Der „Aufbruch 1988" hat sich mit anderen Kolleginnen und Kollegen meiner Partei erheblich dafür eingesetzt, daß die Partei der GRÜNEN diese Finanzfragen so ernst nimmt, daß wir darüber den ganzen Bundesvorstand gekippt haben, was uns nicht leichtgefallen ist. Von daher, denke ich, haben die GRÜNEN in dieser Frage sehr wohl das Recht, moralisch und auch politisch in der Weise Stellung zu nehmen, in der wir das tun.
Gute Erfolgsaussichten scheint ein Einspruch gegen die enorme Bevorzugung der CSU durch die jetzige Regelung zu haben.
Trotz ihres hohen Spendenaufkommens wird die CSU in den Jahren 1989 bis 1992 an Sockelbetrag und Chancenausgleich voraussichtlich 28 Millionen DM mehr bekommen.
Damit erhält sie allein 127 % mehr als bei ihrer letzten Wahlkampfkostenerstattung. Einer nur auf ein Teilgebiet der Bundesrepublik begrenzten Partei dürfte sinnvollerweise eigentlich überhaupt kein Sockelbetrag zukommen. Sie wird die Notwendigkeit auch schwerlich begründen können, warum sie nun mit Plakaten und Werbematerial die ganze Bundesrepublik überziehen müßte, was sie ja auch nicht tut.
Umgekehrt ist aber auch bei der CDU zu fragen, ob
nicht eine Kürzung des Sockelbetrags um den bayerischen Anteil angebracht sei. Darauf hatte die Kornmission bereits hingewiesen; ohne Konsequenzen, wie man sieht.
Wenn es meine Zeit erlaubte, würde ich dem Hohen Hause nicht ersparen, den ungeheuer erhellenden Satz zur Berechnung des Chancenausgleichs hier einmal im Wortlaut vorzutragen; es dauert aber zehn Minuten. Ich empfehle ihn deshalb für die Rubrik „Aufgespießt" in der „Frankfurter Allgemeinen" oder in der „Frankfurter Rundschau" und dem Hohen Hause zur Lektüre von Bürokratendeutsch in der Weihnachtspause.
Keiner der Sachverständigen sah sich in der Lage, danach eine Berechnung vorzunehmen. Außerdem ist es auch ein Hohn, in einem Fall, wo alle Parteien, mit Ausnahme der GRÜNEN, handfest ihre Chance ergreifen, sich mehr Geld zu genehmigen, nun ausgerechnet von Chancen a u s g 1 e i c h zu sprechen. Wäre es wirklich um eine Bereinigung der Ungerechtigkeiten der letzten Regelung gegangen, hätte die Rechnung unter dem Strich mit Null ausgehen müssen und nicht mit 68 Millionen DM mehr.
Dies macht die Bürger wütend, und zwar mit Recht.
Die einzig ernst zu nehmende Alternative als Denkmodell zu Ihren Entwürfen wäre die Einführung einer Einwirkungsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger auf das Finanzgebaren der Parteien gewesen. Hiergegen, gegen den Bürgerbonus bestand kein einziges verfassungsrechtliches Bedenken von seiten der Sachverständigen; sie waren sich alle einig. Hiergegen gab es nur den politischen Widerstand aller anderen Parteien, die unseren Vorschlag zunächst als naiv und als lächerlich und dann als unpraktikabel bezeichnet hatten.
Er ist es nicht. Alle Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, er sei populistisch, er befördere Vorurteile und Neid gegenüber den Parteien, hielten nicht stand,
es sei denn, man würde sie insgesamt gegen die Tatsache ins Feld führen, daß es überhaupt Wahlen in der Demokratie gibt; denn auch hier gibt es Vorurteile, Populismus, Schüren von Emotionen. Ihre Ablehnung verfängt also nicht.
Für diesmal sind wir mit unserer Vorstellung nicht erfolgreich gewesen. Wir sind aber außerordentlich sicher, daß diese Idee nicht sterben wird.
Es hätte ja auch eine gute Kompromißmöglichkeit gegeben, indem Sie beispielsweise einen Teil der Wahlkampfkostenerstattung, ungefähr in Höhe des Sockelbetrags, für diesen Bürgerbonus freigegeben
8602 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
Frau Dr. Vollmer
hätten. Das hätte eine radikale Öffnung der Parteien für die Kritik der Bürger und Bürgerinnen bedeutet, und es wäre so etwas wie ein vertrauenschaffendes Signal gewesen, das die in den Fragen der politischen Kultur inzwischen sehr sensibel gewordene Öffentlichkeit
— das hat sich seit 1967 geändert — wenigstens mit Respekt hätte zur Kenntnis nehmen können.
Die Chance ist diesmal vertan.
Es bleibt uns nur die Möglichkeit, Sie aufzufordern, in namentlicher Abstimmung gegen den vorliegenden Gesetzentwurf zu stimmen.
— Ich sage: wir hätten einen Einstieg anstelle des Sokkelbetrags machen können. Das wäre genau die symbolische Wirkung gewesen.
— Nein. Es wäre sogar Geld gespart worden, Geld, das die Bürger den Parteien möglicherweise nicht zur Verfügung gestellt hätten. Aber dieses hätten wir sehr gerne zugunsten einer politischen Infrastruktur eingesetzt, die die Bürgerinnen und Bürger vor Ort benutzen könnten, z. B. Druckmöglichkeiten, Räume. Dann endlich hätten die Bürgerinnen und Bürger selbst ihren Anspruch auf die Besetzung des politischen Raums einlösen können.
Ein Wort zum Schluß. Es gibt im internationalen Bereich, soweit ich weiß, kein Land, das in ähnlicher Weise Parteien aus öffentlichen Mitteln subventioniert wie bei uns. England, das erste Land, in dem sich Parteien als politische Institutionen ausgeprägt haben, kennt überhaupt keine öffentliche Parteienfinanzierung.
Frankreich, das seit der Französischen Revolution den Parlamentarismus an die Oberfläche der Geschichte gebracht hat, kennt keine Parteienfinanzierung, jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie bei uns.
Die Ursache, so scheint mir, liegt darin, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Sphäre der Politik auf der einen Seite und die Sphäre des Alltags auf der anderen Seite in extremer Weise auseinandergedriftet sind. Alltag hat nichts mit Politik zu tun, Politik ist separiert von Ökonomie, Kultur, Kunst und Wissenschaft. Der Gebrauchswert der Politiker sinkt, aber ihr Preis steigt. Sicherlich ist eine Gesellschaft, in der Alltag, Wissenschaft und Politik zusammenfallen, eine Illusion, vielleicht sogar eine gefährliche Illusion. Eine Gesellschaft aber, in der die Sphäre der Politik von anderen gesellschaftlichen Sphären derart extrem getrennt ist, beruht letztlich auf sehr brüchigem Fundament. Darüber selbstkritisch nachzudenken wäre in der Pause, die wir jetzt alle vor uns haben, vielleicht angebracht.