Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier der übliche kleine Kreis, in dem man solche Dinge diskutiert. Ich habe heute morgen vor einer Betriebsversammlung eines High-Tech-Betriebes im Ruhrgebiet vor 500 Arbeiterinnen und Arbeitern zum Thema „neue Technologien" gesprochen. Ich werde mich darauf als konkretes Beispiel noch beziehen; denn das, denke ich, widerlegt einige der Hoffnungen, die insbesondere an die Entwicklung neuer Technologien hier geknüpft werden: 40 v. H. Produktionssteigerung mit neuen Technologien stehen 6 v. H. Arbeitsabbau gegenüber.
Daß das BMFT ein Bündel insbesondere aus Raumfahrtpolitik und Politik auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologien schnürt, ist kein Zufall. Das hat meines Erachtens im wesentlichen zwei Gründe: Damit soll einerseits von den Flops der Atomenergieforschung und -förderung abgelenkt werden. Das BMFT — das alte Atomministerium — soll ein neues Image bekommen. Was bietet sich dazu besser an als Technologien, die uns neue Medien, also bunte Bilder, internationale Anerkennung, sprich: deutsche Astronauten, und klinisch saubere HighTech-Arbeitsplätze bringen?
Zweiter Punkt: Die Bundesregierung und das BMFT wollen meines Erachtens der F- und T-Politik einen neuen Stellenwert geben. Die Bedeutung des BMFT ist im Rahmen der Gesamtpolitik über die Jahre ja kontinuierlich gestiegen, zwar fast unmerklich, aber sie ist gestiegen. Sie wollen ihm einen neuen Stellenwert und eine neue Ausrichtung geben. Insbesondere mit der Raumfahrttechnik soll der Wirtschaft und der
Industriestruktur in der Bundesrepublik ein neuer, hochpotenter High-Tech-Sektor verpaßt werden. Das zielt, denke ich, insbesondere auch auf die Bedingungen, die durch den europäischen Binnenmarkt der Jahre nach 1992/93 geschaffen werden. So viel vielleicht zur grundsätzlichen Einschätzung dieser Bündelung von Forschungs- und Technologievorhaben, über die wir hier heute diskutieren.
Aber vorweg eine Bemerkung zu einem Gebiet, das ja auch auf dieser Liste erscheint, das uns als GRÜNEN besonders am Herzen liegt. Da gibt's einen Antrag der CDU „Naturmedizin erforschen und anwenden" ; das hört sich sehr gut an. Was wir aber in dem Zusammenhang sofort befürchten müssen, sind zwei Dinge. Erstens: Sie wollen die Naturmedizin an die etablierte Medizin heranführen, um sie zu kontrollieren, um kritische Ergebnisse noch besser als bisher unterdrücken zu können.
Zweitens: Sie wollen diese Ergebnisse nutzen, um sie insbesondere den potenten Pharmakonzernen in den Rachen zu werfen.
— Jawohl, das ist genau Ihre Absicht. Da bin ich ganz sicher, daß Sie das in Ihren Hinterstübchen längst so ausgekocht haben.
Zug um Zug mit dieser konzeptionellen Neuordnung der Forschungs- und Technologiepolitik tauchen über die Probleme hinaus, die wir heute schon mit Forschung und Technologie haben, verschärft zusätzliche Probleme auf.
Ich will zunächst etwas zur Raumfahrt sagen, weil das jetzt in diesem Zusammenhang meines Erachtens der gewichtigere Punkt ist. Der erste Punkt ist die Gründung der DARA. Das ist schlicht und einfach ein Witz. Wenn man das wirksam organisieren wollte, dann könnte man dazu die bestehenden Einrichtungen bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt nutzen und das entsprechend ausbauen. Das wollen Sie aber nicht. Warum? Weil das eine reine Prestigeangelegenheit ist, damit der Minister Riesenhuber, wenn er künftig draußen in der Welt herumreist, den Direktor einer nationalen Agentur und nicht einen Abteilungsleiter einer Abteilung der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt mit sich herumführen kann. Das ist der wesentliche Hintergrund. Wenn Sie da einmal unter praktischen Gesichtspunkten herangehen, müssen Sie sich doch sofort fragen — parallel übrigens auch im Bereich der Bundespost bei der sogenannten Poststrukturreform — , warum Sie da eine neue Bürokratie mit zusätzlichen Gemeinkosten schaffen, warum Sie da zusätzliche Erschwernisse in die Entscheidungsverfahren, so denke ich, immanent einführen. Also, irgendwo stimmt das von vorn bis hinten nicht. Das ist der erste Punkt, sozusagen vorweg.
Der zweite Punkt ist: Der wachsende Anteil der Raumfahrtforschung und -förderung am BMFT-
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Haushalt — das ist auch von den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion verschiedentlich zu Recht moniert worden — droht den BMFT-Haushalt und damit die Zurverfügungstellung von Mitteln für wirklich sozial und gesellschaftlich notwendige und sinnvolle Zwecke buchstäblich zu strangulieren.
Das muß man sehen. Diese Gefahr bahnt sich hier weiter an.
Dritter Punkt: Wie bei der WAA besteht hier eine Gefahr. Die WAA ist ja so ein Kernstück, um den Deutschen sozusagen auf längere Sicht den Griff auf die deutsche Atombombe zu ermöglichen. Das ist ein Kern dieser Geschichte.
