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ID1111704400

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    Plenarprotokoll 11/117 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 117. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 Inhalt: Anteilnahme am Schicksal der Opfer des Absturzes eines amerikanischen Kampfflugzeuges auf ein Wohngebiet in Remscheid 8553 A Erweiterung der Tagesordnung 8553 B Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 8553 C Seiters CDU/CSU 8554 C Bernrath SPD 8555 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 8555 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Straßmeir, Fischer (Hamburg), Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Richter, Gries, Kohn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Seeschiffahrtsregisters für deutsche Handelsschiffe im internationalen Verkehr (Drucksachen 11/2161, 11/3679) Fischer (Hamburg) CDU/CSU 8556 B Frau Faße SPD 8559 A Richter FDP 8560 C Frau Rock GRÜNE 8561 D Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär BMV 8563 B Straßmeir CDU/CSU 8563 D Ewen SPD 8564 B Funke FDP 8566 A Tagesordnungspunkt 26: Eidesleistung der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und des Bundesministers für Wirtschaft Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 8566 D Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 8567 A Tagesordnungspunkt 27: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernrath, Bindig, Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lage der Menschenrechte in der Türkei (Drucksache 11/2600) c) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Hinrichtung von politischen Häftlingen in Indonesien (Drucksachen 10/6275, 11/3575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenrechte in Kolumbien (Drucksache 11/2404) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Abgeordneten Bindig, Dr. Schmude, Frau Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-GV- Res. 39/146) (Drucksache 11/3668) Dr. Kohl, Bundeskanzler 8568 A Brandt SPD 8573 B Frau Geiger CDU/CSU 8576 C Frau Olms GRÜNE 8578 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 8581 D Schäfer, Staatsminister AA 8584 A Dr. Schmude SPD 8585 C Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 8587 B Bindig SPD 8588 D Frau Eid GRÜNE 8590 C Zusatztagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3672 [neu], 11/3697) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung des Parteiengesetzes (Drucksachen 11/3097, 11/3672, 11/3697) Bernrath SPD 8591 C, 8594 D Spilker CDU/CSU 8592 B Lüder FDP 8596 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 8600 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 8602 C Conradi SPD 8605 C Häfner GRÜNE 8609 B Wüppesahl fraktionslos 8611D Stiegler SPD 8613 A Namentliche Abstimmung 8614 A Ergebnis 8614 B Nächste Sitzung 8616A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 8617* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Struck und Catenhusen (beide SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) 8617* C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Frau Dr. Hamm-Brücher (beide FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) 8617* D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 8618* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8553 117. Sitzung Bonn, den 9. Dezember 1988 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 12. Antretter* 9. 12. Bangemann 9. 12. Frau Beck-Oberdorf 9. 12. Becker (Nienberge) 9. 12. Frau Berger (Berlin) 9. 12. Dr. Biedenkopf 9. 12. Dr. Blens 9. 12. Böhm 9. 12. Börnsen (Bönstrup) 9. 12. Dr. Briefs 9. 12. Bühler (Bruchsal) 9. 12. Frau Conrad 9. 12. Daweke 9. 12. Deres 9. 12. Duve 9. 12. Engelsberger 9. 12. Frau Fischer 9. 12. Gansel 9. 12. Gattermann 9. 12. Gautier 9. 12. Genscher 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Dr. Götz 9. 12. Dr. Grünewald 9. 12. Dr. Hauff 9. 12. Frau Hämmerle 9. 12. Heinrich 9. 12. Dr. Hennig 9. 12. Hiller (Lübeck) 9. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 12. Hoss 9. 12. Irmer 9. 12. Jens 9. 12. Jung 9. 12. Kalb 9. 12. Dr. Köhler 9. 12. Kossendey 9. 12. Kreuzeder 9. 12. Dr. Kronenberg 9. 12. Frau Luuk* 9. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 9. 12. Möllemann 9. 12. Frau Pack 9. 12. Paintner 9. 