Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen erwähnen, daß bislang weder in unserer Fraktion noch in der Gesamtpartei ein abgeschlossenes Meinungsbild zu allen hier aufgeworfenen Fragestellungen vorhanden ist — mit einer Ausnahme, und die betrifft den Teil C der vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN, der sich mit der mißbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken befaßt. Zu diesem Teil der hier aufgeworfenen Fragestellungen gibt es einen in Vorbereitung befindlichen Referentenentwurf eines Embryonenschutzgesetzes, auf den Herr Voigt ja schon hingewiesen hat. Aus Zeitgründen kann ich hier nicht auf Einzelheiten dazu eingehen. Offen ist nur noch die Beantwortung der Frage, ob die heterologe Insemination strafrechtlich generell verboten werden sollte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt überwiegt die Meinung, kein derartiges Verbot auszusprechen. Aber, wie gesagt, die Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen.
Ich halte bei der Beratung der Gesamtthematik eine strenge Trennung der Bereiche Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik am Menschen für unverzichtbar.
Beide Bereiche sind durch eigene Techniken und unterschiedliche Folgeprobleme gekennzeichnet.
8210 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Frau Würfel
Für uns kann es in der Beratung nur darum gehen, das gesamte Ausmaß dessen wahrzunehmen, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Fortpflanzungsmedizin bereits möglich ist, und zu einer Meinungsbildung darüber zu kommen, ob wir für unsere Gesellschaft bedeutsame Werte sowie ethisch-moralische Vorstellungen betroffen sehen und ob gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Entwicklungen in die richtigen Bahnen zu lenken. Eine Verquickung der Themenstellungen trübt meines Erachtens den klaren Blick für die Beurteilung der Einzelproblematik, die ja auch bereits bei der Behandlung der Unfruchtbarkeit durch die Methoden der künstlichen Befruchtung groß genug ist. Sie stimmen mir sicher zu, daß wir noch viele Stunden an Beratungszeit benötigen, um der gesamten Thematik gerecht zu werden und um selbst zu einem abgewogenen Urteil kommen zu können.
Daß dies so ist, geht auch sehr deutlich aus dem Entschließungsantrag der Sozialdemokraten hervor, der bei mir nicht den Eindruck einer abgeschlossenen Meinungsbildung hinterläßt. Ich kann nicht erkennen, welche Methoden der künstlichen Befruchtung Sie in welchen Fällen angewendet wissen wollen. Auch die für mich sehr wichtige Frage nach dem Personenkreis, der Anspruch auf die Kostenübernahme der Leistung durch die gesetzliche Krankenkasse haben soll, bleibt unbeantwortet. Sie bieten lediglich eine Option auf die Übernahme der Kosten der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Besonders deutlich wird dies durch die Bemerkung im ersten Absatz Ihres Antrags, in dem es heißt, daß die künstliche Befruchtung außerhalb des Mutterleibes — wenn überhaupt — nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zulässig sein soll. Da muß ich mich schon fragen, was die Formulierung „wenn überhaupt" bedeuten soll. Ich meine, bevor Sie sich in diesen wichtigen Fragen auch noch nicht festgelegt haben, ist es nicht sinnvoll, hier bereits einen derartigen Entschließungsantrag einzubringen.
Wie immer, wenn sich Liberale mit gesellschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, kommt es zwangsläufig zu einer Beleuchtung des Spannungsfeldes von Freiheit und Verantwortung und zu einer Auseinandersetzung um die Ermöglichung der Erfüllung nachvollziehbarer Bedürfnisse des Individuums im Verhältnis zu dem Anspruch der Gesamtgesellschaft an den Staat, bei nicht zu verantwortenden Entwicklungen Gefahrenabwehr zu leisten.
Die Statistik besagt — das ist vorhin schon gesagt worden — , daß jedes sechste Ehepaar in der Bundesrepublik Deutschland ungewollt kinderlos ist. Bei der Behandlung des Themas „Unfruchtbarkeit" in der Bevölkerung ist es daher unerläßlich, mit hoher Sensibilität an das Thema heranzugehen und sich das Einzelschicksal von einer halben Million Menschen von Paaren — vor Augen zu führen und, soweit dies möglich ist, nachzuvollziehen, was ein Ehepaar bewegt, die wirklich nicht einfache Methode der künstlichen Befruchtung bei sich anwenden zu lassen.
Haben wir überhaupt einen Maßstab für die Bewertung, welches Ausmaß das Leid in der Zweierbeziehung angenommen hat, wenn jede ins Auge gefaßte Maßnahme zur Behebung der Unfruchtbarkeit über viele Jahre hindurch nicht erfolgreich war? Können wir überhaupt nachempfinden, was es für die einzelne betroffene Frau oder für den einzelnen betroffenen Mann bedeutet, sich als nicht vollwertig, als nicht intakt zu empfinden, ja sich sogar mit einem Makel behaftet zu sehen? Steht es uns zu, ein Urteil darüber zu fällen, ob es angemessen ist, einem Ehepaar zu ermöglichen, jede nur denkbare Methode zur Behebung der Unfruchtbarkeit bei sich anwenden zu lassen, wenn dieses Paar eine unüberwindliche Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeit der Beziehung darin sieht, kein Kind bekommen zu können?
