Rede von
Hubert
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was hier beantragt worden ist, ist ein einmaliger Vorgang in dieser Legislaturperiode.
Das haben wir noch nicht erlebt.
Die Geschäftsordnung des Bundestages schreibt für die zweite Beratung von Gesetzentwürfen eindeutig vor — ich zitiere aus § 81 der Geschäftsordnung — :
Die zweite Beratung wird mit einer allgemeinen Aussprache eröffnet, wenn sie vom Ältestenrat empfohlen oder von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt wird. Sie beginnt am zweiten Tage nach Verteilung der Beschlußempfehlung und des Ausschußberichts .. .
Dieser zweite Tag nach Verteilung der Beschlußempfehlung und des Ausschußberichts ist noch nicht erreicht. Wir haben eine Beschlußempfehlung, die seit Mittwoch vorliegt, aber einen Ausschußbericht, der erst seit gestern vorliegt.
Das verstößt eindeutig gegen die übliche Praxis hier im Haus.
Was ist der Grund, weshalb hier von all dem abgewichen werden soll, was sonst hier gängige Praxis ist?
Ich will es Ihnen sagen, meine Damen und Herren. Sie wollen hier jetzt, kurz vor Weihnachten, auf jeden Fall, um jeden Preis dieses Gesetz zur Veränderung der Parteienfinanzierung noch durchziehen.
8554 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
Kleinert
Da ist es gar nicht so wichtig für Sie, was ansonsten hier in diesem Hause übliche Praxis ist. Dieses Gesetz soll um jeden Preis noch durchgepeitscht werden. Das ist der Hintergrund dafür. Sie können es nicht abwarten. Wir wissen ja auch, wie die Mehrheitsverhältnisse im Hause sind. In dieser Frage gibt es eine große Koalition, eine Superkoalition von Regierung und der größeren Oppositionspartei.
Wir wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse im Hause sind. Trotzdem: Sie können nicht abwarten, bis das nächste Jahr angefangen hat. Sie wollen unbedingt noch vor Weihnachten ihren Schatzmeistern dieses auf den Gabentisch legen.
Deswegen soll das um jeden Preis hier noch durchgesetzt werden, meine Damen und Herren. — Herr Bohl, lärmen Sie doch nicht so herum.
Diese Aufregung ist ungewöhnlich für diese frühe Morgenstunde.
Es scheint hier doch einiges auf dem Spiel zu stehen. Ich kann mich nicht erinnern, bei vergleichbarer Gelegenheit um 8.06 Uhr am Morgen eine solche Aufregung erlebt zu haben.
Wenn es um Geld geht, meine Damen und Herren, dann bewegt das die Herrschaften hier im Hause noch. Viele andere Themen, die wir um diese Zeit diskutiert haben, haben nur ein müdes Gähnen hervorgelockt. Aber jetzt, wo es um Ihre Parteifinanzen geht, gibt es große Aufregung, große Präsenz. Da sehe ich hier ungewöhnliche Vorgänge.
Die Devise, unter der das alles läuft,
stand schon im Juni in den Zeitungen zu lesen: Wir müssen das alles durchbringen, noch bevor die Leitartikler zuschlagen. So stand es damals zu lesen. Nach diesem Wahlspruch wollten die Schatzmeister der etablierten Parteien seinerzeit verfahren, als man sich vorgenommen hatte, dieses Parteiengesetz möglichst unauffällig mal eben so hintenherum über die Bühne zu bringen. Diese Devise gilt noch heute.
In letzter Minute sind am Mittwoch noch Veränderungen in den Gesetzentwurf hineingestimmt worden. Sie haben das gemacht, weil Sie selbst nur zu genau spüren, daß dieses Gesetz in wesentlichen Punkten nicht verfassungskonform ist.
Sie wollen das mühsam kaschieren. Um zu verhindern, daß in der Öffentlichkeit bekannt genug wird, wie verfassungswidrig dieses Gesetz ist und wie stark es weiterhin von der Selbstbedienungsmentalität der etablierten Parteien gekennzeichnet ist, wollen Sie das hier um jeden Preis unter Abweichung von all
dem, was hier im Hause lange geübte Praxis ist, durchziehen. Deshalb dieser Aufsetzungsantrag. Das verstößt gegen den Sinngehalt der Geschäftsordnung. Es verstößt gegen all das, was hier im Hause lange geübte Praxis ist. Deswegen muß dem widersprochen werden.