12. Petersen 9. 12. Pfuhl 9. 12. Rappe (Hildesheim) 9. 12. Regenspurger 9. 12. Reuschenbach 9. 12. Frau Schilling 9. 12. Frau Schmidt-Bott 9. 12. von Schmude* 9. 12. Freiherr von Schorlemer 9. 12. Dr. Soell* 9. 12. Steiner* 9. 12. Frau Trenz 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Warnke 9. 12. Wetzel 9. 12. Wilz 9. 12. Wimmer 9. 12. Zierer* 9. 12. Dr. Zimmermann 9. 12. Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Struck und Catenhusen (beide SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) Da nach meiner Überzeugung die Einführung eines Sockelbetrages und die Heraufsetzung der Publizitätspflicht für Spenden von DM 20 000 auf DM 40 000 auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, werde ich mich der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Frau Dr. Hamm-Brücher (beide FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) Die Unterzeichner dieser Erklärung sehen sich (abgesehen von möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken) aus folgenden Gründen nicht imstande, der Novelle des Parteienfinanzierungsgesetzes zuzustimmen: 1. Die Mehrkosten von jährlich 68 Millionen DM, die zur Parteienfinanzierung aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt werden sollen und die eine Steigerung der Zuwendungen von 20 Prozent ausmachen, können im Hinblick auf notwendige Kosteneinsparungen bei anderen öffentlichen Aufgaben gegenüber dem Bürger nicht überzeugend vertreten werden. 2. Die Bürger erwarten zu Recht von den Parteien, daß Wahlkämpfe so sparsam wie möglich geführt werden. Dies ist immer wieder nachzuweisen und auch möglich. 3. Die Berufung einer unabhängigen Kommission zur Festlegung der Zuschüsse an die Parteien durch den Bundespräsidenten ist ein wichtiger Schritt, um den notwendigen Bedarf der Parteien für ihre Ausgaben transparenter zu machen. Deshalb sollte vor einer Erhöhung der Wahlkampfkostenerstattung auf jeden Fall erst das Votum dieser unabhängigen Kommission eingeholt und die Erhöhung der Zuschüsse bis dahin zurückgestellt werden. 8618* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/936 Drucksache 11/1301 Drucksache 11/1537 Drucksache 11/1676 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/4184 Nr. 3 Drucksache 11/138 Nr. 3.39, 3.40 Drucksache 11/973 Nr. 2.4 Drucksache 11/2465 Nr. 2.8, 2.10 Drucksache 11/2580 Nr. 22 Drucksache 11/2956 Nr. 2.4 Drucksache 11/3021 Nr. 2.5 Drucksache 11/3200 Nr. 2.4 — 2.9 Drucksache 11/3311 Nr. 2.3-2.5, 2.7, 2.9 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/2724 Nr. 24, 25 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/439 Nr. 2.12
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    Rede von Dr. Hildegard Hamm-Brücher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 40. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1988 ist für uns alle ein gegebener Anlaß, über Vision und Wirklichkeit damals, heute und morgen einer Deklaration nachzudenken, die am Anfang einer Epoche verabschiedet wurde, die sich — noch unter den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges und den Untaten des Nationalsozialismus leidend — weltweit nach Frieden und Menschlichkeit sehnte, einer Epoche, die in der Folgezeit jedoch alsbald wieder von neuen Konfrontationen, grausamen Kriegen, von Völkermord und Menschenrechte verachtenden Regimen heimgesucht wurde.
    Die in der Erklärung niedergelegte Vision von einer Welt, in der Menschenrechte für jeden Menschen erfahrbar sind, in der Konflikte zwischen Staaten fried-
    8582 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
    Frau Dr. Hamm-Brücher
    lich gelöst werden und sich die Fortschritte an der Wirklichkeit messen lassen müssen, ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in diesen vier Jahrzehnten zu so etwas wie einem moralischen und politischen Lehrstück der Menschheit geworden, zu einem Lehrstück, an dem verantwortliche Politiker und viele Menschen in aller Welt zum Besseren, aber auch zum Schlechteren mitgewirkt haben, zu einem Lehrstück, für dessen Ausgang wir — ob wir wollen oder nicht — bewußt oder unbewußt Mitverantwortung tragen. Auch so möchte ich die Debatte und den Verlauf dieser Debatte heute verstehen: als eine Gelegenheit zum Nachdenken, zur nüchternen Bilanz und für einen Blick nach vorn.
