Rede von
Dietmar
Schütz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade lief im ersten Programm des deutschen Fernsehens unter dem Titel „Unter deutschen Dächern" ein Bericht über die Wirkung des Deutschen Bundestags, gefilmt etwa um dieselbe Zeit wie jetzt, nämlich 21.30 Uhr. Dabei ging es insbesondere um eine Debatte des Umweltausschusses. Wir sitzen hier in derselben geringen Besetzung.
Ich wollte eigentlich nur sagen, meine Damen und Herren, es ist etwas wirkungslos, wie wir jetzt hier aufeinander eindreschen. Jeder von uns hat festgefügte Positionen. Ich bin fast versucht, mein Manuskript dem Protokoll zur Verfügung zu stellen. Da das nicht geht, will ich kurz skizzieren, was ich sagen will.
Der abrupte Abbruch, über den wir jetzt reden, kann, finde ich, überhaupt nicht beanstandet werden. Die Erledigung der schriftlich vorliegenden Wortmeldungen und die Erörterung der offenen Sachthemen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, kann natürlich überflüssig sein, wenn der Verhandlungsleiter erkannt hat, daß die Genehmigung der Anlage in Wackersdorf nicht erteilt werden kann; wenn er erkannt hat, daß durch die Wiederaufarbeitung der mittlere und schwach radioaktive Atommüll im Volumen um etwa 30 % steigt und dadurch die Entsorgungsrisiken erhöht werden und Wackersdorf deshalb nicht genehmigt werden kann; wenn er erkannt hat, daß die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente keine Entsorgung ist, weil sie den Atommüll eben nicht beseitigt, sondern zusätzliche Risiken schafft; wenn er begriffen hat, daß die Kosten sowohl in der Brütertechnologie als auch bei der Gewinnung des Plutoniums in der Wiederaufarbeitsanlage so weit oberhalb anderer vergleichbarer Kosten liegen, daß Wackersdorf auch von der Kostenseite her nicht zu verantworten ist; wenn er gesehen hat, daß weltweit die Brütertechnologie, mit der Wackersdorf verbunden ist — Herr Friedrich, insofern sind Bayern und Nordrhein-Westfalen doch in einer Symbiose zu sehen — , zusammengebrochen ist,
daß in der Technologie der Wiederaufarbeitung eigentlich nur noch Frankreich und England weitermachen
und deshalb Wackersdorf, um in dem Bild von Volker Hauff zu bleiben, sich neben dem Main-Donau-Kanal zu einem weiteren Bauwerk entwickelt, das so überflüssig wie der Turmbau zu Babel ist.
Bei Berücksichtigung dieser Erkenntnisse hätte der Verhandlungsleiter den Erörterungstermin völlig richtigerweise abbrechen können. Wenn er aber weitere Erörterungen zu Sicherheitsproblemen abbricht, dann muß man fragen: Wieso hat er das gemacht? Wenn er allen Ernstes das Genehmigungsverfahren weiter betreiben will, wie auch Herr Streibl das jetzt will, dann sollten wir in der Tat darauf hinweisen, daß ein wesentlicher Zweck des Erörterungstermins in der Öffentlichkeitsbeteiligung liegt, die nicht nur dem Informationsinteresse der Behörden dient, sondern vor allem den Interessen der Nachbarn der Anlage, um ihnen wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten.
Die völlig überraschende Beendigung des Erörterungstermins hat sehr deutlich gemacht, daß die Einwenderseite ganz und gar Objekt der Erörterung wurde und eigene Rechte deshalb vollständig leerliefen. Die Bundesregierung setzt sich mit den durch das Bundesverwaltungsgericht 1979 konkretisierten Inhalten des Verfahrensrechts in ihrer Antwort zu diesen Beanstandungsproblemen nicht auseinander. Mit der Tatsache des handstreichartigen Abbruchs der Erörterung beschäftigt sich die Bundesregierung überhaupt nicht. Sieht sie es nicht als einen Akt von Rechtsqualität an, daß plötzlich und unerwartet, ohne daß auch die Einwender es wissen, abgebrochen wird? Liegen darin nicht offenkundige Rechtsverkürzungen für die Einwender?
Die Form ist die Feindin der Willkür, hat Gustav Radbruch gesagt, als er sich zu dem Erfordernis strenger Verfahrensvorschriften geäußert hat. Wenn in diesem Fall die Form nicht eingehalten wurde — was ist dann?
Die Weigerung der Bundesregierung, den Sicherheitsbericht für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf an die österreichische Umweltministerin zu schicken, macht einen zusätzlichen Aspekt des Umgangs mit möglichen Einwendern deutlich. Herr Minister Töpfer, Sie haben jüngst noch — in diesem Monat, glaube ich — beim Symposium Ihres Hauses unter anderem mit der IAEA eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Sicherheit von Kern-
8218 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Schütz
kraftwerken gefordert. Wir haben gestern in Berlin den Entwurf eines Gesetzes zu den IAEO-Übereinkommen über die vorzeitige Benachrichtigung und Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen zustimmend diskutiert.
— Auch über die Sowjetunion haben wir gesprochen.
Aber bleibt man eigentlich für die Sache der internationalen Zusammenarbeit glaubwürdig, wenn wir wohl internationale Zusammenarbeit, Unterrichtung und Hilfeleistung bei dem Betrieb von Kernkraftwerken und nach Störfällen von Kernkraftwerken regeln, aber eine internationale Zusammenarbeit und eine Inanspruchnahme von Rechtsschutz über die Grenzen hinweg vor der Errichtung von Kernkraftwerken und vor der Schaffung von Störpotentialen nicht oder nicht ausreichend geschaffen haben? Wie bleibt man glaubwürdig, wenn auch eine freiwillige Unterrichtung außerhalb und unterhalb einer völkerrechtlichen Regelung abgelehnt wird? Ich kann überhaupt keine schützenswerten Positionen der Bundesregierung erkennen, die es uns verbieten sollten, freiwillig in vollem Maße sowohl einzelnen als auch Regierungen Rechtsschutz und volle Information bei der Errichtung derartig gefährlicher Anlagen zu gewähren. Das Prinzip „Öffentlichkeit", um eine möglichste Transparenz der Entscheidungen und vollen Rechtsschutz aller Betroffenen zu gewährleisten, ist für uns international und national zu wichtig, um es nur nach Bedarf nach Interessenlagen zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen; es muß immer gelten. Insofern ist das, was Österreich gegenüber passiert ist, von uns nicht zu akzeptieren.
Ich will noch Herrn Vahlberg Gelegenheit geben, bedanke mich und breche hier ab.