Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Probleme der Seeschiffahrt existieren bereits seit Anfang der 70er Jahre. — Die Uhr stimmt aber nicht, wenn ich darauf hinweisen darf! — Wir haben es seither mit einer ständigen Ausflaggungswelle zu tun. Die Tonnage unter deutscher Flagge hatte Ende 1977 mit 9,3 Millionen Bruttoregistertonnen ihren Höchststand und beträgt heute knapp 3,7 Millionen Bruttoregistertonnen. Das heißt, in elf Jahren haben wir knapp 6 Millionen Bruttoregistertonnen verloren.
Das Bordpersonal auf Schiffen unter deutscher Flagge hatte ohne die Fischerei, die im übrigen — um das einmal klarstellend zu sagen — von dem Gesetzentwurf überhaupt nicht berührt ist, im Jahr 1971 mit 49 000 Mitarbeitern einen Höchststand. Anfang 1983 gab es nur noch 24 500 Mitarbeiter. Damit steht fest,
daß das Bordpersonal in der Zeit der SPD-Regierung in seinem Bestand halbiert worden ist. Heute — Stand 30. September 1988 — haben wir 16 000 Mitarbeiter auf deutsch beflaggter Tonnage.
Die Zahlen belegen eindeutig, daß auch die heutige Opposition nicht ohne Mitverantwortung für die Gesamtentwicklung ist.
Ich glaube, es wäre gut, in einer solchen Debatte nicht opportunistisch jeweils von Insel zu Insel zu hüpfen, sondern auch zur Mitverantwortung zu stehen und anzuerkennen, daß die Probleme so gewichtig und gewaltig sind, daß sie sowohl von der früheren als auch von der jetzigen Bundesregierung wegen der internationalen Strukturveränderungen trotz erheblicher Bemühungen und Hilfen nicht bewältigt werden konnten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übrigen möchte ich daran erinnern, daß das Genehmigungsschreiben aus dem Jahre 1972, das die sogenannte Bareboat-Vercharterung ermöglichte, die Unterschrift des damaligen Staatssekretärs Wittrock, SPD, trägt.
Ich glaube, seinerzeit war Kollege Haar Parlamentarischer Staatssekretär. Bareboat-Charter bedeutet: im deutschen Register verbleiben, fremde Flagge aufziehen, deutsches Personal gegen ausländisches zu Heimatlohnheuern ersetzen. In diesem Bereich sind zur Zeit 374 Schiffe mit knapp 1,7 Millionen Bruttoregistertonnen eingetragen.
Das heißt also, wer meint, heute würde durch diesen Gesetzentwurf etwas prinzipiell anderes gemacht werden, der kann dieser Auffassung nur sein und kann dies von diesem Pult aus nur behaupten, wenn er fähig ist, die Erinnerung an die Vergangenheit und das eigene Tun vollständig zu verdrängen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben bis 1982 erlebt, daß drei Jahre lang Finanzbeiträge gezahlt worden sind, bewilligt in einer Summe von 360 Millionen DM. Dann hat man, obwohl die Ausflaggung weiterging, im Jahr 1981 das Instrument abgeschafft. Wir haben es 1984 wieder eingeführt und in der Zwischenzeit schon 614 Millionen DM bewilligt. Weitere 240 Millionen DM sind in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen.
Die Sozialdemokraten haben die Novellierung der Schiffsbesetzungsverordnung immer wieder hinausgeschoben. Herr Kollege Funke, wir erinnern uns sicher sehr gut daran, daß wir dies im Jahre 1984 umgesetzt und daß wir damit die notwendige Flexibilisierung der Schiffsbesetzung ermöglicht haben, womit auch technologischer Fortschritt in Kostensenkung umgesetzt werden konnte. Wir haben den UNCTAD-Kodex für Linienkonferenzen, dessen Ratifizierung immer wieder auf die lange Bank geschoben worden ist, dann im Jahre 1983 verabschiedet. Damit ist er weltweit in Kraft getreten, weil mit unserer Tonnage die notwendigen mehr als 25 % der Welttonnage erreicht werden konnten.