    Meine Damen und Herren, für die Realisierung von Menschenrechtspolitik im Sinne der Erklärung von 1948 — das wissen alle, die sich damit befassen — gilt die Maxime Max Webers vom „Bohren harter Bretter mit Augenmaß und Leidenschaft" in ganz besonders eindringlicher Weise. Und weiter im Sinne von Max Weber: Immer von neuem müssen sich die für die Rechte ihrer Mitmenschen kämpfenden Politiker und Bürger mit jener Festigkeit des Herzens wappnen, die selbst beim Scheitern aller Hoffnungen dennoch sagt: Also weiterkämpfen! Wir schulden diesen Menschen auch in dieser Stunde unseren Dank.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, der Wille zum Bretterbohren begann mit der Einsetzung einer Menschenrechtskommission bei den Vereinten Nationen im Januar 1947, deren Auftrag bereits in der Präambel ihrer Gründungscharta niedergelegt worden war. Fast zwei Jahre waren nötig, um die Erklärung fertigzustellen. Daß dies überhaupt gelang, ist einer Frau, nämlich Eleanor Roosevelt, zu verdanken, an deren Lebenswerk zu erinnern mir im Rahmen dieser Debatte ein ganz besonderes Bedürfnis ist.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich bin Eleanor Roosevelt während meines Studienaufenthaltes in den USA 1949/50 begegnet und habe ihre Festigkeit des Herzens in Sachen Menschenrechte beispielgebend erfahren dürfen. Sie hat mir, der jungen, von Scham über das in unserem Namen geschehene Unheil tief erschütterten Deutschen, die Überzeugung vermittelt, daß die Achtung und der Schutz der Würde des Menschen — jedes Menschen! — und die Bewahrung und Stärkung der Rechte hierfür die Voraussetzung für das Überleben der Menschheit sind.
    Eleanor Roosevelt, die Witwe des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, die von 1946 bis 1952 die amerikanische UN-Delegation leitete, verstand diese Aufgabe als das Vermächtnis ihres Mannes, der ja bereits 1941 vor dem amerikanischen Kongreß die menschenrechtlichen Grundprinzipien einer friedenssichernden Nachkriegsentwicklung verkündet hatte. In der von ihr geleiteten Kommission wirkten bemerkenswerte Repräsentanten aus unterschiedlichen kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Traditionen mit, und es ist sehr lohnend, dies noch einmal nachzulesen.
    Die Kommissionsmitglieder hatten demzufolge höchst unterschiedliche Verständnisse dafür, was Human Rights nun eigentlich seien. Allein der Persönlichkeit, der Überzeugungskraft und der Beharrlichkeit von Eleanor Roosevelt war es zu verdanken, daß man sich schließlich bei sieben Enthaltungen Ende 1948 — nun schon mitten im Kalten Krieg, meine Damen und Herren — auf den Entwurf dieser Erklärung verständigen konnte. Zu dem zunächst ja geplanten Vertragswerk eines, später von zwei Menschenrechtspakten konnte es damals nicht kommen. Dies dauerte dann noch bis 1966. Bis heute folgten etwa 30 Vereinbarungen. Die wohl wichtigste und folgenreichste ist die Schlußakte der KSZE von Helsinki.
    Wenn ich also, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, an die Anfangszeit noch vor meiner Begegnung mit Eleanor Roosevelt zurückdenke, dann muß ich doch nachträglich gestehen, daß ich wie wohl die meisten Deutschen damals mit Erklärungen dieser Art, falls wir sie überhaupt zur Kenntnis nahmen, nicht viel anfangen konnte. Den Begriff „Menschenrechte" kannten wir ja allenfalls vom Hörensagen. Was eine Erklärung dieser Art angesichts der Abermillionen Opfer und der ausweglosen Lage von Abermillionen Überlebenden in Europa und Asien überhaupt bewirken könnte, dafür hatten wir damals kaum ein müdes Achselzucken.
    Sicher, meine Damen und Herren, geht es heute Millionen Menschen in der Welt, die von Krieg, Verfolgung und Not heimgesucht sind, ganz ähnlich, wenn sie etwas von solchen Erklärungen hören. Aber eben deshalb wollte ich an diese Ausgangslage vor 40 Jahren erinnern: um damit deutlich zu machen, daß es diese eine Erklärung war, die seither trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen im Bewußtsein der Menschheit und im politischen Handeln von Staaten, Menschengruppen und einzelnen Menschen sehr viel mehr bewirkt hat, als wir es ursprünglich auch nur vorausahnen konnten. Deshalb ist dieser Tag, an dem wir uns dieses Ereignisses erinnern, keine Pflichtübung, sondern eine Verpflichtung für alle, deren Grund- und Menschenrechte so fest garantiert sind wie die unseren. Da stimme ich Ihnen vollständig zu, Herr Kollege Brandt.
