Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der französische Präsident Mitterrand hat für den 7. Januar nächsten Jahres die 158 UNO-Mitgliedstaaten zu einer C-Waffen-Konferenz in Paris einberufen. Er hat damit einen Vorschlag von Präsident Reagan aufgenommen. Die Sowjetunion hat positiv darauf reagiert; auch die Bundesregierung hat positiv darauf reagiert. Natürlich haben wir jede Initiative zu begrüßen, die weltweit den Kampf gegen die C-Waffen unterstützt.
Aber es fällt doch eines auf, nämlich daß von dieser Konferenz ein wesentlich bescheideneres Ziel formuliert wird als das Ziel in Genf. Es fällt auf, daß es hier darum geht, für das Genfer Giftgasabkommen von 1925 zu werben, dem bisher 111 Länder beigetreten sind, dabei aber lediglich auf den Einsatz von Giftgas verzichtet haben.
Das Ziel von Genf ist viel weiter gefaßt. In der UNO wird seit 1961, in Genf seit 1983 darum gerungen, ein weltweites umfassendes und verläßlich verifizierbares Verbot chemischer Waffen und ihrer Produktionseinrichtungen zu erreichen. Insofern ist die Pariser Konferenz ein besorgniserregendes Zeichen. Denn es stellt sich hier die Frage, ob bei diesem Prozeß jetzt ein Rückfall auf den Status des Jahres 1925 und damit praktisch um 60 Jahre droht.
Daß dies auf der Konferenz in Paris als bescheidenes Ziel formuliert werden muß, sagt natürlich auch einiges über den Stand der Verhandlungen in Genf.
Nun ist dort ja schon einiges erreicht worden. Die vierzig Länder, die sich an den Beratungen beteiligen, haben sich darauf geeinigt, daß das Ziel eine kontrollierte Vernichtung der C-Waffen und der Produktionsstätten in zehn Jahren ist. Sie haben sich darauf geeinigt, daß es darum geht, die Überwachung der Nichtherstellung zu schaffen, dabei Regelkontrollen der sogenannten erklärten Fabrikationsanlagen vorzunehmen, in denen es möglich ist, nach drei Substanzlisten gegliederte toxische Stoffe herzustellen, und eine unabweisbare Verdachtskontrolle dann vorzunehmen, wenn ein Anfangsverdacht auf Verstoß gegen die Vereinbarung besteht.
Es herrscht ferner Einigung darüber, daß dazu eine internationale Vertragsorganisation notwendig ist, die wahrscheinlich aus einer Vollversammlung, einem Exekutivorgan und einem technischen Sekretariat für die Abwicklung der Inspektionen bestehen wird. Es ist durchaus zu begrüßen, daß Frankreich, das eine Zeitlang insofern Schwierigkeiten gemacht hat, als es die sogenannten Security Stocks für sich beansprucht hat — also Sicherheitsreserven, die vielleicht in diesen zehn Jahren des Abbaus aller Chemiewaffen erst aufgebaut werden müssen — , jedenfalls wenn man die Rede Mitterrands vom 29. September 1988 richtig versteht, auf dieses Ziel inzwischen verzichtet hat und damit einen weiteren Weg freigemacht hat. Es sieht so
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8541
Erler
aus, daß man vielleicht einen Weg findet, diese zehnjährige Abbauphase als Versuchszeit zu nutzen und vielleicht im achten Jahr eine Art Überprüfungskonferenz vorzunehmen.
Aber es gibt noch immer eine ganze Reihe von Fragen, die nicht geklärt sind. Wir hören, daß es immer noch Probleme mit der Definition gibt, auch mit der Abgrenzung von biologischen und chemischen Waffen. Wir hören, daß es immer noch Lücken bei der Kontrolle gibt, und zwar bei der ganz normalen chemischen Produktion der sogenannten nichterklärten Industrie. Man weiß nicht, wie man dort Kontrollen durchführen kann. Und — das ist vielleicht das Bedrohlichste — es gibt inzwischen Zweifel der 40 verhandelnden Länder daran, ob überhaupt noch bei allen Ländern die Bereitschaft besteht — z. B. bei den 20, die schon über chemische Waffen verfügen oder wahrscheinlich darüber verfügen, aber auch bei allen anderen Ländern, die in Krisenregionen beheimatet sind — , einem solchen Vertrag überhaupt beizutreten. Hier haben wir es mit der verhängnisvollen Erfahrung des Golf-Krieges zu tun. Dort war es möglich, erfolgreich und ungestraft chemische Waffen gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung anzuwenden. Es ist die Frage, ob das nicht ein Anreiz für andere Länder ist, gerade für arme Länder, sich eine chemische Bewaffnung im Sinne der „poor man's atomic bomb" zuzulegen, wie das manchmal genannt wird.
Auf jeden Fall steht fest, daß wir so schnell wie erwartet und erhofft keinen Abschluß in Genf haben. Das sagen uns die Amerikaner seit Anfang dieses Jahres. Das sagen uns die Vertreter der Sowjetunion seit Mitte dieses Jahres. Eben hat Herr Lummer Gorbatschow zitiert, der eine Erwartung für einen entscheidenden Schritt nach vorn für das Jahr 1990 in seiner gestrigen UNO-Rede angekündigt hat.