Jedes Elternpaar, das mit ungeheurer Freude, Dankbarkeit und großem Glücksgefühl Leben hat schenken können und mit ebensolchen Empfindungen das Aufwachsen seines eigenen Kindes oder seiner Kinder begleitet, wird womöglich doch Verständnis dafür aufbringen können, daß unfruchtbare Paare sich diesen Kinderwunsch durch Methoden erfüllen, die die medizinische Technik bereithält, auch wenn diese Methoden der geringen Aussicht auf Erfolg wegen von manchen als fragwürdig bezeichnet werden.
Können wir nachvollziehen, daß ein erwachsener Mensch im Schenken von Leben und im Kinderaufziehen den Höchstwert seines menschlichen Daseins erblickt, und fällt es uns dann leichter, zuzustimmen, daß dieser Mann oder diese Frau alles medizinisch Mögliche in Betracht ziehen können, um sich die Verwirklichung dieses Kinderwunsches zu erfüllen?
Es steht sicher außer Frage, daß eine der Grundvoraussetzungen zur Anwendung der künstlichen Befruchtung die umfassende und eingehende Beratung über die Art der Behandlung und die Risikoabschätzung vor dem Eingriff zu sein hat. Die Partner müssen einschätzen können, welcher Prozedur sie sich unterwerfen. Sie sollten aber nach liberaler Auffassung, wonach die Wahlfreiheit für jeden Menschen ein hohes demokratisches Prinzip darstellt, wenigstens diese Freiheit der Wahl haben.
Ich denke, daß sich jeder von uns vorstellen kann, mit welch unbeschreiblichem Glücksgefühl und welch großer Dankbarkeit gegenüber den Ärzten, die es ermöglicht haben, die Natur zu überlisten, dieses Paar sein Kind im Arm halten wird. Glauben Sie wirklich, daß in diesem Moment oder später die Art der Entstehung des Kindes oder die auf sich genommene Mühsal, die erlittenen Schmerzen und die unter Umständen streckenweise als erniedrigend empfundene Behandlungsmethode noch eine Rolle spielen werden? Ist es also in diesem Zusammenhang richtig, eine Alternative zwischen der Anwendung des medizinischen Fortschritts bei einem hilfesuchenden Paar und der Beratung dieses Paares dahin gehend, seine ungewollte Kinderlosigkeit als sein persönliches Schicksal anzunehmen, herzustellen?
Bei allem Verständnis für die Wahl einer solchen Methode, ist es sicher auch unabänderlich, die mit der künstlichen Befruchtung im Zusammenhang stehenden ethischen und moralischen Aspekte zu beleuch-
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Frau Würfel
ten. Bereits durch die Anwendung der Verhütungstechniken, also der Pille, der Spirale und anderer Verhütungsmittel, haben die Menschen in den Zeugungsvorgang eingegriffen. Es fand dadurch eine Trennung von Sexualität und Zeugung statt. Über Jahrtausende war die Einflußnahme auf den sogenannten schöpferischen Akt nur sehr begrenzt möglich. Jetzt wird ganz eindeutig durch die Zusammenführung von Sperma und entnommenem Ei außerhalb des Mutterleibes und die dadurch erfolgte Befruchtung, die durch andere Personen vorgenommen wird und nicht durch die beteiligten Personen, die Zeugung eines Menschen von dem Mysterium der Schöpfung getrennt. Viele Menschen stellen sich die Frage, ob dieses Geschehen verantwortbar vor Gott und den Menschen sei. Hier werden die Fragen gestellt nach dem Zusammenwirken von Geist, Seele und Körper, beim Geschlechtsakt selbst nach den Kräften geistigseelischer Art, die, wie manche meinen, frei werden bei dem Verschmelzen von Ei und Sperma. Es geht hier auch letztlich um die Frage, ob der Mensch alles anwenden darf, wozu ihn seine geistigen Kräfte befähigen. Andererseits ist es für den Gesetzgeber schwierig; denn er darf sich auf der einen Seite nicht dem Verdacht aussetzen, den Fortschritt der Naturwissenschaften zu bekämpfen, und auf der anderen Seite sind gesetzliche Verbote, existierende Möglichkeiten wahrzunehmen, nach unserer Verfassung nur dann zu rechtfertigen, wenn schwerwiegende Rechtsgutverletzungen drohen.
Wir stehen also vor einer großen Komplexität. Ich denke, daß wir noch viele, viele Stunden Beratungsbedarf haben werden, bevor wir zu einem abschließenden Urteil über die Gesamtproblematik kommen können.