    Wir können heute feststellen: Das Thema Menschenrechte hat im Verlauf der letzten 40 Jahre eine politische Schubkraft entwickelt. Es ist von der Tagesordnung internationaler Konferenzen, bei Verträgen und in der Zusammenarbeit von Staaten überhaupt nicht mehr wegzudenken.
    Im Entspannungsprozeß haben Menschenrechte sowohl innerstaatlich in kommunistischen Ländern als auch zwischenstaatlich in den Ost-West-Beziehungen schneeballartig sich fortsetzende Veränderungen bewirkt, die heute schon wiederholt angeführt wurden. Es gibt heute in freien, aber auch in unfreien Gesellschaften immer mehr Menschen, die sich auf Menschenrechtsvereinbarungen berufen können und sich für die Verwirklichung der Menschenrechte im eigenen Land und in ihren Regionen engagieren. Die Vision von Eleanor Roosevelt ist also doch ein Stück politische Wirklichkeit geworden. Manchmal liest man in der Literatur bereits sogar etwas von einem Völkergewohnheitsrecht, wenn wir auch leider noch
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8583
    Frau Dr. Hamm-Brücher
    sehr weit von einer kopernikanischen Wende im Völkerrecht entfernt sind.
    Damit bin ich bei der Wirklichkeit heute, wie sie sich auch in den vorliegenden Erklärungen und Entschließungen sowie in den verschiedenen Debattenbeiträgen widerspiegelt. In dieser Debatte dürfen wir es ja nicht bei dem Rückblick bewenden lassen. Wir müssen uns der Gegenwart und der Zukunft stellen. Ich möchte bereits Gesagtes gar nicht wiederholen. Ich möchte nur zusammenzufassen versuchen, wo nach unserer Überzeugung die gravierenden Defizite und Probleme liegen, mit denen wir es heute im Ringen um die Einhaltung und Verwirklichung der Menschenrechte zu tun haben. Ich nenne sechs.
    Erstens. Obgleich im Verlauf der 40 Jahre seit Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung zu ihrer Durchsetzung Instrumente wie Kontrollgremien, Berichte, Verurteilungen durch politische Gremien entwickelt wurden, fehlt es doch nach wie vor an den entscheidenden Sanktionsmechanismen, die zur Durchsetzung erforderlich sind. Deshalb fordern wir Liberalen die Einrichtung eines Menschenrechtskommissariats mit einem Kommissar. Wir fordern einen UN-Menschenrechtsgerichtshof auch für Individualklagen. Wir fordern internationale Sanktionen gegen politische, rassische, religiöse, kulturelle Verfolgungen. Wir fordern die weltweite Ächtung der Todesstrafe.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Zweitens. Unterzeichnerstaaten von Menschenrechts- und anderen einschlägigen Vereinbarungen, die dauerhaft gegen Verpflichtungen, die sie mit ihrer Unterschrift übernommen haben, schuldhaft verstoßen, müssen aus der Gemeinschaft der Unterzeichner ausgeschlossen werden können.
    Drittens. Viele Bemühungen scheitern, weil es noch kein von allen religiösen, kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Traditionen gemeinsam und verbindlich getragenes Menschenrechtsverständnis gibt. Viele Gespräche mit Frauen und Männern aus der Dritten Welt machen deutlich, daß es das auf absehbare Zeit auch nicht geben wird. Deshalb muß an diesem Verständnis intensiv weitergearbeitet werden. Es darf nicht einfach darüber hinweggegangen werden, daß sich nicht alle Welt an unseren westlichen Vorstellungen von Menschenrechten orientieren wird.
    Viertens. Menschenrechtsverletzungen an Frauen: Ich bin dem Herrn Bundeskanzler sehr dankbar, daß er unsere Initiative erwähnt hat; denn diesen Verletzungen werden noch nicht die erforderliche Aufmerksamkeit und wirksame Bekämpfung zuteil. Frau Kollegin Olms hat dazu ein paar bewegende Beispiele gebracht. Wir hoffen, daß es im Zusammenhang mit der Antwort auf unsere Große Anfrage eine gesonderte Debatte über dieses spezielle Thema geben wird. Wir haben hierzu heute übrigens eine eigene Presseveröffentlichung herausgegeben.