Wir haben bei den EG-schiffahrtspolitischen Maßnahmen nach jahrelangem Entscheidungsstillstand
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8557
Fischer
auf Grund der besonderen Verdienste des früheren Bundesverkehrsministers Dr. Dollinger erreicht, daß vier wichtige Verordnungen verabschiedet werden konnten, die zum 1. Juli 1987 auch unmittelbar geltendes nationales Recht geworden sind.
Ich will nur diese wenigen Beispiele nennen, sonst würde es den zeitlichen Rahmen sprengen, wobei im übrigen — wenn ich darauf hinweisen darf — für mich eigentlich etwas mehr Zeit vorgesehen ist, als die Uhr anzeigt; vielleicht kann man das in der Zwischenzeit einmal überprüfen.
Wir haben eine Reihe von zusätzlichen Anstrengungen unternommen. Ich glaube, daß wir im Ergebnis doch sagen können, daß Bundesregierung und Koalitionsfraktionen alles in ihrer Macht Stehende getan haben — sowohl im Regelungsbereich, als auch im internationalen Bereich, als auch im steuerlichen Bereich, wie auch im Bereich der unmittelbaren Subventionen —, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte zu verbessern und ihr Flankenschutz zu geben.
Wenn ich dies kontrastiere mit der Bilanz der SPD-Regierung, so möchte ich darauf hinweisen, daß Sie eben 25 000 Bordarbeitsplätze in dieser Zeit verloren haben; sie sind ersatzlos weggefallen. Sie haben, entgegen dem Eindruck, den Sie heute erwecken, die ÖTV-Forderung nicht umgesetzt und die Schließung der offenen Register betrieben.
Sie haben in dieser Zeit eben nicht, obwohl Sie heute diesen Eindruck erwecken möchten, die ÖTV-Forderung erfüllt, eine nationale Ladungslenkung herbeizuführen. Sie haben eben nicht den UNCTAD-Kodex für Linienkonferenzen ratifiziert; sie haben BareboatCharter gemacht, und Sie haben Finanzbeiträge abgeschafft.
Vor diesem Hintergrund wage ich einmal die Frage zu stellen, woher Sie eigentlich die moralische Kraft für Ihre heutige Empörung und Ihre heutigen Aussagen nehmen wollen.
Ich habe in der Diskussion der letzten Monate immer spöttisch gesagt — ich war immer überzeugt, es wäre eine Übertreibung — : Seit 1982 hat SPD-
Schiffahrtspolitik in einer Kleinen Anfrage bestanden. Ich habe, um mich hier abzusichern, das Sach- und Sprechregister des Deutschen Bundestages abgefragt. Ich habe es nicht für möglich gehalten: Es stimmte sogar. Seit 1982 haben Sie hier nicht Roß und Reiter genannt; Sie haben Verbalismus betrieben; Sie haben parlamentarisch keine Alternative angeboten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gesagt, alle Instrumente und Anstrengungen haben die Ausflaggungswelle nicht stoppen können. Wir müssen handeln, um der Totalausflaggung der deutschen Tonnage unter unserer Bundesflagge entgegenzuwirken. Es ist sozusagen kurz vor zwölf.
Wir haben von 1984 auf 1987 einen Anstieg der Ausflaggungsrate etwa von 40 auf 60 % erlebt. Diese Entwicklung schreitet mit großen Schritten voran. Wenn nicht gehandelt wird, wird hier das nationale Interesse verletzt; denn eine Totalausflaggung können wir im nationalen Interesse nicht akzeptieren. Wir würden die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Wir würden uns im Exportbereich aus dem wichtigen Dienstleistungssektor abmelden. Wir würden die maritime Verbundwirtschaft an der Küste nicht aufrechterhalten können. Wir müssen daran erinnern, daß heute über 80 To der Aufträge für deutsche Werften von deutschen Schiffahrtsunternehmen kommen. Wir würden die ohnehin geographisch problematische Position der deutschen Seehäfen weiter schwächen.
