Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wort gegeben — Wort gehalten. Die Unionsparteien CDU und CSU haben vor der Wahl versprochen, die Montan-Mitbestimmung zu sichern. Die Koalition hat nach der Wahl die Sicherung vereinbart, und heute beschließen wir, was wir vor der Wahl versprochen und nach der Wahl vereinbart haben.
Nochmals: Wort gegeben — Wort gehalten.
Die Sicherung der Montan-Mitbestimmung ist notwendig.
— Heben Sie sich Ihre Aufregung für den nächsten Satz auf.
Die Sicherung der Montan-Mitbestimmung ist notwendig, weil die SPD in ihrer Regierungszeit die Sicherung der Montan-Mitbestimmung nicht geschafft hat.
Die SPD hat wider ihre eigene Ankündigung ein Auslaufgesetz geschaffen. Hätte sie ein Sicherungsgesetz geschaffen, würde ich heute nicht hier stehen und dieses Gesetz verteidigen.
— Ja, in der Tat. Ich habe das, was Herr Ehrenberg damals in der Debatte gesagt hat, nachdem er als zuständiger Minister den Bestand der Montan-Mitbestimmung gesichert haben wollte, nachgelesen. Er hat gesagt: Lesen Sie genau; dann wissen Sie, daß sie gesichert wird. — Ich bin sozusagen die personifizierte Widerlegung des Herrn Ehrenberg aus der damaligen Zeit.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch die Gelegenheit nutzen, zur Mitbestimmung über parteipolitische Auseinandersetzungen hinaus zu sagen: Für mich ist Mitbestimmung Ausdruck der Partnerschaft. Sie ist Alternative zum Klassenkampf; sie ist ein Stück aus dem gemeinsamen Wiederaufbau des zertrümmerten Nachkriegsdeutschland.
Das gilt in ganz besonderer Weise für die MontanMitbestimmung. Denn im Montanbereich haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen die Demontage abgewehrt.
Unser Staat Bundesrepublik Deutschland ist der freiheitlichste und sozialste Staat, den die deutsche Geschichte hervorgebracht hat, freilich immer verbesserungsfähig, nie im Idealzustand. Aber zu unserem Sozialstaat gehört Partnerschaft. Unser junger Staat muß Traditionen begründen. Traditionen entlasten, sie sichern das Selbstverständliche. Sie machen uns auch frei, das Neue zu bewältigen.
Man kann über den Strukturwandel bei Kohle und Stahl vieles sagen, auch manches Kritische. Dennoch bitte ich, die Leistungen der Sozialpartner nicht geringzuachten. Daß im Kohlebergbau von einst 600 000 Bergleuten heute nur noch 160 000 beschäftigt sind und dieser Strukturwandel alles in allem sozial befrie-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8169
Bundesminister Dr. Blüm
det verlief, halte ich für eine große Leistung der Montan-Mitbestimmung und auch der Gewerkschaften.
Auch im Stahlbereich — ich will nicht über Rheinhausen sprechen; das war nicht gerade das Musterbeispiel für Montan-Mitbestimmung —
hat die Mitbestimmung alles in allem zu einer partnerschaftlichen Bewältigung schwieriger Herausforderungen im Strukturwandel beigetragen.
Die Mitbestimmung gehört zur sozialen Kultur unseres Landes, sie gehört zur Tradition. Partnerschaft ist unsere Mitgift auch für ein freies, soziales Europa, das wir schaffen wollen.
Die Montan-Mitbestimmung wurde, wie Sie wissen, unter Adenauer geschaffen.
Sie trägt auch dazu bei, ein Klima der sozialen Befriedung in unserem Land zu erhalten. Ich halte das auch für einen Vorzug des Industriestandorts Bundesrepublik, der viel zuwenig gewürdigt wird. Wir sind das Land mit den geringsten Arbeitsausfällen durch Arbeitskämpfe weit und breit. Dieser Standortvorteil wird viel zuwenig gewürdigt.