Nur in der Bundesregierung hören wir immer ganz andere Aussagen. Die Bundesregierung erklärt uns seit 1985 jedes Jahr, daß ein Erfolg in Genf unmittelbar bevorstehe.
Sie redet also die Situation in Genf schön, Herr Feldmann. So ist es leider. Es hat auch — das ist interessant — exakt ein halbes Jahr gedauert, bis unsere Kleine Anfrage vom 8. Juni dieses Jahres gestern abend glücklich beantwortet worden ist. Das zeigt, daß es der Bundesregierung bei diesem Thema ziemlich ungemütlich ist. Auch in dieser Antwort steht wieder, daß es trotz zugegebenermaßen technisch äußerst komplizierter Sachprobleme — die werden dort angesprochen — bald zu einem Abschluß in Genf kommen werde.
Ich habe schon Verständnis für diesen übertriebenen Zweckoptimismus der Bundesregierung. Denn in der Tat wäre das die einzige Chance, ihre ziemlich krause Chemiewaffenpolitik in der Vergangenheit zu übertönen.
In der Tat, Herr Feldmann, ist es so, wie Frau Beer es
dargestellt hat, daß die Bundesregierung eine Mitverantwortung für den weiteren Prozeß der weltweiten chemischen Aufrüstung hat.
Sie hat 1986 die Zustimmung zu den Streitkräftezielen erteilt. Sie hat — das war eine der Voraussetzungen, die das amerikanische Repräsentantenhaus gemacht hatte — zum zweiten dann ihre Zustimmung dazu gegeben, daß im Krisenfall diese Waffen in die Bundesrepublik gebracht werden. Die Folge ist die bekannte Aufrüstung mit binären Waffen, übrigens wenige Tage nach Abschluß des INF-Abkommens begonnen, der sich genau heute jährt. Im Windschatten großer Hoffnungen ist es damals mit den binären Waffen losgegangen. Heute werden Artilleriegranaten endgefertigt. Heute wird die Big-Eye-Bombe entwikkelt. Heute haben wir eine Entwicklung im Bereich der binären Munition für die MLRS-Waffensysteme und sogar eine Konzeptphase für die sogenannten Stand-off-Weapons. Von alldem ist in Ihrem Antrag, Herr Lamers, leider gar nicht die Rede.
Insofern gibt es eine Mitverantwortung der Bundesregierung für eine neue, schwerer zu kontrollierende, leichter handhabbare und dadurch auch leichter exportierbare Generation von chemischen Waffen.
Der Gegenwert ist sehr fraglich, wenn man sich anguckt, daß in einer Chronologie der C-Waffenverhandlungen vom 25. Mai 1988 über die unitären amerikanischen C-Waffen, die bis 1992 hier verschwinden sollen, gesagt wird, sie seien größtenteils unbrauchbar und vielfach aus den 40er und 50er Jahren.
Wenn man sich das alles anguckt und dann noch hinzufügt, daß sich die Bundesregierung offenbar fest vorgenommen hat, auf keinen Fall auf das von der SPD ausgehandelte Konzept der C-Waffen-freien Zonen einzugehen, offenbar ausdrücklich nur deswegen, weil es von der SPD vorgeschlagen worden ist, dann wird deutlich, daß übersehen wird, daß hier eine große Chance wäre, Verifikationsregimes, die in Genf nach wie vor umstritten und schwierig sind, an einem solchen Modell auszuprobieren. Wer das sieht, weiß, woher dieser übertriebene Zweckoptimismus kommt.
Ich meine, hier ist die richtige Stelle, die Bundesregierung dazu aufzufordern, von diesem Zweckoptimismus abzurücken, endlich der Öffentlichkeit die Wahrheit über den Verhandlungsstand in Genf zu sagen.
Ich fordere Sie auf: Machen Sie mit uns zusammen eine Anstrengung, die Exporte von Produkten und Fertigungstechniken für chemische Waffen einzustellen.
Machen Sie mit uns eine gemeinsame Anstrengung, damit diese Pariser Konferenz tatsächlich genutzt wird, und nicht einen Rückzug auf eine resignative Position bedeutet. Darüber sind sich übrigens erfreulicherweise alle Beschlußvorlagen hier einig.
8542 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988
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Ich fordere Sie abschließend auf: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß die C-Waffen insgesamt aus der Bundesrepublik ohne jedes Rückkehrrecht wegkommen.
Ergreifen Sie doch die Chance zu dem Übergangskonzept einer chemiewaffenfreien Zone, um dort die ungeklärten technischen Fragen noch lösen zu können.
Und schließlich: Lassen Sie uns alle gemeinsam etwas dafür tun, daß die weltweite Vernichtung chemischer Waffen, dieser tückischsten und unmenschlichsten aller Waffensysteme, durchgeführt wird.
Vielen Dank.