Im übrigen ist dieses keine isolierte Initiative in der Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr haben die Norweger in einer sehr viel weitergehenden Form auf Antrag der dortigen sozialistischen Regierung Brundtland sich sogar ein offenes Register geschaffen, das heute auch für Drittstaaten als Billigflagge fungieren kann. Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Holland haben Zweitregister in unterschiedlicher Ausprägung. Luxemburg hat eine Vorlage im Parlament und plant dieses mit Blick auf Belgien und auch mit Blick auf Deutschland. Wo stehen wir eigentlich, wenn Luxemburg ein solches attraktives Zweitregister schafft, mit dem Sitz unserer Schiffahrtsunternehmen? Sollen wir zuschauen, daß die Schiffahrtsunternehmen dann zu dem attraktiven Platz Luxemburg wechseln? — Es gibt entsprechende Planungen in Spanien und Portugal — Sie wissen genau, welche Regierungen dort amtieren —, und es gibt erste Initiativen auch in Schweden.
Wir können uns von dieser europäischen Entwicklung nicht abkoppeln.
Würde man dieses tun, verehrte Kollegen der Opposition, dann wäre das nichts anderes, als in einer schwierigen Situation die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und zu sagen: Das wird schon vorübergehen. — Dieses wäre für uns katastrophal.
Ich möchte einmal die Alternative der Ausflaggung mit dem vergleichen, was wir heute beantragen: Bei der Ausflaggung ist die Gefahr der Totalausflaggung, der Verlust aller Bordarbeitsplätze, der Verlust der eigenständigen Berufsgruppe der Seeleute zu befürchten. Wir aber sichern langfristig qualifizierte Bordarbeitsplätze für deutsche Seeleute. Das steht schon in der Begründung des Gesetzentwurfes, und wir haben außerdem, um jedem Zweifel vorzubeugen, eine Entschließung auf den Tisch des Hauses gelegt, damit niemand, der uns in den letzten Monaten wahrheitswidrig diffamiert hat, im Zweifel darüber ist, daß wir diese Personalstruktur auch durch eine umgehende Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung absichern werden.
Wir wollen, daß der überwiegende Anteil bei der Schiffsführung sowie die zur Qualifizierung notwendigen Arbeits- und Ausbildungsplätze an Bord gesichert werden. Die Ausflaggung bedeutet Verlust des
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Sozialversicherungsschutzes. Konsequenz für die Betroffenen, auch für die Angehörigen: keine Versorgungsansprüche im Unglücksfall. Das jüngste Beispiel ist der Untergang der MS Pumori im Taifun im Golf von Bengalen. Die deutschen Seeleute, die dort untergegangen sind, haben keinerlei Versicherungsschutz gehabt — es war eine Bremer Reederei betroffen; das Schiff war ausgeflaggt und fuhr unter der Flagge Singapurs —; die Angehörigen haben keinerlei Ansprüche. Dies ist die Wirkung der Ausflaggung.
Wir wollen den deutschen Sozialversicherungsstandard beibehalten, sowohl für deutsche wie auch für ausländische Seeleute an Bord von Schiffen, die im Zusatzregister für internationale Fahrt registriert sind. Ausflaggung bedeutet verminderten Schiffssicherheitsstandard. Zweitregister bedeutet Beibehaltung des deutschen Schiffssicherheitsstandards. Ausflaggung bedeutet mittel- und langfristig Verlagerung der Reedereisitze ins Ausland und damit Verlust maritimer Landarbeitsplätze. Wir sichern mit unserer Initiative auch die zahlenmäßig viel größere Zahl der Landarbeitsplätze, die großen Landorganisationen deutscher Reedereien. Ausflaggung bedeutet Verlust der Versorgungssicherheit im Krisenfall; wir aber gewährleisten den Erhalt einer angemessenen Tonnage unter der Bundesflagge.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wird an Alternativen angeboten, oder was wäre die Alternative? Finanzbeiträge und Steuererleichterungen sind keine Alternative, sondern allein kumulative Teile eines Maßnahmenbündels. Wir müssen in dem Bereich der Finanzbeiträge bzw. der steuerlichen Erleichterungen auch in der Zukunft Anstrengungen unternehmen. Was wird ansonsten angeboten, insbesondere von der ÖTV? Bei der SPD ist es immer sehr unklar, ob sie das eigentlich mitvollzieht, verbal ein bißchen, Anträge werden nicht gestellt, also eine richtig schöne opportunistische Wackelpolitik: Wasch mir den Pelz, und mach mich nicht naß.
