Rede von
Dr.
Wolfgang
Daniels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor mehr als vier Monaten begann unter skandalösen Umständen in Neunburg vorm Wald in der schönen Oberpfalz der Erörterungstermin für die zweite Teilerrichtungsgenehmigung der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Doch was soll eine Öffentlichkeitsbeteiligung in einem atomrechtlichen Verfahren mitten in der Hauptreisezeit und quasi am Ende der Welt in einem Ort, den man nicht einmal mit der Bahn erreichen kann? Vielleicht haben die für das Genehmigungsverfahren der WAA Verantwortlichen gedacht, sie könnten auf diese Weise möglichst unauffällig ihre gesetzliche Verpflichtung hinter sich bringen.
Dabei haben sie aber den Widerstand der Menschen in Bayern und Österreich falsch eingeschätzt. Aus dem WAA-Erörterungstermin wurde ein WAA-
Erschütterungstermin, ein Tribunal gegen die Antragstellerin DWK wie gegen ihre zu deutlich als Handlanger agierenden Verbündeten in den bayerischen Behörden. Über 20 000 Menschen konnten verfolgen, wie die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und WAA-Erbauerin DWK, die staatlichen Gutachter und die Genehmigungsbehörden von den WAA-Gegnern und ihren Sach- und Rechtsbeiständen regelrecht demontiert wurden. Das möchte ich mit einigen Beispielen kurz erläutern.
Der Standort Wackersdorf ist wegen der möglichen Gefährdung des größten Grundwasserreservoirs Süddeutschlands den Genehmigungswünschen auf dem Papier angepaßt worden. Die von der DWK aufgestellte These von der Existenz einer dichten doppelten Barriere war von Anfang an eine falsche These, von der die Betreiber wußten, daß sie nicht aufrechtzuerhalten ist. Die DWK mußte im Laufe der Verhandlungen eingestehen, daß die geologischen Voraussetzungen völlig andere sind, als von ihr behauptet worden war. Die angeblich grundwassersichernden Tonschichten sind entweder nicht vorhanden oder von tektonischen Brüchen durchzogen.
Zur Bestimmung der Strahlenbelastung durch die WAA und damit insbesondere des radioaktiven Inventars der Anlage und der Emissionen verwendet die DWK ein völlig veraltetes Rechenprogramm. Alle bisher gemachten offiziellen Aussagen zur Strahlenbelastung müssen als irrelevant betrachtet und bezweifelt werden. Die tatsächliche Gefährdung von Mensch und Natur wird also in ihren bisherigen Berechnungen bewußt heruntergespielt.
Das sind nur zwei Beispiele fehlender Zuverlässigkeit von Antragstellerin und Genehmigungsbehörde, die sich über die Meteorologie, die Seismik bis hin zur Bautechnik beliebig verlängern ließe.
Nach 23 Sitzungstagen retteten die bayerischen Genehmigungsbehörden die DWK vor dem endgültigen Waterloo. Jeder weitere Anhörungstag hätte neue Skandale ans Licht gebracht.
Viele Themen sind noch gar nicht angesprochen worden: die Brennelementfabrik, die Verglasungsanlage, die Lagergebäude für hoch- bis leichtaktiven Atommüll oder Störfälle wie Brände, Explosionen und Leckagen in allen relevanten Anlagenteilen und dabei insbesondere im Hauptprozeßgebäude.
Die Bundesregierung sucht nun kurioserweise die Schuld bei den Einwendern und Einwenderinnen, wie sie uns auf unsere Kleine Anfrage mitteilt. Die Hartnäckigkeit der WAA-Gegner und -Gegnerinnen hat es überhaupt ermöglicht, der DWK die Antworten zu entlocken, vor denen sie die parteiische Versammlungsleitung schützen wollte.
Logisch, daß der Umweltminister Töpfer nur zu gerne so täte, als hätte er mit den gesamten Vorgängen um die WAA überhaupt nichts zu tun. Das ist aus seiner Sicht verständlich; denn schon jetzt sage ich Ihnen voraus: Auch die zweite Teilerrichtungsgenehmigung wird im gleichen Desaster enden wie die erste.
In München will die CSU hinter vorgehaltener Hand schon aussteigen, dachten wir noch bis heute morgen. Herr Streibl und Herr Kohl lassen sich aber den WAA-Wahnsinn weitere 90 Millionen DM kosten. Mit diesen Geldern sollen der betroffenen Bevölkerung die zu erwartenden Gefährdungen und Ängste abgekauft werden.
Dabei erwartet den Bau und die Planung der WAA ein ähnliches Schicksal wie den Schnellen Brüter in Kalkar, mit dem bislang einzigen Unterschied, daß die Nordrhein-Westfalen zehn Jahre Vorsprung und bislang 5 Milliarden DM verbaut haben.
Wer aber die DWK-eigenen Prognosen für die Baukosten verfolgt und sich die Erfahrungen von Kalkar vor Augen hält, kann sich ausrechnen, wann die Bayern die Nordrhein-Westfalen überholt haben werden.
