Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heute hier zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf zur Einführung eines Zweitregisters ist ein weiterer Markstein in der Geschichte der unsozialen Gesetzeswerke dieser Bundesregierung.
8562 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
Frau Rock
Er paßt in eine Reihe mit der Novellierung des AFG, der Steuerreform und der Gesundheitsreform.
Er mißachtet in eklatanter Weise die Rechte und die Bedürfnisse von 17 000 Seeleuten und deren Familien, die mit Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs sozialpolitisches Freiwild werden.
Dieser Entwurf, dessen negative Folgen für die Arbeitnehmer weit über den Bereich der Schiffahrt hinausgehen, sollte und soll im Schnellverfahren ohne große Debatte über die Bühne geschafft werden. Die Oppositionsfraktionen haben eine Anhörung durchgesetzt, nach deren Ergebnis die Koalitionsfraktionen diesen Entwurf eigentlich zurückziehen müßten.
Dem Rechtsausschuß als mitberatendem Ausschuß lag bei seiner Beratung das Protokoll dieser Anhörung noch nicht einmal vor, ebensowenig wie bis heute das Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses vorliegt, so daß die dortige Beratung nicht nachvollzogen werden kann. Der Arbeits- und Sozialausschuß hat noch gar nicht darüber beraten, hat aber erheblichen sozialpolitischen Beratungsbedarf signalisiert.
Das alles stört Sie nicht, ebensowenig wie es Sie stört, daß eine Reihe von Verfassungsgrundsätzen wie das Diskriminierungsverbot, die Koalitionsfreiheit und die Berufsfreiheit verletzt werden. Darüber gehen Sie mit ungeheurer Leichtigkeit hinweg. Genauso gehen Sie über die Tatsache hinweg, daß Seeleute einen 20tägigen Hungerstreik auf sich genommen haben, um gegen das Zweitregister und damit gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Ich frage Sie: Was nehmen Sie eigentlich ernst? Was nehmen Sie überhaupt wahr? Was muß denn eigentlich passieren, damit Sie aufgerüttelt werden? Oder ist inzwischen das Wort Ihres Bundeskanzlers „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter" die politische Leitlinie der Koalition?
Daß mit diesem „Internationalen Schiffsregister" Arbeitsplätze bundesdeutscher Seeleute vernichtet werden, sagen Sie ja ganz offen. Sie tun so, als ob das eine notwendige Operation sei, damit der Patient Handelsschiffahrt überleben könne. Ich finde nur, es ist eine arg merkwürdige Operationsmethode, wenn zwei Drittel des Körpers amputiert werden, damit ein Drittel überleben kann.
Weniger offen und direkt sagen Sie, daß der Patient Handelsschiffahrt nach dieser Amputation auch nur am Tropf der Subvention überleben kann. Die Anhörung hat sehr deutlich gemacht, daß von der in der Begründung angeführten Ersparnis von 680 Millionen DM überhaupt keine Rede sein kann. Sie hätten gut daran getan, dieses Argument des Verbandes Deutscher Reeder nicht ungeprüft zu übernehmen.
Maximal 350 Millionen DM sind durch die Einführung eines Zweitregisters einzusparen. Das klingt nach einer ungeheuer großen Summe. Aber sie wird sehr klein, wenn. Sie eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufmachen. Wenn Sie einmal die Kosten für die Vernichtung von nur 10 000 Arbeitsplätzen, von denen ja auch Sie ausgehen, dagegenrechnen, ergeben Arbeitslosengeld, Steuerausfall und Sozialversicherungsausfall Kosten in Höhe von ca. 350 Millionen DM. Sie haben in der Beratung des Verkehrsausschusses und auch hier eben wieder flankierende Maßnahmen gefordert. Das heißt im Klartext: Subventionen. Es wird also nicht bei diesen 350 Millionen DM bleiben. Genausowenig wird es bei der Vernichtung von nur 10 000 Arbeitsplätzen bleiben. Das ist alles nur die erste Runde.
Sie haben ebenfalls eine Änderung der Schiffsbesetzungsordnung angekündigt. Da ist, finde ich, Vorsicht angeraten. Sie sagen zwar, damit solle sichergestellt werden, daß Kapitän und Offiziere Bundesbürger seien. Sie sagen aber auch, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die deutsche Handelsschifffahrt gerettet werde. Ich denke, diese Änderung der Schiffsbesetzungsordnung muß sehr genau geprüft werden.
