Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist, glaube ich, unstreitig, daß wir ein neues Ausländerrecht brauchen. Wir reden nur mit verschiedenen Sprachen: Die einen wollen die Grenzen so hoch ziehen und so festmauern wie irgend möglich, auch wenn sie durch Familien mitten hindurchgehen, und die anderen sagen: Wir wollen, daß diejenigen, die bei uns leben, nicht anders leben brauchen und genauso leben können, wie wir selbst behandelt werden wollen, wenn wir uns in einem anderen Land aufhalten. Ich kenne keinen ausformulierten Gesetzentwurf, der verabschiedungswürdig und inhaltlich begrüßenswert wäre.
Eine Mehrheit der Ausländer lebt langjährig in der Bundesrepublik und wird hier bleiben. Sie haben einen großen Teil ihrer Lebenskraft in den Wohlstand dieser Gesellschaft investiert. Ihre Kinder sind hier geboren und hier aufgewachsen. Es ist nicht mehr stimmig, daß diese Menschen einem fremden Recht unterworfen sind, das aus völlig anderen Verhältnissen und Auffassungen stammt.
Manche unserer Mitbürger halten den Ausländern vor, daß sie sich nicht assimiliert hätten, in ihren Lebensauffassungen Fremde geblieben seien und daß nur wenige versucht hätten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Man muß dem entgegenhalten, daß wir selbst wenig dazu beigetragen haben, diese Lebensentscheidung zu erleichtern. Wir neigen dazu, uns über Ausländer zu amüsieren, deren Sprachkenntnisse nicht perfekt sind, und außerhalb unseres Berufslebens suchen wir nicht gerade Kontakt zu ihnen.
Ich könnte auch nicht erkennen, warum sie sich assimilieren, also ihre eigene Kultur und Lebensweise zugunsten der unsrigen aufgeben sollten. Im Gegenteil: Wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß schon wegen der Freizügigkeit der europäischen Arbeitnehmer kein westeuropäischer Staat mehr souverän darüber entscheiden kann, wieviel Ausländer in seinen Grenzen leben. Wir sind es dementsprechend, die sich daran gewöhnen müssen, das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Völkern nicht als Belastung zu erleben.
Selbstverständlich ist es für uns selbst nicht gut, wenn wir einer großen Zahl von Menschen nicht den Weg in unsere Gesellschaft öffnen, sondern sie zwingen wollten, unter uns in einer Art Diaspora zu leben.
Ich brauche nicht nachzuzeichnen, wie es zu dieser Lage gekommen ist; das ist schon oft genug dargestellt worden. Wir wissen, daß die historischen und wirtschaftlichen Erklärungen für die Wanderungsbewegungen diejenigen unserer Landsleute nicht beruhigen, die vor einer wachsenden Zahl von in der Bundesrepublik lebenden Ausländern Angst haben
— hören Sie eine Sekunde zu —, Angst vor Überfremdung — was immer das sein möge — oder Angst vor der Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Wir wissen auch, daß die Integrationslast in unserer Gesellschaft unterschiedlich verteilt ist. Sie konzentriert sich im Bereich der Schule nicht in den Gymnasien, im Bereich des Wohnens nicht in den Villenvierteln und im Bereich der Arbeit nicht in den Vorstandsetagen. Darum müssen wir Geduld haben, mit unseren Landsleuten ebenso wie mit den Ausländern, und es ist eine wichtige Aufgabe der Politik, diese Angst nicht zu schüren, sondern zu helfen, sie zu überwinden.
Bisher hat die Politik diese Aufgabe überwiegend den Kirchen, den caritativen Organisationen, den Sportvereinen und vielen einzelnen Bürgern überlassen, denen wir dafür herzlich danken. Der Staat kann ihre Arbeit auch nicht ersetzen; er könnte aber mehr tun, sie ihnen zu erleichtern.
Auch die FDP hat ihre eigenen Positionen zur Novellierung des Ausländerrechts wiederholt dargestellt. Der Ausländer soll nach einem fünfjährigen Aufenthalt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und nach acht Jahren eine Aufenthaltsberechtigung erhalten, an die sich bestimmte Rechte mit einer weitgehenden Gleichbehandlung mit Inländern knüpfen.
Wir wollen den Ausländern der zweiten Generation nach einem fünfjährigen Aufenthalt den Nachzug von Ehegatten ermöglichen, natürlich auch den Zuzug der Kinder erhalten. Die Struktur und der Wert einer Familie hängen doch nicht von der Staatsangehörigkeit ab. Ich kann überhaupt nicht begreifen, was wir dazu immer hören.
Wir wollen, daß junge Ausländer, die vor der Rückkehr in ihre Heimat mindestens sechs Jahre in der Bundesrepublik gelebt haben und hier schulisch und beruflich geprägt worden sind, eine befristete Wiederkehroption bis zum Ablauf des 23. Lebensjahres erhalten.
Wir wollen die Ausweisung von Ausländern auf wenige wirklich wichtige Gründe beschränken. Wir wollen die Einbürgerung erleichtern und den Ausländern, die in der Bundesrepublik geboren oder aufgewachsen sind, einen Anspruch auf Erwerb der deut-
8202 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Dr. Hirsch
schen Staatsangehörigkeit geben, wie das übrigens alle unsere westeuropäischen Nachbarn tun.
Ich würde es in diesem Zusammenhang übrigens begrüßen, wenn jungen Ausländern die Gelegenheit gegeben würde, auch ihre Wehrdienstverpflichtungen in der Bundeswehr abzuleisten — wenn sie es wollen —,
natürlich mit der Folge, daß sie dann die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben können.
Schließlich haben wir über die rechtlichen Positionen hinaus eingehende Vorschläge zur Integration durch schulische und berufliche Bildung, zur sozialen Integration und zur Verbesserung der Rechtstellung der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung gemacht, deren Arbeit segensreich ist, die wir unterstützen wollen, unterstützt haben und von der wir glauben, daß sie wesentlich dazu beigetragen hat, Spannungen in unserer Gesellschaft abzubauen. Ich danke ihr hier für ihre Arbeit.
Ich hoffe, daß sie sie lange fortsetzen kann.
Ich habe den Eindruck, daß bei allen Unterschiedlichkeiten im einzelnen hinsichtlich der notwendigen Integration sowohl innerhalb der CDU/CSU-Fraktion als auch in der SPD und in der FDP Meinungen vertreten werden, die nicht so grundsätzlich verschieden sind, wie es scheinen könnte. Wir werden uns bemühen, durch die vorgesehene Anhörung und vor allen Dingen durch intensive Gespräche dazu beizutragen, daß das erreicht wird, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben, nämlich in dieser Legislaturperiode zu einer Reform des Ausländerrechts zu kommen, die diesen Namen wirklich verdient.
Vielen Dank.