Wir verheimlichen geradezu einen unserer besten Vorzüge. Ich meine, Arbeitgeber und Gewerkschaften können diesen Vorzug gemeinsam als einen Vorteil des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland würdigen.
1986 ging bei uns auf 1 000 Arbeitnehmer 1 Arbeitstag verloren, in Japan 6, in Frankreich 32, in Großbritannien 89, in den Vereinigten Staaten 121, in Italien 391 Tage. Das ist doch keine Selbstverständlichkeit, daß wir aus dieser Statistik so herausfallen. Das ist auch ein Ergebnis von Mitbestimmung, zu der ich mich ausdrücklich bekenne.
Selbst 1984, in diesem kampfumtobten Jahr, waren die Arbeitsausfälle in Italien zweieinhalbmal so hoch und in Großbritannien fünfmal so hoch.
Ich will ausdrücklich hinzufügen: Für mich ist Partnerschaft keine Idylle. Sie eliminiert nicht Interessengegensätze. Sie regelt ihre Austragung, und sie organisiert den Ausgleich. Partnerschaft hat den Wohlstand geschaffen.
Tarifpartnerschaft, Selbstverwaltung und Mitbestimmung, das ist das bundesrepublikanische Dreigespann für Partnerschaft.
Dafür will ich aus Anlaß dieser Debatte ausdrücklich auch den Sozialpartnern, Gewerkschaften und Arbeitgebern meinen Dank aussprechen. Wir sichern die Montan-Mitbestimmung. 1989 würde ohne unser Gesetz die Montan-Mitbestimmung bei Mannesmann AG, Salzgitter AG, Thyssen AG auslaufen, 1992 würden die Klöckner-Werke AG aus der Montan-Mitbestimmung herausfallen. Ich hoffe nur, daß auch die IG Metall den dort beschäftigten Mitgliedern sagt, wer die Montan-Mitbestimmung gesichert hat.
Ich will zum zweiten Teil dieses Gesetzespakets kommen. Ich gebe zu, es ist ein Gesetzespaket. Was ist daran eigentlich schlimm? Was ist überhaupt an Kompromissen schlimm? Ich lebe Gott sei Dank in einer Volkspartei, in der es immer wieder zu Kompromissen kommt. Warum soll es nicht auch in einer Koalition zu Kompromissen kommen? Ich halte Kompromisse für die größte Erfindung der Sozialgeschichte, für viel besser als das, was die Fanatiker wollen, die auf alles oder nichts setzen und die den Fortschritt meistens zertrümmern.
Aber lassen Sie mich zum Minderheitenschutz kommen. Es ist bedauerlich — das will ich hier einmal hinzufügen — , daß wir Minderheiten gesetzlich schützen müssen.
Mein Wunsch ist es eigentlich, daß sich Toleranz freiwillig einstellt. Gewerkschaften sollten eigentlich in Erinnerung behalten, daß sie einst Opfer eines intoleranten Obrigkeitsstaates waren. Im Besitz von Mehrheiten sollten sie sich nicht so benehmen wie ihre Gegner von gestern.
Damit hätten sie gerade eine der wichtigsten Erfahrungen der Arbeiterbewegung vergessen.
— Herr Kollege Reimann, ich will das im Zusammenhang darstellen. — Was würde eigentlich im Deutschen Bundestag passieren, wenn seine Ausschüsse allein von der Mehrheit besetzt würden? Was würden der Kollege Reimann, der Kollege Andres, der Kollege Dreßler sagen? Sie wären im A- und S-Ausschuß nicht vertreten, allein die CDU/CSU und die FDP wären in diesem Ausschuß vertreten.
— Ja, das, was Sie für unmöglich erklären, gibt es in vielen Betriebsräten. Man glaubt es gar nicht! Und weil das so ist, müssen wir die Rechte der Minderheiten jetzt gesetzlich festschreiben. Ich hätte mir gewünscht, ein angeborenes Fairneßgefühl hätte diese gesetzliche Regelung überflüssig gemacht.