Und so ähnlich ist das bei der Raumfahrt: Die Raumfahrt dient dazu, den europäischen Mächten, die im Begriff sind, sich erneut — enger noch als bisher — zu formieren, die Möglichkeit zu geben, eine eigene europäische Basis, eine militärisch nutzbare Basis im Weltraum zu schaffen. Das ist, denke ich, ebenfalls im Hinterkopf. Sie hüten sich sehr bewußt und sehr sorgfältig, das irgendwo so offen anzusprechen. Ich denke, das ist ein ganz klares Ziel dieser Politik.
Vierter Punkt: Was hier geschieht — jetzt komme ich so auf etwas, was Ihnen sowieso ein bißchen ferner liegt, nämlich dazu, wie sich das auf die Situation der großen Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen in der Bundesrepublik auswirkt — , ist eine industriepolitische Inzucht. Mit der Weltraumfahrt und mit einigen anderen ähnlichen Förderungsrichtungen soll so etwas wie ein High-Tech-Sektor — ich habe es soeben einleitend schon angesprochen — geschaffen werden, in dem im Grunde spitzentechnologische Betriebe für andere spitzentechnologische Betriebe produzieren.
Die Kernprobleme — ich will sie nur kurz ansprechen — sind dabei meines Erachtens, daß dabei relativ wenig an Produkten herauskommt, die für die Bürgerinnen und Bürger nutzbar sind.
Das ist schon der erste wesentliche Punkt.
Zweiter Punkt — da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen — : Diese Art von Produktion kann nur wenige Arbeitsplätze zur Verfügung stellen — aus geradezu naturwissenschaftlich-technischen Gesetzmäßigkeiten heraus. Das sind hoch kapitalintensive Produktionen. Daran kann man sich nicht vorbeibewegen. Das beste Beispiel ist wieder die WAA, sozusagen das Parallelbeispiel. Da müssen für jeden einzelnen Arbeitsplatz in der WAA mehr als 5 Millionen DM investiert werden.
— Aber selbstverständlich, das ist auch eine Frage von Arbeitsplätzen. Das steht bei denen, die diese Politik betreiben — da gebe ich Ihnen recht, Kollege Catenhusen — , nicht im Vordergrund, aber das muß für uns im Vordergrund stehen, angesichts einer Massenarbeitslosigkeit, die inzwischen bei weit über 10 % liegt und im Ruhrgebiet noch erheblich höher ist. Ich meine, so — bald hätte ich gesagt „souverän", denn es ist in der Tat in gewissem Sinne konservativ-souverän, was Sie machen — kann man doch an den Interessen der Bürgerinnen nicht vorbeigehen.
Diese Produktion ist hoch kapitalintensiv; das kann kein Beitrag zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit sein. Es erfolgt in den Betrieben ein Auseinanderdividieren, ein Auseinanderreißen der Belegschaften in kleine Gruppen, Ingenieure, Entwickler, ein paar EDV-Fachkräfte usw., die dabei besser wegkommen, und normale Beschäftigte werden mehr und mehr in Teilzeitarbeitsplätze, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse usw. abgedrückt. Das füge ich an der Stelle mal hinzu.
Als Gewerkschaftler, als nach wie vor für den DGB auch freiberuflich tätiger Mitarbeiter, sage ich noch folgendes dazu:
Diese Art von Fertigung, diese Art von Produktion, diese Art von Industrie, die Sie systematisch fördern wollen, führt dazu, daß die gesetzlich verbrieften Rechte der Kolleginnen und Kollegen in Betriebsräten, in den entsprechenden Ausschüssen usw. noch zusätzlich abgebaut werden, wegen der Erfordernisse des Geheimnisschutzes und allem, was dazu noch so gehört. Das müssen Sie sehen.
Ich denke, was Sie hier machen, ist schlicht und einfach falsch. Es ist nicht nur falsch, es ist kontraproduktiv, es ist gefährlich.
Es ist übrigens — der Punkt muß auch sofort angesprochen werden — auch unter Umweltschutzgesichtspunkten gefährlich. Die Art von Betrieben, die da entwickelt wird, birgt zunehmend Umweltrisiken in sich, weil diese Art von Produktion nicht aufrechtzuerhalten und zu erweitern ist, ohne daß man zusätzlich z. B. hochgiftige Chemikalien einsetzt. Die berühmte Chip-Produktion — also „Chip" nicht als Kartoffelchip, sondern als höchstintegrierte Schaltungen — kann nur auf der Grundlage des Einsatzes von hochgiftigen Chemikalien stattfinden. Das wissen Sie. Aus dem berühmten Silicon Valley, dem Sie damit im Grundmuster nachzueifern versuchen, kommen inzwischen Berichte darüber, daß gerade von diesen Chip-Fabriken sehr beträchtliche Grundwasserbelastungen und sonstige Umweltbelastungen ausgehen.
Ich möchte Ihnen an der Stelle jetzt nur der Kürze halber auch gleich die Gegenfrage stellen. Sie argumentieren natürlich damit, daß Sie sagen: Damit schaffen wir neue Arbeitsplätze. Wo sind denn die neuen Arbeitsplätze des Bildschirmtextsystems? Da haben Sie über 1 Milliarde DM investiert, und dann sind es statt 2 Millionen erwarteter Abonnenten zum
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heutigen Zeitpunkt gerade etwas über 100 000 geworden. Wo sind denn die neuen Arbeitsplätze? Können Sie mir das mal sagen?