    Fünftens. Mögliche Fortschritte in einer weltweit verbesserten Menschenrechtspolitik werden häufig — und ganz gelegentlich war auch diese Debatte nicht völlig frei davon — durch Politisierung und Ideologisierung blockiert. Wir dürfen, meine Damen und Herren, diese Debatte auch in den innenpolitischen Auseinandersetzungen wirklich nicht als Schlagstock mißbrauchen. Gerade der Fortschritt in der Zusammenarbeit in den parlamentarischen Ausschüssen hat ja dazu geführt — Sie, Frau Geiger, haben das auch gewürdigt — , daß wir diesen innenpolitischen, parteipolitischen Schlagstock zu Hause lassen, wenn es um diese Fragen geht.
    Sechstens. Die Kooperation zwischen Regierungen in allen Menschenrechtsbereichen wird meiner Überzeugung nach noch nicht ausreichend betrieben. Bei uns ist es besser geworden; aber in anderen Parlamenten wird sie doch noch nicht ausreichend durch parlamentarische Zuständigkeiten und vor allem durch interparlamentarische Zusammenarbeit ergänzt und unterstützt. Hier müssen wir wohl eine Art Frühwarnsystem zwischen europäischen Parlamenten und deren zuständigen Ausschüssen einrichten.
    Schließlich, meine Damen und Herren, der Blick über die Wirklichkeit von heute hinaus auf die Vision von morgen!
    Erstens. Menschenrechtspolitik — das wurde heute auch gesagt — ist keine Einmischung in innere Angelegenheiten. Menschenrechtspolitik muß den Grundstein für eine Weltinnenpolitik legen, die der gemeinsamen Verantwortung für das Fortbestehen der Menschheit gerecht wird.
    Zweitens. Hierzu müssen Grund- und Menschenrechte Eingang in die Verfassungen aller Staaten und Staatengemeinschaften finden. Diese Rechte müssen nachprüfbar und einklagbar sein und auch der gegenseitigen Nachprüfung offenstehen.
    Drittens. Die Verhaltensregeln der Staaten untereinander und die Konfliktregelungen zwischen Staaten müssen völkerrechtsverbindliche Rechtsformen erhalten.
    Viertens. Das Engagement von Gruppen und von einzelnen für den Schutz, die Einhaltung und die Stärkung der individuellen und der kollektiven Menschenrechte muß anerkannt, ermutigt und gefördert werden — noch mehr als bisher.
    Zu den bereits genannten Beispielen möchte ich hier vor allem auch kirchliche Gruppen, das Komitee Notärzte, das erst in jüngster Zeit in vielen Menschenrechtsfällen in Afghanistan sich ungeheuer eingesetzt hat, zählen.

    (Beifall)

    Schließlich, meine Damen und Herren, sehr wichtig: Menschenrechtsverletzungen beginnen im Kopf. Abneigung, Ablehnung oder gar Haß gegen Fremde im eigenen Land sind Beispiele hierfür, denen wir nicht nachdrücklich genug entgegentreten können und müssen.
    Wie vor vierzig Jahren, meine Damen und Herren, und wie es das Beispiel von Eleanor Roosevelt zeigt, kommt es auch heute und morgen auf das an, was ich anfangs mit den Worten Max Webers zitierte: auf das geduldige Bretterbohren, aber auch auf die Festigkeit des Herzens und des Dennochsagens trotz vieler Enttäuschungen.
    8584 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
    Frau Dr. Hamm-Brücher
    Vielen Dank.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Schäfer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren 40. Jahrestag wir heute begehen, konkretisiert eines der ganz großen Ziele der Vereinten Nationen. Gemäß Art. 1 Abs. 3 der Charta sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle, ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion, zu fördern und zu festigen. Somit besitzt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 trotz ihres deklaratorischen Charakters weltweite Verbindlichkeit. Daher können und müssen wir die Achtung der Menschenrechte fordern und Menschenrechtsverletzungen zur Sprache bringen, wo immer sie vorkommen. Keine Regierung kann Menschenrechte zur inneren Angelegenheit erklären, in die andere sich nicht einmischen dürfen. Seit 40 Jahren ist die Achtung der Menschenrechte ein universales Prinzip, von dem wir nirgendwo abweichen dürfen.