Nationale Ladungslenkung wäre für unsere exportorientierte Wirtschaft, die auf offene Seeverkehrsmärkte angewiesen ist, eine Katastrophe. Für unsere Häfen würde das bedeuten: zusätzliche Verkehrsverlagerung zu den Beneluxhäfen; dann können wir den Laden dichtmachen. Dann muß die ÖTV übrigens einmal sagen, ob sie ihre Leute an Bord oder unter den Hafenarbeitern vertreten will. Sie verfolgt hier konkurrierende Zielsetzungen. Dauerhafte Maximalsubventionierung? Ein voller Ausgleich würde etwa 500 Millionen DM erfordern, und dies als Dauersubvention. Ich frage einmal: Ist das finanzierbar, ist das überhaupt EG-rechtlich verträglich? Ich sage: nein. Staatliche Garantietonnage wird da auch angeboten, eine Bundesbahn auf See. Da sage ich nur: Ein Problem „Bundesbahn" reicht uns schon. Im übrigen wäre dies der Einstieg in eine Möglichkeit der Tarifpolitik gegen den Staat. Davor kann man ordnungspolitisch nur nachhaltig warnen.
Ich frage mich, warum eigentlich die Bremer Initiative öffentliche Belobigung von SPD, ÖTV und DAG erfährt. Die Bremer Initiative, die jetzige — die erste war ja eine Abkopiererei unserer Initiative plus Quote
drauf — , ermöglicht eine Schiffsbesetzung unter deutscher Flagge ohne einen einzigen deutschen Seemann einschließlich des Kapitäns. Da können Sie ein Drittel Griechen, ein Drittel Spanier und ein Drittel aus Nicht-EG-Staaten nehmen; so können Sie unter deutscher Flagge besetzen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum Frau Wulf-Mathies mir dann die Sorge des Einbruchs portugiesischer Lkw-Fahrer in die Bundesrepublik Deutschland schildert, wenn sie gleichzeitig der Bremer Initiative Beifall klatscht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Fazit: Das Zweitregister bietet gegenüber der Ausflaggung entscheidende Vorteile. Es erhält qualifizierte Bordarbeitsplätze, Sozialversicherungsschutz, Schiffssicherheitsstandard, Rechtsschutz vor deutschen Gerichten, vor allem der wichtigen Arbeitsgerichtsbarkeit,
die Ausbildung zu seemännischen Berufen. Die ÖTV und die SPD behaupten, daß durch dieses Register die deutschen Seeleute ihre Arbeitsplätze verlieren. Dies ist eine schlimme Verdrehung, eine böse Unwahrheit,
die durch die Tatsachen widerlegt werden wird. Die Kollegin Faße geht sogar so weit, öffentlich den Reedern Kündigungstips für deutsche Seeleute zu verabreichen. Ich halte dieses Obstruktionsverhalten für skandalös.
Nicht durch das Zweitregister, sondern durch Ausflaggung gehen Arbeitsplätze verloren. Durch das Zweitregister werden Arbeitsplätze erhalten.
Weder die Verweigerungshaltung der Gewerkschaften noch der Opportunismus der SPD helfen in der Sache weiter.
Vielmehr appelliere ich an die Betroffenen zur Rückkehr zur Vernunft. Notwendig ist jetzt eine konstruktive Mitarbeit bei der Ausgestaltung des Instruments Zweitregister. Der Bundesrat wird darüber zu befinden haben.
Ich sage: Am Anfang der Entwicklung stand die Forderung der damaligen Hansestadtbürgermeister Wedemeier und von Dohnanyi, endlich ein Zweitregister zu schaffen. Ich kann nur fragen: Wo sind die Herren geblieben? Der eine ist aus dem Amt und der andere auf Tauchstation.