Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich habe noch viel zu sagen. Unser Gesetz bietet noch so viel, daß die sieben Minuten schon sehr knapp sind.
Auch das, was zur Einigungsstelle gesagt worden ist, fand ich sehr amüsant. Da muß man sich auch noch einmal ganz subtil die Arbeitnehmerferne vorstellen, die hier zu Protokoll gegeben wurde.
Daß wir bei der Einigungsstelle das Honorar für den Vorsitzenden nicht zwischen diesem Vorsitzenden und dem Arbeitgeber ausgehandelt haben wollen, ist, so finde ich, so elementar, daß ich gedacht hätte, das würde sich auch von allein einstellen. Was würden wir eigentlich tun, wenn ein Schiedsrichter mit der Heimmannschaft den Preis für die Schiedsrichtertätigkeit aushandeln würde? Außerdem widerspricht es auch meinem sozialen Gefühl, daß sozusagen der Streitwert bestimmt, welches Honorar der Vorsitzende bekommt. Da geht es doch um Menschen und um Sozialpläne. Der Gesetzentwurf legt fest, daß dem Vorsitzenden der Aufwand entlohnt wird, den er zu erbringen hat. Aber ein Aushandeln oder eine Bezahlung nach der Rechtsanwaltsgebührenordnung halte ich bei Sozialplänen für einen großen Stilbruch.
Nun zur Beteiligung der Arbeitnehmer bei der Einführung neuer Techniken. Wir sind keine Maschinenstürmer, wir wollen auch keine Computerstürmer. Für intelligente Produktionen braucht man intelligente Arbeitnehmer. Ich finde es auch sprachlich verräterisch, wenn man sagt, Menschen sollten Maschinen bedienen; denn sie müssen sie beherrschen. Dazu gehört, daß Arbeitnehmer auch mitreden, und zwar auch bei der Gestaltung ihres Arbeitsplatzes. Ich halte es auch für ein Überbleibsel aus obrigkeitsstaatlichen Tagen, zu glauben, die oben wüßten es immer besser.
Ein vernünftiger Arbeitnehmer und ein vernünftiger Arbeitgeber werden sich darüber unterhalten, wie man einen solchen Arbeitsplatz einrichtet. Ein vernünftiger Arbeitgeber wird dies auch rechtzeitig tun. Ich glaube auch, daß bei den Arbeitnehmern ein großes Erfahrungspotential vorhanden ist, das von manchen Planungsfetischisten gar nicht genutzt wird. Dieses Potential muß systematisch ausgenutzt werden. Dies dient ja auch der Selbständigkeit der Arbeitnehmer. Der Begriff der Verantwortung würde amputiert, wenn die Verantwortung immer nur bei den Folgen gilt. Verantwortung muß bei der Gestaltung einsetzen. Verantwortung der Arbeitnehmer nur bei den Folgen — das blockiert geradezu die Kreativität.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Weiterbildung. Ich will dieses Thema jetzt aber nicht behandeln, weil es morgen ausführlich diskutiert wird.
Nun noch zu dem Begriff des leitenden Angestellten. Dieser Begriff ist nicht erst mit diesem Gesetz ins Arbeitsrecht gekommen. Dieser Begriff steht bereits im Betriebsverfassungsgesetz. Wer hat eigentlich 1976 regiert? Durch das Mitbestimmungsgesetz von 1976 ist der leitende Angestellte auf die Unternehmensebene gekommen. Jetzt schaffen wir ihn auch auf die Betriebsebene.
Ich will noch hinzufügen, daß die Sprecherausschüsse auch nichts Neues sind. Sie gibt es. Nur, wir schaffen die gesetzlichen Grundlagen. Ich finde es sehr wichtig, daß auch hier noch einmal klargestellt wurde: Das soll keine Konkurrenz zum Betriebsrat sein. Es sollen jetzt nicht zwei Betriebsräte in ein Konkurrenzmodell kommen.
Den Begriff des leitenden Angestellten haben wir präziser, handhabbarer gefaßt. Ich will für meinen Teil — auch Herr Kollege Heinrich hat aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht — sagen: Ich bin
8172 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Bundesminister Dr. Blüm
nicht derjenige, der ein übergroßes Bedürfnis hat, das Arbeitsrecht mit neuen Statusmerkmalen zu versehen. Ich glaube, daß die moderne Arbeitswelt sehr viel stärker auf Offenheit, Mobilität, Leistungsbereitschaft angelegt ist
und daß das eigentlich die Platzanweiser einer modernen Industriegesellschaft sind.
Ich will auch darauf hinweisen, daß sich Leistung nicht nur auf Leitung beschränkt. Ich glaube, auch das sollte unbestritten sein.
Meine Damen und Herren, auch von der Sozialdemokratischen Partei: Die Entwicklung bei den leitenden Angestellten stellt auch eine Rückfrage an die Gewerkschaften, und zwar eine selbstkritische Rückfrage. Vielleicht ist die Bewegung der leitenden Angestellten auch deshalb entstanden, weil sie in der kollektiven Interessenvertretung nach Einheitsmuster zu kurz kamen. Vielleicht haben die Gewerkschaften zu spät den Differenzierungsprozeß in der Arbeitnehmerschaft erkannt. Die Einheitsmuster einer kollektiven Vertretung reichen in einer Zeit stärkerer Differenzierung nicht mehr. Wer in jeder Differenzierung schon eine Diskriminierung sieht, verpaßt neue Chancen der Emanzipation. Ich bin ganz sicher: Vielfalt ist der neue Name des Fortschritts. Das Kunststück, das wir alle, auch die Gewerkschaften, zu vollbringen haben
— in der Tat; ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der Vielfalt und nicht Uniformität lebt;
ich bin ganz sicher, daß auch in der Arbeitnehmerschaft die Bedürfnisse höchst unterschiedlich sind —
— nicht nur wir, auch die Gewerkschaften; wenn ich Ihnen dabei helfen könnte, würde ich Ihnen helfen — ,
ist, eine neue Balance zu schaffen zwischen Individualität und Solidarität, einer Individualität, die nicht zum Egoismus degeneriert, die nicht Gruppenegoismus ohne Blick zum Nachbarn etabliert, aber auch einer Solidarität, die nicht alles unterpflügt.
Ich hoffe, daß unsere Gesetzgebung heute einen Beitrag leistet, diese Balance zwischen Individualität und Solidarität neu zu stärken.