Rede von
Heinz
Menzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Grünbeck, ich habe in den letzten Tagen aus bestimmtem Anlaß die Enzyklika Rerum novarum gelesen, und die ist ja jetzt fast 100 Jahre alt. Ich glaube, es war Leo VIII., der diese erlassen hat. Er ist geradezu ein Revolutionär, wenn
man Ihre Ansprache hört. Da wissen Sie, wie weit Sie hinter der Zeit her hinken.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! „Die Bauarbeiter wollen bauen, die Wohnungsuchenden suchen Wohnungen, die Vermieter wollen vermieten, die Investoren wollen investieren, und trotzdem klappt es nicht. "
Das sind die Worte, mit denen der Kollege Dr. Jahn 1981 — ich betone 1981 — eine Rede hier begann. Tenor seiner Rede war: Wir wollen eine andere Wohnungspolitik, weg von der Objektförderung, hin zur Subjektförderung, der Markt wird schon richten, laßt uns mal ran, dann wird alles besser werden.
In denselben Tenor stimmte damals anschließend der heutige Wohnungsbauminister, Herr Kollege Schneider, in seiner Rede ein. Das war 1981, Herr Kansy. Damals haben Sie Ihre Politik verkündet: weg von der Objektförderung, hin zur Subjektförderung, und nicht nach dem Beschluß der Ministerpräsidenten; an den war damals gar nicht zu denken.
Nach der Wende haben Sie beide, Herr Jahn als Parlamentarischer Staatssekretär und Herr Schneider als Minister, mit zu dem beigetragen, was wir heute haben, und tragen dementsprechend die Verantwortung dafür. Damals, 1981, hatten wir noch 365 000 Fertigstellungen, davon 117 900 in Mehrfamilienhäusern. 1987, also nach fünf Jahren Ihrer Wohnungspolitik, sind die Fertigstellungen auf 217 000 insgesamt und bei Mehrfamilienhäusern auf 71 000 zurückgegangen, und darunter ganze gut 17 000 öffentlich geförderte. Damals, 1981, gab es im Bauhauptgewerbe noch 59 640 Betriebe mit 1 148 000 Beschäftigten; 1987 waren es 59 030 Betriebe, also rund 600 weniger, mit 1 010 000 Beschäftigten. Das heißt, 138 000 Bauarbeiter haben durch Ihre Politik allein im Bauhauptgewerbe bis 1987 ihren Arbeitsplatz verloren.
Das sind die Realitäten Ihrer Politik. Über die Folgen dieser Politik für die Menschen, für das Schicksal der Menschen wird noch zu reden sein.
Allein diese Zahlen machen schon deutlich, daß Sie mit Ihrer Wohnungsbaupolitik gescheitert sind. Das sind keine Zahlen, die in der Parteizentrale der SPD festgestellt worden sind, sondern Zahlen, die sich aus Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage ergeben.
Ich halte für gut, daß wir über diese Anfrage diskutieren, nachdem die Ergebnisse der Volkszählung auf dem Tisch liegen, denn diese Ergebnisse zeigen viel deutlicher, wie die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist und welche Situation Sie mit Ihrer Politik herbeigeführt haben, als die Wischiwaschi-Formulierungen in der Antwort auf die Große Anfrage.
Diese Folgen, die Ihr Kabinettskollege Zimmermann nun schwarz auf weiß auf den Tisch gelegt hat,
8444 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988
Menzel
können Sie weder durch Ihre manchmal an Gesundbeterei grenzenden Sonntagsreden noch durch Interpretationskünste aus der Welt schaffen. Sie schreiben in Ihrem Bericht, Herr Minister:
Die Bundesregierung verspricht sich von einer die Marktkräfte stärkenden Wohnungspolitik — letztlich auch im Interesse der einkommensschwächeren Haushalte — bessere Ergebnisse als von einer interventionistischen Wohnungspolitik, die den Staat mit der Aufgabe überfordert, das Wohnungsangebot zu jeder Zeit und für jeden einzelnen Haushalt bedarfsgerecht zu steuern.
In dieser Formulierung liegt zunächst einmal die Unterstellung, daß das irgend jemand annimmt oder irgend jemand will. Auch wir wissen, daß der Staat nicht das Wohnungsangebot für jeden Haushalt bedarfsgerecht steuern kann. Deswegen haben wir ja auch Subjektförderung und Objektförderung nebeneinander betrieben; das ist also nicht die Frage. Kernfrage ist, ob nun der Markt bei staatlicher Beschränkung auf die Subjektförderung eine bedarfsgerechte Wohnungsversorgung garantiert. Diese Politik haben Sie betrieben, und über die Ergebnisse dieser Politik für die Menschen, und zwar für die breiten Schichten, für die Einkommensschwachen, für die Familien reden wir heute.
Ihre Politik läßt im übrigen jede geschichtliche Erfahrung außer acht. Sie beachtet nicht, daß Wohnungsmangel immer zu Lasten der sozial Schwachen geht. Das Ergebnis Ihrer Politik sind fehlende Wohnungen und Schlangen von Wohnungssuchenden. Das Ergebnis ist, daß Menschen in unsrem Lande wieder in Containern leben.
Das Ergebnis ist, daß die Mieten an der Spitze der Preisentwicklung stehen und Ihr Parteifreund, Herr Minister, und wohnungspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion, Herr Schön, von einem explosionsartigen Anstieg der Mieten spricht. Das ist das ungeschönte Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren.