Ich bitte um Verständnis, wenn ich mit Rücksicht auf die knappe Zeit und auf die Tagesordnung keine weiteren Fragen mehr zulasse.
Ich sehe die Probleme, wie ich es in der „Süddeutschen Zeitung" deutlich erklärt habe — ich habe mich damals eingehend auf München eingelassen — , sehr wohl und weiß genau, was dort passiert. Alle Fragen, Herr Kollege Conradi, die Sie rhetorisch an mich gerichtet haben, könnte ich mit Ja beantworten.
Ich weiß auch, welche Aufgaben wer dort wahrzunehmen hat, und ich verweise auf die gemeinsame Kompetenz des Bundes, der Länder und eben auch der Gemeinden.
Ich darf Ihnen einige Zahlen nennen. Auch wenn die allgemeinen wirtschaftlichen und wohnungswirtschaftlichen Bedingungen richtig gesetzt sind, wird es einzelne Personen und Gruppen mit sehr unterschiedlichen Problemen geben, um die sich Städte und Gemeinden im Einzelfall kümmern müssen. Das kann nach der Verfassungslage der Bundesbauminister überhaupt nicht tun. Nach Bekanntgabe der ersten Wohnungszählergebnisse sind merkwürdige Schlagzeilen aufgetaucht. Es wurde von einer „Wohnungsnot" geredet, von einer Million verschwundener Wohnungen. Dies alles ist natürlich rhetorischer Quatsch. Alle Experten wissen, daß die Fortschreibung des Wohnungsbestandes zu erhöhten Zahlen führt. Ich habe immer gesagt, daß die Zahlen nicht stimmen. Ich habe es immer beklagt, daß wir keine exakten Zahlen haben. Zusammenlegungen, Selbstnutzung von Einliegerwohnungen durch Eigentümer, Umwidmungen und dergleichen mehr werden von der laufenden Statistik nicht vollständig erfaßt. Die Wohnungspolitik des Bundes hat schon zu Zeiten der sozialliberalen Koalition nicht mehr mit dem fortgeschriebenen Wohnungsbestand operiert.
Die statistisch nicht erfaßten Abgänge sind aber mit gut 50 000 Wohnungen pro Jahr allerdings geringer, als von uns erwartet, ausgefallen. Die Wohnflächen sind weitgehend erhalten geblieben. Aus der statistischen Korrektur des Wohnungsbestandes abzuleiten, daß plötzlich eine Million Wohnungen fehlten, wäre genauso abwegig wie die Forderung, in München müßten 27 000 Wohnungen abgerissen werden, weil dort 27 000 Wohnungen mehr gezählt wurden, als nach der Fortschreibung vorhanden sein dürften. Das sind doch paradoxe Fragestellungen. Die Wohnungsprobleme in München haben sich auch nicht dadurch gelöst, daß in den Wohnungen 90 000 Menschen weniger leben, als es in der Fortschreibungsstatistik angegeben wurde. In meiner Heimatstadt Nürnberg beispielsweise ist die Bevölkerung durch Abwanderung in den Jahren 1973 bis 1987 um 44 000 zurückgegangen. In der gleichen Zeit wurden in der Stadt 27 000 Wohnungen zusätzlich gebaut. Im Jahre 1973 hatten wir eine Leerstandsdebatte; heute heißt es, wir hätten eine Wohnungsnot. Wir haben natürlich im einzelnen echten Bedarf,
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8453
Bundesminister Dr. Schneider
und es gibt auch beklagenswerte Einzelfälle von Wohnungsnot, in denen die öffentliche Hand helfen muß.
Dafür setzen wir ja den sozialen Wohnungsbau fort. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich daran erinnern, daß nach dem Gesetz der Bund verpflichtet ist, im Jahr 150 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau bereitzustellen.
Er stellt aber im Jahr 1989 nicht 150 Millionen DM, sondern 1,05 Milliarden DM bereit. Das ist also fast das Siebenfache von dem, was wir leisten müssen. Richtig ist, was schon vor dem Bekanntwerden der Volkszählungsdaten am Wohnungsmarkt sichtbar wurde: In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Wohnraum deutlich stärker gestiegen als das Angebot. Es wurden pro Jahr über 50 000 Wohnungen zuwenig gebaut. Der Grund liegt allerdings auf der Hand. Die verfügbaren Einkommen breiter Schichten der Bevölkerung sind in den letzten drei Jahren real um 12 To gestiegen; in absoluten Beträgen sind das annähernd 150 Milliarden DM jährlich.
Diese Einkommenssteigerung ist Ausdruck einer erfolgreichen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und einer erfreulichen Wirtschaftsentwicklung, eine Entwicklung, die wir alle miteinander eigentlich nicht als Problem beklagen wollen.
Wir wollen uns ja darüber freuen, daß die deutschen Bürger in den letzten drei Jahren 150 Milliarden DM mehr in ihre Taschen bekommen haben.
Diese Verelendungstheoretiker haben immer unrecht gehabt. Sie werden auch in dieser Frage durch die Wirklichkeitsentwicklung widerlegt werden.
