Rede von
Robert
Antretter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Welt nicht mehr: Hier rügt der Bundesumweltminister die EG-Beschlüsse, in der „Stuttgarter Zeitung", in der „Welt" kritisiert er den Umweltbeschluß, und Sie kritisieren uns, weil wir un-
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sererseits die Umweltbeschlüsse kritisieren. Ich verstehe die Welt nicht mehr!
— Halten Sie einen Moment die Luft an, ich will gerade etwas Freundliches zu Ihnen sagen, Herr Kollege Friedrich. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, weil Sie der erste aus dieser Union und dieser Koalition waren, der einmal sagt: An einem Tempolimit — sei es auch ein gespaltenes — führt kein Weg vorbei.
Herr Minister, ich hätte es wirklich begrüßt, wenn in dieser umfangreichen Pressemitteilung heute oder irgendwann in den letzten Tagen von Ihnen auch einmal ein positives Wort zum Tempolimit gesagt worden wäre.
Haben Sie bitte endlich den Mut, diesem Kabinett, das offenbar die Automobillobby so fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, einmal zu sagen, daß ein Tempolimit für uns etwas Erwägenswertes ist, weil wir das Vertrauen der Europäer erst dann bekommen und ein Erfolg in Brüssel mit den anderen möglich sein wird.
— Natürlich, Herr Kollege Baum, wir haben uns jahrelang damit befaßt: Eine Begrenzung auf 130 km/h bringt noch keinen nennenswerten Erfolg bei Stickoxiden. Aber Sie wissen auch, Tempo 100 ist das zweitbeste Mittel nach dem Katalysator, die Stickoxide drastisch zu reduzieren.
Deshalb habe ich Ihren Vorschlag im Prinzip begrüßt, weil er ein erster Schritt zum Katalysator hin wäre.
Ich glaube, Hubert Weinzierl, der Vorsitzende des BUND, hat recht, wenn er sagt: Vor dem Hintergrund des Ergebnisses, das Sie aus Brüssel mitgebracht haben, werden Sie es künftig Schwerhaben, mit der Aussage Glauben zu finden, daß die deutsche Umweltpolitik immer nur durch Europa gebremst wird. Für mich ist eines sicher: Die Beschlüsse wirken ebenso demotivierend im Blick auf die Europawahl, wie sie sich schädlich auf die Umwelt auswirken.
Denn weder aus der Sicht des deutschen Umweltschutzes noch im Sinne einer vernünftigen EuropaPolitik und — um bei meinem Thema zu bleiben — schon gar nicht im Interesse einer verantwortlichen Verkehrspolitik wurde mit diesem Kompromiß von Brüssel ein Fortschritt erreicht.
Herr Minister, alles, was Sie vorher vorgerechnet haben, ändert doch nichts daran, daß Sie mit einem Kompromiß von der Ratssitzung zurückgekehrt sind,
der auf lange Zeit verhindern wird, daß die Stickoxidemissionen des Pkw-Verkehrs wirksam und schnell reduziert werden und dies angesichts des dramatischen Waldschadensberichts, den wir vorliegen haben, und angesichts der Tatsache, daß wir auf eine Klimakatastrophe zugehen.
Sie haben die Frage nicht beantwortet, Herr Minister, die von meinen Kolleginnen und Kollegen aufgeworfen wurde, warum Sie sich nicht an die Seite der Niederländer, der Dänen und der Griechen gestellt haben, die sich für strenge Grenzwerte eingesetzt und deshalb den Kompromiß abgelehnt haben.
Ich stelle vielmehr fest: Es ist nichts übriggeblieben von Ihren Ankündigungen, z. B. in Baden-Württemberg notfalls einen nationalen Alleingang zu riskieren.
— In Baden-Württemberg. Laut „Frankfurter Rundschau", laut „Welt",
laut „Stuttgarter Zeitung". — Die Wirklichkeit ist doch, daß sich wieder einmal die Lobby bestimmter europäischer Automobilhersteller durchgesetzt hat
— ich sage: europäischer — und daß Sie eineinhalb Jahrzehnte nach der verbindlichen Einführung der strengen US-Grenzwerte einer Regelung zugestimmt haben, die weit hinter dem Stand der Technik zurückbleibt, und daß nicht einmal annähernd Werte realisiert werden, die für die französische und italienische Technik problemlos und kurzfristig erreichbar sind.
Meine Damen und Herren, in dieser Stunde wird in Baden-Baden der diesjährige Bundeskongreß der Europa-Union Deutschland eröffnet. Da werden auch die Politiker der Union wieder davon sprechen, daß wir mehr Kompetenzen für das Europäische Parlament brauchten, daß unsere gemeinsame große Sorge für die Europawahlen im Juni des nächsten Jahres eine schlechte Wahlbeteiligung sei und daß wir alles zu tun und nichts zu unterlassen hätten, was das Vertrauen und die Hoffnung der Bürgerinnen und Bürger in Europa stärke. Ja, meine Damen und Herren, wo soll dieses Vertrauen denn herkommen, wenn Sie selbst mit die Zeichen gegen das Europaparlament setzen, indem Sie seine Beschlüsse ignorieren, etwa den, der in Anlehnung an das kurzfristig technisch und wirtschaftlich Mögliche sehr viel niedrigere Grenzwerte gefordert hatte, als Sie sie jetzt mitbeschlossen haben. Woher soll denn der Glaube kommen, daß Sie es mit Europa und der Umwelt ernst meinen, wenn Sie so armselige Werte und lange Übergangsfristen garantieren, daß der Schadstoffausstoß in den nächsten zehn Jahren auf der heutigen Höhe verbleiben wird?
Ich glaube, Sie sollten aufhören — ich komme zum Schluß, Herr Präsident — , das richte ich an die ganze Bundesregierung, von der Stärkung des Parlaments zu reden, wenn Sie selbst seine Beschlüsse mißachten. Sie sollten auch Ihren Kollegen und Kolleginnen im Rat sagen, daß sie mit diesen Kungeleien aufhören sollen, denn wer es mit der Kompetenz und der Macht
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des Europäischen Parlaments ernst meint, der muß schon heute darauf achten, daß er dessen Willen respektiert.
Vielen Dank.