer zu beurteilen, ob das Verfassungsgericht bei einem Quorum von 0,5 %, von 1,5 % oder von 2,5 % nun auf Verfassungswidrigkeit erkennen wird. Auf hoher See, so habe ich gelernt, steht man in Gottes Hand. Ob man beim Bundesverfassungsgericht da steht, dessen bin ich nicht mehr so sicher. Aber wenn ich daran denke, daß die Karlsruher Richter die steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden ohne Not und im Widerspruch zu ihrer früheren Rechtsprechung von 1 800 DM im Jahr auf 100 000 DM, für Verheiratete von 3 600 DM auf 200 000 DM erhöht haben, dann ist von Karlsruhe möglicherweise auch eine überraschende Entscheidung zum Sockelbetrag zu erwarten.
Für uns Sozialdemokraten will ich hier erklären, daß wir eine Änderung des Chancenausgleichs wollten. Alle haben uns bestätigt, daß das berechtigt ist und daß die Änderung notwendig und verfassungsrechtlich in Ordnung ist.
Der Sockelbetrag kam dazu, weil die kleinen Parteien auf ihre Vorteile aus dem bisherigen ungerechten Chancenausgleich nicht verzichten wollten und weil die CDU auf die kleinen Parteien Rücksicht nehmen mußte. Allein — das ist ja wohl kein Geheimnis — hätten CDU und SPD diesen Sockelbetrag wohl kaum beschlossen. Sollte er wider alles Erwarten in Karlsruhe scheitern, dann werden — auch das ist kein Geheimnis — bei der SPD keine Trauerfeiern stattfinden.
Strittig bleibt die vorgeschlagene Erhöhung der Grenzen für die Offenlegung von Parteispenden von 20 000 DM auf 40 000 DM. Ich sehe keine sachliche Notwendigkeit für diese Anhebung, Herr Lüder. Man muß auch daran erinnern, daß das Verfassungsgericht bei der exorbitanten Erhöhung der Steuerabzugsfähigkeit von Parteispenden ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Spenden über 20 000 DM offengelegt werden. Wenn Sie jetzt von 20 000 DM auf 40 000 DM verdoppeln, dann kommen Sie doch möglicherweise in die Gefahr, daß das Verfassungsgericht sagt, hier sei die Transparenz nicht mehr gegeben,
zumal 20 000 DM bei einem Stadtverband oder einem Kreisverband einer Partei doch eine wuchtige Spende ist. Für diesen Teil des Entwurfs — es ist die Nr. 8 im Art. 1, Herr Präsident — beantrage ich für meine Fraktion getrennte Abstimmung in der zweiten Lesung. Wir werden das ablehnen. Wir hoffen, daß möglichst viele Abgeordnete im Hause sich diesem Vorschlag anschließen.
Zum Schluß ein Wort zum Bürgerbonus. Im Normalfall, Frau Dr. Vollmer, wird doch jeder Wähler wollen, daß die Partei seiner oder ihrer Wahl auch finanziell in der Lage ist, die von ihm gewählte Politik gut und weit zu verbreiten und zu vertreten. Die dritte Stimme zielt also auf eine Minderheit. Entweder zielt
sie auf ganz schlaue Wähler, die zwar sagen, sie wollen die eine Partei wählen, also die GRÜNEN, und der anderen Partei, also vielleicht der CSU, das Geld gewähren; das halte ich nicht für ungeheuer schlüssig.
— Es könnte auch umgekehrt sein, beides ist nicht sehr wahrscheinlich, Frau Vollmer. — Oder die dritte Stimme zielt auf eine Minderheit, die sagt: Wir wollen zwar wählen, aber diese ganzen Parteien, das Parlament und die Abgeordneten sollen keine müde Mark bekommen. Das sind, Frau Vollmer, nicht die besten Demokraten.
Mit der Zweitstimme wird hier über gewichtige Ausgaben entschieden; über Milliardenbeträge für Sozialhilfe oder Steuersenkungen, über Wohnungsbau oder den Jäger 90, über Rentensicherung oder Autobahnbau. Es wäre außerhalb jeder Proportion, würden wir hier eine Drittstimme einführen, mit der über knapp 300 Millionen DM Wahlkampfkostenerstattung in vier Jahren zu entscheiden wäre, ganz abgesehen davon, daß ja viele Wähler gar nicht genau wissen, was der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme ist, und mancher vielleicht auf die Idee käme, mit der Drittstimme würde der Bundeskanzler gewählt.
Wir halten diesen Vorschlag eher für literarisch.
Ich will noch etwas zur Rechenschaft der Parteien sagen. Die Rechenschaftsberichte der Parteien sind ein großer Schritt zu mehr Transparenz. Die Parteien sollten freiwillig weiter gehen und ihre Betriebshaushalte und auch die Struktur und die Höhe ihrer Wahlkampfausgaben offenlegen. Wer öffentliche Mitfinanzierung will — und dazu bekenne ich mich — , der soll auch der Öffentlichkeit sagen, für was er das Geld ausgibt.
Ich habe nach fünf Bundestagswahlkämpfen öffentlich im einzelnen Rechenschaft abgelegt, woher das Geld für den Wahlkampf in meinem Wahlkreis kam und wofür wir es ausgegeben haben. Ich habe da viel Zustimmung und auch Verständnis gefunden. Mancher Spender hat auf Grund dieser Offenlegung gesagt: Ja, da gebe ich eine finanzielle Hilfe. Gläserne Parteien werden wir wahrscheinlich nicht bekommen, ebenso, Herr Geißler, wie wir gläserne Abgeordnete leider hier im Parlament nicht bekommen haben.
— Entschuldigung, die Formulierung ist ja ursprünglich von Herrn Geißler vertreten worden; nur, als dann hier abgestimmt wurde, war das nicht mehr durchsetzbar.
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Aber etwas mehr Transparenz wäre hilfreich und würde vielleicht auch ein Abkommen über Wahlkampfkostenbegrenzungen der Parteien und Kandidaten möglich machen.
Meine Damen und Herren, wir werden mit diesem Gesetz keinen Blumentopf gewinnen —
der Jahreszeit angemessen wohl eher die Rute. Das ist bei dieser Materie so. Wenn wir Glück haben, wird wenigstens der eine oder andere Journalist uns einräumen, daß wir einen Teil der Einwände und Bedenken gegen diesen Gesetzentwurf ausgeräumt haben. Das Ergebnis ist, wie das oft in der Politik ist, ein Kompromiß, kein besonders schöner, allenfalls ein erträglicher; aber wer nicht kompromißfähig ist, der ist auch nicht politikfähig.