Die DWK hat nicht nur ihre Unfähgikeit und Unseriosität gezeigt, sie wird auch noch unverschämt: Meine Fraktion war vorgestern in Wackersdorf. In einer scharfen Diskussion mit den Repräsentanten der DWK war der Delegationsleiter, Herr Harms, nicht in der Lage, irgendeine Obergenze für die zu erwartenden Kosten der WAA anzugeben. Im Klartext bedeutet das: Die Wiederaufarbeitungsanlage kann kosten, was sie will, die Zeche zahlt der Stromverbraucher.
Herr Töpfer, ich frage Sie: Kann unter diesen Bedingungen noch von der wirtschaftlichen Vertretbarkeit, wie sie der § 9 a des Atomgesetzes vorschreibt, ausgegangen werden?
Hier noch weitere drei Gesichtspunkte, die bei unserem Arbeitsbesuch in der Oberpfalz eine Rolle gespielt haben. Ich glaube, daß auch Sie Ihre Meinung ändern würden, wenn Sie sich einmal konkret vor Ort informieren würden und wüßten, wie die Leute dort denken, wie da gearbeitet wird und welche Schlampereien dort passieren.
8214 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Dr. Daniels
— Mit wem haben Sie dort geredet? Haben Sie einmal mit den Leuten der Bürgerinitiative geredet? Dann würden Sie wissen, daß die große Mehrheit der Bevölkerung nicht hinter dieser Anlage steht.
Die Anhörung am Montagabend hat gezeigt, daß die gewaltigen Kryptonemissionen aus der Wiederaufarbeitungsanlage das Bild der klimarettenden Kernenergie zerstören. Das radioaktive Edelgas Krypton beeinflußt das elektromagnetische Feld der Luft. Die Wolkenbildungsrate wird dadurch verändert. Schlußfolgerung — das müßte gerade die Herren aus der Enquete-Kommission Klimaschutz interessieren — : Gerade wegen der Klimakatastrophe müssen wir heute aus der Kernenergie aussteigen.
— Darauf können wir ruhig genauer noch einmal zu sprechen kommen. Bisher ist diese Gefahr völlig unterschätzt worden. Sie muß bei den Betrachtungen der Klimaproblematik mit hineingenommen werden.
Zweitens. Unsere Gespräche mit dem zweiten und dritten Bürgermeister in Wackersdorf,
alle mit SPD-Parteibuch, haben gezeigt, wie sich die SPD mit einem lumpigen zinslosen 3-Millionen-DM-
Kredit vor Ort kaufen ließ.
Vor Ort, liebe Kollegen von der SPD, könnten Sie die Baugenehmigungen verhindern. Sie jedoch setzen nicht die Beschlüsse Ihrer Partei um, sondern lassen sich vor Ort einkaufen, einwickeln und korrumpieren.
Drittens. Die Betriebsräte der Maxhütte haben uns den Zusammenhang zwischen dem systematischen und gewollten Niedergang der Maxhütte und der WAA gezeigt: Nur in einer dünn besiedelten Region
— so selbst die Bayerische Staatsregierung — kann eine WAA stehen. Aber das reicht noch nicht: Trostlos müssen die Lebensperspektiven in dieser Region werden, wenn die Menschen gezwungen werden, eine Arbeit anzunehmen, bei der die Gefahr besteht, daß sie radioaktiv verseucht werden. Damit in einem ohnehin monostrukturierten Gebiet die WAA gebaut werden kann, mußte der größte Arbeitgeber, die Maxhütte, dichtmachen.
Schon vor der offiziellen Standortentscheidung haben Strauß und Albrecht in einem Kuhhandel um die Stahlstandorte die Zukunft dieser Region besiegelt. Aber selbst Strauß war zuletzt offensichtlich kein WAA-Fan mehr. Ihm waren Zweifel an seinen Atomindustrialisierungsplänen für die Oberpfalz gekommen. In seinem letzten Interview legte er noch besonderen Wert auf die Feststellung, daß das Genehmigungsverfahren für die WAA nur in Auftragsverwaltung für den Bund stattfände. Das mutet seltsam und auffällig unambitioniert an. Von der anfänglichen Begeisterung für die Wiederaufarbeitungsanlage ist jedenfalls nichts mehr zu spüren.
Wäre es also jetzt für die Koalitionsfraktionen nicht an der Zeit, eine Denkpause einzulegen und sich den offensichtlich unkontrollierbaren Entwicklungen sowohl bei der katastrophalen Situation im Bereich der Atommüllentsorgung als auch bei der atomaren Wiederaufarbeitungsanlage entgegenzustellen?
„Nichts ist so schwierig wie der Weg vorwärts zurück zur Vernunft" , hat Brecht einmal gesagt. Trotzdem fordern wir Sie auf, sich nicht hinter Ihren Mehrheiten zu verschanzen, sondern sich Ihrer Verantwortung in der von uns beantragten Kommission zu stellen und mitzuarbeiten. Diese soll sich mit der Genehmigungsfähigkeit der WAA auseinandersetzen. Dazu soll die Kommission dem Beispiel unserer Fraktion folgen und auch in Wackersdorf selber mit den Betreibern und den Menschen der Region die Zukunft dieses Projektes bewerten. Damit können Sie die abgebrochene Anhörung von Neunburg fortsetzen.
Es ist für mich selbstverständlich — — Vizepräsident Frau Renger: Ende Ihrer Redezeit!