Ich will nur kurz anreißen, welche Folgen es für die Sicherheit eines Schiffes hat, wenn der soziale Standard herabgesetzt wird, welche Folgen es auch für die Umwelt haben kann, wenn sich da Veränderungen ergeben. Die Kollegin Faße hat schon auf das Schicksal der Elmar Tres hingewiesen. Ich möchte des weiteren an das Schicksal der Amoco Cadiz und der betroffenen Bevölkerung in Bretagne erinnern. Das spricht für sich und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Das alles nehmen Sie wohlwissend in Kauf. Ich frage mich: Wofür eigentlich? Ich werde den Verdacht nicht los, daß es Ihnen weniger um die deutsche Handelsflotte geht als vielmehr darum, mit diesem Gesetzentwurf die Tür für eine Schwächung der Gewerkschaften und der Tarifautonomie zu öffnen;
denn mit dem Ansatz der Heuerkosten setzen Sie am völlig falschen Hebel an. Zum einen liegt der Anteil der Heuern an den Gesamtkosten nach Angaben des Instituts für Schiffs- und Meerestechnik der Technischen Universität Berlin in der Linienschiffahrt bei 9 %, in der Trampschiffahrt bei 21 %. Der Kapitalkostenanteil liegt jedoch bei 41 %.
Zum anderen lassen Sie die Tatsache unberücksichtigt, daß es bereits heute in der Bundesrepublik möglich ist, Verträge außerhalb des Manteltarifvertrags abzuschließen, da die Mehrzahl der Reedereien nicht Mitglied in der Tarifgemeinschaft deutscher Reeder ist.
Das zeigt, daß der Gesetzentwurf eben keine Alternative zum Ausflaggen ist und erst recht keine Rückflaggungen stattfinden werden. Sie wollen unter dem Deckmäntelchen des freien Wettbewerbs zurück in die Zeiten des Manchestertums, in denen das Kapital nicht von so etwas Lästigem wie Gewerkschaften, Tarifverträgen und Arbeitszeitverordnungen gestört wurde.
Wie soll denn z. B. ein mauretanischer Seemann, der für Unterkunft und Verpflegung arbeitet, den freien Wettbewerb mit einem Reeder aufnehmen? Das sollten Sie vielleicht erst einmal klarmachen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8563
Frau Rock
Mit der Annahme des Gesetzentwurfes wird aber auch absehbar, daß in anderen Bereichen ausgeflaggt wird. Ein Indiz dafür ist die Pressemitteilung der DAG und der Pilotenvereinigung Cockpit vom 21. November diesen Jahres, in der sich gegen das Ausflaggen von fünf Maschinen der Lufthansa gewandt wird. Ich denke, weitere Bereiche des Transportgewerbes werden sich diese vermeintliche Chance des Ausflaggens nicht entgehen lassen. Sie werden versuchen, gewerkschaftlich erkämpfte Rechte zurückzunehmen.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den ich wegen der Kürze der Redezeit jetzt leider nicht mehr ausführen kann. In letzter Zeit wird nämlich über den Sinn eines internationalen Wirtschaftsgebietes diskutiert. Dabei geht es darum, nach dem Vorbild der Freizonen in Vigo, Barcelona und Cadiz sogenannte Industriezonen zu schaffen, die nicht nur steuerliche Vorteile bieten, sondern auch Vergünstigungen im Arbeits- und Sozialrecht wie etwa die Aufhebung der nationalen Vorschriften zur Arbeitszeit. Auch die Handelskammer Bremen hat vorgeschlagen, eine solche Zone für Bremen zu schaffen. In der Kürze der Zeit ist es mir leider nicht mehr möglich, auf diesen Bremer Vorschlag einzugehen. Ich möchte mich aber ganz nachdrücklich nicht gegen die Beschäftigung ausländischer Seeleute auf bundesdeutschen Schiffen aussprechen, möchte mich jedoch dagegen aussprechen, daß auf bundesdeutschen Schiffen ein Sozialdumping mit Hilfe ausländischer Seeleute gefahren wird.
Ich wollte jetzt noch einige Worte zu dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN sagen. Das ist mir leider nicht mehr möglich; hier blinkt das rote Licht auf.
Ich möchte einen Appell an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion richten. Wenn dieser Entwurf der Koalitionsfraktionen — womit ja zu rechnen ist, weil Sie es einfach so durchziehen wollen — heute hier angenommen wird, möchte ich Sie bitten, sich bereitzufinden, gemeinsam mit den GRÜNEN eine Normenkontrollklage einzureichen. Ich weiß, daß es sicherlich nicht günstig ist, wenn letztendlich das Bundesverfassungsgericht Gesetze macht. Einen solchen Weg gehen alle mit gewissen Bauchschmerzen. Aber bei mangelnder Bereitschaft der Koalition, Sachargumente aufzunehmen, erscheint mir dies als der einzige Weg, betroffenen Seeleuten und ihren Familien zu helfen.
Ich danke Ihnen.