Es ist eine altbekannte Erfahrung, daß steigende Einkommen auch für mehr Wohnkonsum genutzt werden. Die Angebotsausweitung auf den Wohnungsmärkten hat mit diesem Nachfragewachstum nicht Schritt gehalten. Das ist wahr. Noch vor wenigen Jahren bin ich von Politikern und Verbänden gescholten worden, ich würde die Wohnungsnachfrage überschätzen. Andere hielten damals lediglich noch 150 000 neue Wohnungen pro Jahr für notwendig. Angesichts geringer Leerstände wurden in unserem Land damals Abrißprämien gefordert. Von dem Vorschlag, sie in die Luft zu sprengen, habe ich schon geredet.
Leider hat der Markt sofort reagiert, als sich die Mieten wieder verändert haben.
Seit über einem Jahr aber zeigt der Trend bei den Baugenehmigungen deutlich nach oben, zuletzt mit zweistelligen Zuwachsraten und besonders stark im
Geschoßwohnungsbau. Der Wohnungsbau ist wieder zum Wachstumsmotor unserer Wirtschaft geworden.
Darüber sollten Sie sich freuen. Ich habe geglaubt, hier vorweihnachtliche Freudengesänge zu hören. Was höre ich: eine miesepetrige Verelendungstheorie.
Von den knapp 220 000 Wohnungen, meine Damen und Herren, die in diesem Jahr fertiggestellt werden dürften, werden 180 000 ohne jede Förderung im sozialen Wohnungsbau errichtet.
Die steigenden Genehmigungszahlen und Auftragseingänge kommen ausschließlich von den privaten Investoren. Ich bin sicher, daß die privaten Investoren ihr Engagement noch deutlich verstärken werden. Anerkannte Experten, die bisher immer recht behalten haben, rechnen für 1990 wieder mit einem Fertigstellungsvolumen von mindestens 280 000 Wohnungen — ohne neue Programme. Dies sage ich mit Blick auf all diejenigen, die meinen, der Staat müsse jetzt eine generelle Angebotslücke schließen. Wir brauchen ein riesiges soziales Wohnungsbauprogramm in Milliardenhöhe.
— Danke! Mieterbund, Gewerkschaften, GRÜNE fordern Hand in Hand 10 Milliarden DM pro Jahr für 100 000 neue Sozialwohnungen.
— Wer solche Vorschläge macht, meine Damen und Herren, sollte zuerst bei seinen Parteifreunden, auch bei der SPD, nachfragen, ob die jeweiligen Landesregierungen und Landtage überhaupt bereit wären, die entsprechenden Landesmittel aufzubringen.
— Mit großem Stolz sogar. Unter meiner Amtszeit hat es die geringsten Mietsteigerungen seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gegeben.
Unter meiner Amtszeit ist die beste Wohnungsversorgung erreicht worden. Unter meiner Amtszeit können sich die Leute für das Wohnen am meisten leisten. Unter meiner Amtszeit gibt es über 25 Millionen Bausparverträge mit einer Bausparsumme
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von über 890 Milliarden DM. Das ist Weltspitzenleistung.
Meine Damen und Herren, wir werden nicht den Fehler von Anfang der 70er Jahre wiederholen. Damals wurde auf Grund der Wohnungs- und Gebäudezählung, nämlich auf Grund von 800 000 statistisch weggefallenen Wohnungen, ein großes soziales Wohnungsbauprogramm aufgelegt. Mit dem Programm wurde der Bauboom 1972/73 noch angeheizt. Zinsen, Baupreise, Baulandpreise wurden hochgetrieben, und dann mußte die Bundesregierung nach dem Motto stop and go eine Vollbremsung vornehmen. § 7 Abs. 5 und § 7 b wurden damals bekanntlich ausgesetzt.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird handeln. Ich werde für Januar 1989 die Investoren, die Mieter, die Vermieter, die Architekten, die Kapitalanleger, die Länder, die Städte und Gemeinden zu einer wohnungswirtschaftlichen Konferenz nach Bonn einladen.
Ziel dieser Konferenz ist eine konzertierte Aktion zur Steigerung des Wohnungsbaus, zur Mobilisierung der Privatinitiative und zur abgestimmten solidarischen Hilfe für Haushalte mit besonderen Problemen.
— Ich habe nie behauptet, daß alles in Ordnung ist. Ich habe lediglich die Zahlen, Daten und Fakten, die sich aus der Volks- und Wohnungszählung ergeben, vorgetragen und habe sie verantwortlich, insbesondere in sozialer Verantwortung, zutreffend interpretiert.
Ich bedanke mich für diese engagierte Debatte zur Wohnungspolitik. Ich deute sie positiv dahingehend: Die Sozialdemokraten werden daraus die richtigen Schlüsse ziehen und werden den Bundesbauminister bei seiner Wohnungsbaupolitik, die dazu führt, daß wir in Zukunft im Jahr 50 000 bis 80 000 Wohnungen mehr bauen, nach besten Kräften unterstützen, zumal in den Ländern, in denen sie regieren, und in den Gemeinden, in denen sie über Mehrheiten verfügen.
Vielen Dank.