    Der Deutsche Bundestag, der Bundespräsident und die Bundesregierung nutzen alle Wege und Möglichkeiten, auf der Wahrung der Menschenrechte zu bestehen. Es ist das unveräußerliche Recht des Deutschen Bundestages, den Entrechteten in allen Teilen der Welt seine Unterstützung auszudrücken.
    Öffentlich geäußerte Empörung und internationaler Druck haben sehr oft zum Einlenken von Regierungen geführt. Sie haben einige Beispiele hier heute morgen genannt. Selbst in Südafrika haben unsere Interventionen und die Interventionen anderer Parlamente in bestimmten Fällen ein solches Einlenken hervorgerufen. In anderen Fällen können Erfolge nur durch stille Bemühungen, Frau Kollegin Olms, erzielt werden. Keine der Geiseln im Libanon wäre durch lautstarke Proteste freigelassen worden, wenn nicht höchste Diskretion bei den Verhandlungen bestanden hätte; das ist das, was Sie gelegentlich — auch im Zusammenhang mit der Reise des Bundesaußenministers — mit „Leisetreterei" verwechseln. Davon kann überhaupt keine Rede sein.
    Welcher Weg jeweils der beste ist, muß stets neu beurteilt und entschieden werden. Einerlei, ob wir laut oder leise Menschenrechte einfordern, wir müssen es ohne Unterschiede überall und ohne falsche Rücksichten tun.
    Der Bundestag hat auch in diesem Jahr mehrfach bewiesen, daß er bei Menschenrechtsverletzungen nicht schweigt. Er hat den Einsatz von Giftgas im Golfkrieg und gegen die Kurden verurteilt. Er hat auf die drohende Zerstörung rumänischer Dörfer aufmerksam gemacht. Er hat den Irak aufgefordert, den in Nachbarländer geflüchteten Kurden die Rückkehr zu ermöglichen. Er hat sich für die Sharpville-Six eingesetzt und zu ihrer Begnadigung beitragen können.
    Wenn wir Menschenrechtsverletzungen in Ländern feststellen, die uns besonders eng verbunden sind,
    mag es schwerfallen — und das fiel auch heute morgen auf — , die Dinge beim Namen zu nennen. Aber zur Freundschaft gehört Offenheit. So haben wir hier wiederholt unsere Sorgen über die immer wieder zu verzeichnenden Menschenrechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen zum Ausdruck gebracht. Wir haben aber auch Verständnis für die trotz positiver Entwicklung der letzten Jahre immer noch vorhandenen Schwierigkeiten in der Türkei, die ja nicht vergleichbar ist mit einem Land, mit einer Geschichte wie sie etwa andere europäische Staaten aufweisen. Wir beobachten mit Genugtuung, daß dort zumindest das Bewußtsein dafür wächst, daß stärkere Integration in den europäischen Einigungprozeß die Beachtung europäischer Rechtsüberzeugungen voraussetzt.
    Auch unsere engen freundschaftlichen Beziehungen zu Israel, meine Damen und Herren, das seinem Selbstverständnis nach an europäischen Maßstäben zu messen ist, hat uns nicht zu Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten schweigen lassen. Gestern vor genau einem Jahr begann im Westjordanland und im Gazastreifen der bis heute anhaltende Aufstand vorwiegend junger Palästinenser, die für ihre Zukunft in den von Israel besetzten Gebieten keine Perspektive mehr sehen. Das Aufbegehren der Bevölkerung hat nichts zu tun und nichts gemein — und darauf hat der Bundesminister des Auswärtigen vor diesem Hause bereits am 11. März dieses Jahres hingewiesen — mit den Kommando- und Terroraktionen extremistischer Gruppen, die sich gegen den Staat Israel und seine Bürger richten und die wir immer und stets verurteilt haben. Diese Erhebung aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hat große Teile der palästinensischen Bevölkerung erfaßt. Sie hat mehrere hundert Tote und verletzte Jugendliche gefordert und andere sehr schlimme Folgen gehabt.
    Wir unterstützen unsere Freunde in Israel, die sich um den Weg ihres Landes sorgen. Wir erwarten von der künftigen israelischen Regierung, daß sie den wiederholten Appellen der Europäischen Gemeinschaft und der Vollversammlung der Vereinten Nationen endlich Gehör schenkt und die Menschenrechte in den besetzten Gebieten respektiert.
    Die Menschenrechtslage im Iran gibt uns Anlaß zu großer Sorge.